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B. Ökonomische Rahmenbedingungen

1. Das Anreizprinzip

Wie bereits bei der Beschreibung des Gleichwertigkeitsprinzips erläutert, sollte der Finanzausgleich auf festgelegten, nicht von Fall zu Fall veränderbaren Re-gelungen beruhen. Es besteht aber dennoch die Gefahr, dass Gebietskörper-schaften diese Regelungen legal so ausnutzen, dass sie von ihnen in besonderer Weise profitieren. Ein solches strategisches Verhalten geht immer zu Lasten der

80 GROSSEKETILER (1993) benennt einige Wirtschaftlichkeitsgrundsätze unter dem Ober-begriff Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe.

81 Bei NEUMARK (1970) findet sich ein entsprechender Besteuerungsgrundsatz.

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2. Kapitel: Prinzipien eines europäischen Finanzausgleichs 89

übrigen Gebietskörperschaften, denn die Finanzmasse des Ausgleichs sollte -wie später noch erläutert wird82 - immer genau einmal verteilt werden (Null-summenspiel). Was eine Körperschaft aus dem Finanzausgleich bekommt, muss von der Summe der übrigen Mitgliedstaaten finanziert werden. Darum ist es aus Sicht der Gemeinschaft sinnvoll, den beteiligten Gebietskörperschaften be-stimmte Anreize zu geben, ein solches strategisches Verhalten nicht zu zeigen. 83 Diese Anreize müssen dergestalt sein, dass sich strategisches Verhalten nicht lohnt. Mehrere Stoßrichtungen strategischen Verhaltens sind denkbar und erfor-dern spezifische Anreizmechanismen. Diese werden im Folgenden beschrieben.

a) Effiziente Mittelverwendung

Im Zuge des Finanzausgleichsverfahrens werden Ressourcen von einer Gebiets-körperschaft zu einer anderen verlagert. Damit sollen - ganz allgemein gespro-chen - in der begünstigten Region gewisse positive Effekte erreicht werden. Es kann beispielsweise lediglich beabsichtigt sein, generell die finanzielle Ausstat-tung dieser Region zu verbessern (reiner Budgetausgleich). Oftmals bedient sich der Finanzausgleich dafür realwirtschaftlicher Ziele, wie der Anhebung des Pro-Kopf-Einkommens oder Verbesserung der Infrastruktur. Wie kann nun erreicht werden, dass die begrenzten Mittel in die effizienteste Verwendungsmöglichkeit fließen?

Eine Möglichkeit, mit der die zahlende Gebietskörperschaft versuchen kann, dies zu erreichen, besteht in der zweckgebundenen Vergabe der Gelder. 84 Das heißt, dass Mittel, die ein Mitgliedsland von der Gemeinschaft erhält, für einen fest vorgegebenen Zweck verwendet werden müssen. Diese Zweckbindung kann sich auf konkrete Projekte beziehen oder lediglich bestimmte Ausgabenbereiche, zum Beispiel Umweltschutzprojekte, vorschreiben. Gerade bei einer solchen Ausgestaltung der Zuschüsse kann es aber dennoch zu Effizienzverlusten kom-men. Zwar sind die Gelder in die vorgegebenen Projekte geflossen, aber trotz-dem ist nicht sichergestellt, dass das begünstigte Projekt aus Sicht der regionalen oder kommunalen Ebene das effizienteste ist. Es bestehen also Konflikte mit dem Subsidiaritäts- und dem Autonomieprinzip. Außerdem müssen sämtliche Vorschriften auch im Nachhinein auf ihre Einhaltung überwacht werden, denn

82 Siehe hierzu in diesem Arbeit den Abschnitt C. 6. Val/ständige Verteilung.

83 Vgl. FUEST / LICHTBLAU ( 1991 ), S. 12.

84 Vgl. ZIMMERMANN (1982), S. 45, PEFFEKOVEN (1994b), S. 110 und THOMAS (1997), S.

245-247.

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90 Teil II: Anforderungen an einen europäischen Finanzausgleich

niemand wird sonst garantieren können, dass die verteilten Mittel auch tatsäch-lich ihre vorgesehene Verwendung gefunden haben. Es ist also ein mit der An-zahl der Einzelprojekte steigender Verwaltungsaufwand zu betreiben, der sei-nerseits die Effizienz dieses Verfahrens einschränkt. Zweckbindungen führen außerdem zu Substitutionseffekten in der Ausgabenstruktur der begünstigten Haushalte mit allen negativen Folgeerscheinungen.85 Das bedeutet letzten Endes, dass Maßnahmen der Zweckbindung nicht generell die Effizienz erhöhen müs-sen. Darum sollte in einem Finanzausgleich von diesem Mittel nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn keine alternative Möglichkeit besteht, eine ef-fiziente Mittelverwendung zu gewährleisten.86 Wenn Mittel überhaupt zweckge-bunden vergeben werden, sollten sich die Zweckbindungen lediglich auf allge-meine Ausgabenbereiche, nicht auf Einzelprojekte beziehen,87 um die Informati-onskosten zu minimieren. Der weitaus größere Teil der Mittel sollte jedoch im-mer ungebunden vergeben werden. 88

Eine weitere mögliche Maßnahme, die Mittel in ihre effizientesten Verwendun-gen zu leiten, ist die Kofinanzierung.89 Hierbei wird eine Eigenbeteiligung der geförderten Gebietskörperschaft am Projektbudget verlangt. Dieser Prozentsatz sollte - wenn von einem solchem Instrument Gebrauch gemacht wird - von vornherein feststehen und nicht im Einzelfall verhandelbar sein. Die Sätze kön-nen aber von Politikbereich zu Politikbereich unterschiedlich sein und auch nach Kriterien wie der Finanzkraft eines Landes oder der Inanspruchnahmehäufigkeit gestaffelt sein.90 Durch die Selbstbeteiligung kann erreicht werden, dass die ein-zelnen Gebietskörperschaften nicht endlos Mittel der Gemeinschaft anfordern, auch wenn die Grenzproduktivität dieser Projekte bereits sehr gering ist.

Die Eigenbeteiligungsquoten liegen prinzipiell im Bereich zwischen null und hundert Prozent. Um einen spürbaren Effekt zu erzielen, sollten sie aber deutlich von null verschieden sein. Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWi schlägt im

85 Vgl. KOPS (1984c), S. 344 Zur näheren Analyse der Wirkungen von Zweckbindungen siehe im 8. Kapitel dieser Arbeit den Abschnitt A. 1. c) Ungebundene Transfers.

86 Vgl. ERLE! (1998), S. 237.

87 Vgl. WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT BEIM BML (1998), S. 22.

88 Vgl. LAMMERS (1990),

s.

13 und WANIEK (1994),

s.

48.

89 Vgl. THOMAS ( 1997), S. 253.

90 Vgl. BIEHL (1988a),

s.

712 und WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT BEIM BMW1(1999), Rz. 2.

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2. Kapitel: Prinzipien eines europäischen Finanzausgleichs 91

Bereich der Strukturpolitik eine Quote von 50 Prozent und im Bereich der Ag-rarpolitik von 75 bis l 00 Prozent vor.91

b) Haushaltsdisziplin

Dem Solidaritätsgedanken folgend,92 nach dem einzelne Länder in schweren Krisenzeiten nicht alleine stehen sollen und deshalb mit der Unterstützung durch die Gemeinschaft rechnen können, ergibt sich das Problem, dass einzelne Län-der unter Umständen solche Notlagen in geschickter Weise selbst herbeiführen können, um dadurch in den Genuss finanzieller Wohltaten durch die Gemein-schaft zu gelangen.93 Krisen solcher Art sind oftmals durch eine drohende Über-schuldung des betreffenden Landes gekennzeichnet. Es ist aus strategischen Ü-berlegungen heraus einleuchtend und darüber hinaus aus dem bundesdeutschen Länderfinanzausgleich bekannt, dass vor allem kleine Länder Gefahr laufen, in die beschriebene Versuchung zu geraten, denn sie können schlicht aus Gründen der im Ernstfall benötigten geringeren Finanzmasse eher mit der Unterstützung rechnen als große Länder.94 Die Finanzverfassung sollte demnach Vorkehrungen treffen, übermäßige Verschuldung im Ansatz zu verhindern.

Eine Möglichkeit, dieses zu erreichen sind strikte Obergrenzen für die Ver-schuldung.95 Im Bereich der Mitgliedstaaten des Euro-Raumes ist diese Voraus-setzung bereits gegeben.96 Für sie ist eine jährliche Neuverschuldungsobergrenze von drei und ein maximaler Schuldenstand von 60 Prozent des nationalen BIP vorgeschrieben. Gleichzeitig sieht der Stabilitäts- und Wachstumspakt einen Maßnahmenkatalog im Falle der Nichteinhaltung vor. Diese Regelungen könn-ten im Rahmen des Finanzausgleichs auch auf die übrigen Mitgliedstaakönn-ten über-tragen werden.

91 Vgl. WISSENSCHAFTLICHER BEIRAT BEIM BMW! (1999), S. 26. Eine Eigenbeteiligungs-quote von 100 Prozent bedeutet, dass die entsprechenden Mittel allein vom Mitgliedsstaat aufgebracht werden sollen und der Umweg über die Kassen der EU überflüssig ist.

92 Siehe dazu im 2. Kapitel dieser Arbeit des Abschnitt A. 2. a) Versicherungssolidarität.

93 Vgl. PITLIK / SCHMID (2000), S. 108.

94 Vgl. HOMBURG (1994),

s.

323, LAMMERS (1997), S. 431 und LAMMERS (1999a),

s.

432.

95 Vgl. DICKERTMANN / ÜELBHAAR (1996b), S. 494 und HEINEMANN (1995), S. 209ff. Kri-tisch äußert sich C. FUEST (1993).

96 Vgl. Art 104 EGV.

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92 Teil II: Anforderungen an einen europäischen Finanzausgleich

Keinesfalls sollte der Finanzausgleich automatische Unterstützungen für Mit-gliedstaaten in Haushaltsnotlagen bereitstellen. Dies würde vor allem kleine Länder zu einer laxen Verschuldungspolitik geradezu animieren.97 In diesem Sinne sind auch die Regelungen des Art. 103 EGV zu verstehen.98 An dieser Stelle wird ein Haftungsausschluss formuliert, der sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten vor unfreiwilliger Haftung für Verbindlichkeiten der übrigen Mitgliedstaaten sowie ihrer regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften be-wahrt. Letztlich ist jedes Mitgliedsland nur für die eigenen Haushaltsdefizite haftbar. Das bedeutet aber nicht, dass mit dieser Regelung das Solidaritätsprin-zip außer Kraft gesetzt würde. Der Solidarität sind lediglich relativ weite Gren-zen gesetzt, um ein bewusstes Hineinmanövrieren in eine finanzielle Ausnahme-situation zu verhindern.

c) Anspannung der eigenen Finanzbasis

Des weiteren sollte jede Gebietskörperschaft zunächst versuchen, ihren Finanz-bedarf aus eigenen Quellen zu decken. Umgekehrt formuliert heißt das, sie sollte nicht ihre finanzielle Basis schonen können, um beispielsweise durch niedrige Steuersätze Investoren anzulocken, und im Gegenzug wegen der daraus resultie-renden zu niedrigen Steuereinnahmen aus Solidaritätsgesichtspunkten einen An-spruch auf Zuschüsse der Gemeinschaft erwerben können. Um dies zu erreichen, muss es sich für jede Körperschaft mehr lohnen, die eigene Steuerbasis zu bean-spruchen als den Finanzbedarf durch Zuschüsse von den übrigen Körperschaften zu decken.99 Regelungen, nach denen den teilnehmenden Gebietskörperschaften ein Ausgleich bis nahe hundert Prozenti00 der durchschnittlichen Finanzkraft ga-rantiert wird, sind demnach Anreiz schädigend. 101

Diese Forderung ist vor allem für Steuerkraftausgleichssysteme wichtig, bei de-nen sich die Finanzkraft einer Gebietskörperschaft nach ihren Steuereinnahmen bemisst. Aber auch für anders konzipierte Finanzausgleichssysteme hat diese Forderung eine Bedeutung, denn aus ihr ergibt sich der Anspruch nach einem

97 Vgl. GRÜSKE/ SCHENK(l999), S. 77.

98 Sogenannte ,,no bail out"- Klausel.

99 Vgl. BLÖCHLINGER / FREY (1993),

s.

239 und FÄRBER(! 993),

s.

309.

wo Im deutschen Länderfinanzausgleich liegt dieser Satz bei 99,5 Prozent. Vgl. ARNDT ( 1998),

s.

78.

101 Vgl. MICHALK(l989).

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2. Kapitel: Prinzipien eines europäischen Finanzausgleichs 93

Nivellierungsverbot. Dies korrespondiert mit der Eigenschaft der strengen Mo-notonie102, nach der marginale Transferraten103 von hundert oder mehr Prozent unzulässig sind. Das Nivellierungsverbot geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem es auch marginale Transferraten von wenig unter hundert Prozent ab-lehnt. Der Grund liegt darin, dass auch bei Abschöpfungen von achtzig bis neunzig Prozent - wie sie beispielsweise regelmäßig im bundesdeutschen Län-derfinanzausgleich vorkommen104 - ,,den Ländern ( ... ) kaum Veranlassung ge-geben [ wird], ihre Einnahmen durch eigenständige Maßnahmen einer rationalen Finanzpolitik zu optimieren."105 Übermäßig hohe marginale Transferraten erge-ben sich bei Gewährung einer finanziellen Mindestausstattung. 106 Für die Län-der, deren eigene Finanzkraft die Mindestgarantie unterschreitet, lohnt es sich nicht, die eigene Steuerbasis anzuspannen. Ihnen wird eine Auffüllung garan-tiert. Solche Regelungen sind deshalb grundsätzlich abzulehnen. Eine Möglich-keit, diese Schwierigkeiten zu umgehen, besteht darin, den Finanzausgleich eben nicht an die Steuereinnahmen eines Landes zu knüpfen.

Aber auch dann bergen Transferzahlungen die grundsätzliche Gefahr ihrer Ver-stetigung. Dies ist zum einen politökonomisch zu erklären, denn es fällt beson-ders schwer, liebgewonnene und ehemals gut begründete Transfers zu reduzie-ren oder zu streichen, auch wenn sie unter den neuen Bedingungen nicht mehr gerechtfertigt sind. Zum anderen können Finanzhilfen die Notwendigkeit redu-zieren, eigene Finanzierungsquellen zu straparedu-zieren, wodurch die eigene Fi-nanzkraft sinkt und sich die Transfers gewissermaßen selbst rechtfertigen. Dem ist effektiv nur durch eine Stärkung der unteren föderalen Ebenen zu begegnen, indem grundsätzlich nur eine geringe Ausgleichsintensität angestrebt wird und eine streng am Subsidiaritätsprinzip ausgerichtete Kompetenzverteilung er-folgt.101

102 Siehe hierzu in diesem Kapitel dieser Arbeit den Abschnitt C. 4. Monotonie.

103 Die marginale Transferrate ist definiert als Prozentsatz, um den die relative Position eines Landes verringert wird, falls diese über hundert Prozent liegt, beziehungsweise erhöht wird, falls diese unter hundert Prozent liegt. Neben dieser verbalen liefert LENK / SILER ( 1992), S. 2f. auch eine grafische.

104 Vgl. B. HUBER(l998),

s.

522 und EBERT/ MEYER(l999a),

s.

108.

ios DICKERTMANN / GELBHAAR (1996b), S. 493.

106 Vgl. EBERT/ MEYER (1999b), S. 485f.

IO? Vgl. REES/ SONNENHOLZNER (2000), S. 62f.

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94 Teil II: Anforderungen an einen europäischen Finanzausgleich