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Verfassungsrang des Staatsangehörigkeitsprinzips

III. Staatsangehörigkeits- und Aufenthaltsprinzip in den Mitgliedstaaten

2. Verfassungsrang des Staatsangehörigkeitsprinzips

Wenn das Staatsangehörigkeitsprinzip Verfassungsrang in den Mitgliedstaaten genießt, könn-te es nicht aus dem (europäischen) Inkönn-ternationalen Privatrecht verbannt werden. Des Weikönn-teren müsste dann an einer bloß subsidiären Anwendung gezweifelt werden. Diese Frage wird unter dem Blickwinkel deutscher Literatur und Rechtsprechung behandelt. Rauscher540 sieht das Staatsangehörigkeitsprinzip nicht im europäischen Kontext, sondern betont die verfassungs-rechtliche Komponente der Zuständigkeit der Heimatgerichte und der Anwendbarkeit des Heimatrechts541 sowie einer Regelung, wie der des Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Rauscher rügt sogar die Verfassungswidrigkeit der EheVO I542, weil deutsche Staatsangehörige nach der EheVO I nicht mehr in jedem Fall deutsche Gerichte für ihr Ehescheidungsverfahren in Anspruch nehmen könnten.543 Zwei Fragen gilt es demnach zu beantworten: zum einen, ob das Staatsangehörigkeitsprinzip aus verfassungsrechtlichen Gründen in „Rom III“ verankert werden muss. Zum zweiten, ob eine Schutzvorschrift nach Maßgabe des Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB in „Rom III“ Eingang finden sollte. Dementsprechend wäre das Heimatrecht des Antragstellers anwendbar, wenn die Ehe nach dem primär maßgebenden Scheidungsstatut nicht geschieden werden kann.

Das sensible Verhalten der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschränkungen des Staatsangehö-rigkeitsprinzips kann Indiz dafür sein, dass es auf den Grundwerten der Verfassung beruht. So wäre das Brüssel II-Übereinkommen, wie es der Borrás Bericht544 bezeugt, mangels fehlen-den Einverständnisses vieler Mitgliedstaaten nicht zustande gekommen. Ähnliches Verhalten gab es innerstaatlich bspw. in Deutschland schon 1980, als Wissenschaftler im Zuge der Re-form des EGBGB Vorschläge zur Ablösung des Staatsangehörigkeitsprinzips durch das Auf-enthaltsprinzip unterbreiteten.545 Der Gesetzgeber hingegen knüpfte in der Reform von 1986

539 Zutreffend Kropholler, Internationales Privatrecht, § 38 III 4; ebenso Fischer, a. a. O., in: V. Bar, Europäi-sches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, S. 163; in dieselbe Richtung weisend v.

Bar/Mankowski, IPR Bd. I, § 3 RN 41.

540 Rauscher, FS für Geimer, 885, S. 890 ff. Ebenso Pitschas, Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Staats-angehörigkeitsprinzip des Internationalen Privatrechts, in: Jayme/Mansel, Nation und Staat, S. 96 ff., der meint, dass bei der Auswahl der Anknüpfungspunkte nicht nur die dem Internationalen Privatrecht eigenen Zwecke ausschlaggebend seien, sondern auch die verfassungsrechtlichen Vorgaben.

541 Rauscher bezieht sich zwar auf Deutschland. Die Argumente und Gegenargumente sind aber auf die übri-gen Mitgliedstaaten übertragbar.

542 Dieselben Einwendungen wird Rauscher konsequenterweise auch gegen die EheVO II erheben.

543 Rauscher, Familienrecht, RN 548.

544 Borrás Bericht, Nr. 32.

545 Dazu näher Hohloch, FS für Stoll, S. 437.

im gesamten internationalen Personen-, Familien- und Erbrecht traditionell an die Staatsange-hörigkeit an. Das vehemente Festhalten an dieser Anknüpfung besagt allerdings nur, dass die Staaten sehr sensibel darauf reagieren, sie aufzugeben, nicht, warum sie sich so verhalten.

Vielmehr kann und soll das Staatsangehörigkeitsprinzip innerhalb der Gemeinschaft seine Rolle als Zuflucht und Ansatzpunkt von „Heimatfürsorge“ nicht mehr haben.546 Rauscher547 fragt weiter, warum die persönliche Freiheit (Wiedererlangung der Eheschließungsfreiheit gemäß Art. 6 GG) des Bürgers (hier des Antragstellers) eingeschränkt werden soll, obwohl Art. 65 EGV einen Raum der Freiheit verspricht. Dem Bürger gereiche es somit zum Nach-teil, dass er nicht bloß Deutscher sei, sondern auch Europäer. Der Antragsgegner sei nicht schutzwürdig, weil eine Manipulation durch Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit ausge-schlossen sei: Die Einbürgerungsverfahren seien zu langwierig.548 Richtig daran ist, dass Art. 6 GG die Eheschließungs- und Ehescheidungsfreiheit garantiert549 und sowohl Art. 17 Abs. 1 S. 2 n. F., bzw. Art. 17 Abs. 1 und 3 a. F. EGBGB wie auch § 606 a Nr. 1 ZPO davon motiviert wurden. Man will, wie Rauscher zu Recht feststellt550, nicht das fremde Schei-dungsrecht zensieren, sondern den Oktroi des fremden Rechts von dem deutschen Staatsange-hörigen abwehren. Dieses Argument erweckt den Anschein, als ob es eine zugunsten der Parteiinteressen getroffene Berechtigung für die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit sei;

schließlich wolle man nicht fremdes Recht korrigieren, sondern nur die eigenen Bürger schüt-zen. Gerade dieser Schutz der eigenen Staatsangehörigen schadet aber dem ausländischen Antragsgegner, der nach einem ihm fremden Recht geschieden wird, und geht so auf Kosten der Integration. In einem zusammenwachsenden europäischen Rechtssystem sind in den Grenzen des ordre public kleine Opfer seitens der eigenen Bürger zu erbringen.551 Schließlich gibt es eine nicht übersehbare Tendenz zum europäischen Einheitsrecht. Dieckmann552 sieht

546 Darauf verweist zu Recht Hohloch, FS für Stoll, S. 539; ders. in: Wege zum europäischen Recht, S. 27.

547 Rauscher, FS für Geimer, S. 890.

548 Rauscher, FS für Geimer, S. 890.

549 BVerfGE 31, 58: der „Spanierbeschluss“.

550 Rauscher, FS für Geimer, S. 893.

551 In diesem Sinne zu Recht ein Teil der Rechtsprechung, die Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB restriktiv auslegt:

AG Bergisch Gladbach, IPRax, 1989, S. 310; OLG Köln, IPRax 1989, S. 310; ebenso AG Hamburg, FamRZ 1998, S. 1590, 1591: „Die europäische Einigung, wie sie auch im EuGVÜ, das von der Gleichwer-tigkeit der Rechtsordnungen in den EU-Staaten ausgeht, auf der Rechtsebene zum Ausdruck kommt, gebie-tet eine stärkere Beachtung der Rechtsordnungen der anderen EU-Staaten, sodass für die regelwidrige Anwendung des deutschen Rechts kein Raum mehr sein kann, soweit die Scheidungsregelung eines EU-Staates in dem Bereich inländischer Rechtsauffassungen liegt.“. Zwar ist das EuGVÜ nicht auf Statussa-chen anwendbar, aber die Harmonisierungsbestrebungen in der EU betreffen das Scheidungskollisionsrecht.

In dieselbe Richtung gehend: Hau, Europäische und autonome Zuständigkeitsgründe in Ehesachen mit Aus-landsbezug, Text zum Vortrag im Dezember 2002 auf der Europäischen Rechtsakademie in Trier, S. 3. Sei-ner Ansicht nach muss ein überstaatlicher Ansatz eine angemessene Zuständigkeitsallokation zwischen allen beteiligten Staaten schaffen.

552 Dieckmann, a. a. O., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 69.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

125 dies mit einem lachenden und einem weinenden Auge und beschreibt beispielhaft sein Bedau-ern, wie man es verspüre, wenn man sein altes Auto gegen ein neues eintausche. Wer ein Mehr an Integration wolle, müsse auch ein Mehr an Rechtseinheit akzeptieren. Ein Mehr an Rechtseinheit impliziert zwangsläufig auch die teilweise Aufgabe von autonomem nationalem Recht. Dieser Verlust sollte aber keinen Anlass zur Resignation bedeuten, sondern vielmehr zur Suche nach europäischen, wie auch national interessengerechten Lösungen anregen. Meist sind es die vier Grundfreiheiten, die eine Rechtsvereinheitlichung fordern. Im Familienrecht hingegen ist es das Bedürfnis nach Förderung des freien Personenverkehrs, das nach einheitli-chen Regelungen ruft, sei es zunächst auch nur auf kollisionsrechtlichem Gebiet. Bleibt nur die Frage offen, wie groß das Opfer des deutschen Bürgers sein soll und darf, auf sein eige-nes, für richtig befundenes Recht zu verzichten, wenn er in seinem Heimatstaat den Schei-dungsantrag stellt. Kann er vor dem BVerfG den Vorwurf erheben, er sei in seinem Recht auf Wiedererlangung der Eheschließungsfreiheit gemäß Art. 6 GG eingeschränkt, wenn er etwa die spanische fünfjährige Trennungsfrist abwarten müsse? Ein Blick auf die Systematik der Grundrechtskontrolle nach der „Solange I und II“-Rechtsprechung553, und insbesondere der Bananenentscheidung554, schmälert diese Hoffnung. Der Grundrechtsschutz des Bürgers auf Ehescheidungsfreiheit ist aufgrund der Sonderregelung des Art. 68 EGV erheblich einge-schränkt. Ebenso wenig ist ein Anspruch auf vorzeitige Wiedererlangung der Eheschließungs-freiheit durch den EGMR gewährleistet.555

Das Staatsangehörigkeitsprinzip würde somit zwar im europäischen Scheidungskollisions-recht nicht gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 12 EGV verstoßen, sodass auch sein völliger Ausschluss nicht erforderlich ist. Es genießt im Gegenzug aber auch keinen Verfas-sungsrang, der seine Beibehaltung erzwingen würde. Eine europäische Schutzvorschrift zu-gunsten der eigenen Staatsangehörigen entsprechend Art. 17 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist sogar schon gänzlich abzulehnen, weil sie regelwidrig556 ist. In welchem Maße die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit heute noch den Interessen der Parteien gerecht wird und inwieweit sie durch das Aufenthaltsprinzip abgelöst werden kann, ist im Folgenden zu erörtern.

553 BVerfGE37, 271 und BVerfGE 73, 339.

554 BVerfG NJW 2000, S. 3124.

555 Zu diesem Themenkomplex „Grundrechtsschutz“ näher Rauscher, FS für Geimer, S. 896 ff.

556 H. M. Vgl. nur Andrae, S. 180; Wagner, IPRax 2000, S. 512; Palandt/Heldrich, Art. 14 RN 9. Da das italie-nische Recht in Art. 31 Abs. 1 legge 218/95 eine entsprechende Regelung enthält (s. dazu oben Erster Teil 1. Abschnitt § 3.) kann diese Vorschrift ebenso wenig als Vorbild dienen.