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Das letzte gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten, wenn ein Ehegatte

II. Anknüpfungspunkte außerhalb des Art. 3 EheVO II

6. Das letzte gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten, wenn ein Ehegatte

a) Regelungen in den Mitgliedstaaten

Für den Fall, dass nur noch ein Ehegatte dem letzten gemeinsamen Heimatstaat angehört, wollte man sich in einigen Mitgliedstaaten nicht vom Staatsangehörigkeitsprinzip trennen721. Außerdem entspricht es auch dem Interesse an der Kontinuität des Scheidungsstatuts, wenn das frühere gemeinsame Heimatrecht so lange weiter gilt, wie der andere Ehegatte diese

719 Vgl. oben Dritter Teil 3. Abschnitt § 3. Dort wurde die Anknüpfung an die lex fori bereits abgelehnt.

720 So auch Henrich, FS für Hausherr, S. 243.

721 V. Bar, IPR Bd. II, RN 195.

Staatsangehörigkeit beibehält.722 Dessen Heimatrecht kommt in Deutschland, Griechenland und Österreich hilfsweise zur Anwendung.723

Schon im nationalen staatsangehörigkeitsbezogenen Kollisionsrecht erfährt diese Regelung Kritik. Der Sinn und Zweck der Heimatrechtsanknüpfung würde verfehlt, wenn einer oder beide Ehegatten offensichtlich keine wirkliche tatsächliche Bindung jeglicher Art außer der Staatsangehörigkeit zu dem Staat haben.724 Dann muss nach einer anderen, engeren Bindung gesucht werden, wie es in Griechenland, den Niederlanden und Portugal geschehen ist.725 Versagt die Anknüpfung an die gemeinsame bzw. letzte gemeinsame Staatsangehörigkeit, gilt etwa in Griechenland das Recht, mit dem die Ehegatten sonst am engsten verbunden sind, vgl.

Art. 17 iVm Art. 14 Nr. 2 griech. ZGB. In Deutschland ist den Ehegatten dieser Weg ver-sperrt, weil das Statut entgegen der übrigen Regelung bei der Anknüpfung an die letzte ge-meinsame Staatsangehörigkeit nicht wandelbar ist. Ebenso ist eine Rechtswahl nicht möglich, weil sie nur unter der Voraussetzung erlaubt ist, dass die Ehegatten keine (letzte) gemeinsame Staatsangehörigkeit haben.

Doch selbst wenn „Rom III“ sowohl eine Korrektur über eine Ausweichklausel oder den Weg über die Rechtswahl freigeben würde, bliebe aus Gründen, die schon gegen die Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit sprachen, eine Anknüpfung an die letzte gemeinsame Staatsangehörigkeit in einer europäischen Norm fragwürdig.

b) Kompatibilität mit „Rom III“

Von griechischer Seite wurde der Vorschlag gemacht, zunächst das Recht des Staates der ge-meinsamen Staatsangehörigkeit anzuwenden, in zweiter Linie das Recht der letzten gemein-samen Staatsangehörigkeit, wenn einer der Ehegatten noch dieser Nationalität angehört.726 Wenn beides nicht möglich sei, soll das Recht des Staates gelten, mit dem die Ehegatten am engsten verbunden sind. Dieser Vorschlag erweckt den Anschein, als sei der Gesetzgeber grundsätzlich auf der Suche nach dem Recht der engsten Verbindung. Er hat diese aber nach dem Staatsangehörigkeitsprinzip abrupt beendet. Das Recht der engsten Verbindung greift immer erst dann ein, wenn die Regelanknüpfungen im Einzelfall den kollisionsrechtlichen Interessen der Ehegatten nicht gerecht werden bzw. dem Sachverhalt keine Rechtsordnung

722 BT-Drucks 10/504, S. 55. Hiergegen wendet sich kritisch Kropholler, § 38 III Nr. 1, der es zu Recht für unbillig hält, dass die frühere Staatsangehörigkeit für den einen Ehegatten an der Gegenwart bzw. Zukunft anknüpft, für den anderen aber an der Vergangenheit.

723 Siehe oben FN 51.

724 Staudinger/Mankowski, Art. 14, RN 47; Kropholler, Internationales Privatrecht, § 45 I 3 b.

725 Siehe im Hinblick auf Griechenland und Portugal FN 56. In den Niederlanden wird die Staatsangehörigkeit nicht berücksichtigt, wenn zu dem Heimatstaat keine enge Verbindung besteht, § 1 Abs. 1 lit. c Stb 166.

726 JUSTCIV 66, S. 24.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

171 zugewiesen werden kann. Es bildet den Abschluss der Suche nach der engsten Beziehung.

Wie bereits festgestellt727, indiziert jedoch der gewöhnliche Aufenthalt ein viel stärkeres Nä-heverhältnis als die Staatsangehörigkeit. Die Kette der Regelanknüpfungen kann daher nicht in Ermangelung einer (letzten) gemeinsamen Staatsangehörigkeit enden. Das Aufenthalts-prinzip gänzlich zu übergehen zeigt, dass nicht die Suche nach dem engsten Näheverhältnis entscheidend ist, sondern das Ziel, dem Heimatrecht möglichst zum Erfolg zu verhelfen. Die-ses Bestreben hat „Rom III“ gerade nicht; der Vorschlag von griechischer Seite ist abzuleh-nen.

Aber auch aus noch weitergehenden Bedenken als gegen die (gegenwärtige) gemeinsame Staatsangehörigkeit ist der Rückgriff auf die vergangene Staatsangehörigkeit zu beanstanden.

Die Anknüpfung an das letzte gemeinsame Heimatrecht wird damit gerechtfertigt, dass es Fälle gibt, in denen ein Ehegatte die Staatsangehörigkeit seines Aufenthaltsortes erwirbt, sich das Leben der Ehegatten aber noch nach den Geflogenheiten und Überzeugungen des Heimat-landes richtet728. Woran sich der Richter bei der Feststellung der Verbindungen der Ehegatten zu einem Mitgliedstaat zu orientieren hat, bestimmt Erwägungsgrund Nr. 12 der EheVO I.

Demnach muss eine tatsächliche Beziehung zwischen Ehegatten und Staat bestehen. Die EheVO II hat diesen Erwägungsgrund zwar nicht in ihren Text mit übernommen. Da aber Art. 3 EheVO II und Art. 2 EheVO I identisch sind und Anlässe dafür, den Grundsatz der Zuständigkeitskriterien in der EheVO II zu ändern, nicht ersichtlich sind, basiert die Anknüp-fungsleiter des Art. 3 EheVO II ebenfalls auf der Suche nach der tatsächlichen Beziehung zwischen den Eheleuten und einem Staat. An diesem Erwägungsgrund gemessen, ist es für den Richter schwer festzustellen, dass die Eheleute entgegen der tatsächlichen, aufenthaltsbe-dingten und bspw. beruflichen Verbundenheit zum Aufenthaltsstaat und der neu erworbenen Staatsangehörigkeit eines Ehegatten ihr Leben nach dem früheren Heimatrecht ausrichten.

Entscheidend sind zunächst einmal die Gründe, die den Wechsel der Staatsangehörigkeit be-dingen und noch zusätzlich neben jene treten, die eine Verbundenheit zum Aufenthaltsort indizieren. Dies können berufliche oder ehebedingte sein, in jedem Fall haben sie eine große Bedeutung für die betreffende Person; die Entscheidung zum Wechsel der Staatsangehörigkeit – insbesondere wenn die Verbundenheit zum Heimatstaat noch besteht – trifft man nicht leichtfertig.

727 S. o. Dritter Teil 3. Abschnitt § 4. IV. 4. c).

728 Staudinger/Mankowski, Art. 14 RN 48 wählen das Beispiel eines türkischen Ehepaares, wohnhaft in Ham-burg-Wilhelmsburg, bei welchem der Ehegatte aus beruflichen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, sich an der kulturellen Verankerung der Eheleute hingegen nichts ändert.

Siehr729 begründet die Anknüpfung an das letzte gemeinsame Heimatrecht damit, dass kein Ehegatte durch einseitigen Akt das gemeinsame Statut der allgemeinen Ehewirkungen ändern können soll. Die Konsequenz seiner Argumentation könnte auch bedeuten, dass die neue Staatsangehörigkeit gar nicht in den richterlichen Erwägungen Eingang finden sollte. Der Einwand von Siehr ist dann vertretbar, wenn man davon ausgeht, dass im Vergleich zum Auf-enthaltsrecht der Bezug zum Heimatrecht von stärkerer Gewichtung ist. Da „Rom III“ vom Gegenteil ausgeht, wird aber durch den Staatsangehörigkeitswechsel nicht primär der Staats-angehörigkeit ihre Gemeinsamkeit genommen, sondern vielmehr das gemeinsame Aufent-haltsrecht durch die einseitige Staatsangehörigkeit verstärkt. Bei einer solchen Verstärkung kommt es dann nicht mehr darauf an, dass der Anknüpfungspunkt den Eheleuten gemein sein sollte. Außerdem ist zu bedenken, dass die Entscheidung zum einseitigen Wechsel der Staats-angehörigkeit meist von beiden Eheleuten getragen wird. Wenn bspw. der Ehemann die Staatsangehörigkeit ändert, um den Beruf in diesem Staat (erfolgreicher) ausüben zu können, so wird dieser Beruf so wichtig sein, dass der Staatsangehörigkeitswechsel den Interessen beider Ehegatten entspricht. So kommt bspw. die Berufswahl des Ehemannes aus finanziellen Gründen in der Regel auch der Ehefrau zugute. Die fehlende Gemeinsamkeit der Staatsange-hörigkeit ist daher kein Grund, die StaatsangeStaatsange-hörigkeit nur eines Ehegatten, die mit dem Auf-enthaltsort beider Ehegatten übereinstimmt, nicht in die Abwägung miteinzustellen.

Zu Tage treten für den Richter somit einige Verbindungen zum Aufenthaltsstaat, die zugleich die Vermutung für eine tatsächliche Nähebeziehung nahe legen. Die Tatsache, dass ein Ehe-gatte noch die frühere Staatsangehörigkeit behalten hat, kann zwar ein Indiz für eine weiterhin bestehende Verbindung zum Heimatstaat sein. Um aber einen tatsächlichen Bezug beider Ehegatten nachzuweisen, müssen sowohl dieses letzte objektive Indiz als auch die nach wie vor bestehenden Lebensgewohnheiten gemäß dem früheren gemeinsamen Heimatland vom Willen der Ehegatten unterstützt werden. Dieser Wille muss in irgendeiner Form geäußert werden, vermuten lässt er sich nicht schon allein aufgrund objektiver Tatsachen. Eine Regelanknüpfung ist daher abzulehnen; im Gegenzug ist der Weg über die Parteiautonomie zu öffnen.

Auf diese Weise ließen sich auch jene streitigen Fälle lösen, in denen ein Bürger ausgebürgert und damit staatenlos geworden ist. Siehr730 meint, dass bei einer zwanghaften Ausbürgerung eine Anknüpfung an das gemeinsame Heimatrecht der Eheleute unbillig sei. Das ist insoweit richtig, als der ausgebürgerte und vom eigenen Staat denkbar enttäuschte Ehegatte sich mit

729 MüKo/Siehr, Art. 14, RN 17.

730 MüKo/Siehr, Art. 14, RN 17.

Die Vereinheitlichung des internationalen Scheidungsrechts –

„Rom III“

173 diesem Staat wahrscheinlich nicht mehr verbunden fühlt. Von anderer Seite wird dem entge-gengehalten, dass gerade aufgrund der Tatsache, dass die Ausbürgerung gegen seinen Willen erfolgte, die Verbundenheit nach wie vor besteht.731 Auch diese Schlussfolgerung ist insofern nachvollziehbar und vertretbar, wenn der zuvor sicher feststehende Bindungswille auch nach der Ausbürgerung ungebrochen ist. Beide Meinungen basieren zu Recht darauf, dass die sub-jektive Verbundenheit vor der Ausbürgerung tatsächlich bestanden haben muss, sonst hätte der Ehegatte die Staatsbürgerschaft freiwillig aufgegeben. Wie aber sein Verhältnis nach des-sen Verlust ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen; dort ist deshalb die Schnittstelle beider Meinungen. Auskunft kann nur der tatsächliche Wille des Ehegatten geben, der in Form einer Rechtswahl oder einer gemeinsamen Antragstellung zum Ausdruck kommen kann.