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Veränderungen am Skelett durch Pathologien und Fremdeinwirkung .1 Aktivitätsmuster / Muskelansatzstellen

3. Methoden

3.3 Veränderungen am Skelett durch Pathologien und Fremdeinwirkung .1 Aktivitätsmuster / Muskelansatzstellen

Der Korrekturfaktor k wird verwendet, um mögliche Fehler in der Bestimmung der Größe der Population auszugleichen. Dieser Wert von 10 % basiert auf historischen Daten. Zwei Eventualitäten sind hierbei die Abwanderung oder Bestattung von frühe-ren Angehörigen der Bevölkerung auf andefrühe-ren Gräberfeldern. Dies würde bei der Ver-wendung eines stationären Bevölkerungsmodells nicht berücksichtigt (Acsádi und Ne-meskéri 1970, Drenhaus 1988, Herrmann 1987, Herrmann et al. 1990).

3.2.9 Mortalitätsrate

Die Mortalitätsrate einer Population ist ein Indiz für deren Entwicklung. Bocquet-Appel und Masset (1977) haben eine Regressionsgleichung zur Berechnung der Mortalitäts-rate erstellt. Diese unterliegt der Prämisse, dass in einer stationären Bevölkerung die Mortalitätsrate m gleich der Natalitätsrate n ist. Herrmann (1987) führt aus, dass Lan-genscheidt (1985), auf Basis dieser Regressionsgerade, rechnerisch zahlreiche mittelal-terliche Populationen rekonstruieren konnte.

Formel 19: Berechnung der Mortalitätsrate nach Bocquet-Appel und Masset (1977).

3.2.10 Wachstumsrate

Auch die Kenntnis der Wachstumsrate einer vergangenen Population kann der Ein-schätzung dienlich sein. Dafür brachten Bocquet-Appel und Masset (1970) die nachfol-gende Formel zur Berechnung der Wachstumsrate t hervor. Hierbei wird der proporti-onale Anteil von Jugendlichen (5 – 14 Jahre) und der alten Menschen (60 - ) bezogen auf die Erwachsenen ab 20 Jahren. Dieser Bezug wurde empirisch ermittelt und be-rechnet die Wachstumsrate ohne auf die Variable Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt angewiesen zu sein.

Formel 20: Berechnung der Wachstumsrate einer Bevölkerung, nach Bocquet-Appel und Masset (1977).

3.3 Veränderungen am Skelett durch Pathologien und Fremdeinwirkung

Folgen von Erkrankungen oder Gewalteinwirkung; ebenso kann eine angeborene Fehl-bildung im weiteren Sinne Veränderungen am Skelett hervorrufen. Die meisten Um-formungen am Skelett werden jedoch anhand von degenerativen Prozessen ausgelöst (Grupe et al. 2015a).

Ein großer Zugewinn für die Interpretation liegt daher in der Betrachtung der Auswir-kung der jeweiligen skelettalen Veränderung auf die Bewegungsfähigkeit und möglich-erweise damit verbunden den Tagesablauf des Betroffenen. Während der Gelenksta-tus als ein wichtiges Merkmal zur Beurteilung dient, können Enthesiopathien und die Ausprägung der Muskelansatzstellen ebenso als Skelettmarker dienen, um die Folge mechanischen Stresses auf den Bewegungsapparat zu dienen (Grupe et al. 2015a). Die Beurteilung der Muskelansatzstellen wurde nach Methoden von Herrmann et al.

(1990) durchgeführt und floss in den anthropologischen Befund ein.

3.3.2 Wirbelsäulenstatus

Aufgrund hoher physischer Belastung kann insbesondere die Wirbelsäule stark in Mit-leidenschaft gezogen werden. Häufig tritt aufgrund einseitiger mechanischer Belastung eine Spondylosis deformans auf, welche grundsätzlich auch mit höherem Individualal-ter auftreten kann. Erkennbar ist sie anhand Randwulsten an Wirbelkörpern und knö-chernen Überbrückungen, im Endstadium auch als Blockwirbel bekannt (Stloukal et al.

1970). Um den Status der Wirbelsäule beurteilen zu können, wurden die Wirbelkörper und Wirbelbogengelenke (sofern überliefert) von erwachsenen Individuen untersucht.

Ebenso wurden nur solche Gelenke bewertet, welche mindestens zu 60 % beurteilt werden konnten. Nicht der Position zuordenbare Wirbel sind nicht in die Auswertung eingeflossen. Die Ausprägung einer degenerativen Veränderung wurde im Befund-bogen nebst Verortung derselben deskriptiv festgehalten.

Ergänzend wurden Schmorlsche Knorpelknötchen (SKK) und aufgetretene Osteophyten notiert. SKK sind muldenförmige Impressionen eines Wirbelkörpers (Schmorl und Junghanns 1957, Dihlmann 1987). Sie entstehen nach belastungsbedingter Verschie-bung des Nucleus pulposus der Bandscheibe. Dadurch entstehen osteolytische Kaver-nen, in welche der Knorpel eindringt und diese Kavernen auskleidet (Schultz 1988, Czarnetzki 1996). Osteophyten sind knöcherne Ausziehungen an den Rändern der Wir-belkörper mit einer Länge von bis zu 3 mm (Schultz 1988). Meist sind sie eine Folge einer fortschreitenden Bandscheibendegeneration (Czarnetzki 1996, Böcker et al.

2001). Sonstige aufgefallene pathologischen Defekte an der Wirbelsäule, wie Ankylo-sen oder inflammatorische Prozesse werden ebenfalls vermerkt34.

3.3.3 Zahnbefunde

Zur Erfassung des Befunds eines Gebisses wurden zahnärztliche Instrumente wie Zahn-sonde und Mundspiegel verwendet. Postmortal ausgefallene Zähne wurden an der

34Die pathologischen Veränderungen wurden alle in der Excel-Datei „Inventar“ (vgl. Kapitel 4.2) neben dem zuge-hörigen Skelettelement, an welchem der Defekt aufgefunden wurde, festgehalten.

korrekten Stelle wieder in den Zahnbogen eingesetzt (Timmermann 2009). Zur Notati-on wurde ein internatiNotati-onales Schema verwendet: I = Incisivus, C = Caninus, P = Prä-molar, M = Molar (FDI System 1971). Wie die Alveole beschaffen ist, also wie scharf-kantig die Ränder ausfallen und ob es eine Auffüllung mit neu gebildetem Knochenma-terial gab, erlaubten eine Unterscheidung zwischen intravitalen und postmortalen Zahnverlusten (Herrmann et al. 1990).

3.3.3.1 Zahnstatus

Der individuelle Zahnstatus wurde nach einem standardisierten Schema notiert (vgl.

Befundbogen im Anhang, S. 354 bzw. S. 355). Nach dem Global History of Health Stan-dard (Steckel et al. 2006) wurden folgende Daten festgehalten:

Zahl der beurteilbaren Zahnpositionen35

Zahl der vorhandenen, durchgebrochenen Zähne

Zahl von Zähnen mit Karies

Zahl intravital ausgefallener Zähne

Zahl von apikalen Zahnwurzelabszessen

Grundsätzlich wurden nur Zähne des bleibenden Gebisses ausgewertet und nach dem FDI-Schema erfasst. Genauer gesagt wurde jeder Zahn betrachtet, der durch den Kiefer brach und den dortigen chemisch-physikalischen Bedingungen der Mundhöhle ausge-setzt war (Timmermann 2009). Milchzähne flossen nicht in die Auswertung ein. Es wurde eine makroskopische Betrachtung von Kiefer und Zähnen vorgenommen. Dies ist besonders für die dritten Molaren zu beachten. Sie befinden sich für eine lange Zeit im Kieferknochen verborgen und können erst spät die finale Stellung im Gebiss errei-chen. Es ist daher möglich, dass vereinzelt dritte Molaren aus gerade genanntem Um-stand nicht in den Befundbogen aufgenommen wurden.

3.3.3.2 Zahnpathologien

Eine Karies wird anhand ihrer Lokalisation am betroffenen Zahn und anhand des Aus-prägungsgrades der Läsion beschrieben. Gibt es mehrere Läsionen an einem Zahn, so wird die stärkste Kavität bewertet. Mit der Karieslokation ist die Verortung an Zahn-krone oder Zahnhals gemeint.

Die Kariesfrequenz beschreibt den Anteil von an Karies erkrankten Individuen inner-halb eines Skelettkollektivs. Die Kariesintensität spiegelt die Anzahl erkrankter Zähne bezogen auf alle Zähne im Skelettkollektiv wider (Herrmann et al. 1990).

3.3.4 Traumata

Aufgabe der anthropologischen Untersuchung ist die Feststellung, ob aufgefundene Modifikationen am Knochen intravital, perimortal oder postmortal entstanden sind.

Die Morphologie (und Färbung) nahe den Bruch-/Schnitt-/etc.-Kanten, wie auch der Umriss des Defekts kann hierüber Aufschluss geben (Grupe et al. 2015a). Die häufigs-ten traumatischen Ereignisse sind Frakturen, stumpfe Gewalteinwirkung, scharfe

Ge-35Bei einem voll ausgebildeten Erwachsenengebiss: 32 Zähne.

walteinwirkung, halbscharfe Gewalteinwirkung, Schussverletzungen und chirurgische Eingriffe (Herrmann et al. 1990, Grupe et al. 2015a). Befindet sich ein Knochen im Pro-zess der Frakturheilung, so kann ermittelt werden, in welcher Verheilungsphase sich das Skelettelement befindet. Dies kann einen Hinweis darauf geben, ob ein traumati-sches Ereignis gut verheilt oder ggfs. perimortal einzuordnen ist. Wenn mehrere Kno-chen eines Individuums unverheilte Defekte oder Verletzungsspuren im gleiKno-chen Ver-heilungsschritt aufweisen, so charakterisiert dies ein Polytrauma (Grupe et al. 2015a).

Wenngleich Schussverletzungen für das Reihengräberfeld in Emmering aufgrund der Zeitstellung auszuschließen sind, können chirurgische Eingriffe im Bereich des Mögli-chen liegen. Zäuner (2016) beschrieb die älteste bekannte Handamputation, sie datiert auf etwa 4200 Jahre v.Chr.

Traumata wurden in der Excel-Datei „Inventar“ (vgl. Kapitel 4.2) neben dem zugehöri-gen Skelettelement, an welchem das Trauma aufgefunden wurde, notiert.

3.3.5 Weitere Pathologien und Discreta

Pathologische Befunde und Auffälligkeiten36 wie Cribra orbitalia, Cribra cranii oder Pacchionische Granulationen wurden makroskopisch gesichtet und beurteilt, sowie im Befundbogen erfasst. Besondere Fälle wurden fotografisch dokumentiert.

3.3.6 Anatomische Skelettvarianten

Anatomische Skelettvarianten sind eine Gruppe morphologisch erfassbarer Strukturen, welche einige Hundert kraniale (Berry und Berry 1967) sowie postkraniale Skelett-merkmale (Brothwell 1981) umfassen. Sie bilden Varianten der mehrheitlich anzutref-fenden anatomischen Merkmalsausprägung (Grupe et al. 2015a). Nach Saunders und Rainey (2008), mit Ergänzungen von Grupe et al. (2015a) haben folgende Kategorien, dargestellt in Tab. 105 im Anhang, praktische Bedeutung:

Aufgrund diverser Namensgebungen für diese Varianten37 wird in dieser Arbeit der Empfehlung nach Grupe et al. (2015a) gefolgt, den Terminus Anatomische Skelettvari-ante (ASV) zu verwenden. Allgemein gilt für ASV, dass sie anatomische Normabwei-chungen in Bau, Größe und Form darstellen können. Anders als Fehlbildungen und Anomalien sind ASV nicht mit funktionellen Einschränkungen oder medizinischen Er-scheinungen verbunden, schränken also üblicherweise den Alltag nicht ein oder sind unauffällig und werden manchmal vom Träger bis zu einem Zufallsbefund gar nicht

36Jede Pathologie wurde in der Excel-Datei „Inventar“ (vgl. Kapitel 4.2) neben dem zugehörigen Skelettelement, an welchem die Pathologie aufgefunden wurde, notiert. Bestand die Pathologie noch nicht, so wurde eine neue Spalte eingefügt. Bestand die Pathologie bereits, so wurde in der betreffenden Spalte und der zum Befund gehörigen Zeile die Anzahl der Häufigkeit des Auftretens festgehalten.

37Diverse Termini sind nach Rösing (1982), ergänzt durch neuere Nennungen aus Grupe et al. (2015a):

Skelett-„Anomalien“ (Anderson 1968), diskontinuierlich variierende (Ossenberg 1970), semi-kontinuierliche (Reich et al.

1972) oder quasi-kontinuierliche (Thoma 1981) Discreta (Rösing 1982), nicht-metrische (Saunders 1989), epigeneti-sche (Hauser und De Stefano 1989) oder anatomiepigeneti-sche Varianten (Herrmann et al. 1990).

bemerkt. Diese Abgrenzung ist nicht immer konsistent, da eine atavistische Halsrippe (ein Beispiel eines akzessorischen Knochens) zwar als ASV betrachtet wird, jedoch zu einem Skalenussyndrom (=Halsrippensyndrom) führen kann, welches medizinisch eine Beeinträchtigung der Nerven des Armgeflechts sowie der Blutzirkulation der Arteria subclavia oder Vena subclavia bedeuten kann (Urschel und Razzuk 1998).