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Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV

III. Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsprinzip in den Mitgliedstaaten

1. Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV

Wenn das Staatsangehörigkeitsprinzip gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV verstößt, kann es in „Rom III“ keinen Eingang finden. Selbst wenn der EuGH sich bisher da-zu nicht geäußert hat, ist nicht ausda-zuschließen, dass in Zukunft ein letztinstanzliches Gericht ihm diese Frage vorlegt.

Zunächst muss überprüft werden, ob eine Kollisionsnorm, d. h. die Berufung eines Sach-rechts, überhaupt als grundfreiheitenrelevant anzusehen ist. Einer Ansicht zufolge sind die Grundfreiheiten gegenüber dem Internationalen Privatrecht neutral.527 Entscheidend für das Gemeinschaftsrecht sei das Anwendungsergebnis des berufenen Sachrechts. Auf den ersten Blick scheint diese Ansicht plausibel, ist es doch meist das Sachrecht, welches eine Partei benachteiligt. Im Scheidungskollisionsrecht wird aber deutlich, dass schon die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit diskriminierend wirken kann, muss sich doch der Antragsgegner

525 Vgl. Rauscher, FS für Geimer, S. 884, der selbst aber anderer Meinung ist: dort S. 890.

526 Hau, FamRZ 2000, S. 1336; zum damaligen Diskussionsstand: Fischer, Gemeinschaftsrecht und kollisions-rechtliches Staatsangehörigkeitsprinzip, in: V. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 157 f.

527 Nachweise bei Roth in: Baur/Mansel, Systemwechsel, 52; weitere Nachweise bei Wilmowsky, RabelsZ 1998, S. 2 FN 4.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

121 vor dem Gericht eines Staates verantworten, zu dem er möglicherweise gar keinen Bezug hat.

Eine Rechtfertigung in dem Sinne, dass eine Partei schützenswerter ist als die andere, ist im Scheidungsprozess nicht gegeben; beide Ehegatten haben eine gleichwertige Stellung.

Andere sehen in den Kollisionsnormen Grundfreiheiten integriert.528 Demnach verpflichtet die Gemeinschaft die Mitgliedstaaten, die Regelungen des Herkunftslandes als gleichwertig mit den eigenen Normen anzusehen. Diese Ansicht ist auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Art. 12 EGV mit dem Staatsangehörigkeitsprinzip nicht übertragbar: Schon theoretisch ist es nicht denkbar, dass das Staatsangehörigkeitsprinzip eine Grundfreiheit verwirklichen soll.

Eine dritte Meinung529 erkennt zu Recht, dass Kollisionsnormen im Zusammenspiel mit dem berufenen Sachrecht Auswirkungen auf die Grundfreiheiten haben können. Das Amtsgericht Köln lieferte einen guten Beispielsfall, von dem einzelne Fragen dem EuGH530 zur Vorabent-scheidung vorgelegt wurden. Er betraf zufälligerweise auch das Staatsangehörigkeitsprinzip als Diskriminierung. Dort hatte sich ein pensionierter EG-Beamter von seiner deutschen Ehe-frau in Brüssel scheiden lassen. In Brüssel war der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufent-halt. In Deutschland jedoch wurde später das Verfahren auf Versorgungsausgleich anhängig gemacht. Gemäß Art. 17 Abs. 3, S. 1, 1. HS iVm Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB war auf die Scheidungsfolgen deutsches Recht anwendbar und entsprechend der Versorgungsausgleich zugunsten der Ehefrau durchzuführen. Der Ehemann wendete ein, er sei gegenüber den belgi-schen Beamten benachteiligt, die ihre Beamtenversorgung in voller Höhe erhielten. Daher sei er aus Gründen der Staatsangehörigkeit benachteiligt. Vorerst unabhängig von der Entschei-dung des EuGH zeigt sich eine tatsächliche Diskriminierung durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit in Verbindung mit dem berufenen materiellen Recht.

Fraglich ist, ob auch rechtsdogmatisch durch das Staatsangehörigkeitsprinzip eine Diskrimi-nierung vorliegt.531 Der EuGH hat dies in der o. g. Entscheidung mit dem Hinweis darauf ver-neint, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV (a. F.) auf den Regelungsbereich des EGV beschränkt sei. Die nationalen Bestimmungen des internationalen Scheidungsrechts fie-len jedoch nicht darunter. Diese Rechtslage hat sich indes durch den Amsterdamer Vertrag grundlegend geändert. Nicht nur die EheVO II, sondern auch die scheidungsrechtlichen

528 Nachweise bei Roth in: Baur/Mansel, Systemwechsel, 53; weitere Nachweise bei Wilmowsky, RabelsZ 1998, S. 2 FN 29.

529 So Wilmowsky, RabelsZ 1998, S. 3; ausführlich dazu Sonnenberger, ZVglRWiss 95 (1996), S. 3 (13 ff.);

Kropholler, Internationales Privatrecht, § 10. Weitere Nachweise bei Roth in: Mansel, Systemwechsel, S. 56.

530 Siehe den Vorlagebeschluss vom 3. 9. 1997: EuGH Urteil v. 10. 6. 1999 – Rs. C -430/97 und IPRax 2000, S. 305 ff. S. a. die nähere Besprechung von Pirrung, FS für Lüderitz, S. 543 ff.

531 Zur Entwicklung des Meinungsstandes seit den siebziger Jahren: Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 158 f.

sionsnormen fallen in die Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV.532 Zwei Gründe spre-chen gegen eine Diskriminierung. Zum einen setzt eine Diskriminierung eine Differenzierung, eine ungleiche Behandlung voraus.533 Es liegt zwar in der Natur des Kollisionsrechts, auf die Betroffenen je nach Berührungspunkt zu einem Staat unterschiedliches Recht anzuwenden.

Entscheidend ist bei einer Diskriminierung aber, dass bestimmte Personen gegenüber anderen benachteiligt werden.534 Im Scheidungskollisionsrecht steht allen Bürgern der EU die Mög-lichkeit offen, nach ihrem gemeinsamen Heimatrecht geschieden zu werden. Nur ist z. B. auf die Italiener italienisches Recht und auf die Deutschen deutsches Recht anwendbar.535 Es liegt keine Diskriminierung darin, dass sich die Italiener nicht nach dem weniger strengen deut-schen Recht scheiden lassen können; Unterschiede in den nationalen Rechtsordnungen wer-den vom EGV hingenommen536. Die Staatsangehörigkeit wird nicht dazu genutzt, die Bürger differenziert zu behandeln, sondern als interessengerechtes Anknüpfungskriterium, auf das alle europäischen Bürger gleich zugreifen können.

Zum zweiten handelt es sich bei Art. 12 EGV um ein relatives, nicht um ein absolutes Dis-kriminierungsverbot.537 Die Diskriminierung kann demnach gerechtfertigt sein. Sie ist es im Bereich des Scheidungskollisionsrechts insofern, als die Eheleute zu ihrem Heimatrecht eine besonders enge Beziehung haben können.538

Höhere Informationskosten einer Partei, die durch die Ermittlung des ausländischen Rechts oder durch Anknüpfungstechniken hervorgerufen werden, erweisen sich im IPR ebenfalls nicht als grundfreiheitenrelevant. Denn zum einen kann dies wieder alle Bürger in gleicher Weise treffen. Zum zweiten ist dies keine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörig-keit. Sollen die Kosten des Rechtsstreits für alle EU-Bürger gleich sein, also die erhöhten In-formationskosten wegfallen, läuft das auf eine generelle Anwendung der lex fori hinaus. Dann

532 Zum Kompetenzrahmen des Art. 65 EGV s. o. Zweiter Teil 4. Abschnitt.

533 Zuleeg, in: v. d. Groeben/Schwarze, Art. 12 EGV RN 2; Schwarze/Holoubek, Art. 12 EGV RN 39;

Streinz/Streinz, Art. 12 EGV RN 41.

534 Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 161.

535 So die ganz h. M.: V. Bar/Mankowksi, IPR Bd. I, § 3 RN 41; MüKo/Sonnenberger, Einl. IPR RN 145;

Kropholler, Internationales Privatrecht, § 38 I 3; Henrich auf der Sitzung des Deutschen Rats für IPR vom 12. 4. 2002 in Würzburg: Protokoll S. 20; ausführlich zu der hier behandelten Frage: Drobnig, RabelsZ 1970, S. 649 ff.; Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privat-recht, S. 161.

536 Rohe, FS für Roethoft, S. 12, 13; differenzierend Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäisches Gemeinschafts-recht und Internationales PrivatGemeinschafts-recht, S. 157, 166 ff.; anders Drobnig, RabelsZ 1970, S. 640, 642 ff.

537 So die h. L.: Mansel in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 148; Streinz/Leible, IPRax 1998, S. 168 m. w. N. Gegen diese Lehre Grabitz/Hilf/v. Bogdandy, Art. 6 RN 23; Drobnig, RabelsZ 1970, S. 642; weitere Nachweise in Streinz/Leible, IPRax 1998, S. 167 FN 73.

538 So die h. M. Siehe etwa Pirrung, FS für Lüderitz, 2000, S. 543 f.; Roth in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 47, 49; Jayme, IPRax 2001, S. 384, 385; Jayme/Kohler, IPRax 2001, S. 501, 504; Zuleeg, in: v. d. Gro-eben/Schwarze, Art. 12 RN 2; so auch Drobnig, wenn die Anknüpfung „sachgerecht“ sei: Drobnig, RabelsZ 1970, S. 640; a. A. Grabitz/Hilf, Art. 6 EGV RN 23.

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„Rom III“

123 würde das passieren, was sicherlich nicht gewollt ist: Das gesamte Verweisungsrecht des IPR wäre hinfällig.539