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potentielle Partner

2.6 Plädoyer für eine holistische Allianztheorie

2.6.2 Die Auswahl der Bündnispartner

Hat sich ein Staat dafür entschieden, seinen Sicherheitsbedarf mit Hilfe einer Allianz zu befriedigen, steht er vor der Aufgabe Bündnispartner zu suchen. Die Auswahl der geeigneten Bündnispartner wird dabei von unterschiedlichen Faktoren bestimmt. Auf der einen Seite sind dies innenpolitische Überlegungen, die eine Rolle spielen. Der das Bündnis initiierende Staat wird unterschiedliche Staaten bei dieser Auswahl auf deren Bündnisfähigkeit (capability of alliance) beurteilen. Zum einen wird diese Fähigkeit beurteilt nach den Mitteln und Eigenschaften über die die anderen Staaten verfügen müssen um die vom Bündnisinitiator definierten Zieles der Allianz – also in erster Linie den Beistand im Bündnisfall – zu erfüllen.

Dabei werden die Ziele der Allianz unter Berücksichtigung des Sicherheitsbedarfs des Bündnisinitiators definiert. Generell fällt darunter aber meist eine Bewertung des Machtpotentials eines Staates. Allgemein kann so angenommen werden, dass sich ein Staat mit schwächeren Staaten eher seltener verbünden wird, da diese ihm im Bündnisfall von weniger großem Nutzen wären. Weiterhin wird auch die Glaubwürdigkeit von Staaten einen Einfluss auf ihre Bündnisfähigkeit ausüben. Auch hier spielen lerntheoretische Überlegungen eine Rolle. In der Vergangenheit als unzuverlässige Partner erwiesene Staaten werden dementsprechend genauso seltener als etwaige Bündnispartner in Betracht gezogen werden, wie innenpolitisch eher instabile Staaten.224 Dabei ist auch hier einzuwenden, dass der Einfluss der Glaubwürdigkeit keine absolute Größe darstellt, sondern je nach Fall von dem konkreten Allianzbedarf und der Auswahl alternativer Partner abhängt.225 Diese Bewertungen der

221 Vgl. Reiter, Dan (1996), Crucible of beliefs. Learning, alliances, and world wars. Ithaca, S. 19-20.

222 Reiter, Dan (1994): Learning, Realism, and Alliances: The Weight of the Shadow of the Past. In: World Politics. 46:4, S. 502.

223 Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 29.

224 Vgl. Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 29-30.

225 Vgl. Bergsmann, Stefan, Bündnisse, S. 30.

Bündnisfähigkeit von Staaten werden vorgenommen von politischen Akteuren. Wie oben dargelegt, sind diese Akteure mit ihren individuellen mental maps und Identitäten eingebettet in ein größeres Kollektiv mit dessen kognitiven Karten und Identitäten. Zweiter Faktor, der die Auswahl von Bündnispartner beeinflusst, ist exogener Natur und betrifft die Bündnisbereitschaft (willingness of alliance) der anderen Staaten auch tatsächlich der angestrebten Allianz beitreten zu wollen. Abgesehen von den wenigen Staaten, die generell Beitritte zu Allianzen ablehnen und auf ihre Neutralität bedacht sind, wie z.B. die Schweiz, kann von einer grundsätzlichen Bereitschaft ausgegangen werden, die jedoch für jeden einzelnen Fall spezifiziert werden muss. Es stellt sich die Frage, warum andere Staaten im konkreten Anlass bereit sind, eine Allianz mit dem initiierenden Staat zu bilden. Liegt dieselbe Bedrohungslage vor, scheint es sehr wahrscheinlich, dass der andere Staat zu einer Allianz bereit ist. Jeder Staat definiert jedoch sein eigenes Sicherheitsbedürfnis, so dass es selten sein wird, dass zwei Staaten dasselbe Bedrohungsszenario gleich ordnen. Ist dies der Fall, muss die Differenz im Interesse an einem Bündnis unter dem Hinzufügen von Gegenleistungen ausgeglichen werden. Der anvisierte Bündnispartner muss dann von den Vorteilen eines Bündnisses überzeugt werden.226 Dieser Interessenausgleich kann sowohl vor den eigentlichen Bündnisverhandlungen stattfinden, als auch während dieser.227

2.6.3 Die intergouvernementalen Vertragsverhandlungen

Sind die wesentlichen Fragen nach Bündnisfähigkeit und Bündnisbereitschaft zwischen dem Bündnisinitiator und den anvisierten Partnern geklärt, beginnen die intergouvernementalen Verhandlungen über die Ausgestaltung der Allianz und den konkreten Vertrag. Grundlage der hier vertretenen Theorie ist die liberale Annahme, dass die Nationalstaaten „purposively in the international arena, but on the basis of goals that are defined domestically” handeln.228

Mit einem innenpolitisch determinierten Präferenzset begeben sich nun die Vertreter der Nationalstaaten auf die internationalen Konferenzen. Dabei wird nach Moravcsik die Verhandlungsmacht der einzelnen Teilnehmer von drei zentralen Determinanten bestimmt:

Erstens wird die eigene Position durch die Existenz von unilateralen Alternativen und dem daraus resultierenden „threat of non-agreement“229 determiniert. Das bedeutet, dass Staaten,

226Vgl. Riker, William H. (1984), The theory of political coalitions. Westport, S. 105-106.

227Vgl. Bergsmann, Stefan, Bündnisse, 30-31.

228Vgl. Moravcsik, Andrew (1993), Preferences and Power, S. 481.

229Moravcsik, Andrew (1993), Preferences and Power, S. 499.

wenn sie neben einer kooperativen Lösung noch andere Alternativen, sogenannte „outside options“ oder „best alternatives to negotiated agreement“, zur Verfügung haben, sie dann die fundamentalste Form von Verhandlungsmacht besitzen, da sie nicht auf die Ergebnisse der Verhandlungen angewiesen sind.

Eine zweite Determinante ist die „threat of exclusion“230. Hier besitzen Staaten die Chance der Formierung alternativer Staatenkoalitionen mit gleichzeitigem Ausschluss anderer Staaten. Das bedeutet, dass die Verhandlungsmacht der Staaten, die diese Möglichkeit haben, natürlich größer ist, als die derjenigen, denen ein solcher Ausschluss droht.

Als Letztes sind noch die wichtigen „compromise“, „side-payments“ und „linkage at the margin“231 zu nennen. Hiermit ist gemeint, dass durch Paketbildungen und Themenverknüpfungen gegenseitige Zugeständnisse auf verschiedenen Policy-Feldern erreicht werden können.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass je größer die potentiellen Gewinne von Kooperation im Vergleich zu den besten alternativen Politiken für eine Regierung sind, desto geringer die Bereitschaft, ein Scheitern der Verhandlungen zu riskieren. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Verhandlungsmacht einer Regierung umso größer ist, je mehr und je bessere Alternativen ihr vorliegen.

230Moravcsik, Andrew (1993), Preferences and Power, S. 502.

231Moravcsik, Andrew (1993), Preferences and Power, S. 504.

2.7 Zusammenfassung

Nun sollen noch einmal die wichtigsten Ergebnisse festgehalten werden, bevor die hier aufgestellten Hypothesen dann im weiteren Verlauf der Arbeit getestet werden sollen:

1.) Eine Allianztheorie, die nur auf Faktoren wie Macht und/ oder Bedrohung begründet ist, bleibt unvollständig. Macht und Bedrohung sind nicht allein materialistischer Natur, sondern haben zugleich eine soziologische Grundlage: „values and identity matter“232. Politische Akteure bilden, genauso wie Staaten, auf der Grundlage von kulturellen Traditionen, kognitiven Prozessen und Sozialisierungsprozessen individuelle, wie kollektive Identitäten aus, die für deren Interpretation von anderen Staaten und deren Aktionen und ihren eigenen politischen Reaktionen grundlegend sind.

2.) Auf der Grundlage einer konstruktivistischen Theorie und unter Einbezug von lerntheoretischen und liberal-intergouvernmentalistischen Elementen ist es möglich die einzelnen Phasen des Allianzbildungsprozesses analytisch aufzuschlüsseln und genauer zu untersuchen.

3.) Bei den internationalen Verhandlungen treffen Regierungen mit unterschiedlichen Präferenzsets aufeinander. Die Durchsetzungsfähigkeit einer Staates ist abhängig von der Bedeutung, die die Allianz für diesen Staat hat, das Vorhandensein möglicher Alternativen, der „threat-of-exclusion“ und der Existenz von Möglichkeiten, „package-deals“

abzuschließen

232 Buszynski, Leszek (2004), Asia Pacific security. Values and identity. London/ New York, S. 1.

Allianzinitiator

Allianzbedarf aufgrund eines Sicherheitsbedürfnis;

Entscheidung für die Allianzstrategie aufgrund innenpolitischer Abwägungsprozesse unter dem Einfluss von individuellen und kollektiven Identitäten und Lernerfahrungen

Auswahl potentielle Partner

Auswahlkriterien bestimmt durch endogene und exogene Faktoren

Verhandlungen

intergouvernementale Verhandlungen zwischen Staaten mit innenpolitisch determinierten Präferenzsets über die Reichweite und Ausgestaltung des Allianzvertrages

Allianzabschluss

Ratifikationsprozess

Abbildung 4: Der Allianzbildungsprozess (nach Bergsmann, Stefan (1996), Warum entstehen Bündnisse?. Sinzheim, S. 33.)

Anhand der obigen Ergebnisse können nun mit Bezug auf die US-Allianzpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg folgende Hypothesen aufgestellt werden, die im weiteren Verlauf untersucht werden:

1. In den USA lässt sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein virulentes Sicherheitsbedürfnis nachweisen. Dieses Sicherheitsbedürfnis entstand durch das Gefühl einer Bedrohung durch das aggressive Verhalten und die Expansionsbestrebungen kommunistischer Großmächte.

2. Aufgrund einer auf internationale Zusammenarbeit ausgerichteten außenpolitischen Ideologie, die unter dem Einfluss negativer Lernerfahrungen mit früheren Neutralitätsstrategien entstand, setzte sich bei den politischen Entscheidungsträgern der USA die Bereitschaft durch, dieses Sicherheitsbedürfnis durch die Bildung von Allianzen zu stillen.

3. Bei der Auswahl ihrer Verbündeten fühlten sich die USA den Staaten auf dem amerikanischen Kontinent und den europäischen Staaten und deren Kultur eng verbunden und identifizierten sich daher stark mit ihnen. Gegenüber den Staaten in Südostasien und dem Nahen Osten bestand nur eine schwache Identifikation.

4. Diese Identifikation beruhte zum großen Teil auf bei den politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft in den USA insgesamt vorherrschenden Vorstellung einer „White Supremacy“, die verbunden war mit einer positiven Perzeptionen von Staaten gleicher ‚Rasse‘ und einer eher negativen Perzeption anderer, häufig als minderwertiger eingestuften, ‚Rassen‘.

5. Die USA verfolgten daher bei dem Aufbau ihres Allianzsystems in den unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Politiken.

6. Aufgrund ihrer überragenden Machtstellung nach dem Zweiten Weltkrieg wird es der USA am besten gelingen, ihre Vorstellungen bei den jeweiligen Allianzverhandlungen durchzusetzen.