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Methodische Vorüberlegungen zur Gestaltung des Beitragstarifs

Dieser Abschnitt dient dazu, die grundsätzlichen Entscheidungen zu fällen, wie der Beitragstarif letztendlich aussehen wird. Dies sind vor allem die Fragen nach den ökonomischen Kennzahlen, auf die sich der Ausgleich stützen soll sowie de-ren Berechnung und nach der Wahl von Tarifform und Tariftyp. Dabei ist an-zumerken, dass der im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Finanzierungsmecha-nismus einer von vielen denkbaren Alternativen ist, welche den oben genannten Prinzipen genügen.

27 Vgl. BUSCH (1998), S. 16. 1998 betrug ihr Anteil am Gesamthaushalt nur noch 15,3 Pro-zent (davon 13,3 ProPro-zent Zölle), vgl. EUROPÄISCHE KOMMISSION (1998b), S. 23.

28 Siehe hierzu im 4. Kapitel dieser Arbeit den Abschnitt B. 1. Mehrwertsteuer-Eigenmittel.

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196 Teil IV: Neuordnung der europäischen Finanzbeziehungen

1. Auswahl des Indikators

Die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und, daraus folgend, eine gewisse Umverteilung zwischen ihnen wurden bereits als Merkmale für einen zukünfti-gen EU-Finanzausgleich betont.29 Diese Merkmale können durch eine an der Leistungsfähigkeit eines Landes orientierten Beitragsgestaltung umgesetzt wer-den. 30

Für eine an der Leistungsfähigkeit eines Landes ausgerichteten Finanzierung der EU böten sich als Berechnungsgrundlage zunächst die nationalen Steuereinnah-men der Mitgliedsländer an. Je größer die SteuereinnahSteuereinnah-men sind, desto größer kann die Leistungsfähigkeit eingestuft werden, denn desto stärker kann das betreffende Land zur Finanzierung der Gemeinschaft beitragen. Im Rahmen der EU würde eine solche Vorgehensweise aber auf größere Schwierigkeiten stoßen, denn die Berücksichtigung der unterschiedlichen Steueranspannungsgrade wird dadurch erschwert, dass die Steuersysteme innerhalb der EU kaum harmonisiert sind. Dies gilt insbesondere auch für die aufkommensstarken Steuern vom Ein-kommen natürlicher und juristischer Personen.

Als Alternative bietet sich die Verwendung einer makroökonomischen Größe an, durch welche die Leistungsfähigkeit eines Mitgliedslandes an der seiner Volkswirtschaft gemessen wird. Auf welcher konkreten Basis sollen nun die Beiträge der Mitgliedsländer berechnet werden? Im Rahmen dieser Arbeit soll weiterhin eine makroökonomische Einkommensgröße als Bemessungsgrundlage verwendet werden, da sie konsumorientierten Größen überlegen scheint. Die be-reits ausgeführten Hauptargumente sind ihre vermeintlich regressive Wirkung und eine langfristige Aufkommenselastizität von unter eins.31 Das volkswirt-schaftliche Rechnungswesen hält eine Vielzahl makroökonomischer Einkom-mensaggregate bereit,32 zwischen denen eine Auswahl getroffen werden muss.

Im Anhang 2 ist ausführlich hergeleitet, welches Einkommenskonzept für einen Finanzausgleich am besten geeignet ist. Als Ergebnis ergibt sich, dass das Net-tosozialprodukt zu Marktpreisen pro Kopf der Bevölkerung (NSPM/EW) als

29 Siehe hierzu im l. Kapitel dieser Arbeit den Abschnitt A. 4. Solidarität und Kohäsion und im 6. Kapitel den Abschnitt B. 2. Räumliche Umverteilung.

30 Vgl. BIEHL ( 1988a), S. 700.

31 Siehe dazu im 4. Kapitel dieser Arbeit den Abschnitt B. 1. Mehrwertsteuer-Eigenmittel.

Auf prinzipielle Schwierigkeiten bei der Verwendung einer makroökonomischen Ein-kommensgröße als Wohlstandsindikator weist LEIPERT (1973) hin.

32 Vgl. STOBBE(l994).

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7. Kapitel: Primärer aktiver Finanzausgleich 197

Grundlage für die Messung der Leistungsfähigkeit zu präferieren ist. Es sollte für die zukünftige Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden.33

Im Rahmen dieser Arbeit stellt sich nun aber das Problem, dass das Europäische Statistische Amt EUROSTAT das Nettosozialprodukt zu Marktpreisen bislang nicht ausweist. Eine nachträgliche Berechnung über die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Mitgliedstaaten wäre zwar möglich, würde jedoch zu verzerrten Kennzahlen führen, da diese Gesamtrechnungen nicht harmonisiert sind. Die Vergleichbarkeit der gewonnenen Zahlen wäre stark eingeschränkt und das Gleichwertigkeitsprinzip durchbrochen. Den weiteren Analysen und den Modellrechnungen dieser Arbeit liegt deshalb mit dem Bruttoinlandsprodukt das einzige von EUR OST AT ausgewiesene Einkommensaggregat zugrunde, unter Inkaufnahme der durch diese Abgrenzung resultierenden Mängel. Sollte jedoch das NSPM der zukünftigen Beitragsfinanzierung zugrundegelegt werden, wäre eine Umstellung wünschenswert und technisch zweifellos machbar.

33 Gelegentlich wird die Forderung erhoben, bei der Berechnung der Pro-Kopf-Einkommen nicht die nominalen Einkommen und die tatsächlichen Wechselkurse zugrunde zu legen, sondern Kaufkraftparitäten (KKP). Dies wird damit begründet, dass die nominalen Grö-ßen die W ohlstandsunterschiede zwischen den Gebietskörperschaften überzeichnen.

Kaufkraftparitäten drücken den Wohlstand dadurch aus, wie viele Einheiten eines nor-mierten Güterbündels mit dem regionalen Einkommen erworben werden können, vgl.

LANG (1990), S. 4. Es fließen also die regionalen Preisniveaus in die Berechnung ein.

Auch die EU geht bei den Strukturfonds von Kaufkraftparitäten aus, nicht jedoch der deutsche Länderfinanzausgleich. Im Rahmen dieser Arbeit wird ebenfalls nicht von die-sem Konzept Gebrauch gemacht, weil es zahlreiche gravierende Schwächen birgt: Ers-tens ist es nicht möglich, einen allgemein gültigen Warenkorb für alle Mitgliedsländer der Union aufzustellen, wodurch die interregionalen Wohlfahrtsunterschiede verzerrt werden, vgl. KOHL/ BERGMANN (1998),

s.

74 und STRACK/ HELMSCHROTI / SCHÖNHERR (1997), S. 38f. Zweitens ist die Erhebung und Berechnung der Kaufkraftparitäten in allen euro-päischen Regionen extrem aufwändig. Daraus resultieren quasi zwangsläufig Ungenauig-keiten, welche die Qualität der Daten entscheidend relativieren. Drittens führen Einkom-mensvergleiche auf KKP-Basis zu einer degressiven Beitragsgestaltung, da nur die Be-messungsgrundlage in Kaufkraftparitäten umgerechnet wird, nicht jedoch die Beitrags-zahlungen, vgl. DEFFAA (1997), S. 155f. Außerdem verlieren die Wechselkurse mit Ein-stieg in die Währungsunion ihre Bedeutung innerhalb des Währungsverbundes, womit der Hauptkritikpunkt an der Verwendung des nominalen Pro-Kopf-Einkommens entfällt, vgl. STRACK/ HELMSCHROTI / SCHÖNHERR (1997), S. 33.

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198 Teil IV: Neuordnung der europäischen Finanzbeziehungen

2. Die relative Position eines Landes

Die relative Position stellt das Einkommen eines Landes im Verhältnis zu ande-ren Ländern dar. Auch hier gibt es unterschiedliche Berechnungsmöglichkeiten, nach denen man verfahren kann.

a) Definition und Bedeutung

Als Grundlage der Beitragsbemessung wurde soeben das Nettosozialprodukt ei-nes Landes pro Einwohner (EW) bestimmt. Um die Zahlenwerte der einzelnen Länder quantitativ miteinander vergleichen zu können, wird das Einkommen (EK)34 pro Kopf eines Landes im Verhältnis zum Unionsdurchschnitt ausge-drückt. Diesen Wert nennt man die relative Position (RP) eines Landes i. Da-durch lässt sich nicht nur feststellen, dass der Wert des Landes X besser als der des Landes Y ist, sondern auch, dass der Wert des Landes X um einen be-stimmten Prozentsatz besser als der des Landes Y ist. Gleichung (1) ist die For-mel für die relative Position:35

(l) RP = EKJ EW;

' EKEVIEWEU

Beispielsweise bedeutet eine relative Position von 90 Prozent, dass das betref-fende Land nur über 90 Prozent des unionsweiten Pro-Kopf-Einkommens ver-fügt. Diese Darstellung ermöglicht eine mathematische Formulierung des Tarifs unabhängig von der absoluten Höhe der nationalen Einkommen.

b) Einbeziehung oder Nichteinbeziehung des betrachteten Landes

Mit dieser Überschrift ist die Frage umschrieben, ob bei der Berechnung der re-lativen Position - wie allgemein üblich - das nationale Pro-Kopf-Einkommen in Beziehung zum Durchschnitt aller Mitgliedsländer gesetzt werden soll, oder ob es sinnvoller ist, das untersuchte Land bei der Bildung des unionsweiten

Durch-34 Für die Darstellung des Tarifs ist es unerheblich, ob sich hinter dem Einkommen (EK) das Nettosozial- oder das Bruttoinlandsprodukt verbirgt.

35 Dabei kennzeichnet i Werte des Landes i und EU die Werte der EU als Ganzes.

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