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Aufenthaltszuständigkeit und Heimatzuständigkeit

Das Zuständigkeitssystem der EheVO II beruht auf objektiven Anknüpfungspunkten, und zwar auf dem gewöhnlichen Aufenthalt und der Staatsangehörigkeit bzw. für Großbritannien und Irland das domicile. Beides entspricht den nationalen Rechten, jedoch tritt im Vergleich – zumindest auf den ersten Blick − die Staatsangehörigkeit in den Hintergrund. Ebenso wie im deutschen Prozessrecht (§ 40 II ZPO) vermag eine Gerichtsstandsvereinbarung oder eine rü-gelose Einlassung auf das Verfahren in Ehesachen wegen der involvierten öffentlichen Inte-ressen nicht zuständigkeitsbegründend zu wirken200.

An der Spitze der Zuständigkeitsgründe des Art. 3 EheVO II steht der gemeinsame gewöhnli-che Aufenthalt201 der Ehegatten, gefolgt vom letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, solange durch die Anwesenheit eines Ehegatten noch ein Gegenwartsbezug besteht. Der Zu-rückgebliebene soll dem „Auswanderer“ das Scheidungsverfahren nicht hinterher tragen müs-sen.202 Dieser Fall wird insbesondere bei kürzerer Ehedauer relevant, weil ansonsten der Antragsteller auch die Mindestaufenthaltsdauer nach Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 oder 6 EheVO II abwarten kann. Der Grundsatz „actor sequitur forum rei“ wird in Art. 3 Abs. 1 a Str. 3 EheVO II verwirklicht: Es handelt sich um den bekannten Beklagtengerichtsstand, der hier im Vergleich zu anderen Zuständigkeiten kein allgemeiner Gerichtsstand ist. Geschützt wird der Beklagte, der nicht in für ihn beziehungslosen Ländern verklagt werden soll. Dem gleichge-stellt ist gemäß Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 und 6 EheVO II auch der gewöhnliche Aufenthalt nur

199 Ob diesem Schutz aber mit der ausschließlichen Regelung des Art. 3 EheVO II Genüge getan ist, ist ange-sichts der großen Freiheit, die dem Antragsteller bei der Zuständigkeitswahl eröffnet ist, fraglich: Siehe da-zu kritisch unten Zweiter Teil 2. Abschnitt § 3. II.

200 Vgl. Borrás Bericht, Nr. 28; zur Kritik vgl. Boele-Woelki, ZfRV 2001, S. 123.

201 Den „Wohnsitz“ definierte der EuGH als den Ort, den der Betroffene als ständigen oder gewöhnlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Absicht gewählt hat, ihm Dauerhaftigkeit zu verleihen, wobei für die Feststellung dieses Wohnsitzes alle hierfür wesentlichen tatsächlichen Gesichtspunkte zu berück-sichtigen sind, EuGH 15. 9. 1994 – Rs C-452/93 Pedro Magdalena Fernandez/Kommission, Rn. 22. Diese Definition kann auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ übertragen werden. Letzterer hat sich aus den unter-schiedlichen Wohnsitzbegriffen der Mitgliedstaaten entwickelt, um eine kollisionsrechtliche Anknüpfungs-vereinheitlichung zu schaffen: vgl. Keller/Siehr, S. 314 ff. Der Wohnsitzbegriff des EuGH enthält alle wesentlichen Merkmale, die die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten zum „Wohnsitz“ oder auch zum „ge-wöhnlichen Aufenthalt“ entwickelt hat. So bereits schon Schröder, Wohnsitz und Domizil im deutschen und ausländischen Privatrecht, S. 187; vgl. zu dieser Thematik ausführlich Gollrad, S. 167 ff., 177 ff.; s. a. die Feststellungen von Hausmann, EuLF 2000, S. 276.

202 Spellenberg, FS für Geimer, S. 1266; kritisch dazu Rauscher, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 2 Brüs-sel II-VO, RN 14.

Die Problematik des internationalen Scheidungsrechtsfalles in Europa 47 eines Ehegatten, an den im Wesentlichen nur dann zusätzliche Zeitanforderungen (Mindest-dauer von einem Jahr bzw. bei Staatsangehörigkeit des Scheidungsstaats sechs Monate vor Verfahrenseinleitung) gestellt werden, wenn es sich bei der betroffenen Person um den An-tragsteller handelt.

Bei einem Vergleich der Zuständigkeiten nach Art. 3 Abs. 1 a Str. 1-3 EheVO II und nach Art. 1 Abs. 1 a Str. 5 und 6 EheVO II fällt auf, dass entgegen dem bisherigen internationalen Eheverfahrensrecht den fora actoris erhebliche Bedeutung zukommt. Der Beklagtengerichts-stand kommt ausschließlich nur noch für den Fall in Betracht, wenn beide Partner das bishe-rige Aufenthaltsland verlassen haben, der Antragsteller sich im neuen Staat noch keine sechs bzw. zwölf Monate lang aufgehalten hat und der Antragsgegner bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat.203 Kann hier überhaupt noch vom Grundsatz des actor sequitur fo-rum rei gesprochen werden? Das ist sehr zweifelhaft, wenn eine Grundsatzanknüpfung genau-so häufig normiert ist, wie eine Ausnahmeanknüpfung.204 Die Zweifel werden auch nicht dadurch ausgeräumt, dass zu dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers die bereits er-wähnten Voraussetzungen hinzutreten müssen, um eine Zuständigkeit zu begründen. So ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Strich 5 EheVO II ein einjähriger Aufenthalt des Antragstellers an sei-nem gewöhnlichen Aufenthalt erforderlich, damit das Gericht an diesem Ort zuständig wird.

Es reicht auch ein sechsmonatiger Aufenthalt aus, wenn der Antragsteller Staatsangehöriger des betreffenden Mitgliedstaats ist, Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II. Die Einschränkungen ändern nichts daran, dass die Wahlfreiheit des Antragstellers gegenüber jener des Antrags-gegners kein geringes Gewicht mehr hat. Diese Nivellierung bedarf einer Begründung, denn sie öffnet dem forum shopping Tür und Tor. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Str. 5 EheVO II soll der Kläger bzw. Antragsteller dem Gegner die Klage nicht unbefristet lange hinterher tragen müs-sen, wenn auch er sich seinen neuen Lebensmittelpunkt in einem anderen Land gesucht hat und dort die Änderung seines Status wünscht. Auch im Vergleich zu Art. 3 Abs. 1 a Str. 2 EheVO II, der zugunsten des Zurückgebliebenen geschaffen wurde, ist es gerechtfertigt, dass auch der „Auswanderer“ irgendwann einen Gerichtsstand für sich in Anspruch nehmen kann.

Gegen dieses Motiv wird häufig eingewandt, die „Erleichterung der Flucht in die Heimat“

gemäß Art. 2 Abs. 1 a Str. 6 EheVO I, der Art. 3 Abs. 2 a Str. 6 EheVO II entspricht, sei

203 Wenn der Beklagte in dieser Fallkonstellation selbst noch keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hat, kann es an einem Gerichtsstand ganz fehlen. Es sind dann nicht etwa die nationalen Restzuständigkeiten er-öffnet. So zu Recht Schack, RabelsZ 2001, S. 632; abl. Hau, FamRZ 2000, S. 1341.

204 Wie hier auch Rauscher, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. Brüssel II-VO, RN 1; Pirrung, ZEuP 1999, S. 844; Jayme, IPRax 2000, S. 167 f.; Kohler in: Mansel, Vergemeinschaftung, S. 51; Wagner, IPRax 2000, S. 519. Aufgeschlossener Boele-Woelki, ZfRV 2001, S. 123; Hausmann, EuLF 2000/01, S. 276 FN 54;

Hau, FamRZ 2000, S. 1334; Spellenberg, FS für Geimer, S. 1268.

temwidrig, weil sie in ihren Heimatstaat zurückkehrende scheidungswillige Ehefrauen be-günstige, während an den Erwerbstätigen, der ohne Kündigung seiner Stelle diese Flucht nicht antreten könne, nicht gedacht worden sei.205 Diese Ansicht ist sehr einseitig und nicht mehr zeitgemäß. Zum einen gab es 2002 in den Mitgliedstaaten zwischen mindestens 37, 7 % (Ita-lien) und höchstens 48, 3 % (Finnland) erwerbstätige Frauen.206 Auch in den Jahren vorher waren die Zahlen nicht wesentlich geringer.207 Zum zweiten wird hier ein Argument auf ein selektives, willkürliches Beispiel gestützt. Selbst wenn tatsächlich verhältnismäßig mehr Männer als Frauen in Europa erwerbstätig wären, fehlten Nachweise, dass sehr häufig schei-dungswillige Ehefrauen in ihrem Heimatland den Scheidungsantrag stellen, während die Ehemänner an ihre Arbeitsstelle gebunden sind. In Ermangelung solcher Nachweise stehen andere Gründe für ein Auswandern und eine Bindung an den gewöhnlichen Aufenthalt dem vorherigen gleich. So ist es genauso denkbar, dass der Ehemann ohne berufliche Einbuße in-nerhalb derselben Firma in eine Filiale in seinem Heimatstaat wechselt, während die Ehefrau bei ihren pflegebedürftigen Eltern bleiben muss.

Die Frage, ob die Einjahresfrist die Lebenswirklichkeit widerspiegelt bzw. wann in der Regel ein neuer Lebensmittelpunkt entstanden ist, wird nicht zu beantworten sein. Mit anderen Wor-ten lässt sich nicht genau feststellen, wo die Grenze liegt zwischen „manipuliertem“ Umzug um des Gerichtsstandes willen und wirklich gewollter geographischer Aufenthalts- und Le-bensveränderung. Ein Jahr ist vertretbar208, ohne dass ausgeschlossen werden kann, dass manch ein Antragsteller auch diese lange Wartezeit nicht scheut, um geschieden zu werden.

Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 EheVO II ist daher eine Regelung, deren Motiv das forum actoris recht-fertigt. Letzteres ist bei Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II fragwürdiger. Mit dieser Regelung sollte dem Interesse des in seinen Heimatstaat zurückgekehrten Ehegatten entgegengekom-men werden.209 Gegen das vordergründige Motiv selbst, das Interesse des Klägers nicht völlig außer Acht zu lassen, ist nichts einzuwenden. Vielmehr wird der Klägergerichtsstand ohnehin strenger als in anderen Mitgliedstaaten gehandhabt, weil der sechsmonatige Lebensmittel-punkt als weiteres Anknüpfungsmoment noch hinzukommt. Dem behaupteten Interesse wird allerdings bereits Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 EheVO II gerecht; diesbezüglich ist Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II überflüssig. Vielmehr sind dort die Anforderungen an den

205 Rauscher, FS für Geimer, S. 885, Pirrung, ZEuP 1999, S. 844; Hau, FamRZ 2000, S. 1334.

206 Statistisches Jahrbuch für das Ausland 2003, S. 49, Tabelle 3.2.

207 Vgl. die Zahlen ab 1999: Statistisches Jahrbuch für das Ausland 2003, S. 49, Tabelle 3.2.

208 Vgl. Levante zur Mindestdauer des gewöhnlichen Aufenthalts, um eine Integration zu indizieren: Levante, S. 84. Kritisch hierzu Jayme, IPRax 2000, S. 167. Die soziologische Frage, ob und warum aus Sicht des eu-ropäischen Gesetzgebers ein Jahr eine angemessene Wartefrist darstellt, kann hier im Übrigen nicht näher behandelt werden.

209 Borrás Bericht, Nr. 32; Rauscher, Europäisches Zivilprozeßrecht, Art. 2 Brüssel II-VO, RN 28.

Die Problematik des internationalen Scheidungsrechtsfalles in Europa 49 stand sogar noch geringer. Daran ändert auch die Ansicht von Hau210 nichts, wonach Art. 2 Abs. 1 a Str. 6 EheVO I (entsprechend Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II) eine vorzugswürdige Einschränkung der alleinigen Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit enthielte. In anderen Mitgliedstaaten reiche die bloße Staatsangehörigkeit eines Ehegatten aus. Letzteres stimmt zwar,211 sollte aber für eine europäische Regelung keinen Maßstab darstellen. Vielmehr muss für europaweit geltende Regelungen die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, insbesonde-re die nur einer Partei, gerade eingedämmt werden.212 Vorzuziehen ist es daher mit der herr-schenden Meinung213, Art. 3 Abs. 1 Str. 6 EheVO II von einem anderen Blickwinkel aus zu sehen. Ausgangspunkt ist nicht das Staatsangehörigkeitsprinzip, welches durch ein weiteres Tatbestandsmerkmal ergänzt wird, sondern der gewöhnliche Aufenthalt, der in der EheVO II gegenüber der Staatsangehörigkeit vorrangig ist214. Die sog. Heimatzuständigkeit steht zwar rechtssystematisch gleichberechtigt neben der Aufenthaltszuständigkeit. Neben den Gerichten am gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten oder – mit einigen Qualifikationen – eines Ehe-gatten sind auch die Gerichte des Staates zuständig, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegat-ten besitzen. Auch die Behauptung, der Aufenthaltsanknüpfung komme faktisch eine größere Bedeutung zu, scheint die EheVO II nicht zu unterstützen. Allerdings drängt die EheVO II die Zuständigkeit kraft Staatsangehörigkeit im Vergleich zu den Anknüpfungssystemen der auto-nomen Internationalen Privatrechte erheblich zurück, indem die Staatsangehörigkeit nur einer Partei nicht mehr ausreicht.215

Die schwerpunktmäßige Anbindung der Zuständigkeit an den gewöhnlichen Aufenthalt ist die logische Konsequenz der Freizügigkeit innerhalb der EU.216 Wird demnach die Dauer des Aufenthalts von einem Jahr auf sechs Monate gekürzt, muss hier vielmehr ein adäquates zu-sätzliches Merkmal hinzukommen, um die Bevorzugung des Antragstellers zu kompensieren.

Daran anschließend lässt sich fragen: Ist die Staatsangehörigkeit ein adäquates Mittel? Stellt

210 Hau, FamRZ 2000, S. 1340.

211 In Deutschland etwa wird die Flucht in die Heimat und somit der Zugang zum deutschen IPR durch § 606 a Abs. 1 Nr. 1 ZPO und Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB ermöglicht.

212 Siehe dazu ausführlich später das Ergebnis unten Dritter Teil 3. Abschnitt § 4. IV. 4. d).

213 Hau, FamRZ 2000, S. 1334; Hausmann, EuLF 2000/2001, S. 352; Schack, RabelsZ 2001, S. 623; Heß, JZ 2001, S. 575; Spellenberg, FS für Geimer, S. 1269; Helms, FamRZ 2002, S. 1596; Hohloch, S. 27;

Thomas/Putzo/Hüßtege, Art. 2 EheVO RN 3.

214 Siehe Borrás Bericht, wonach Art 2 Abs. a Str. 5 und 6 EheGVÜ (entsprechend Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 und 6 EheVO II) auf der „Grundlage“ des gewöhnlichen Aufenthalts geschaffen wurden: Borrás Bericht, Nr. 32;

ebenso Kropholler, Europäisches Zivilprozeßrecht, 7. Auflage, Einl. RN 97; Henrich, FS für Stoll, S. 441.

215 Dem Einwand Spellenbergs, in FS für Geimer, S. 1263, dass das vornehmlich deshalb geschehe, um die Klägergerichtsstände zurückzudrängen und nicht um dem Aufenthalt eine vorrangige Position einzuräumen, ist zu widersprechen. Borrás Bericht (s. o. FN 214) besagt klar das Gegenteil von diesem Vorwurf.

216 Statt vieler Rauscher, FS für Geimer, S. 884, 885; Henrich, FS für Stoll, S. 437 ff.; Hohloch, FS für Stoll, S. 539. Zum Verhältnis Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt siehe ausführlich unten Dritter Teil 3. Abschnitt § 4. sowie zum Ergebnis der primären Anknüpfung an das Aufenthaltsprinzips Dritter Teil 3. Abschnitt § 4. IV. 4. c).

man richtigerweise den Beklagtenschutz in den Vordergrund und kann die einseitige Staats-angehörigkeit diesen nicht ausräumen, dann vermag sie auch einen verkürzten Aufenthalt nicht zu rechtfertigen.217

Zudem ist diese Regelung nicht in der Lage, eine Bevorzugung des in seinen Heimatstaat Zu-rückgekehrten zu garantieren. Die sechsmonatige Wartefrist ermöglicht dem am letzten ge-meinsamen gewöhnlichen Aufenthalt verbliebenen Ehegatten gegenüber dem „Auswanderer“

mit einem Antrag bei den dortigen Gerichten zuvorzukommen und damit grundsätzlich die Inanspruchnahme einer anderweitigen Zuständigkeit zu verhindern.218 Angesichts dieser zweifelhaften, wahrscheinlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigten, Auswirkungen wird zusätzlich das Motiv für diese Regelung in Frage gestellt. Die Bedenken liegen daher nun-mehr in der Häufigkeit des Klägergerichtsstandes gegenüber dem Beklagtengerichtsstand, welche eine Abkehr vom Grundsatz des actor sequitur forum mit sich gebracht hat und dem Kläger die Wahl des Gerichtsstandes ermöglicht.

Art. 3 Abs. 1 a Str. 4 EheVO II bestimmt, dass am gewöhnlichen Aufenthalt jeder Partei, also auch dem neuen des Antragstellers, sofort geklagt werden kann, wenn beide gemeinsam den Antrag stellen. Der Antragsgegner soll nicht gegen seinen Willen geschützt werden. Wie eine Zustimmung zum Scheidungsantrag erfolgt, bestimmt das Scheidungsstatut.219

Die zuständigen Gerichtsstände unterliegen der perpetuatio fori.220 Liegen die Voraussetzun-gen für die Zuständigkeit eines Gerichts bei Einleitung des Verfahrens vor, so kann bspw. ein Umzug der Ehegatten oder die Annahme einer anderen Staatsangehörigkeit daran nichts än-dern.

§ 4. Vor- und Nachteile des Art. 3 EheVO II

Seit Inkrafttreten der EheVO I treten in der Praxis selten Fälle auf, in denen die Zuständigkeit in Zweifel gezogen wird. Fraglich ist, ob dies auf den Wunsch der Parteien zurückzuführen ist, eine schnelle Gerichtsentscheidung zu erhalten, oder darauf, dass die Anwälte mit den nach Art. 2 EheVO I bzw. Art. 3 EheVO II zur Verfügung stehenden Möglichkeiten noch nicht hinreichend vertraut sind221. Nahe liegender ist vielmehr, dass meist dem vermuteten

217 In diesem Sinne auch Spellenberg, FS für Geimer, S. 1269.

218 So auch Kohler, NJW 2001, S. 11.

219 Spellenberg, FS für Geimer, S. 1267; zum Begriff und zu den Anforderungen an den gemeinsamen Antrag s. Hausmann, EuLF 2000, S. 276 f.

220 Kropholler, Internationales Zivilprozessrecht, RN 14 vor Art. 2 EuGVÜ. Kropholler bezieht sich zwar auf das EuGVÜ; es sind aber keine Gründe ersichtlich, warum der perpetuatio fori-Grundsatz nicht auf die EheVO II übertragen werden sollte.

221 So die Aussage vieler europäischer, insbesondere französischer Richter: Final Report, S. 10 und 12.

Die Problematik des internationalen Scheidungsrechtsfalles in Europa 51 Gerichtswunsch der Parteien aufgrund der Bandbreite von Gerichtsstandsmöglichkeiten nichts entgegensteht.

Das Nebeneinander von internationalen Zuständigkeiten ist an sich nicht zu verurteilen. Jeder Anknüpfungstatbestand für sich gesehen beruht auf einer gut durchdachten und um der Ge-rechtigkeit und dem vermuteten Parteiinteresse willen bemühten Begründung. Diese Begrün-dungen kompensieren auf den ersten Blick auch die zwangsläufig große Anzahl von Möglichkeiten der Parteien, die Voraussetzungen für den Anknüpfungstatbestand selbst zu schaffen. Dabei kann es sich entweder um eine tatsächliche Nähebeziehung zu dem Staat oder um eine Manipulation handeln. Durchaus kann es auch mehrere parallele Anknüpfungspunkte geben, zu denen die Parteien eine Nähebeziehung haben. Je mehr dieser Gerichtsstände, ins-besondere Klägergerichtsstände, wahlweise jedoch zur Verfügung stehen, desto größer ist die Auswahl für den Antragsteller, sich den am mühelosesten222 zu erfüllenden Tatbestand mit dem dazugehörigen Erfolg versprechenden materiellen Recht herauszusuchen. Die mit Art. 3 EheVO II bezweckte Nähebeziehung tritt plötzlich in den Hintergrund.

Spellenberg223 sieht es zu Recht als bedenklich an, dass der Kläger die erste Wahl hat und das ihm räumlich oder auch sprachlich nähere Gericht wählt (Hervorhebung hinzugefügt). Das sei jedoch dann kein Einwand, wenn der Gesetzgeber mit guten Gründen entschieden hat, dass auch ein Klägergerichtsstand berechtigt ist. Letzterem kann mit oben dargelegter Begründung entgegengetreten werden: Es ist gerade die Vielzahl von Gerichtsständen, die zur Manipulati-on geradezu ermutigt224 – den Anwalt sogar verpflichtet, dem Mandaten zu dem für ihn güns-tigsten Recht zu verhelfen. Unterstützt werden diese Möglichkeiten noch durch eigens für den Kläger geschaffene Gerichtsstände, deren Häufigkeit gegenüber dem Beklagtengerichtsstand zu kritisieren sind und deren Motive sogar im Falle des Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II frag-würdig sind. Diese Vielfalt an Gerichtsständen, die gleichwertig nebeneinander stehen, ver-drängt die vom Gesetzgeber „gut gemeinten“, um den Parteiwillen bemühten Gründe.

Die zahlreichen Klägergerichtsstände erscheinen einer Ansicht225 nach noch aus einem ande-ren Grund bedenklich: Der Wegfall der Exequaturkontrolle226 erhöhe angesichts der Unter-schiede im Bereich der Rechtsbehelfe in den Mitgliedstaaten die Einlassungslast des Beklagten im europäischen Rechtsraum erheblich. Man denke nur an die Notwendigkeit eine Vollstreckungsgegen- oder Abänderungsklage (z. B. §§ 767, 323 ZPO) im Erststaat

222 Diese Einfachheit betont Boele-Woelki, ZfRV 2001, S. 123.

223 Spellenberg, FS für Geimer, S. 1279.

224 Diese Manipulationsmöglichkeiten missbilligt auch wieder Spellenberg, FS für Geimer, S. 1279.

225 Heß, JZ 2001, S. 578. Heß bezieht seine Ausführungen zwar auf die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000, sie sind jedoch auf die neue Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 übertragbar.

226 Siehe dazu näher unten Zweiter Teil 2. Abschnitt § 6. III.

gen.227 Diese Ansicht ist für das deutsche Recht mit Inkrafttreten des AVAG vom 1. 3. 2001 hinfällig geworden, weil es auf die EheVO I, mithin auch auf die EheVO II, gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 AVAG anwendbar ist.

Wesentlich und sachgerecht ist, dass die bisher weithin gebräuchliche Zuständigkeitsanknüp-fung an die Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten (vgl. § 606 a I Nr. 1 ZPO in Deutschland, Art. 14 Code Civil in Frankreich, Art. 32 ital. IPRG in Italien) entfällt.228 Seit dem Inkrafttre-ten des Art. 65 EGV gilt mit dem Amsterdamer Vertrag das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV auch für das gesamte, also auch das autonome Internationale Privatrecht. Damit verstößt nun die gebräuchliche Zuständigkeitsanknüpfung an die Staatsangehörigkeit nur ei-nes Ehegatten gegen das Diskriminierungsverbot.229 Doch man kann daran zweifeln, ob Art. 3 EheVO II im Rahmen der Staatsangehörigkeit eine gerechtere Lösung gefunden hat. In der Literatur wurde schon mehrfach die Frage aufgeworfen, ob Art. 2 Abs. 1 a Str. 6 EheVO I (entsprechend Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II) und Art. 2 Abs. 2 EheVO I (entsprechend Art. 3 Abs. 2 EheVO II) gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 EGV verstoßen.

An Art.12 EGV konnte zwar das bisherige Scheidungskollisionsrecht, das in den Mitglied-staaten stark vom Staatsangehörigkeitsrecht geprägt ist, nicht gemessen werden, weil Art. 12 EGV nur im sachlichen Geltungsbereich des EGV Anwendung findet. Mit Art. 65 EGV fällt aber nun die EheVO II unter diesen Bereich und damit unter das Diskriminierungsverbot.230 Im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 a Str. 6 EheVO II wird derjenige Ehegatte begünstigt, der nach dem Scheitern der Ehe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in sein Heimatland (zurück-) verlegt, mit dem er – so auch das Motiv der Regelung – sozial und kulturell verbunden ist. Er muss sich dort nur sechs Monate wartend aufhalten, bis er dort seinen Scheidungs- oder Eheauflö-sungsantrag stellen kann. Wer dagegen aus meist beruflichen Gründen nicht dazu in der Lage ist und in einen anderen EU-Staat oder einen Drittstaat zieht, ist gehalten, gemäß Art. 3 Abs. 1 a Str. 5 EheVO II ein Jahr lang zu warten.231 Die Rechtsprechung hat trotz dieses Gemein-schaftsrechtsverstoßes durch Art. 2 Abs. 1 a Str. 5 EheVO I, der Art. 3 Abs. 1 a Str. 5

227 Heß, JZ 2001, S. 578.

228 Einhellige Meinung: Hau, FamRZ 2000, S. 1334; Boele-Woelki, ZfRV 2001, S. 123; Hohloch, FFE 2001, S. 49; ders. in FS für Stoll, S. 539; Hausmann, EuLF 2000/2001, S. 276 FN 54; kritisch dagegen Pirrung, ZEuP 1999, S. 844; Jayme, IPRax 2000, S. 167; Wagner, IPRax 2000, S. 519; Rauscher, FS für Geimer, S. 883 f.

229 Ein Verstoß liegt natürlich auch heute noch vor, wenn deutsches Internationales Privatrecht aufgrund der Verweisung in Art. 7 Abs. 1 EheVO II zur Anwendung kommt. Der Anwendungsbereich ist allerdings ge-ring, weil sich aus Art. 3-5 EheVO II in der Regel eine internationale Zuständigkeit ergibt.

230 Heß, NJW 2000, S. 26 FN 65.

231 Übereinstimmend Hausmann, EuLF 2000/01, S. 352; Spellenberg, FS für Geimer, S. 1270; Schack, Ra-belsZ 2001, S. 623.

Die Problematik des internationalen Scheidungsrechtsfalles in Europa 53

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