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Verteidigungspolitik

Im Dokument Welchen Finanzausgleich braucht Europa? (Seite 134-140)

A. Erste Säule: Die Europäischen Gemeinschaften

2. Verteidigungspolitik

Zur Verteidigungspolitik ist anzumerken, dass die Westeuropäische Union (WEU) nicht Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist.58

58 Dänemark, Finnland, Irland, Österreich und Schweden sind keine Mitglieder der WEU.

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3. Kapitel: Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben 133

Dennoch wird in Art. 17 ihre Bedeutung für die europäische Verteidigungsiden-tität hervorgehoben und betont, dass eine enge Abstimmung in verteidigungspo-litischen Fragen mit der WEU angestrebt wird. Die Europäische Union besitzt also keine originär verteidigungspolitischen Kompetenzen. Noch existiert keine gemeinsame Verteidigungspolitik.59 Die Grenze zum Bereich der Außenpolitik ist jedoch fließend, weshalb auch verteidigungspolitische Fragen zum Aufga-benbereich des Hohen Vertreters zählen.

Ähnlich der Außenpolitik steht auch die Begründung einer gemeinsamen Ver-teidigungspolitik auf schwachen Füßen. Es lassen sich allenfalls positive Spillo-ver-Effekte von verteidigungspolitischen Anstrengungen eines Landes auf seine verbündeten Nachbarn feststellen. Diese Bündnisfunktion im militärischen Be-reich wird aber für die Mehrheit der EU-Mitglieder durch die NATO60, bezie-hungsweise die WEU bereits erfüllt. Es lässt sich nicht erkennen, warum die Mitgliedstaaten ihre diesbezügliche Souveränität an die EU abgeben sollten. Die Nichtmitgliedschaft einzelner EU-Mitglieder in den Verteidigungsbündnissen zeigt, dass die individuellen Präferenzen der Länder offensichtlich signifikant unterschiedlich sind. Aus dieser Tatsache ein Verhalten als free-rider abzuleiten ist ebenfalls nicht sachgerecht.61 Ein solches wäre dann gegeben, wenn sich ein Mitgliedsland nicht an der gemeinsamen Verteidigungspolitik beteiligte, im Ernstfall aber dennoch auf den militärischen Beistand der Verbündeten zählen könnte. Die Vergangenheit lehrt jedoch, dass sich auch die Nichtmitglieder in der WEU an gemeinsamen Militäroperationen beteiligen (z.B. Friedenstruppe im Kosovo) und es vielmehr historische Gründe sind (u. a. blockfreie Staaten), weshalb Einzelne eine engere militärische Kooperation ablehnen.62 Dieses Ar-gument sollte den Ausschlag für eine dezentrale Kompetenzausstattung im Ver-teidigungsbereich geben. Dies schließt selbstverständlich eine freiwillige enge Kooperation einzelner Mitgliedstaaten nicht aus.

59 Vgl. Art. 17 Abs. 1 EUV.

60 Finnland, Irland, Österreich und Schweden sind keine Mitglieder der NATO.

61 Vgl. PERSSON / ROLAND/ TABELLINI (1997), S. 26.

62 Vgl. HOFFMANN (2000), S. 192.

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134 Teil III: Beurteilung der bestehenden Finanzbeziehungen in der EU

C. Dritte Säule: Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik

Titel VI EUV enthält die einschlägigen „Bestimmungen über die polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen". Als Instrumente nennt Art. 29 EUV die engere Zusammenarbeit von Polizei-, Zoll- und Justizbehörden. Dies trägt der schwindenden Bedeutung der nationalen Grenzen für den innereuropäi-schen Waren- und Personenverkehr Rechnung, wodurch auch für die organi-sierte und nichtorganiorgani-sierte Kriminalität eine Art „Gemeinsamer Markt" ent-standen ist. Darum werden die Befugnisse von Europol erweitert und ein enger Informationsaustausch der nationalen Justizbehörden vereinbart. Als weiterer Aufgabenbereich wird, ähnlich der Außenpolitik, das Vertreten gemeinsamer Standpunkte in internationalen Organisationen genannt.

Die beschriebenen Kompetenzen greifen nur sehr wenig in den Hoheitsbereich der Mitgliedstaaten ein. Kein Land kann durch Mehrheitsentscheid zur Teilnah-me an einer MaßnahTeilnah-me gezwungen werden. VielTeilnah-mehr treten die Abmachungen im Regelfall erst nach Ratifizierung durch mindestens die Hälfte der Mitglied-staaten und dann auch nur für diese in Kraft. Bei dieser nationalen Kompetenz-zuordnung sollte es weiterhin bleiben, denn die Föderalismustheorie bietet kei-nen Anhaltspunkt für eine Verlagerung der Zuständigkeit auf die Unionsebene.63 Dem gegenüber mögen die individuellen nationalen Präferenzen aus histori-schen oder kulturellen Gründen unterschiedlich sein. Des weiteren spricht die fehlende Homogenität im innen- und rechtspolitischen Bereich gegen eine Ver-lagerung der Kompetenz auf die Europäische Union. Die Mitgliedstaaten verfü-gen über sehr unterschiedliche Rechtstraditionen, was eine isolierte Verlagerung einzelner Regelungsbereiche zusätzlich erschwert.

D. Zusammenfassung (3. Kapitel)

Besonders im Bereich der ersten Säule der EU, den Europäischen Gemein-schaften, weist die Kompetenzverteilung der Europäischen Union eine Reihe von Mängeln auf. Formal betrachtet sind die zentralen Zuständigkeiten teilweise sehr vage formuliert, sodass einer autonomen Kompetenzausweitung der

EU-6·1 Allenfalls ließe sich wiederum mit Nutzung von Skalenerträgen beim Vertreten gemein-samer Standpunkte in internationalen Organisationen argumentieren.

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3. Kapitel: Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben 135

Ebene kein ausreichender Riegel vorgeschoben werden kann.64 Inhaltlich ist zu bemängeln, dass der EU bereits in zahlreichen Feldern Kompetenzen zugewie-sen wurden, in denen eine dezentrale Kompetenzausstattung vorzuziehen ist.

Dazu zählen all diejenigen Politikfelder, die nichts oder nur am Rande mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere mit der Gewäh-rung der Grundfreiheiten, zu tun haben. Diese Erkenntnis sollte jedoch nicht fi-nal formuliert werden, um eine autonome Kompetenzausweitung der EU zu ver-hindern.

Als besonders eklatante Fehlzuordnung wurde die Strukturpolitik identifiziert, da diese erstens besser regional koordiniert werden kann und zweitens gerade in diesem Bereich die EU einen Ausgabenschwerpunkt besitzt. Für die Kompe-tenzbereiche, die - wie die Strukturpolitik - heute bereits in der europäischen Verantwortung liegen, jedoch ebenso gut national geregelt werden könnten, ist eine Rückverlagerung der Zuständigkeit auf die Mitgliedstaaten zu fordern. Nur die Politikbereiche, die dem Subsidiaritätsprinzip zufolge zentral besser gestaltet werden können, sollten weiterhin bei der EU verbleiben. Ein neues Betätigungs-feld für die zentrale Ebene, mit dem auch weitreichende Ausgaben verbunden sind, stellt die Entwicklungspolitik dar. Die Aktivitäten des Europäischen Ent-wicklungsfonds sollten in den EU-Haushalt integriert werden. Weitere Kompe-tenzverlagerungen sind in den bereichen Agrarstrukturpolitik und Infrastruktur-politik (dezentral anstatt konkurrierend) sowie Visa-, Asyl- und Einwande-rungspolitik (zentral anstatt konkurrierend) vorzunehmen.

Deutlich weniger fortgeschritten ist die Kompetenzverlagerung von den Mit-gliedstaaten zur Union im Bereich der zweiten und dritten Säule. Im Grunde ge-nommen handelt es sich um nationale Kompetenzen mit fallweiser multilateraler Kooperation. Diese Gestaltung ist sachgerecht, da lediglich marginale Wohl-fahrtsgewinne durch Zentralisierung der Aufgaben zu erwarten sind. Dem steht das Argument der Berücksichtigung unterschiedlicher Präferenzen in den Mit-gliedstaaten gegenüber, das in diesem Fall den Ausschlag zugunsten einer de-zentralen Kompetenzausstattung gibt.

64 Vgl. MEYER (1998), S. 199.

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136 Teil III: Beurteilung der bestehenden Finanzbeziehungen in der EU

Abbildung 9: EU-Kompetenzen gemessen an den Kriterien der Föderalismustheorie und die Folgen für eine sachgerechte

Kompetenzausstattung

--Wettbewerbspolitik X 0

Steuerpolitik X X

Wirtschaftspolitik:

- allgemeine Wirtschaftspolitik X X

- Verschuldung X 0

Währungspolitik X 0

Beschäftigungspolitik X X

Handelspolitik X 0

Sozialpolitik X X

Bildungs-, Kultur- und Ge- X

sundheitspolitik

Verbraucherschutzpolitik X X 0

Industriepolitik X

Verteidigungspolitik (X) X

3. Säule

Innen- und Rechtspolitik X

Quelle: Eigene Darstellung

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3. Kapitel: Die Verteilung der Aufgaben und Ausgaben 137

Abbildung 9 fasst die Erkenntnisse des Teils III noch einmal zusammen. Sie enthält für jeden Politikbereich die Argumente für eine zentrale oder eine de-zentrale Kompetenzausstattung. Die zutreffenden Argumente sind mit X mar-kiert; nur eingeschränkt zutreffende Argumente sind durch (X) gekennzeichnet.

Außerdem enthält die Abbildung Informationen über die aus den Argumenten resultierende Kompetenzausstattung (zentral, konkurrierend oder dezentral).

Diese ist mit O vermerkt. Falls eine Kompetenzverlagerung zu fordern ist, weil die gegenwärtige Kompetenzzuordnung in der EU nicht den Ergebnissen dieser Arbeit entspricht, ist dies durch einen Pfeil von der gegenwärtigen zur gefor-derten Kompetenzausstattung dargestellt.

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138 Teil III: Beurteilung der bestehenden Finanzbeziehungen in der EU

4. Kapitel: Die Verteilung der Einnahmen

Die Einnahmenverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten ist derzeit von einer nur geringen Finanzautonomie der Gemeinschaft geprägt. Obwohl die Kommission seit längerem auf eine erhöhte Finanzautonomie drängt, 1 ist es de facto bei einer überwiegenden Finanzierung durch Beiträge der Mitgliedstaaten geblieben. Dieses Kapitel betrachtet die verschiedenen Einnahmequellen der U-nion und beurteilt sie nach den Kriterien des im 2. Kapitel aufgestellten Anfor-derungskatalogs.

Im Dokument Welchen Finanzausgleich braucht Europa? (Seite 134-140)