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Das Recht der engsten Verbindung

II. Anknüpfungspunkte außerhalb des Art. 3 EheVO II

7. Das Recht der engsten Verbindung

Deutschland, Griechenland, Italien und Portugal haben erkannt, dass es Konstellationen gibt, in denen die generalisierten Anknüpfungen zu keinem anwendbaren Recht führen.732 Sie wenden dann auf die Scheidung oder die gerichtliche Trennung die Rechtsordnung des Staa-tes an, zu dem die Ehegatten die engste Verbindung haben.733 Die Notwendigkeit einer sol-chen Regelung zeigt sich z. B., wenn die französische Ehefrau und ihr deutscher Ehemann nach ihrer Trennung beide jeweils in ihr Heimatland zurückkehren. Vor der Trennung hat die Ehefrau berufsbedingt vorwiegend in den Niederlanden gelebt, ihr Ehemann in Frankreich.

Sie stellen keinen gemeinsamen Scheidungsantrag. Für diesen Fall stellen die drei bisher auf-gezeigten Anknüpfungen keine anwendbare Rechtsordnung zur Verfügung. Dann soll dem Richter ein gewisser Spielraum zuerkannt werden, in dem er auf der Suche nach einer ge-meinsamen engen Verbindung der Parteien außerhalb der Regelanknüpfungen den Sachver-halt einer Rechtsordnung unterstellt. Er entscheidet dann aufgrund einer Auffangklausel.

Weiterhin sind Fälle denkbar, in denen das mittels generalisierter Anknüpfung gefundene Ergebnis aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls den Interessen der Parteien nicht ge-recht wird. Hier helfen Ausweichklauseln, die die Regelanknüpfung korrigieren. Sie knüpfen an die Rechtsordnung an, mit der die Ehegatten auf andere Weise am engsten verbunden sind.

731 So Staudinger /Mankowski, Art. 14, RN 49.

732 Schwedisches Recht kennt keine Anknüpfung an das Recht der engsten Verbindung. Umgekehrt ist aber ausnahmsweise schwedisches Recht nicht anwendbar, wenn beide Ehegatten ausländische Staatsangehörige sind und keiner von ihnen seit mindestens einem Jahr seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Dann darf gegen den Einspruch eines Ehegatten nicht auf Ehescheidung erkannt werden, wenn nach dem Recht des Staates, dem die Ehegatten oder einer von Ihnen angehört, kein Grund für die Auflösung der Ehe vor-liegt, vgl. 3. Kapitel § 4 IÄL. Dahinter steckt zumindest der Gedanke, im kollisionsrechtlichen Interesse der Parteien nicht unter allen Umständen zwingend schwedisches Recht zur Anwendung kommen zu lassen.

733 Siehe oben FN 56.

Diese generalklauselartige Anknüpfung an die gemeinsame engste Verbindung ermöglicht und erfordert eine Einzelfallprüfung.

a) Arten der Normierung

Die engste Verbindung liegt heute im deutschen Internationalen Privatrecht den meisten Kol-lisionsnormen als Anknüpfungsprinzip zugrunde. Parallel zu dieser Funktion hat der Gesetz-geber die engste Verbindung selbst im Gesetz normiert, die dann dazu dient, in bestimmten Fällen eine Abweichung von der Regelanknüpfung zu ermöglichen. Sie kommt in zwei unter-schiedlichen Erscheinungsformen vor: Als Hauptanknüpfung, der „Ausweichklausel“ und als Hilfsanknüpfung, der sog. Auffangklausel.

aa) Auffangklausel

Der deutsche Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Auffangklausel in Art. 17 Abs. 1 iVm Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB umgesetzt, indem er hilfsweise das Recht des Staates angewen-det wissen will, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind. Liegen demnach die Voraussetzungen einer der vorgehenden Anknüpfungen vor, so kommt eine Anknüpfung über Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB nicht mehr in Betracht. Das Spe-zifische der Auffangklausel liegt darin, dass sie erst angewendet wird, wenn die Vorausset-zungen der vorrangigen Anknüpfungen der Anknüpfungsleiter nicht erfüllt sind. Die in Betracht kommenden Fälle sind vielgestaltig und entziehen sich einer typisierenden Anknüp-fungsregel.734 Der Gesetzgeber hat darauf verzichtet, zu bestimmen, auf welchen Umständen eine solche sonstige engste Verbindung beruhen kann. In der Gesetzesbegründung werden Kriterien wie der „Verlauf der ehelichen Lebensgemeinschaft“ oder der „Ort der Eheschlie-ßung“ genannt735. Möglich ist auch eine Variante des nachrangigen Anknüpfungskriteriums, indem die Suche nach der engsten Verbindung begrenzt wird. In der Schweiz findet sich ein Beispiel in Art. 48 Abs. 2 schweiz. IPRG, der den engsten Zusammenhang durch die Wohn-sitzstaaten begrenzt.

Folgende Erwägungen sind anzustellen, wenn in „Rom III“ eine Hilfsanknüpfung als letzte Stufe der Kegel´schen Leiter angefügt würde:

Eine Auffangklausel ermöglicht es dem Richter, der anhand der Kegel´schen Leiter eine An-knüpfung vornehmen muss, sich der HilfsanAn-knüpfung zu bedienen, wenn sich z. B. der (letz-te) gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Eheleute nicht ermitteln lässt und ein

734 Staudinger/Mankowski, Art. 14 RN 64.

735 BT-Drucks. 10/504, S. 9 und 55; BT-Drucks 10/5632, S. 41. Eine Normierung im Gesetzestext wurde zu Recht abgelehnt, um dem Rechtsanwender nicht den Weg über eine unvoreingenommene Interessenabwä-gung zu versperren.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

175 gemeinsamer Antrag nicht gestellt wurde. Sie vergrößert damit die Chance, eine interessenge-rechte Anknüpfung vornehmen zu können. Denn wenn der Richter nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von dem Vorliegen eines (letzten) gemeinsamen gewöhnli-chen Aufenthalts überzeugt ist, wie kann dann eine Anknüpfung an den (letzten) gemeinsa-men gewöhnlichen Aufenthalt tatsächlich die engste Verbindung darstellen? Ein solches Vorgehen würde zwar zur „wahrscheinlichen Anknüpfung“ führen, im Ergebnis daher aber auch nur eine nicht wünschenswerte, „wahrscheinlich interessengerechte Anknüpfung“ dar-stellen. Denkbar ist auch eine weitere Gruppe von Fällen, in denen ein (letzter) gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt gar nicht existiert: Das sind zum einen jene Konstellationen, in de-nen niemals ein gemeinsamer Aufenthalt bestanden hat, weil die Ehegatten sich z. B. im Ur-laub kennen gelernt und auch dort geheiratet haben. Danach ziehen beide in ihre verschiedenen Heimat- und Aufenthaltsorte zurück. Zum zweiten ist es möglich, dass beide die Verbindungen zu dem betreffenden, ihnen gemeinsamen Staat und dessen Rechtsordnung abgebrochen haben und sich in verschiedene Richtungen begeben haben. Für diese beiden Fallgruppen bietet die Suche nach der engsten Verbindung im Vergleich zur Regelanknüp-fung die interessengerechtere AnknüpRegelanknüp-fungsmöglichkeit.

Umgekehrt würde die Hilfsanknüpfung in „Rom III“ einer anderen, den Parteiinteressen eher entsprechenden Anknüpfung den Weg nicht versperren. Haben die Parteien eine Rechtswahl getroffen736, gelangt der Richter erst gar nicht zur Anknüpfungsleiter, es sei denn die Rechts-wahl ist unwirksam. Letzteres wird aber zum einen selten vorkommen und wäre im Übrigen aber auch kein unbilliges Ergebnis. Schließlich wäre es dann nicht die Hilfsanknüpfung, die zu einem Anknüpfungsergebnis führt, das u. U. dem unwirksamen Rechtswahlergebnis und damit dem Parteiinteresse zuwiderlaufen würde, sondern der Weg über die Anknüpfungslei-ter.

Beantragen die Eheleute in dem Staat, dem sie beide angehören, die Scheidung und kann der Richter die Staatsangehörigkeit nicht mit hinreichender Sicherheit ermitteln, widerspräche der darauf folgende Weg über die aufenthaltsgeprägte Anknüpfungsleiter, evtl. bis hin zur Hilfs-anknüpfung, ebenfalls nicht dem Parteiinteresse. Dies wird mit dem Blick auf die theoretisch alternative Lösung deutlich: Denkbar wäre nämlich andererseits nur eine weitere Hilfsan-knüpfung im Anschluss an die AnHilfsan-knüpfung am Recht, in dessen Staat der Antrag gemeinsam gestellt wurde und dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten haben ohne den Weg über die Anknüpfungsleiter. Welche anderen Umstände als die des gegenwärtigen oder letzten

736 Siehe dazu unten Dritter Teil 3. Abschnitt § 5. II. 3. Es wurde bereits festgestellt, dass diese Anknüpfung voraussichtlich in einem separaten Absatz normiert werden sollte.

meinsamen Aufenthaltsortes würde der Richter in diesem Fall beachten? Oder würde er es bspw. missachten, dass an dem Ort, an dem der Antrag gestellt wurde, zumindest ein Ehegatte noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat? Dies sind jedoch alles Anknüpfungspunkte, die in der aufenthaltsgeprägten Anknüpfungsleiter ohnehin aufgeführt sind. Bei Fehlschlagen der Anknüpfung an den Heimatstaat wäre eine direkte Hilfsanknüpfung daher überflüssig.

Schließlich macht es keinen Unterschied, ob das Ergebnis unter Beachtung aller objektiven und subjektiven Umstände sofort über eine Hilfsanknüpfung gefunden wird oder der Weg erst über die Anknüpfungen der Anknüpfungsleiter geht. Als letzte Stufe der Kegel´schen Leiter gibt dieser Weg dem Richter und den Parteien wieder die Aussicht auf eine interessengerechte Anknüpfung, der einzigen und ausreichenden Auffangklausel.

bb) Ausweichklausel

Der Unterschied zur Auffangklausel liegt darin, dass die Ausweichklausel auch angewendet werden kann, wenn die Voraussetzung für die Regelanknüpfung erfüllt sind und an sich eine Rechtsordnung bestimmt werden kann. Sie greift ein, wenn es auf der Hand liegt, dass der konkrete Fall im Vergleich zum gesetzlichen Leitbild atypisch ist737 und zu einem anderen Recht eine „engere Verbindung“ besteht. Die Ausweichklausel ist methodisch nach einer Regelanknüpfung zu prüfen und stellt eine Ausnahme738 zu dieser dar. Kommt sie zur wendung, kann die engere Verbindung aber nicht völlig losgelöst von der ordentlichen An-knüpfung bestimmt werden. Vielmehr findet die Abwägung aller objektiven und subjektiven Umstände weiterhin unter Beachtung der Regelanknüpfung statt.

In der Schweiz findet sich die Norm des Art. 15 schweiz. IPRG, die alle Anknüpfungen unter den Vorbehalt des „viel engeren Zusammenhangs“ stellt. Der deutsche und der österreichi-sche Gesetzgeber waren zurückhaltender und haben einen solchen Vorbehalt nur in speziellen Bereichen des IPR kodifiziert.739 In den Internationalen Privatrechten beider Länder finden sich im Familienrecht keine Ausweichklauseln, weil der Gesetzgeber flexiblere Anknüpfun-gen in diesem Rechtsgebiet – anders als im Schuldrecht – für gefährlicher hält als die Anknüpfun-

737 Kreuzer, ZfRV 1992, S. 170 ff. und 183; ders. in, FS für Zajtay, S. 296; Kegel/Schurig, IPR, § 6 I 4. b;

Keller/Siehr, S. 121.

738 Die Begriffe „Ausnahme“ und „Korrektur“ der Regelanknüpfung werden weitgehend synonym verwendet.

Nachweise bei Geisler, S. 86.

739 Art. 28 Abs. 5, Art. 30 Abs. 2, 2. HS, Art. 41 und 46 EGBGB; § 18 Abs. 2, § 48 Abs. 1 S. 2 öst. IPRG. In Österreich ist strittig, ob § 1 öst. IPRG die Funktion einer Ausweichklausel zukommt oder dadurch nur festgestellt wird, dass die einzelnen Kollisionsnormen das Leitprinzip unwiderlegbar konkretisieren: Nach-weise bei Kreuzer, ZfRV 1992, 172 f.

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„Rom III“

177 lisierten.740 Bedeutung haben Ausweichklauseln auch im niederländischen internationalen Ehescheidungsrecht, Ehegüterrecht und Adoptionsrecht.741

Darüber, ob ein Bedürfnis nach einer Korrektur von Anknüpfungen besteht und für „Rom III“

bestehen würde, kann die Spruchpraxis der deutschen Gerichte Aufschluss geben und zeigt sich in der Beantwortung zweier Fragen: Kann der ordre public Unzulänglichkeiten der kolli-sionsrechtlichen Anknüpfung bereinigen? Bestehen andere alternative Anknüpfungen für Fäl-le, in denen, falls erforderlich, selbst die gefundene Generalanknüpfung nicht mit dem Leitprinzip im Einklang steht?

b) Bedürfnis nach einer Ausweichklausel

Die Staaten Österreich, Belgien, Finnland, Deutschland, Griechenland, Italien und Schweden befürworten etwas mehr Flexibilität bei der Anknüpfung des Sachverhalts an eine bestimmte Rechtsordnung742. Über die Frage, in welchen Einzelfällen dies geschehen soll, sind sich die Länder jedoch uneins. So möchte z. B. Österreich in bestimmten Fällen das Recht eines Dritt-staates anwenden, wenn die Ehegatten zu diesem eine engere Beziehung haben.743 Schweden möchte in Einzelfällen, die nicht näher definiert werden, die lex fori anwenden.744 Belgien schlägt vor, dass ausnahmsweise das an sich anwendbare Recht nicht zur Anwendung kommt, wenn die Umstände zeigen, dass nur eine sehr geringe Verbindung zu diesem Staat besteht, hingegen aber eine sehr enge Beziehung zu dem Recht des anderen Staates festgestellt wird.745 Aufgrund dieser Unstimmigkeiten muss vorab geklärt werden, welche Bedeutung und primäre Funktion die Ausweichklausel bisher gehabt hat und in der Zukunft im europäischen Scheidungskollisionsrecht haben könnte.

aa) Ergebnisse aus der Spruchpraxis deutscher, österreichischer und schweizerischer Gerich-te

In der Vergangenheit kam mehrfach – vorwiegend in Deutschland – zum Ausdruck, dass der Sinn und Zweck der Ausweichklausel verkannt wurde.

Auf der einen Seite ist es im deutschen Familienrecht meist der ordre public, dessen man sich bedient und stets bedient hat, wenn die ordentliche Anknüpfung zu einem unerträglichen

740 Staudinger/Mankowski, Art. 14, RN 31; vgl. bzgl. Österreich: Kreuzer, FS für Zajtay, S. 297 m. w. N.;

ebenso Schreiber, S. 15, 16.

741 Vgl. dazu m. w. N. Kreuzer, ZfRV 1992, S. 181.

742 JUSTCIV 66, S. 26.

743 JUSTCIV 66, S. 26.

744 JUSTCIV 66, S. 26.

745 JUSTCIV 66, S. 26.

gebnis führte.746 In dieselbe Richtung wiesen schon frühere Diskussionen über die Einführung einer Ausweichklausel in das EGBGB. Dort wurde vertreten, eine Korrektur müsse auch aus anderen Erwägungen heraus als dem Leitprinzip des IPR erlaubt sein.747 Die Ausweichklausel hätte dann in rechtlich unzulässiger Weise als Verwirklichung des ordre public gedient. Denn sobald materielle Erwägungen im Vordergrund stehen, lässt sich ein Abweichen von der Regelanknüpfung nicht mit dem Gedanken der engsten Verbindung rechtfertigen.

Auf der anderen Seite zeigte sich in der Praxis allerdings auch, dass die Anwendung des aus-ländischen Rechts nicht nur einen Verstoß gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts bedeutet hätte, sondern auch auf unbefriedigenden kollisionsrechtlichen Anknüpfun-gen beruhte748. Der Gerechtigkeitsgesichtspunkt trat mehr in den Vordergrund. Dabei lag es vor der Reform des EGBGB von 1986 vorwiegend am Hauptanknüpfungspunkt, dem Staats-angehörigkeitsprinzip, das zu unannehmbaren Ergebnissen führte.749 Gerade durch die Zu-wanderung von Gastarbeitern wurde sehr schnell klar, dass viele ihre Bindungen zu ihren Heimatländern gelockert und sich erfolgreich bemüht hatten, sich kulturell und gesellschaft-lich in ihrem Gastland zu integrieren.750 Der ordre public hat aber meist sehr strenge Voraus-setzungen, vgl. heute Art. 22 EheVO II, Art. 6 EGBGB, sowie damals Art. 30 EGBGB a. F., die ein rein „unerwünschtes“ und insbesondere unerwünschtes kollisionsrechtliches Ergebnis nicht erfüllt. Vielfach haben auch hier wieder die Gerichte, diesmal allerdings kollisionsrecht-lich motiviert, durch Anwendung des ordre public die Grenzen zulässiger Rechtsausübung überschritten.751 Ausgehend von der Rechtsprechung vor der Reform 1986 stellt sich heraus, dass die Korrektur vorwiegend zugunsten des gewöhnlichen Aufenthalts betrieben wurde, sich mithin dort die engere Beziehung eines Sachverhalts zu einer Rechtsordnung befindet.752 Je detaillierter daher die Anknüpfungsvarianten – orientiert am Aufenthaltsprinzip – gestaltet sind, umso weniger bedarf es eines Rückgriffs auf eine Auffang- bzw. Ausweichklausel. Hier liegt der Gedanke nahe, dass ein interessengerechtes umfassendes Anknüpfungssystem eine Ausweichklausel an sich ersetzen kann.753 „Rom III“ wird eine solche umfassende

746 Schreiber, S. 85; Kreuzer, FS für Zajtay, S. 309 f. m. w. N. aus der Rechtsprechung, FN 82-84. Ebenso Kropholler, § 4 II 2.

747 Geisler, S. 87.

748 Kreuzer, FS für Zajtay, S. 309; ders. in: Lausanner Kolloquium, S. 22; Schreiber, S. 85.

749 Dies verkannte das MPI in seiner Prophezeiung, dass nicht das Staatsangehörigkeitsprinzip, sondern das Aufenthaltsprinzip voraussichtlich zur Folge hätte, dass sich die Fälle häufen würden, in denen das „an sich“ maßgebende Recht mit Hilfe des ordre public oder anderer kollisionsrechtlicher Kunstgriffe ausge-schaltet würde: MPI, RabelsZ 1980, S. 345.

750 Schreiber, S. 86; Rohe, FS für Roethoft, S. 3, 10; s. a. Gollrad, S. 41 f.

751 Siehe die Rechtsprechungsnachweise und umfangreiche Besprechung bei Schreiber, S. 90 FN 424.

752 So wurde z. B. auch die Spanierentscheidung des BVerfG dadurch bedingt, dass der Spanier schon seit 1962 in Deutschland lebte: BVerfGE 31, 58. Vgl. auch Kropholler, Internationales Privatrecht, § 4 IV.

753 So Henrich auf der Sitzung des Deutschen Rats für IPR am 12. 4. 2002 in Würzburg: Protokoll S. 21.

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„Rom III“

179 rechtsregelung darstellen. Diese Befürchtung verkennt jedoch die Aufgabe der Ausweichklau-sel: Die Überlegungen zur Schaffung einer Ausweichklausel sind überhaupt erst dann sinn-voll, wenn die Regelanknüpfung nicht zur tatsächlich engsten Verbindung im Sinne des Art. 3 EGBGB führt. Ein detailliertes Anknüpfungssystem ist demnach eine naturbedingte Vorstufe für die Existenz einer Ausweichklausel. Ausgangspunkt ist ein Anknüpfungssystem, das of-fensichtlich verbesserungswürdig ist und zunächst dahingehend untersucht werden muss, wie man es interessengerechter gestalten und ausweiten kann. Die Ausweichklausel kommt erst zum Zuge, wenn ein solches ausgefeiltes System wieder Lücken ausweist in dem Sinne, dass im Einzelfall eine andere als die vorgegebene generalisierte Verbindung die engere ist. Eine Ausweichklausel verfeinert vielmehr das System von Regelanknüpfungen754, wozu letzteres selbst nicht immer in der Lage ist. Eine Kollisionsnorm kann angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte, verstärkt durch die zunehmende Berührung mit zwei bis vier oder mehr fremden Rechtsordnungen, nicht jeden denkbaren Einzelfall interessengerecht erfassen.

In Österreich und der Schweiz zeigten sich ähnliche Entwicklungen wie in Deutschland. In Österreich hatte § 1 öst. IPRG755 bisher nur im Vertragsrecht Bedeutung. Im Familienrecht wurde eine spezielle Ausweichklausel nicht geschaffen. Ansätze für ein Bedürfnis nach Ab-weichung von der gesetzlichen Anknüpfung zeigten sich aber auch hier, stets wurde auf den ordre public zurückgegriffen.756 Das Schweizer IPRG enthält gemäß Art. 15 eine allgemeine Ausweichklausel, die mit Ausnahme der Rechtswahl auf alle kollisionsrechtlichen Verwei-sungen anwendbar ist757 und sich stets bewährt hat758. Vor Inkrafttreten des schweiz. IPRG (mit Art. 15 schweiz. IPRG) sind die Gerichte im Familienrecht manchmal von den gesetzli-chen oder den durch die Rechtsprechung und Literatur entwickelten Anknüpfungsgrundsätzen abgewichen. In der Schweiz waren die Entwicklungen in der Spruchpraxis jedoch vielmehr eine Suche nach einer interessengerechten Regelanknüpfung als nach gerechten Einzelfalllö-sungen.759

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Rechtsprechung die Aufgabe der Ausweich-klausel in einigen Fällen verkannt hat und sich in allen drei Ländern in Ermangelung einer korrigierenden Norm bemüht hat, durch eine Überdehnung des ordre public von der

754 So auch zu Recht Lüderitz, FS für Kegel, S. 53.

755 § 1 Abs. 1 öst. IPRG lautet: Sachverhalte mit Auslandsberührung sind in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen, zu der die stärkste Beziehung besteht.

756 Vgl. allgemein Kreuzer, ZfRV 1992, S. 183; siehe ausführlich Schreiber, S. 134 ff.

757 Art. 15 lautet: „Das Recht, auf das dieses Gesetz verweist, ist ausnahmsweise nicht anwendbar, wenn nach den Umständen offensichtlich ist, dass der Sachverhalt mit diesem Recht nur in geringem, mit einem ande-ren Recht jedoch in viel engerem Zusammenhang steht.“.

758 Siehe dazu Girsberger, SJZ 1999, S. 217.

759 Schreiber, S. 156.

knüpfung abzuweichen. Das dogmatisch richtige Korrekturmittel ist allerdings nicht ein über-dehnter ordre public, sondern die Schaffung einer Ausweichklausel.

bb) Fehlender Bedarf aus dogmatischen Gründen

Ab und an erwecken Gegenstimmen den Eindruck, als wollten sie ohne nähere Begründung mit allen Mitteln den Weg zur Ausweichklausel meiden.

So hält Hohloch760 die Anknüpfung an die engste Verbindung nicht für sinnvoll, weil sich die Zuständigkeit aus Art. 7 Abs. 1 EheVO I761 ergäbe, wenn zum Zeitpunkt des Scheidungsan-trags keiner der Ehegatten einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hätte. Dieser Einwand erscheint schon in seiner Intention fragwürdig. Zum einen sind die Gründe für die Frage, ob eine Ausweichklausel im Kollisionsrecht eingeführt werden soll, unabhängig von der Zustän-digkeit des Gerichts. Selbst wenn sich eine ZustänZustän-digkeit nach Art. 3-5 EheVO II nicht ergibt, wird ein Gericht gemäß den Regeln des Forumstaates über die internationale Zuständigkeit zuständig. Dieses zuständige Gericht wendet dann wieder das für die Mitgliedstaaten geltende einheitliche europäische Scheidungskollisionsrecht, „Rom III“, an. Die Frage nach der Aus-weichklausel stellt sich erneut. Hohloch erweckt den Eindruck, als sei er der Ansicht, die Ausweichklausel käme nur zum Einsatz, wenn die Eheleute keinen gemeinsamen gewöhnli-chen Aufenthalt haben. In eine ähnliche Richtung weist Henrich762. Er will ebenfalls die Ausweichklausel aus der Anknüpfungsleiter streichen, weil diese Norm nur sehr seltene Fälle betreffe. Dies seien jene, in denen keiner der Ehegatten den früheren gemeinsamen gewöhnli-chen Aufenthalt beibehalten habe. Schon allein die Aufgabe der Ausweichklausel wider-spricht dieser Behauptung. Die Ausweichklausel kann bei jeder objektiven Anknüpfung zur Anwendung kommen, bei der der Sachverhalt entgegen der Regelanknüpfung eine engere Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung aufweist.

c) Bedenken gegen eine Ausweichklausel

Vielfach werden Ausweichklauseln kritisiert. Ihnen wird vorgeworfen, sie würden zur Umge-hung der Regelanknüpfung ermuntern763, sie seien inhaltslos und daher überflüssig764, der

760 Hohloch auf der Sitzung des Deutschen Rats für IPR am 12. 4. 2002 in Würzburg: Protokoll S. 21.

761 Art. 7 Abs. 1 EheVO I entspricht dem neuen Art. 6 Abs. 1 EheVO II, so dass die Ansicht von Hohloch auch auf die neue EheVO II übertragbar ist.

762 Henrich auf der Sitzung des Deutschen Rats für IPR am 12. 4. 2002 in Würzburg: Protokoll S. 26.

763 So Otto in seinem Diskussionsbeitrag im Lausanner Kolloquium, S. 50.

764 Siehe bereits Kegel in der Kommentierung des Handbuchs des Österreichischen Internationalen Privatrecht von Fritz Schwind: „Eine Windfahne als Wegweiser“, in: Kegel, AcP 178 (1978), S. 120. Ebenso ist die Ansicht von Kegel und Schurig zu verstehen: Kegel/Schurig, IPR, § 6 I 4. b, cc.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

181 Richter habe so ein Mittel an der Hand, mit dessen Hilfe er die lex fori anwenden könnte765

181 Richter habe so ein Mittel an der Hand, mit dessen Hilfe er die lex fori anwenden könnte765