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Recht am tatsächlichen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt

I. Anknüpfungen gemäß Art. 3 EheVO I

2. Recht am tatsächlichen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt

Hatten die Eheleute zu keinem Zeitpunkt der Ehe eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, so findet in Deutschland, Griechenland, Österreich, den Niederlanden, Spanien und Portugal subsidiär das Recht des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts Anwendung.684 Belgiens neues Internationales Scheidungsrecht räumt als einziger Mitgliedstaat dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt Vorrang ein685 und kann als Vorbild für eine Loslösung vom Staats-angehörigkeitsprinzip dienen. Die Schweiz sollte, auch wenn sie nicht zur EU gehört, eben-falls hier erwähnt werden, weil sie als erster Staat innerhalb des geographischen Europas grundsätzlich vom Wohnsitzprinzip ausgeht. Hier bestimmt Art. 61 schweiz. IPRG, dass Scheidung und Trennung schweizerischem Recht unterstehen. Haben die Ehegatten aber eine gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit und hat nur einer von ihnen seinen Wohnsitz in der Schweiz, so ist ihr gemeinsames Heimatrecht anzuwenden.

Luxemburg und Italien verwenden Anknüpfungspunkte, die sich in der Terminologie von den Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten unterscheiden.686 Inhalt sowie Sinn und Zweck sind aber mit dem bekannten gewöhnlichen Aufenthalt nahezu identisch. In Luxemburg unter-liegen Scheidung und gerichtliche Trennung dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten ihren gewöhnlichen effektiven Aufenthalt haben. Unter „effektivem“ Aufenthalt wird hier jener Ort verstanden, zu dem die tatsächlichen und rechtlichen Bindungen der Ehegatten be-stehen. Diese Definition steht inhaltlich der üblichen, die auf den Lebensmittelpunkt der Ehe-partner abstellt, in nichts nach. Ebenso verhält es sich mit dem Anknüpfungspunkt im italienischen Scheidungskollisionsrecht. Dieses wendet auf die Scheidung, die gerichtliche Trennung und die Ungültigerklärung der gemischt-nationalen Ehe das Recht des Staates an, in dem das Eheleben vorwiegend stattgefunden hat.

Auch die Staaten, die an die lex fori anknüpfen (die skandinavischen Staaten, das Vereinigte Königreich und Frankreich) verbinden die Anknüpfung an die lex fori mit der Voraussetzung, dass die Eheleute ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Gerichtsstaat haben.

684 Siehe oben FN 54.

685 S. o Erster Teil 1. Abschnitt § 3.

686 In Italien wird in Art. 31 Nr. 2 ital. IPRG statt vom gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vom „Recht des Staates, in welchem das eheliche Zusammenleben überwiegend stattgefunden hat“, gesprochen. In Luxem-burg wird gemäß Art. 305 Nr. 2 Code civil anstelle des gewöhnlichen Aufenthalts an den „Wohnsitz“ der Ehegatten angeknüpft.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

161 b) Sinn und Zweck der Anknüpfung

Aus Sicht jener Staaten, die im Range nach dem Staatsangehörigkeits- das Aufenthaltsprinzip befolgen, ist der gewöhnliche Aufenthalt zwar geeignet, eine enge Verbindung der Person zu einem Staat zu dokumentieren. Dort ist aber eine losere Bindung ausreichend als es in Staaten der Fall ist, die den gewöhnlichen Aufenthalt als Hauptanknüpfungspunkt normiert haben.

Jedoch stellt die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in allen Staaten – unabhängig davon, ob sie nachrangig oder vorrangig normiert ist – das Ergebnis einer Su-che nach einer, beiden Ehegatten gemeinsamen engen Verbindung dar. Damit wird auch der Normalfall erfasst, dass die Ehegatten in der Regel zusammenleben687; auch wenn für die Gemeinsamkeit nicht vorausgesetzt wird, dass sie einen gemeinsamen Haushalt führen. Ge-nau betrachtet sind es dieselben Gründe, die für die gemeinsame Staatsangehörigkeit spra-chen; es wird nur eine andere Gewichtung vorgenommen.

c) Kompatibilität mit „Rom III“

Den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt als vorrangigen Anknüpfungspunkt auf der An-knüpfungsleiter zu normieren, begegnet aus oben genannten Gründen688 keinerlei Bedenken.

Weiterhin wird diese Anknüpfung, wie bereits erörtert,689 von der Grundkonzeption des Art. 3 EheVO II gestützt. Der erläuternde Bericht von Borrás will den gewöhnlichen Aufenthalt als Ausgangspunkt für die gerichtliche internationale Zuständigkeit wissen.690 Im Falle des Art. 3 Abs. 1 a Str. 1 EheVO II wird, wie allgemein im Kollisionsrecht, nach der engsten Verbin-dung beider Parteien gesucht. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Partei hat nicht nur prozes-suale, sondern auch kollisionsrechtliche Bedeutung. Warum soll die Verbindung zu dem Gericht des gewöhnlichen Aufenthalts, die die EheVO II bevorzugt, wieder aufgehoben wer-den, indem ein anderes als das Recht des Gerichtsstaates zur Anwendung kommt? Dann wäre die internationale Zuständigkeit willkürlich vom Gesetzgeber gewählt worden.691 Nicht damit verwechselt werden darf ein grundsätzlicher Gleichlauf der gerichtlichen internationalen Zu-ständigkeit mit dem Sachrecht der lex fori.692

687 Vgl. Staudinger/Mankowski, Art. 14 RN 51.

688 S. o. die ausführliche Diskussion zur Abwägung von Staatsangehörigkeitsprinzip und Aufenthaltsprinzip Dritter Teil 3. Abschnitt § 4. IV. 4.

689 S. o. Zweiter Teil 2. Abschnitt § 3. II.

690 S. o. Zweiter Teil 2. Abschnitt § 3. II.

691 In diesem Sinne auch Wagner, IPRax 2003, S. 806, der sich auf die Vorschläge des Deutschen Rats für IPR zu einem einheitlichen Kollisionsrecht beruft.

692 Dies wurde bereits oben begründend abgelehnt: Dritter Teil 3. Abschnitt § 3.

Von deutscher Seite wurde der Vorschlag gemacht, den gewöhnlichen Aufenthalt mit einer weiteren Voraussetzung zu kombinieren, wie etwa der Dauer in Brüssel II.693 Dahinter steckt die Bemühung, die engste Verbindung, die sich im gewöhnlichen Aufenthalt finden lässt, weiter zu konkretisieren. Das Ziel ist auf diese Weise nicht realisierbar. Allein die Zeitdauer des Aufenthalts besagt nicht, ob der oder die Ehepartner sich an diesem Ort integriert haben.

Die Aufenthaltsdauer stellt zwar einen Umstand dar, der – anders als etwa familiäre Bindun-gen, die gesellschaftliche Eingliederung oder die Anpassung an die Sprache – objektiv nach-weisbar ist und von dem vermutet werden kann, dass er bei entsprechend langem Aufenthalt die Integration fördert. Zudem wird eine Eingliederung in die soziale Umgebung nach einem sechsmonatigen Aufenthalt angenommen.694 Dennoch ist die Aufenthaltsdauer nur ein Indiz.

Insofern ist auch Jayme zu widersprechen, der anhand einer Statistik, in der die Ausländer nach Altersgruppen und Aufenthaltsdauer aufgeführt werden, nachweisen will, dass die Integ-ration durch den langen Aufenthalt tatsächlich gefördert wird.695 Der Nachweis für eine er-folgreiche Integration lässt sich nicht führen. Denn die Gründe für den Verbleib im Ausland bleiben verborgen; sie können etwa wirtschaftlich, familiär oder durch die Ausländerpolitik motiviert sein. Eine gesellschaftliche Integration muss nicht stattgefunden haben. Das zeigen auch die Versuche innerhalb Europas, eine erforderliche Zeitdauer für den Wohnsitz zu bestimmen, die alle zu verschiedenen Ergebnissen führten.696 Mit welcher Begründung kann außerdem ein Anknüpfungswechsel von einem Tag auf den anderen stattfinden? Könnte ein Tag darüber entscheiden, ob an den gewöhnlichen Aufenthalt angeknüpft wird, würde man sich zu sehr von den von der deutschen Rechtsprechung zu Recht entwickelten Bezugskrite-rien, wie dem Schwerpunkt der familiären und beruflichen Beziehungen697, entfernen. Sind letztere auch schwerer nachweisbar, so geben sie doch eher Aufschluss über die Verbindung zum Aufenthaltsstaat als eine bestimmte Aufenthaltsdauer.

693 JUSTCIV 66, S. 23; ebenso der Vorschlag von Basedow/Diehl-Leistner, a. a. O., S. 43 (m. w. N. S. 40 FN 85): Danach sollte das Personalstatut dem Recht des Staates unterliegen, „in dem sich eine Person ge-wöhnlich aufhält, wenn ihr gege-wöhnlicher Aufenthalt in diesem Land länger als fünf Jahre andauert, ...“.

694 So die deutsche Rechtsprechung: BGHZ 78, 293 (301); OLG Celle IPRspr. 1991, Nr. 114 = FamRZ 1991, S. 1222; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, S. 903; ebenso Palandt/Heldrich, Art. 5 EGBGB RN 10.

695 Jayme, Nation und Staat im Internationalen Privatrecht, in: Jayme/Mansel: Nation und Staat, S. 33 Tabel-le 8. Siehe im VergTabel-leich auch die neueren Statistiken für alTabel-le Mitgliedstaaten: Statistisches Bundesamt, Be-völkerung und Erwerbstätigkeit 2000, S. 69 ff.

696 Kropholler, Internationales Privatrecht, § 39 FN 3: „Nach polnischem Recht vor der Novelle vom 8. 10. 1945 ein Jahr, nach der Novelle einen Monat; die nordischen Staaten stellen für die Eheschließung auf einen zweijährigen Wohnsitz ab, für die Erbfolge auf einen fünfjährigen.“. Levante, S. 84 m. w. N:

„Lehre und Rechtsprechung in Deutschland und Österreich gehen von einem halben Jahr aus.“. Baetge, Der gewöhnliche Aufenthalt im Internationalen Privatrecht, S. 109 f. m. w. N.

697 BGHZ 78, 293, 295 = NJW 1981, S. 520; OLG Hamm IPRspr. 1991 Nr. 118 = NJW 1992, S. 637. Die Rechtsprechung hat zudem hinreichend klare Konturen geschaffen: vgl. nur BGH Urt. v. 5. 2. 1975 = NJW 1975, S. 1068; BGHZ 78, 293 (295 ff.); OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16. 12. 1983, FamRZ 1984, S. 194 (195).

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

163 Die subjektive Vorstellung, im Aufenthaltstaat auch nicht nur vorübergehend leben zu wollen, ist zwar nicht von ausschlaggebender Bedeutung698; eine innere Gewöhnung an die neue Um-gebung wird jedoch zum Teil zu Recht gefordert699. So kann sich bspw. eine Ausländerin an ihrem Wohnsitz mit dem Willen, dort für immer leben zu wollen, bereits nach ein paar Wo-chen eingelebt haben. Möchte sie sich an diesem Ort hingegen nur für kurze Zeit aufhalten, um alsbald wieder in ihr Heimatland zu ziehen, wird sie keinerlei Bemühungen anstellen, sich dort zu integrieren. Eine „enge Verbindung“ zu ihrem Aufenthaltsort lässt sie gar nicht erst zu. Es wäre nach der hier vertretenen Auffassung auch inkonsequent, den Parteiwillen beim gewöhnlichen Aufenthalt völlig unbeachtet zu lassen; für das Staatsangehörigkeitsprinzip hingegen soll er ausschlaggebend sein. Wann daher von einem „gewöhnlichen Aufenthalt“

gesprochen werden kann, bestimmen vielmehr objektive und subjektive Elemente gleichzei-tig. Für die subjektive Einstellung der Person sprechen Indizien wie die gesellschaftlichen und beruflichen Beziehungen sowie die sprachliche Integration.

Im Hinblick auf eine Aufenthaltsanknüpfung in „Rom III“ wäre es mühsam, eine hinreichen-de Begriffsklarheit durch hinreichen-den EuGH abzuwarten. Bei einer Mehrzahl von Indizien würhinreichen-de es sich anbieten, eine vom Anknüpfungstatbestand separate Definition zu normieren. In

„Rom III“ könnte genau definiert werden, welche Voraussetzungen an den gewöhnlichen Aufenthalt zu stellen sind. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings aus damals guten Grün-den, und zwar wegen der Vielschichtigkeit des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts, be-wusst auf eine gesetzliche Definition verzichtet.700 Der EuGH hat jedoch zumindest entschieden, unter welchen Voraussetzungen und ab welchem Zeitpunkt der „Wohnsitz“ einer Person vorliegt.701 Seine Definition sollte wie in der EheVO II auf den gemeinsamen gewöhn-lichen Aufenthalt übertragen werden. Zugunsten der Rechtssicherheit sollte diese Entschei-dung sowohl für den Rechtsgelehrten wie auch für den juristischen Laien im Gesetz normiert werden. Damit werden viele Probleme behoben, die aus der Unbestimmtheit des gewöhnli-chen Aufenthalts resultieren.

Schwieriger ist es, eine interessengerechte Anknüpfung zu finden, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in demselben Staat haben. Die EheVO II löst diese Konstella-tionen durch Anknüpfung an die folgenden dargestellten Anknüpfungspunkte. Überprüft wird, ob diese Anknüpfungen übernommen und ob mit ihnen alle denkbaren Fälle gelöst wer-den können.

698 BGH IPRspr. 1993 Nr. 65 = NJW 1993, 2047; Kegel/Schurig, IPR, § 13 III 3. a; gänzlich abl. Neuhaus, Grundbegriffe, S. 227.

699 V. Bar/Mankowski, IPR Bd. I, § 7.

700 BT-Drucks. 10/504, S. 41.

701 Siehe oben FN 201.

3. Recht am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsort der Ehegatten, wenn sich ein