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3. Methoden

3.2 Paläodemografie

Das Ziel sowie die Aufgabe der Paläodemografie ist es, vor- und frühgeschichtliche Po-pulationen zu untersuchen und deren Aufbau, Umfang und Entwicklung mit sozialen, kulturellen und ökonomischen Aspekten in Verbindung zu bringen (Acsádi und Ne-meskéri, 1957, 1970; Weiss 1976). Demografische Profile und definierte Kennwerte, also die Rekonstruktion der Lebendbevölkerung, kann aus dem Ensemble Verstorbener heraus geleistet werden (Hoppa 2002).

Zur Berechnung von Sterbetafeln werden mathematische Modelle verwendet, um Kenndaten wie die Lebenserwartung oder die Sterbewahrscheinlichkeit hervorzubrin-gen. In der Altersgruppe unter 20 Jahren wird eine Einteilung in Fünf-Jahres-Klassen gewählt. Adulte Individuen werden in 20-Jahres-Klassen eingeteilt. Folgend werden

mehrere paläodemografische Kenngrößen definiert und deren Werte anhand etablier-ter Formeln zur Berechnung ermittelt. Die dadurch erzielten Ergebnisse sollen zur Ein-wertung der ehemaligen Lebendbevölkerung dienen.

3.2.1 Variablendefinition

Um paläodemografische Kalkulationen durchführen zu können, müssen einige Variab-len definiert werden. Diese Kenngrößen sind definiert nach Acsádi und Nemeskéri (1970). Die folgenden Variablen können textlich beschrieben werden:

= Altersklasse

= Gesamtzahl der Skelette

= Anzahl der in x gestorbenen Individuen = Umfang der Altersklasse in Jahren

Es folgen die Berechnungsformeln von weiteren Variablen. Formel 2 bis Formel 9 ge-hen auf Acsádi und Nemeskéri (1970) zurück:

Formel 2: Relativer Anteil der Gestorbenen je Altersklasse dx.

Formel 3: Relativer Anteil der Überlebenden je Altersklasse lx.

Formel 4: Sterbewahrscheinlichkeit innerhalb der Altersklasse qx.

Formel 5: Überlebenswahrscheinlichkeit innerhalb der Altersklasse px.

Formel 6: Anzahl der durchlebten Jahre je Altersklasse Lx.

Formel 7: Gesamtzahl der noch zu durchlebenden Jahre Tx.

Formel 8: Durchschnittliche Lebenserwartung mit Eintritt in die Altersklasse ex.

Formel 9: Berechnung der MortalitätsrateQ.

x D Dx a

dx=Dx´1000 D

lx= di

i=x

å

j

qx=dx

lx ´1000

px=1000-qx

Lx=lx+lx+1 2 ´a

Tx= Li

i=x

å

j

ex=Tx lx

Q=1-lx+1 lx

3.2.2 Sterbetafel

Eine morphologische Bestimmung des Sterbealters ist niemals exakt genug. Die Ab-hängigkeit der morphologischen Alterskriterien von der entsprechenden Referenzserie führt zu Artefakten. So haben Bocquet und Masset (1982) eine kritische Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Sterbetafeln entfacht, welche bis heute nicht abgeschlossen ist (Grupe et al. 2015a).

Die Sterbetafel bildet eine Basis zur Rekonstruktion und Interpretation der Bevölke-rungsverhältnisse einer vergangenen Lebendpopulation. Eine Grundvoraussetzung zur demographischen Rekonstruktion ist eine solche valide berechnete Sterbetafel (Hoppa 2002). Eine kritische Größe innerhalb der Paläodemographie ist daher die Bestimmung des individuellen Sterbealters, da jedes Sterbealter, das in die Formel eingeht, relevant für das Ergebnis ist. Die Sterblichkeit, separiert nach Alter und Geschlecht der Indivi-duen, dient als Grundlage zur Rekonstruktion der Lebendbevölkerung.

Zur Berechnung einer Sterbetafel wird vereinfachend von einer stationären Bevölke-rung ausgegangen (Acsádi und Nemeskéri 1970), hier wird angenommen, dass die Ge-burtenrate der Sterberate gleichgesetzt werden kann. Weiters wird angenommen, dass die gefundenen Individuen zu einer Kohorte gehören. Das bedeutet im demogra-phischen Kontext, dass alle Individuen im selben Zeitraum (meist: ein Jahr, kann aber auch eine Dekade umfassen) geboren wurden. In der Paläodemographie ist der Bele-gungszeitraum (bzw. der BeleBele-gungszeitraum einzelner Bestattungsareale) gemeint. Die Skelette werden den bekannten Altersklassen zugeordnet. Im subadulten Bereich bis 20 Jahre wurden dazu Gruppen im 5-Jahres-Segment gebildet, darüber ab der Adultas bis zur Senilis 7-Jahres-Segmente. Die höchste Altersklasse der Senilis wurde mit einer 20-Jahres-Klasse gebildet. Nach den Formeln im folgenden Abschnitt wurden dann demographische Kenngrößen berechnet und für das Reihengräberfeld bei Emmering ermittelt (nach Acsádi und Nemeskéri 1970, Grupe et al. 2005, Grupe et al. 2015a, Strott 2006).

Zur Berechnung der Sterbetafel werden zunächst demographische Kennwerte erho-ben, wie beispielsweise die Sterblichkeitsverhältnisse der damaligen Bevölkerung oder die mittlere ferne Lebenserwartung. Wichtig ist, dass hierbei mehrere Modellannah-men getroffen werden, welche eine Berechnung überhaupt erst möglich machen. Für die Auswertung und Interpretation bedeutet dies damit zugleich, dass die ermittelten Ergebnisse das demographische Profil einer damaligen Lebendbevölkerung im besten Fall näherungsweise beschreiben können. Um die Daten mit einem gewissen Vertrau-enswert betrachten zu können, muss die Datenerhebung nach standardisierten Me-thoden erfolgen (z.B. standardisierte Methode zur Bestimmung von Geschlecht und Sterbealter) und statistisch nachgewiesen sein, dass es sich beim untersuchten Skelett-kollektiv um einen repräsentativen Ausschnitt der damaligen Lebendbevölkerung han-delt (Grupe et al. 2015a).

Da die Anzahl von Frauen im reproduktionsfähigen Alter der limitierende Faktor für ein Bevölkerungswachstum ist (Grupe 1990), ist es ratsam, je Geschlecht eine eigene Ster-betafel zu erstellen (Grupe et al. 2015a).

3.2.3 Sterbewahrscheinlichkeit

Aus der Sterbetafel nach Acsádi und Nemeskéri (1970) können zwar die Sterbewahr-scheinlichkeit im ersten Jahr (1q0), in den ersten fünf Jahren (5q0), sowie die Lebens-erwartung zum Zeitpunkt der Geburt (ex0) abgelesen werden, jedoch haben die Be-rechnungen von Bocquet und Masset (1977) den Vorteil, dass sie die Altersgruppe der 0- bis 4-Jährigen nicht mit einbeziehen (vgl. Formel 10 für 1q0, Formel 11 für 5q0 und Formel 12 für ex0). Bei diesen Formeln ist der kritische Anteil von Kleinkindern nicht enthalten. Außerdem differenzieren diese Formeln nicht zwischen adulten, maturen oder senilen Altersgruppen, weil diese Altersgruppen in einer Altersklasse vereint wer-den. Auf diese Weise werden die größten und wahrscheinlichsten Schätzfehler umgan-gen (Grupe et al. 2015a). Folglich lauten die Formeln für die Sterbewahrscheinlichkeit:

Formel 10: Sterbewahrscheinlichkeit im ersten Lebensjahr nach Bocquet und Masset (1977),  = maximal erreichbares Lebensalter.

Formel 11: Sterbewahrscheinlichkeit in den ersten fünf Lebensjahren nach Bocquet und Masset (1977) ,  = maximal erreichbares Lebensalter.

3.2.4 Lebenserwartung

Die Lebenserwartung innerhalb einer erreichten Altersklasse gibt Auskunft über die Vitalität einer Population. Die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt wird mit e00

beschrieben und kann direkt aus der Sterbetafel abgelesen werden. Bocquet-Appel und Masset (1977) haben eine Formel entwickelt, über welche die Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt geschätzt werden kann. Diese ist der wichtigste Kennwert, da er das Ausmaß an Neugeborenen-Sterblichkeit widerspiegelt. Sie ist somit eine gute Messgröße für den Gesundheitszustand der Bevölkerung (Grupe et al. 2015a).

Wie anhand der Variablen innerhalb der Formel abgelesen werden kann, wird zur Be-rechnung die Altersklasse der 5-14-Jährigen verwendet; Kleinkinder gehen im Umkehr-schluss also nicht in die Berechnung ein. Dies wiederum schließt eine Verfälschung des

1q0=0,568 log10(200´D5-14

D20-w )-0,438±0,016

5q0=1,154 log10(200´D5-14

D20-w )-1,014±0,041

Ergebnisses durch ein mögliches Kleinkinderdefizit33 großteils aus (Strott 2006). Die Berechnung erfolgt über die nachstehende Formel:

Formel 12: Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt nach Bocquet und Masset (1977),

 = maximal erreichbares Lebensalter.

3.2.5 Repräsentanz der Skelettserie

Bei der Analyse der Demographie einer vergangenen Bevölkerung ist die Frage nach der Repräsentanz ebenjener Auswertung wichtig (Weiss 1973). Nur wenn die Reprä-sentanz gegeben ist, sind Rückschlüsse auf Populationsebene, basierend auf den Tabel-len zur Paläodemographie, valide. Daher müssen gewisse Anforderungen an das Ar-beitsfeld der Archäologie gestellt werden. Langenscheidt (1985) statuiert, dass nur eine vollständige Bergung aller Skelettreste sowie die genaue Kenntnis des Belegungs-zeitraumes des Gräberfeldes eine aussagekräftige demographische Rekonstruktion der Bevölkerung erlaubt. Ein vollständig ergrabenes Gräberfeld ist in der Praxis jedoch un-wahrscheinlich, da es entweder historisch oder modern gestört sein kann. So trivial es klingen mag: Skelette können aufgrund von moderner Überbauung in einem Bereich liegen, der nicht Teil der Grabung ist, womit diese Skelette nicht erfasst werden kön-nen; selbst, wenn dann der fehlende Anteil des Bestattungsareals geschätzt werden kann, verbleibt noch immer die Frage offen, ob das vorliegende Material als repräsen-tativ für die damalige Lebendbevölkerung gelten kann (Grupe et al. 2015a). Auch ein komplett ausgegrabenes Bestattungsareal muss nicht zwingend repräsentativ sein, da z.B. ein Klosterfriedhof nur einen selektiven Ausschnitt der Bevölkerung abbildet.

Darüber hinaus kann die Berechnung der durchschnittlichen Lebenserwartung ver-fälscht werden, wenn Tote einer bestimmten Altersgruppe aus einer Bevölkerung auf-grund von Sonderbestattungen nicht im allgemeinen Bestattungsplatz aufgefunden werden (Schwidetzky 1967). Dies kann für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z.B.

den Klerus gelten oder aber durch ein Schlachtereignis verursacht worden sein (Wahl 1994, Ulrich-Bochsler 1997). Der Begriff paläodemografische Selektion bezeichnet sol-che Ereignisse, welsol-che zu Veränderungen zwissol-chen der demografissol-chen Population Verstorbener im Vergleich zu denen der ehemaligen Lebendbevölkerung führen und deren Einfluss nicht immer sicher rekonstruierbar ist (Grupe et al. 2012). Zu solchen Ereignissen zählt exemplarisch, dass sich unter den Bestatteten Individuen befinden, welche ursprünglich nicht Teil der ehemaligen Lebendbevölkerung waren. Außerdem können Individuen fehlen, welche einst Teil der Gesamtpopulation waren, dann jedoch abgewandert sind und andernorts bestattet wurden (Grupe et al. 2015a). Daher sind

33Als Kinderdefizit wird die Differenz von Kindersterblichkeitsrate und der tatsächlich beobachteten, bzw. archäo-logisch fassbaren Zahl von Kinderbestattungen in einer Epoche bezeichnet. Für frühmittelalterliche Gräberfelder wird angenommn, dass ein Kinderdefizit vorliegt (Kölbl 2004).

ex0=78,721´log10 1

D5-14 D20-w

-3,384±1,503

paläodemografische Analysen immer im Hinblick auf die erwartete Population in punc-to Plausibilität und Wahrscheinlichkeit zu prüfen, ob der ergrabene Anteil von Skelett-individuen einen repräsentativen Ausschnitt der ehemaligen Lebendbevölkerung dar-stellen kann (Grupe et al. 2015a).

Um die Repräsentanz einer Skelettserie zu überprüfen, muss zunächst eine Methode zur Prüfung von Repräsentanzkriterien festgelegt werden. Basierend auf mathemati-schen Modellen zur Berechnung der Sterbetafeln (Acsádi und Nemeskéri 1970) kann die Sterbewahrscheinlichkeit der betrachteten Skelettserie errechnet werden (S. 49).

Eine andere Möglichkeit ist der Vergleich mit den Modellsterbetafeln der Vereinten Nationen von 1955. Letzte Methode ist jedoch umstritten, da damit historische Bevöl-kerungen mit nahezu rezenter Bevölkerung verglichen würde (Herrmann et al. 1990).

Eine weitere Methode ist die Kalkulation nach Weiss (1973), deren Regel besagt, dass die 10 bis 14-jährigen einer Population die geringste Sterbewahrscheinlichkeit haben.

Zeitgleich sollten juvenile und frühadulte Individuen ein geringeres Sterberisiko auf-weisen als die Säuglinge. Es muss gelten: Q10 < Q15 und Q0 > Q15.

Die Zahl der 5- bis 9-Jährigen soll nach Bocquet und Masset (1977) immer mindestens doppelt so hoch sein wie die Zahl der 10- bis 14-Jährigen (vgl. Formel 13), da sich im weltweiten Vergleich gezeigt hat, dass dieses Verhältnis als valide Kenngröße verwen-det werden kann. Außerdem soll nach Bocquet und Masset (1977) gelten: das Verhält-nis der 5- bis 14-Jährigen zu den über 20-Jährigen ist ≥ 0,1 (vgl. Formel 14).

Formel 13: Verhältnis der verstorbenen 5- bis 9-Jährigen zu den verstorbenen 10- bis 14-Jährigen nach Bocquet und Masset (1977).

Formel 14: Verhältnis der verstorbenen 5- bis 14-Jährigen zu den verstorbenen Erwachse-nen, nach Bocquet und Masset (1977).

Sind beide Formeln erfüllt, so kann davon ausgegangen werden, dass die ergrabene Skelettserie als repräsentativ für die ehemalige Lebendbevölkerung stehen kann.

3.2.6 Maskulinitätsindex

Neben der Repräsentanz einer Skelettserie gibt es auch weitere Indizes, welche einen Hinweis auf die Zusammensetzung einer Bevölkerung geben können. Dazu gehört der Maskulinitätsindex, abgekürzt MI, der aus dem zahlenmäßigen Verhältnis von erwach-senen Frauen und Männern einer Population gebildet wird (Chamberlain 2006). Die Berechnung geschieht über folgende Formel:

D5-9 D10-14³2

D5-14 D20-w ³0,1

Formel 15: Berechnung des Maskulinitätsindex MI.

Liegt der MI um den Wert 100, so ist das Geschlechterverhältnis ausgeglichen. Ein MI < 100 bedeutet einen Frauenüberschuss, wohingegen ein MI > 100 einen Männer-überschuss darstellt. Anhand des MI können Aussagen über das Entwicklungspotential einer Bevölkerung gemacht werden (Grupe et al. 2015a). Ein deutlich von 100 abwei-chender MI (S. 50) kann das Resultat einer paläodemographischen Selektion sein (Gru-pe et. al. 2015a). Den limitierenden Faktor in Bezug auf das Bevölkerungswachstum stellen Frauen im reproduktionsfähigen Alter dar (Grupe 1990).

3.2.7 Abhängigenindex

Der Abhängigenindex AI bezeichnet das Verhältnis von wirtschaftlich abhängigen Mit-gliedern der Bevölkerung von den gesunden und arbeitsfähigen Altersgruppen (Grupe et. al. 2005). Es gibt wenige diachrone Vergleiche, welche deutliche Schwankungen des AI zwischen den Fundkomplexen aufzeigen (Acsádi und Nemeskéri 1970, Herrmann 1987, Strott 2006), jedoch keine plausible Interpretation erlauben.

Formel 16: Verhältnis der verstorbenen 0- bis 14-Jährigen zu den verstorbenen Erwachse-nen, nach Bocquet und Masset (1977).

Der AI ist somit eine mathematische Funktion des prozentualen Anteils von Individuen in den jeweiligen Altersklassen. Die anthropologische Untersuchung kann das Sterbeal-ter Erwachsener nicht jahresgenau liefern. Darum unSterbeal-terliegt der AI immer einer gewis-sen Unschärfe. Diese verzerrt die gegebenen Verhältnisse aber nicht ernsthaft, da Ske-lette der Altersgruppe Senilis in der Regel gut bestimmbar sind (Grupe et. al. 2015a).

Die Altersgruppen, welche von der Fürsorge anderer abhängig sind, sind in der Formel für moderne Demographie als Kinder und Heranwachsende bis zum 14. Lebensjahr, sowie Menschen ab dem 60. Lebensjahr definiert. Dafür ursächlich mag sein, dass der Index für rezente Populationen entwickelt, allerdings wenig kritisch auf historische Populationen übertragen wurde (Grupe et al. 2015a).

Die verwendeten Variablen scheinen unter Betrachtung der historischen Gegeben-heiten zu weit gefasst zu sein. Nach Grupe et al. (1991b) besteht eine Unschärfe darin, dass Kinder und Jugendliche selbstverständlich bei der Versorgung der eigenen Familie mit eingebunden wurden. Arnold (1980) berichtet, dass Kinder im Mittelalter ab ihrem siebten Lebensjahr als alt genug angesehen wurden, einem eigenen Broterwerb nach-zugehen oder zu dem der Familie beizutragen. Dass Jugendliche über 12 Jahren also

MaskulinitätsIndex(MI)=n(Männer)

n(Frauen) ´100=243´100

233 =104,29

Abhängigenindex(AI)=%D0-14+%D60-w

%D15-59

noch komplett versorgt worden sein sollen, ist daher kaum vorstellbar. Die Variable

%D0-14 ist daher aller Wahrscheinlichkeit nach für (prä-) historische Bevölkerungen zu weit gefasst. Dass in dieser Zeit ältere Menschen ab dem 60. Lebensjahr mehrheitlich die Unterstützung der jüngeren Bevölkerungsanteile in Anspruch nahmen, ist hingegen denkbar (Herrmann 1987, Grupe et al. 2015a).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände wurde für dieses Reihengräberfeld die For-mel von Bocquet und Masset (1977) adaptiert. Als abhängig werden Individuen von Geburt bis zehn Jahren betrachtet, als versorgend gelten Individuen zwischen elf und 59 Jahren. Wiederum abhängig werden Menschen ab dem 60. Lebensjahr betrachtet.

Somit ergibt sich folgende adaptierte Formel:

Formel 17: Verhältnis der verstorbenen 0- bis 10-Jährigen zu den verstorbenen 11 bis 59-Jährigen, adaptiert nach Bocquet und Masset (1977).

3.2.8 Schätzung der Populationsgröße

Die Schätzung der ehemaligen Lebendpopulationsgröße ist eine Aufgabe der (Paläo-) Demografie. Aus den Daten der Sterbetafel heraus kann die Größe der Le-bendpopulation geschätzt werden. Damit diese valide ermittelt werden kann, werden einige Variablen benötigt. Besonders wichtig ist die Belegdauer T des Bestattungsarea-les, diese ist in der Formel als Divisor enthalten und hat somit einen markanten Ein-fluss auf das Ergebnis. Eine nahe Eingrenzung der Belegdauer trägt somit zu einer adä-quateren Schätzung der gleichzeitig lebenden Personen der damaligen Population bei (Grupe et. al. 2015). Die Kenntnis der Belegdauer erlaubt neben der Schätzung der durchschnittlichen Populationsgröße auch die Anteile von Kindern und Alten pro Haushalt, die jeweilige Haushaltsgröße, sowie Geburts-, Sterbe- und Zuwachsraten (Acsádi und Nemeskéri 1957, Angel 1969).

Variablendefinition:

P = Größe der Lebendpopulation T = Belegdauer des Bestattungsareales k = Korrekturfaktor

Formel 18: Berechnung der Kopfzahl der zum Gräberfeld zugehörigen Siedlung nach Acsádi und Neméskeri (1987).

Abhängigenindex(AI)=%D0-10+%D60-w

%D11-59

Kopfzahl.der.zugehörigen.Siedlung- -P=

å

Dx-´-e0

T +k

Korrekturfaktor.k=10%

Der Korrekturfaktor k wird verwendet, um mögliche Fehler in der Bestimmung der Größe der Population auszugleichen. Dieser Wert von 10 % basiert auf historischen Daten. Zwei Eventualitäten sind hierbei die Abwanderung oder Bestattung von frühe-ren Angehörigen der Bevölkerung auf andefrühe-ren Gräberfeldern. Dies würde bei der Ver-wendung eines stationären Bevölkerungsmodells nicht berücksichtigt (Acsádi und Ne-meskéri 1970, Drenhaus 1988, Herrmann 1987, Herrmann et al. 1990).

3.2.9 Mortalitätsrate

Die Mortalitätsrate einer Population ist ein Indiz für deren Entwicklung. Bocquet-Appel und Masset (1977) haben eine Regressionsgleichung zur Berechnung der Mortalitäts-rate erstellt. Diese unterliegt der Prämisse, dass in einer stationären Bevölkerung die Mortalitätsrate m gleich der Natalitätsrate n ist. Herrmann (1987) führt aus, dass Lan-genscheidt (1985), auf Basis dieser Regressionsgerade, rechnerisch zahlreiche mittelal-terliche Populationen rekonstruieren konnte.

Formel 19: Berechnung der Mortalitätsrate nach Bocquet-Appel und Masset (1977).

3.2.10 Wachstumsrate

Auch die Kenntnis der Wachstumsrate einer vergangenen Population kann der Ein-schätzung dienlich sein. Dafür brachten Bocquet-Appel und Masset (1970) die nachfol-gende Formel zur Berechnung der Wachstumsrate t hervor. Hierbei wird der proporti-onale Anteil von Jugendlichen (5 – 14 Jahre) und der alten Menschen (60 - ) bezogen auf die Erwachsenen ab 20 Jahren. Dieser Bezug wurde empirisch ermittelt und be-rechnet die Wachstumsrate ohne auf die Variable Lebenserwartung zum Zeitpunkt der Geburt angewiesen zu sein.

Formel 20: Berechnung der Wachstumsrate einer Bevölkerung, nach Bocquet-Appel und Masset (1977).

3.3 Veränderungen am Skelett durch Pathologien und Fremdeinwirkung