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Kompatibilität mit „Rom III“

Vielfach wird die Anknüpfung an die lex fori befürwortet,487 nicht zuletzt, weil die Richter am besten ihr eigenes Recht anwenden können. Als Grund wird auch genannt, es würde die Integration fördern, zumal die Menschen sich dem Recht des Staates unterwerfen müssten, in dem sie leben. Dagegen spricht, dass es nicht Ziel des Internationalen Privatrechts ist, die In-tegration der EU-Bürger zu erzwingen. Will man die InIn-tegration fördern, sollte die Möglich-keit eröffnet werden, direkt, nicht subsidiär, das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltes anzuwenden. Hinzu kommt, dass Staaten, die meist die lex fori anwenden, befürchten, ver-einheitlichte Kollisionsrechtsregeln seien weniger „attraktiv“488 als das autonome internatio-nale Scheidungsrecht. Das liegt daran, dass in diesen Staaten das Kollisionsrecht weniger auf der Suche nach dem kollisionsrechtlich interessengerechtesten Ergebnis ist, als vielmehr Wertvorstellungen des materiellen Rechts verwirklichen will. Dies ist das Ziel sowohl libera-ler Staaten, wie der Niederlanden und Skandinaviens, als auch von Staaten wie dem Vereinig-ten Königreich und Irland, die dem Bestand der Ehe einen höheren Stellenwert beimessen als der Auflösung des Ehebandes. „Rom III“ muss sich aber, wie bereits festgestellt, an den kolli-sionsrechtlichen Interessen der Parteien orientieren, nicht an Wertvorstellungen.

Was Rechtssicherheit und Ergebnisvoraussehbarkeit anbetrifft, so wird die Anknüpfung an die lex fori meist als vorzugswürdig angesehen.489

Gegen eine Anknüpfung an die lex fori in einem vereinheitlichten Scheidungskollisionsrecht sprechen folgende Gründe: Zum einen ist es paradox, dass trotz Fortfalls der Grenzen und der enger zusammenwachsenden europäischen Gesellschaft die Gerichte stets dafür plädieren, ihr eigenes Recht anwenden zu dürfen. Sie scheinen nach wie vor die Mühe zu scheuen, das an-wendbare ausländische Recht zu ermitteln, andererseits wird stets das Bestreben nach Integra-tion propagiert. Zum zweiten würde die grundsätzliche Anknüpfung an die lex fori, wie sie das englische Recht vorsieht,490 zu einem Gleichlauf von internationaler gerichtlicher Zustän-digkeit nach Art. 3-5 EheVO II und anwendbarem Recht führen.491 Das Ergebnis eines Schei-dungsverfahrens würde wiederum davon abhängen, welches Gericht zuständig ist. Daraus

487 So die Vertreter aus Österreich, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Portugal: JUSTCIV 66, S. 23, 25; s. a. das Ergebnis der Befragung von Richtern im Final Report, S. 15;

ebenso die Ansicht einiger Mitglieder der Europäischen Gruppe für IPR auf ihrer Tagung vom 21.-23. 9. 2001 in Lund: IPRax 2002, S. 64.

488 So z. B. ein niederländischer Anwalt im Final Report, S. 27.

489 Vgl. die Ansichten finnischer, belgischer, französischer und österreichischer Juristen: Final Report, S. 17-19, 26.

490 Domicile and Matrimonial Proceedings Act 1973, s. 5 (2).

491 Umfassend zum Gleichlauf: Heldrich, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht, S. 14 ff., 110 ff.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

113 folgt, dass der Antragsteller viel schneller, d. h. ohne den bisherigen Blick auf verschiedene mitgliedstaatliche Kollisionsrechte, das für ihn günstigste Sachrecht wählen kann. Das Gegen-teil von dem, was Nr. 41 a) des Aktionsplanes des Rates der EU492 bezweckt, wäre erreicht.493 Aufgabe des Kollisionsrechts in den Civil law-Staaten ist es nicht, einen Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht herzustellen. Das Kollisionsrecht sorgt dafür, dass jeder auftretende Fall mit Auslandsbezug einer bestimmten nationalen Rechtsord-nung unterliegt. Die Regelungen über die internationale Zuständigkeit verfolgen andere Zwe-cke als das Internationale Privatrecht. Sie verteilen die Entscheidungskompetenzen auf die Rechtspflegeorgane unter dem Gesichtpunkt, dass zwischen zuständigem Gericht und Sach-verhalt eine Verbindung besteht. Da festgestellt wurde, dass die EheVO II schon wegen der von ihr eröffneten Möglichkeit des forum shopping nicht ausschließlich die engste Verbin-dung zwischen den Beteiligten und dem Gerichtsstaat sucht, ist die AnwenVerbin-dung der lex fori in einem europäischen Scheidungskollisionsrecht demnach abzulehnen. Das schließt nicht aus, dass das international zuständige Gericht sein eigenes Recht anwendet, weil dieses zugleich das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts oder des Staates, dem beide Ehegatten angehören, ist.

Die lex fori bietet zudem nicht immer die kollisionsrechtlich gerechteste Lösung, auch wenn ihre Anwendung für die Richter leichter ist. Zwar wird der Ort, an dem der Antrag gestellt wird (das Forum), häufig auch derjenige des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten, insbesondere des Antragstellers, sein. Dies ist jedoch nicht zwingend. Der An-tragsteller kann ebenso ein Interesse daran haben, den Antrag in dem Staat zu stellen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Ob zu diesem Ort aber die engste Verbindung, insbesondere beider Ehegatten, besteht, muss nach ganz anderen Kriterien beurteilt werden. Kein ausrei-chendes Indiz für die Nähe der Ehepartner zu einem Staat ist die Antragstellung durch den scheidungswilligen Partner. Wie bereits erörtert,494 kann die Wahl des Gerichtsstandes auch verfahrens- oder materiellrechtlich motiviert sein. In einem solchen Fall kann die Anwendung der lex fori zu einer Diskriminierung des anderen Ehegatten führen.495

Außerdem sollten nicht die fehlenden Auslandsrechtskenntnisse des Richters, der entweder nicht die Zeit hat, sich in die Eigenheiten ausländischen Rechts zu vertiefen, oder dem das jeweilige Gerichtssystem diesen Aufwand nicht erleichtert, Grund sein, die lex fori anzuwen-den. Ausschlaggebend muss das Interesse der Rechtssuchenden sein, unabhängig davon,

492 Siehe FN 162.

493 So auch Prof. Bodgan auf der Tagung der Europäischen Gruppe für IPR vom 21.-23. 9. 2001 in Lund:

IPRax 2002, S. 64.

494 S. o. zu dem Phänomen „forum shopping“ Zweiter Teil 3. Abschnitt § 1. I.

495 So auch die Sicht italienischer Anwälte im Final Report, S. 27.

ches Gericht entscheidet. Um die Auslegungsschwierigkeiten des Richters zu mindern, sollte der europäische Gesetzgeber vielmehr bemüht sein, die Kollisionsregeln eng zu fassen und nicht allzu viel Spielraum für die Auslegung zu lassen. Zu denken ist bspw. daran, Anknüp-fungspunkten, wie dem gewöhnlichen Aufenthalt, Definitionen hinzuzufügen. Hinzu kommt, dass nicht nur der Gesetzgeber die Aufgabe hat, die Gleichwertigkeit des in- und ausländi-schen Rechts in Europa wie auch die Verwirklichung des „Full faith and credit“ zu fördern.

Auch die Gesetzesanwender müssen bereit und bemüht sein, ausländisches Recht anzuwen-den.

Befürworten viele Juristen die Anwendung der lex fori aufgrund der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des Ergebnisses, so verkennen sie zweierlei: Zum einen haben die Alterna-tivanknüpfungen des Art. 3 EheVO II diese Klarheit, die die lex fori in „Rom III“ an sich mit sich bringen würde, längst vernichtet. Welcher juristische Laie kann bei der Scheidung eines gemischt-nationalen Ehepaares, das mittlerweile in verschiedenen Staaten wohnt, anhand von Art. 3 EheVO II mit Sicherheit sagen, welches Gericht zuständig ist? Wie bereits festge-stellt,496 fällt die Antwort sogar Richtern und Anwälten schwer. Die EheVO II müsste erneut reformiert werden, damit die lex fori-Anknüpfung Rechtssicherheit gewährleistet. Zum zwei-ten ist der europäische Gesetzgeber ohnehin gehalzwei-ten, bei jeder einzelnen Anknüpfung und ihrem Zusammenspiel mit den anderen Anknüpfungen in „Rom III“ das Gebot der Rechtssi-cherheit zu beachten. Erst wenn die Norm feststeht, kann verglichen werden, ob das so ge-schaffene Anknüpfungssystem oder die pauschale lex fori-Anknüpfung für den Gesetzesanwender klarer und einfacher zu verstehen ist. Es ist davon auszugehen, dass „Rom III“ ein Anknüpfungssystem vorsehen wird, das an Rechtssicherheit der lex fori-Anknüpfung Stand halten wird und zudem die Möglichkeit eröffnet, jeden Rechtsfall interessengerecht zu lösen.

Weiterhin könnte man meinen, die Anwendung ausländischen Rechts provoziere Konflikte mit grundlegenden Werten des eigenen Landes. Es ist aber nicht Aufgabe des Kollisions-rechts, diese zu vermeiden. Die Bestimmung von Eingriffsrecht und ordre public ist es, die aufgetretenen Konflikte zu lösen. Außerdem gaben finnische Richter an, dass im Eheschei-dungsrecht ein Widerspruch des ausländischen Rechts mit den Grundwerten der eigenen Rechtsordnung nahezu nie vorkommen könne497: Weder bei ausländischem Recht, das die einvernehmliche Scheidung zulässt oder solchem, das auf dem favor divortii basiert, noch bei

496 S. o. Erster Teil 1. Abschnitt § 4.

497 Final Report, S. 34 iVm den Fragen auf S. 66; so äußerten sich im Ergebnis auch einige deutsche Richter.

Schließlich verstößt es nach deutschem IPR weder gegen den ordre public, wenn die Ehe nach dem maß-geblichen Recht im Ergebnis nicht geschieden werden kann, noch wenn dem deutschen Recht die Schei-dungsgründe fremd sind: Staudinger/Mankowski, Art. 17 RN 105 f.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

115 ausländischem Recht, das die Möglichkeit einer Scheidung einschränkt oder jenem, das für die Scheidung auf das Verschuldensprinzip498 abstellt. Dieser Meinung schloss sich auch ein Großteil der befragten Juristen der Mitgliedstaaten an. Es ist daher anzunehmen, dass es oh-nehin nicht zu einer vermehrten Anwendung des ordre public kommen wird. Zu Widersprü-chen mit den Grundwerten der eigenen Rechtsordnung kommt es eher bei der Anerkennung ausländischer Urteile aus Staaten außerhalb Europas, insbesondere bei der Kollision mit isla-mischen Rechtsordnungen, wie den marokkanischen oder tunesischen.499

Die Absage an die lex fori-Anknüpfung darf aber nicht so verstanden werden, dass es dem Kollisionsrecht abträglich wäre, wenn der Richter sein eigenes Recht anwendet. Ein für inte-ressengerecht befundener Anknüpfungspunkt, wie etwa das Aufenthaltsprinzip, kann die zwangsläufige Anwendung der lex fori als positiven Nebeneffekt haben. Die Anknüpfung an das Recht des Gerichtsorts erleichtert und beschleunigt die Rechtsfindung. Insoweit ist sie zu begrüßen; nicht zuletzt auch deshalb, weil sie dazu beitragen wird, eine Einigung mit Groß-britannien und den skandinavischen Staaten zu erleichtern.

§ 4. Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsprinzip

Hauptaufgabe der vorbereitenden Arbeiten für „Rom III“ ist es, eine Entscheidung zwischen dem Aufenthalts- und dem Staatsangehörigkeitsprinzip als primären Anknüpfungspunkt zu treffen.

Zwar wurde die Entscheidung für das eine oder das andere Prinzip aufgrund einer pauschalen Gegenüberstellung bereits in der Vergangenheit erschöpfend dargestellt.500 An Überlegungen im Hinblick auf das europäische Scheidungskollisionsrecht fehlt es aber. Zudem handelt es sich um zwei Anknüpfungsprinzipien, deren Eignung für das europäische

498 Anwälte aus Luxemburg hatten zwar Bedenken im Hinblick auf verschiedene Formen von Schadensersatz nach belgischem und französischem Recht in Fällen verschuldensbedingter Scheidung gegenüber dem nicht verantwortlichen Ehegatten. Bei der Scheidung selbst kamen keine Zweifel auf: Final Report, S. 39.

499 Final Report, S. 38 ff.; ebenso Mansel auf der Sitzung des Deutschen Rats für IPR am 12. 4. 2002 in Würz-burg: Protokoll, S. 11.

500 Siehe etwa Mansel in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, S. 126 ff.; Hellwig, S. 34 ff.; Schwind, FS für Müller-Freienfels, S. 554; Sturm, FS für Schnyder, S. 761 ff.; Braga, Ra-belsZ 1953, S. 246; Neuhaus/Kropholler, FamRZ 1980, S. 753; Levante, S. 294; Basedow, Das Staatsange-hörigkeitsprinzip im Einwanderungsland – Zu den soziologischen und ausländerpolitischen Grundlangen der Nationalitätsanknüpfung im Internationalen Privatrecht, in: Jayme/Mansel, Nation und Staat, S. 13 ff.;

Rohe, FS für Roethoft, S. 19, 31; Basedow/Diehl-Leistner: Das Staatsangehörigkeitsprinzip im Einwande-rungsland, in: Jayme/Mansel, Nation und Staat, S. 42 f.; MPI, RabelsZ 1980, S. 344 f.; Neuhaus, Grundbeg-riffe des IPR, S. 219; Ficker, FS Nipperdey, S. 316 m. w. N.; Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 164; Kegel/Schurig, IPR, § 13 II 3.; Jayme, Pasquale Stanislao Mancini, S. 40; Lüderitz, FS für Kegel, S. 47; Mansel, Personalstatut, S. 75 ff., 466 ff.; Gollrad, S. 157.

onsrecht dem Wandel der Zeit unterliegt. Somit stellt sich in jeder Generation die Frage, ob sie heute beide jeweils der bekannten Kritik noch standhalten.

Trotz des fortschreitenden, die nationalen Grenzen überschreitenden Bewusstseins wurde das vorherrschende Staatsangehörigkeitsprinzip im Internationalen Privatrecht zahlreicher Mit-gliedstaaten bis heute beibehalten. Es scheint daher einem kontinentaleuropäischen Verständ-nis zu entsprechen, das seine Berechtigung scheinbar nach wie vor in der Zugehörigkeit zum Heimatstaat findet. Zugleich lässt sich eine Tendenz zu vermehrter Kritik am Staatsangehö-rigkeitsprinzip und ein Wandel hin zum Aufenthaltsprinzip feststellen. Fraglich ist, ob es sich dabei um einen langsamen Ablösungsprozess vom Staatsangehörigkeitsprinzip handelt, der im Ergebnis zu dessen vollständiger Aufgabe führen wird. Insbesondere im europäischen Kollisionsrecht könnte es gerechtfertigt sein, diesen Prozess zu beschleunigen, wenn die Gründe, die stets für das Staatsangehörigkeitsprinzip sprachen, heute nicht mehr haltbar sind.

Vor dieser Prüfung ist die historische Entwicklung darzustellen, die zeigen wird, welche Ver-änderungen sich vollzogen haben und ob und inwieweit daran zu erkennen ist, welcher Hauptanknüpfungspunkt in Zukunft im internationalen Scheidungsrecht herrschen wird.