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Untersuchung alternativer Untersuchungsmodelle für

Im Dokument Implementierung komplexer Systemgüter (Seite 159-198)

Aus der Kombination der im vorausgehenden Abschnitt 4.3 dargestellten Funktionen und technischen Elemente lässt sich im Hinblick auf das Sektormodell eine große Vielzahl unterschiedlicher Verkehrstelematiksysteme zusammensetzen. In dieser Arbeit wird nur eine Auswahl dieser möglichen Kombinationen betrachtet. Sie werden nach folgender Systematik untersucht: Zunächst werden die möglichen technischen Systeme nach der Art des Datentransports unterschieden: Abschnitt 4.4.1 beinhaltet nur Realisierungen basierend auf VTS-Funk und Abschnitt 4.4.2 nur solche, die auf öffentlichem Mobilfunk beruhen. In Abschnitt 4.4.3 wird ergänzend auf einen hybriden Datentransport eingegangen. Innerhalb dieser Abschnitte wird, unter Berücksichtigung der drei Funktionen, jeweils

431 Vgl. Verordnung Nr. 2015/758 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2015.

432 Die Längs- oder Querführung erfolgt weiter durch den Fahrzeugführer, also nicht automatisiert. Die dem Fahrzeugführer angezeigten Informationen werden aber über andere Wege erzeugt.

433 Vgl. z. B. SIM-TD (2013a, S. 158 ff.).

auf das Angebot der einzelnen interdependenten Komponenten eingegangen, wobei jeweils mehrere alternative Organisationsmodelle zugrunde gelegt werden.434

Es werden ausschließlich Organisationsmodelle betrachtet, bei denen die beiden komplexen Rollen

‚VTS-Teilnehmer„ und ‚Verkehrsteilnehmer„ integriert wahrgenommen werden (vgl. strich-punktierte Linie in Abbildung 27 auf Seite 144). Da die Rolle ‚Verkehrsteilnehmer„ im Straßenverkehr im Status quo durch eine große Anzahl einzelner Akteure wahrgenommen wird (vgl. Abschnitt 4.2.3), kann prinzipiell auch die Rolle ‚VTS-Teilnehmer„ durch diese vielen Akteure wahrgenommen werden. Je mehr Akteure neben der Rolle ‚Verkehrsteilnehmer„ auch die Rolle ‚VTS-Teilnehmer„ wahrnehmen, desto stärker sind fahrzeugseitige Systeme verbreitet, d. h. desto höher ist die sogenannte Ausstattungsquote.

Wie auch in Kapitel 3 wird in den nachfolgenden Darstellungen auf das in Abschnitt 2.3.2.4 dargestellte Analyseschema zurückgegriffen. Dabei werden Schwerpunkte gesetzt, d. h. es werden nicht für alle Teiluntersuchungen sämtliche in Betracht kommenden Arten von Analysen und Analyseparametern verwendet. Im Vergleich zu Kapitel 3 kommt der Analyse von Implementierungskosten sowie den Ex-ante-Entscheidungen über die Beteiligung am Angebot ein größerer Stellenwert zu, da in diesem Kapitel ein konkreter Sektor betrachtet wird, was die Berücksichtigung des konkreten Istzustandes (vgl. Abschnitt 4.3.4) ermöglicht.

Vielfach wird auch auf die Untersuchungsergebnisse zu den Grundkonstellationen aus Kapitel 3 zurückgegriffen. Um eine häufige Wiederholung der in Kapitel 3 genannten abstrakten Ergebnisse zu vermeiden, erfolgt im Rahmen der nachfolgenden konkreten Untersuchungen oftmals nur ein kurzes Anschneiden der übertragbaren Argumente in Verbindung mit einem Verweis auf die entsprechenden Ergebnisse in Kapitel 3.

4.4.1 Untersuchungsmodelle basierend auf einem Datentransport mit VTS-Funk

In diesem Abschnitt erfolgt eine Untersuchung von Untersuchungsmodellen, die eine Realisierung der Funktionen im Zielzustand durch VTS-Funk vorsehen. Dazu wird zunächst das Angebot des fahrzeugseitigen Systems betrachtet (Abschnitt 4.4.1.1), wobei auch auf die Wahrnehmung der komplexen Rolle ‚VTS-Teilnehmer„ eingegangen wird. Anschließend wird das Angebot des teilweise benötigten infrastrukturbasierten Datentransports (Abschnitt 4.4.1.2) und schließlich das Angebot von zentralen Datenkonsolidierungsprozessen (Abschnitt 4.4.1.3) betrachtet. In Tabelle 8 ist dargestellt, welche technischen Komponenten für die einzelnen VTS-Funktionen jeweils benötigt werden.

434 Vgl. Abschnitt 2.2.3 für das Auswahlbegründungsproblem für Untersuchungsmodelle im Allgemeinen und für Organisationsmodelle im Speziellen.

Fahrzeugseitiges

System Datentransportsystem (infrastrukturbasiert)

Zentrales Daten-verarbeitungssystem (Abschnitt 4.4.1.1) (Abschnitt 4.4.1.2) (Abschnitt 4.4.1.3)

Kollisionswarnung

(

)

(Optional) /

Dynamische Navigation

  

(Zur Konsolidierung)

LSA-Steuerung

(Zur Datenerfassung)

/435

Tabelle 8: Für VTS-Funktionen benötigte technische Elemente bei einem Datentransport mit VTS-Funk

4.4.1.1 Angebot des fahrzeugseitigen Systems

Nachfolgend werden alternative Organisationsmodelle für das Angebot des fahrzeugseitigen Systems im Zielzustand untersucht, die im Rahmen verschiedener technischer Varianten eine Realisierung von Funktionen durch VTS-Funk vorsehen. Ein fahrzeugseitiges System wird für alle drei in dieser Arbeit betrachteten Funktionen benötigt.

Es wird angenommen, dass VTS-Funk-Technologien spezifische Hochfrequenz-Antennen benötigen, die immer fest im Fahrzeug verbaut sein müssen, weswegen nachfolgend nur Festeinbausysteme betrachtet werden.436 Es wird zudem davon ausgegangen, dass im Istzustand noch keine auf VTS-Funk basierenden fahrzeugseitigen Systeme angeboten werden. Auf die in Abhängigkeit der VTS-Funktion existierenden Interdependenzen mit dem Angebot weiterer technischer Elemente (infrastrukturbasierter Datentransport und zentral erstellte Informationen) wird jeweils im Rahmen der anschließenden Abschnitte 4.4.1.2 und 4.4.1.3 eingegangen.

In Abschnitt 4.4.1.1.1 wird davon ausgegangen, dass lediglich Neufahrzeuge im Rahmen der Serienausstattung mit einem fahrzeugseitigen System ausgestattet werden. In Abschnitt 4.4.1.1.2 wird diese Annahme im Hinblick auf die Nachrüstung fahrzeugseitiger Systeme für Bestandsfahrzeuge erweitert. Abschnitt 4.4.1.1.3 beschäftigt sich mit Regeln der öffentlichen Hand über eine Serienausstattung bzw. über eine Nachrüstung.

4.4.1.1.1 Kooperative und nicht-kooperative Serienausstattung durch wettbewerbliche Fahrzeughersteller

In diesem Abschnitt wird angenommen, dass das fahrzeugseitige System als gebundenes fahrzeugseitiges System (Festeinbausystem) in Neufahrzeugen als Serienausstattung, also als Bündel mit dem Fahrzeug, angeboten wird. Die Rollen ‚Angebot fahrzeugseitiges System„ und ‚Angebot Straßenfahrzeug„ werden also integriert durch diejenigen Akteure wahrgenommen, die im Status quo Straßenfahrzeuge im Wettbewerb anbieten (Fahrzeughersteller).

Es werden zwei Varianten dieses Organisationsmodells betrachtet: Entweder agieren die im Wettbewerb stehenden Fahrzeughersteller ohne dass eine Koordination der Entscheidungen im

435 Die im Rahmen einer LSA-Steuerung notwendigen Konsolidierungsprozesse werden in dieser Arbeit als gegeben angenommen; vgl. Fußnote 413 auf Seite 141.

436 Vgl. z. B. SIM-TD (2013a, S. 30).

Hinblick auf das Datenformat der von ihnen angebotenen fahrzeugseitigen Systeme erfolgt („keine Kooperation“), sodass die fahrzeugseitigen Systeme verschiedener Fahrzeughersteller nicht kompatibel zueinander sind, oder sie stimmen die Entscheidungen explizit kooperativ untereinander ab („Kooperation“).

ALLGEMEINE EX-POST-WIRKUNGEN (UNABHÄNGIG VON KOOPERATION ODER NICHT-KOOPERATION)

Da die zeitliche Entscheidung jedes Nachfragers nach einem fahrzeugseitigen System in diesem Modell an den Kauf eines neuen Fahrzeugs gebunden ist, werden die Nachfrager aufgrund der hohen Anschaffungskosten für Fahrzeuge auch das fahrzeugseitige System erst nachfragen, wenn sie ohnehin ein neues Fahrzeug anschaffen. Wenn von einem im Status quo bereits bestehenden Fahrzeugbestand mit einer heterogenen Altersstruktur ausgegangen wird, ergibt sich bei einer Serienausstattung daher ein nur sehr langsam zunehmender Anteil an mit fahrzeugseitigen Systemen ausgestatteten Fahrzeugen an der Gesamtflotte.437 Solche langsam wachsenden Anteile sind dann problematisch, wenn eine Funktion – wie die Kollisionswarnung – aufgrund von Netzwerkeffekten auf einen großen Anteil ausgestatteter Fahrzeuge angewiesen ist. In Abbildung 29 sind vier verschiedene Szenarien grafisch dargestellt: die Entwicklung der Ausstattungsquote (1.) bei einer Ausstattung sämtlicher neu zugelassenen Fahrzeuge, (2.) bei einer Ausstattung derjenigen neu zugelassenen Fahrzeuge, bei denen es sich auch um neue Fahrzeugtypen handelt, (3.) bei einer Ausstattung derjenigen neu zugelassenen Fahrzeuge, bei denen es sich um neue Fahrzeugtypen handelt, wobei davon ausgegangen wird, dass eine Hochlaufzeit von 10 Jahre benötigt wird, bis alle neuen Fahrzeugtypen ausgestattet werden und (4.) bei einer Ausstattung aller neu zugelassenen Fahrzeuge der Oberklasse und oberen Mittelklasse, bei denen es sich um neue Fahrzeugtypen handelt. Die Abbildung verdeutlicht beispielsweise, dass selbst bei einer Ausstattung aller neu zugelassenen Fahrzeuge etwa 10 Jahre vergehen, bis der Anteil ausgestatteter Fahrzeuge an der Gesamtflotte 80%

beträgt.

437 Eine optionale Ausstattung (statt einer Serienausstattung) wird in dieser Arbeit nicht weiter betrachtet, da das Erreichen hoher Anteile an ausgestatteten Fahrzeugen hier noch mehr Zeit in Anspruch nähme.

Abbildung 29: Anteil ausgestatteter Fahrzeuge über die Zeit in vier Szenarien438

In diesem Modell fallen geringe dauerhafte Produktionskosten an, da der Einbau der Systeme im Werk mit einem geringeren Aufwand verbunden ist als eine Nachrüstung. Auch die dauerhaften Transaktionskosten in Form der bei den Nutzern anfallenden Kosten für den Vertrieb sind aufgrund der Bündelung mit dem Fahrzeug gering.

Da die beiden Rollen ‚Angebot fahrzeugseitiges System„ und ‚Angebot Straßenfahrzeug„ integriert wahrgenommen werden, gehen auch etwaige Abstimmungen im Hinblick auf die Schnittstelle zwischen fahrzeugseitigem System und Fahrzeug mit vergleichsweise geringen Transaktionskosten für die Entscheidungsfindung (v. a. Koordinationskosten) einher.

Der Wettbewerb bei der Rolle ‚Angebot Straßenfahrzeug„ führt dazu, dass keine deutlich überhöhten Preise für das Bündel (Fahrzeug und fahrzeugseitiges System) zu erwarten sind. Aufgrund der Bündelung von Fahrzeug und Komponenten der Serienausstattung können jedoch keine klaren Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Anteil einer einzelnen Komponenten – wie das fahrzeugseitige System – am Bündelpreis gezogen werden.

EX-POST-WIRKUNGEN BEI KOOPERATION UND NICHT-KOOPERATION DER FAHRZEUGHERSTELLER BZGL. DES DATENFORMATS

Im Falle einer Kooperation verfügen die Anbieter über eine gemeinsame installierte Basis, was beim Vorliegen von Netzwerkeffekten – also insbesondere bei der Funktion „Kollisionswarnung“ – von großer Bedeutung sein kann, da Netzwerkeffekte so in großem Ausmaße realisiert werden können (vgl. Abschnitt 3.3.2.2.1).

438 Eigene Darstellung in Anlehnung an SIM-TD (2013a, S. 83 ff.).

5 10 15

100%

20%

0%

80%

60%

40%

Anteil ausgestatteter Fahrzeuge an der Gesamtflotte

Jahre nach der Einführung

100% Ausstattung der Neuzulassungen (alle Fahrzeuge)

100% Ausstattung der Neuzulassungen (nur neu typgenehmigte Fahrzeuge)

Hochlaufzeit 10 Jahre bis 100% aller neu typgenehmigten Fahrzeuge ausgestattet werden Ausstattung aller neu typgenehmigten Fahrzeuge der Oberklasse und oberen Mittelklasse

Wie in Abschnitt 3.3.2.2.2 dargestellt, kann es beim Angebot von Systemen für durch Netzwerkeffekte charakterisierte Funktionen im Hinblick auf die zeitlichen Angebotsentscheidungen zu einem Trittbrettfahrerverhalten kommen, bei dem einige Anbieter abwarten, bis durch die Anstrengungen anderer Anbieter bestimmte Mengen oder kritische Massen erreicht wurden, um Aufbaukosten einzusparen bzw. die mit einer geringen Informationsqualität einhergehende Aufbauphase zu umgehen. Wenn alle Akteure dieses Trittbrettfahrerverhalten antizipieren, wird sich gar kein Akteur finden, der als erster investiert, und es kann kein Netzwerk aufgebaut werden. Aus diesem Grunde könnte eine Kooperation ergänzend bzgl. der zeitlichen Angebotsentscheidungen erfolgen, indem zwischen den Anbietern Kompensationsregeln inklusive Kompensationszahlungen für den Fall eines späteren Hinzukommens einzelner Anbieter vereinbart werden (vgl. ebenfalls Abschnitt 3.3.2.2.2).

Aufgrund prinzipiell ähnlicher Zielsysteme der Fahrzeughersteller dürften sich die Verhandlungsspielräume soweit überlappen, dass eine Kooperation prinzipiell möglich ist. Infolge der hohen Anzahl beteiligter Akteure geht die Abstimmung sachlicher und ggf. auch zeitlicher Angebotsentscheidungen jedoch mit hohen Transaktionskosten (u. a. Informations- und Koordinationskosten) einher. Auf der anderen Seite dürften die Fahrzeughersteller aufgrund von Abstimmungen in der Vergangenheit bereits über gewisse Routinen im Hinblick auf die Koordination verfügen, was prinzipiell mindernd auf die Transaktionskosten wirken dürfte.

Eine Kooperation bzgl. zentraler Eigenschaften des Angebotes geht zudem mit geringeren Möglichkeiten einer Differenzierung von anderen Anbietern einher. Z. B. muss die Funktion

„Kollisionswarnung“ im Hinblick auf ihre Kernfunktionalität bei allen Anbietern annähernd „gleich“ sein.

Allerdings könnte durch VTS-Funktionen die Attraktivität des Straßenverkehrs insgesamt gegenüber anderen Verkehrsträgern gesteigert werden, was mit höheren Zahlungsbereitschaften der Nutzer und somit auch mit höheren Kooperationsanreizen einherginge.

Für den Fall, dass keine Kooperation bzgl. sachlicher und zeitlicher Angebotsentscheidung zwischen den Anbietern erfolgt, gelten die genannten Argumente überwiegend in entgegengesetzter Weise:

V. a. könnten Netzwerkeffekte aufgrund der Inkompatibilität nur in einem viel geringeren Ausmaße realisiert werden. Andererseits wäre prinzipiell eine Differenzierung über die Größe der installierten Basis möglich. Da ohne eine Kooperation keine Abstimmung stattfinden muss, fallen hierfür auch keine Transaktionskosten an.

EX-ANTE-ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DIE BETEILIGUNG AM ANGEBOT:ANREIZE BEZÜGLICH KOOPERATION UND NICHTKOOPERATION IN ABHÄNGIGKEIT DER FUNKTION

Die Anreize der Akteure zu einer Kooperation bzw. Nicht-Kooperation im Hinblick auf das Datenformat des von ihnen angebotenen fahrzeugseitigen Systems sind maßgeblich davon abhängig, welche Anforderungen die mit dem System umzusetzende Funktion an das System stellt.

Die Funktion „Kollisionswarnung“ ist ohne eine Kooperation aufgrund der starken direkten Netzwerkeffekte nicht in einer hohen Qualität umsetzbar. Ohne ein starkes Commitment aller anderen Anbieter zu einer Kooperation würden sich die Anbieter daher voraussichtlich nicht zu einem Angebot fahrzeugseitiger Systeme für die Umsetzung dieser Funktion entscheiden.

Die Funktion „dynamische Navigation“ kann aufgrund der niedrigeren technischen kritischen Massen bereits bei geringen Ausstattungsquoten genutzt werden. Sofern ihr Marktanteil hoch genug ist,

könnte sie daher auch durch einzelne Wettbewerber ohne eine Kooperation mit anderen angeboten werden. Fahrzeughersteller mit einem kleinen Marktanteil wären hingegen eher auf eine Kooperation angewiesen. Neben dem fahrzeugseitigen System werden für die Funktion „dynamische Navigation“

auch ein infrastrukturbasierter Datentransport und eine zentral erstellte Informationen (inkl.

Konsolidierungsprozessen) benötigt. Auf das Angebot dieser Elemente und die dafür erforderliche Koordination wird in den späteren Abschnitten 4.4.1.2 und 4.4.1.3 eingegangen.

Die Funktion „Steuerung von Lichtsignalanlagen“ muss differenziert für die beiden Unterfälle betrachtet werden. Die LSA-Steuerung in Abhängigkeit sich annähernder ÖPNV- und Einsatzfahrzeuge (Priorisierung) betrifft nur sehr spezielle und daher vergleichsweise wenige Fahrzeuge (z. B. Busse und Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr). In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass es sich bei den Fahrzeugen um Sonderanfertigungen handelt, die gar nicht über eine Serienausstattung im Sinne dieses Abschnitts verfügen. Fahrzeugseitige Systeme werden demnach ausschließlich auf Kundenwunsch bzw. als Sonderausstattung verbaut. Die LSA-Steuerung in Abhängigkeit der Verkehrsstärke im Zulauf auf eine Lichtsignalanlage ist hingegen – ähnlich der Funktion „dynamische Navigation“ – auf gewisse technische Massen angewiesen, weswegen sie durch über große Marktanteile verfügende nicht-kooperierende Anbieter oder durch kooperierende Anbieter (mit kleinen oder großen Marktanteilen) umsetzbar wären. Neben dem fahrzeugseitigen System wird für die LSA-Steuerung auch Datentransportinfrastruktur an den Lichtsignalanlagen benötigt. Das Angebot des infrastrukturbasierten Datentransports und die erforderliche Koordination ist Gegenstand des noch folgenden Abschnitts 4.4.1.2.

Überdies werden Akteure im Rahmen ihrer Ex-ante-Entscheidungen auch einen Vergleich mit anderen technischen Umsetzungsoptionen für die Realisierung einer Funktion vornehmen. Solche anderen Realisierungen betreffen z. B. eine Umsetzung mittels Mobilfunk (vgl. Abschnitt 4.4.2) oder mittels autonomer Systeme (vgl. Abschnitt 4.3.4). Zudem besteht die Option, die Funktionen gar nicht zu realisieren bzw. gar keine entsprechenden Systeme anzubieten.

4.4.1.1.2 Erweiterung um wettbewerbliche Nachrüstung durch Fahrzeughersteller und Dritte In diesem Abschnitt wird – aufbauend auf dem im vorausgehenden Abschnitt dargestellten Untersuchungsmodell „kooperative und nicht-kooperative Serienausstattung durch wettbewerbliche Fahrzeughersteller“ – angenommen, dass neben den Fahrzeugherstellern noch weitere Akteure, die jedoch nicht integriert auch die Fahrzeuge anbieten, am Angebot von fahrzeugseitigen Systemen beteiligt sind. Außerdem wird angenommen, dass fahrzeugseitige Systeme, bei denen es sich weiter um Festeinbaugeräte handelt, nicht nur als Serienausstattung ab Werk verbaut werden, sondern auch als Nachrüstlösungen angeboten werden können.

Bei einem nachträglichen Einbau kommt – im Gegensatz zu einer Serienausstattung – den Entscheidungen der Verkehrsteilnehmer über die Wahrnehmung der Rolle ‚VTS-Teilnehmer„ bzw. den mit der enthaltenen Rolle ‚Zurverfügungstellung fahrzeugseitiges System„ einhergehenden Entscheidungen über den nachträglichen Einbau eines fahrzeugseitigen Systems, also über die Durchführung einer Nachrüstung, eine große Relevanz zu.

Auch in diesem Abschnitt werden die Alternativen betrachtet, dass die Anbieter im Hinblick auf das Datenformat kooperieren oder dass sie nicht kooperieren.

EX-POST-WIRKUNGEN

Da die Interdependenz mit der vergleichsweise seltenen Neuanschaffung eines Fahrzeugs bei einer Nachrüstung wegfällt, ermöglicht das Angebot von Nachrüstlösungen im Vergleich zu einer Serienausstattung – und in Abhängigkeit der Kaufentscheidungen der Nachfrager – im Prinzip eine wesentlich schnellere Steigerung des Anteils ausgestatteter Fahrzeuge, als es in Abbildung 29 dargestellt ist.

Ein nachträglicher Einbau geht jedoch potenziell mit höheren Produktionskosten als ein werksseitiger Einbau einher. Zudem müssen die Nutzer über die Möglichkeit einer Nachrüstung informiert werden und es muss ein Werkstatttermin vereinbart werden, was aufgrund der großen Anzahl an Verkehrsteilnehmern hohe Transaktionskosten für den Vertrieb bedeutet.439

Ebenso wie bei einer Serienausstattung durch Fahrzeughersteller kann es bei durch relevante Netzwerkeffekte charakterisierte Funktionen im Hinblick auf die zeitlichen Angebotsentscheidungen bei den Anbietern zu einem Trittbrettfahrerverhalten kommen, denen mit einer Kooperation bzgl. der zeitlichen Angebotsentscheidungen in Verbindung mit Kompensationszahlungen durch später hinzukommende Anbieter begegnet werden könnte. Falls ein Angebot neben den Fahrzeugherstellern zusätzlich durch Dritte erfolgt, fallen für die Festlegung sowie für das Monitoring vertraglicher Regeln aufgrund der größeren Anzahl an Anbietern – sowie ggf. aufgrund der größeren Heterogenität ihrer Zielsysteme – höhere Transaktionskosten an als bei einer ausschließlich durch die Fahrzeughersteller vorgenommenen Serienausstattung.

Die Möglichkeiten zur einer Differenzierung von anderen Anbietern sind bei durch starke Netzwerkeffekte gekennzeichnete Funktionen weiter eingeschränkt. Im Gegensatz zu Abschnitt 4.4.1.1.1 besteht bei Akteuren, die nicht integriert auch die Fahrzeuge anbieten, allerdings außerdem kein Interesse an einer Differenzierung des Straßenverkehrs insgesamt gegenüber anderen Verkehrsträgern. Die sich hieraus ergebenden Kooperationsanreize sind daher geringer.

Die Kaufentscheidungen der Nachfrager im Hinblick auf eine Nachrüstung spezifischer Systeme erfolgen für durch Netzwerkeffekte gekennzeichnete Funktionen – wie der Kollisionswarnung – aufgrund der langfristig unklaren Entwicklung der Netzwerkgröße im Kontext einer hohen Unsicherheit, was ebenfalls in einer Abwartehaltung resultieren kann.440 Bei den Nachfragern sind zudem die als Informationskosten anfallenden Ex-post-Transaktionskosten zu berücksichtigen, da sich die Nachfrager über die verschiedenen Angebote und über die voraussichtlichen Netzwerkgrößen informieren müssen, um eine Kaufentscheidung treffen zu können (vgl. Abschnitt 3.3.2.2.1). Die Unsicherheit seitens der Nachfrager spiegelt sich auch in einer Unsicherheit über die gesamte Nachfragemenge für die Anbieter wider. Diese kann mit nicht unerheblichen Risiko-Kompensationen für die Anbieter einhergehen, die als Kapitalkosten in den dauerhaften Produktionskosten des Organisationsmodells zu berücksichtigen sind.

439 Vgl. z. B. SIM-TD (2013a, S. 30).

440 Ein Beispiel für ein aufgrund einer zu geringen Nachfrage im Kontext von Netzwerkeffekten gescheitertes Angebot eines fahrzeugseitigen Systems ist der dynamische Navigationsdienst Dash Express; vgl. SIM-TD (2013a, S. 147 ff.).

EX-ANTE-ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DIE BETEILIGUNG AM ANGEBOT:ANREIZE BEZÜGLICH KOOPERATION UND NICHTKOOPERATION

Die Anreize der Akteure zu einer Kooperation bzw. Nicht-Kooperation im Hinblick auf das Datenformat des von ihnen angebotenen fahrzeugseitigen Systems ist weiter davon abhängig, in welchem Ausmaße die durch das System umzusetzende Funktion durch direkte Netzwerkeffekte gekennzeichnet ist (vgl. den vorausgehenden Abschnitt 4.4.1.1.1).

Zudem werden die Akteure die Transaktionskosten berücksichtigen, die bei einer Kooperation einmalig im Rahmen der notwendigen sachlichen und ggf. zeitlichen Abstimmungen in Form von Informations- und Koordinationskosten anfallen.

Der Anreiz zum Angebot von Nachrüstlösungen durch dritte Akteure, die keine Fahrzeughersteller sind, kann zudem dadurch eingeschränkt sein, dass die Nachfrage nach Nachrüstlösungen über die Jahre abnimmt, da die Anzahl der noch nicht ausgestatten Fahrzeuge aufgrund der serienmäßigen Ausstattung aller Neufahrzeuge über die Jahre zunehmend sinkt.

Zudem kann die Kooperationsbereitschaft zwischen Fahrzeugherstellern und Dritten eingeschränkt sein, wenn fahrzeugseitige Systeme aus technischen Gründen Daten benötigen, die durch Fahrzeugsensoren ermittelt und aus dem sogenannten CAN-Bus des Fahrzeugs ausgelesen werden müssen. In diesem Falle ginge eine Kooperation immer auch damit einher, dass die Fahrzeughersteller einen Zugang zu diesen Daten gewährleisten müssen. Die Bereitschaft zur Gewährung dieses Zugangs seitens der Fahrzeughersteller kann aufgrund von Sicherheitsbedenken, aufgrund von Qualitätsbedenken bezüglich der auf Basis der Daten durch Dritte erzeugten Informationen oder aufgrund befürchteter Nachteile bei der Differenzierung zu den Angeboten Dritter durch die Nutzung der CAN-Bus-Daten eingeschränkt sein.441

4.4.1.1.3 Regeln der öffentlichen Hand über Serienausstattung und Nachrüstung

In diesem Abschnitt werden Organisationsmodelle betrachtet, in denen das Angebot bzw. die Anschaffung fahrzeugseitiger Systeme durch die öffentliche Hand durch Regeln beeinflusst wird.

Solche Regeln können sich sowohl auf die Anbieter als auch auf die Nachfrager fahrzeugseitiger Systeme (die Verkehrsteilnehmer bzw. Fahrzeughalter) beziehen. Die Regeln können entweder eine Strafe oder eine Prämie vorsehen.442 Zudem kann die Folge einer Regeleinhaltung auch noch weitere Formen annehmen. Z. B. könnte die öffentlichkeitswirksame Beurteilung der Fahrzeugsicherheit von Neufahrzeugen durch die öffentliche Hand an das Vorhandensein bestimmter fahrzeugseitiger Systeme gekoppelt werden.443

441 Vgl. SIM-TD (2013a, S. 27 ff. und 170 ff.) und MCKINSEY (2014, S. 30 ff.). Bestimmte Fahrzeugdaten können allerdings bereits im Status quo über die für jeden Anbieter zugängliche Schnittstelle für die sogenannte On-Board-Diagnose (OBD) abgegriffen werden.

442 Vgl. z. B. CAROTTA (2006, S. 8 und S. 18) zu einer Prämie in Form von Steuererleichterungen für den Einbau eines Antiblockiersystems und eines elektronischen Stabilitätsprogramms in Dänemark.

443 Hierzu bietet sich bspw. das European New Car Assessment Programme (Euro NCAP) an. Die Beurteilung durch das Euro NCAP bewertet derzeit z. B. das Vorhandensein von Notbremsassistenzsystemen in PKW positiv;

vgl. EURO NCAP (2013, S. 19 ff.).

Beispiele für gesetzlichen Regeln in anderen funktionellen Bereichen der Verkehrs sind die Pflicht zum Einbau (Neufahrzeuge sowie Nachrüstung von Bestandfahrzeugen) und die Nutzung eines Sicherheitsgurtes, zum Einbau eines elektronischen Stabilitätsprogramms (ESP) sowie zum Einbau eines Spurhalteassistenten und eines Abstandsradars mit Notbremse in Lastkraftwagen.444 In den USA ist eine gesetzliche Einbaupflicht für kommunikationsbasierte fahrzeugseitige Systeme derzeit in Planung.445

EX-POST-WIRKUNGEN

Regeln, z. B. in Form eines Gesetzes über die Einbaupflicht eines fahrzeugseitigen Systems eines bestimmten Standards, führen sicher zu einer Implementierung dieser Systeme. Eine transaktionskosten-intensive Koordination zwischen den Anbietern muss in diesem Falle nicht mehr stattfinden.

Es ist zu berücksichtigen, dass über Vorgaben für die Ausrüstung von Neufahrzeugen maximal die in Abbildung 29 dargestellten Ausstattungsquoten erreicht werden können. Vorgaben für die Ausrüstung aller Fahrzeuge, die auch eine Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen beinhalten, adressieren hingegen eine wesentlich größere Anzahl Fahrzeugen und bewirken schneller wachsende Ausstattungsquoten.

Falls die für den Straßenverkehr bereits existierenden Kontrollmechanismen mitgenutzt werden können, sind die für das Monitoring und die Durchsetzung anfallenden Transaktionskosten vergleichsweise niedrig.

EX-ANTE-ENTSCHEIDUNGEN ÜBER DIE BETEILIGUNG AM ANGEBOT

Die Anreize der öffentlichen Hand zur Schaffung von Regeln über eine Serienausstattung und eine Nachrüstung sind von den erwarteten Wirkungen solcher Regeln, von den erwarteten Wirkungen alternativer Entwicklungen (die sich z. B. bei einer Nicht-Einmischung einstellen würden) sowie von den Zielen der öffentlichen Hand abhängig.

Die Ex-ante-Entscheidungssituation ist hier allerdings besonders schwer überschaubar, da zum einen eine Vielzahl an alternativen technischen Systemen und Funktionalitäten denkbar ist. Zum anderen unterliegt die Abschätzung der mit den verschiedenen Systemen einhergehenden Wirkungen aufgrund der Größenordnung der technischen Systeme sowie aufgrund der langen Zeiträume sehr großen Unsicherheiten. Bereits der Bereich der autonomen Systeme, welche als alternative bzw. teil-substitutive Entwicklung zu den in dieser Arbeit betrachteten kommunikationsbasierten Systemen betrachtet werden können, unterliegt einer großen Unsicherheit im Hinblick auf die künftige Entwicklung von Funktionalitäten und Kosten.

Auch die zu realisierende Funktion hat einen Einfluss auf die Ex-ante-Entscheidungen der öffentlichen Hand:

444 Vgl. z. B. Verordnung Nr. 661/2009 des europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009, welche diverse Anforderungen an die Ausstattung von Fahrzeugen mit sicherheitsrelevanten Bauteilen und Elementen formuliert.

445 Vgl. DOT (2014b, S. 49272).

 Die durch starke Netzwerkeffekte gekennzeichnete Funktion „Kollisionswarnung“ würde durch private Akteure voraussichtlich gar nicht über VTS-Funk-basierte fahrzeugseitige Systeme angeboten werden.446 Sofern die Realisierung der Funktion über VTS-Funk jedoch im Interesse der öffentlichen Hand liegt, dürfte sie sich aus diesem Grunde zu Vorgaben über eine Serienausstattung und eine Nachrüstung entschließen.

 Ähnliches gilt aufgrund der Netzwerkeffekte auch für die Funktion „LSA-Steuerung in Abhängigkeit der Gesamtverkehrsstärke“, wobei hier zusätzlich etwaige Vorgaben bzgl. der benötigten LSA-seitigen Datentransportinfrastrukturen zu berücksichtigen sind (vgl. den noch folgenden Abschnitt 4.4.1.2). Die Funktion „LSA-Priorisierung“ bedarf hingegen nur der Ausrüstung sehr spezifischer Fahrzeuge; diese würde im Rahmen der (Sonder-)Fahrzeugbestellung mitbeschafft. Übergeordnete Vorgaben können jedoch zweckmäßig sein um einen gleichen Standard in benachbarten Gebieten sicherzustellen (vgl.

den noch folgenden Abschnitt 4.4.1.2).

 Hinsichtlich der Funktion „dynamische Navigation“ dürfte sich die öffentliche Hand gegen Vorgaben entscheiden, da bereits im Status quo mobilfunkbasierte Systeme vorhanden sind (vgl. den noch folgenden Abschnitt 4.4.2), welche die Funktion in einer zufriedenstellenden Qualität realisieren. Vorgaben über eine auf VTS-Funk basierende Realisierung der Funktion könnten zu einem Zielzustand führen, der im Hinblick auf die Ziele der öffentlichen Hand schlechter abschneidet als dieser Status quo.

4.4.1.2 Angebot von infrastrukturbasiertem Datentransport und Koordination mit dem fahrzeugseitigen System

Aufbauend auf die Untersuchungen des vorausgehenden Abschnitts werden in diesem Abschnitt alternative Organisationsmodelle für das Angebot von infrastrukturbasiertem Datentransport durch VTS-Funk im Zielzustand untersucht. Ein infrastrukturbasierter Datentransport wird zwingend für die Funktion „dynamische Navigation“ und die Funktion „LSA-Steuerung“ benötigt, da bei diesen eine Kommunikation zu fahrzeug-externen Elementen (zentrale Datenverarbeitung bzw. LSA) erfolgen muss. Für die Funktion „Kollisionswarnung“ wird sie nur benötigt, um z. B. auch bei Abschattungen eine Kommunikation zwischen Fahrzeugen zu ermöglichen oder um die Reichweite von Meldungen zu erhöhen.447

Es wird davon ausgegangen, dass im Istzustand noch kein infrastrukturbasierter Datentransport mittels VTS-Funk erfolgt.

Da eine auf Datentransportinfrastruktur angewiesene VTS-Funktion auch bei Fahrten über verschiedene räumliche Grenzen hinweg funktionieren soll, werden auf benachbarten Gebieten sachlich identische Gebrauchsgüter (hier v. a. Roadside Units) benötigt. Daher handelt es sich beim infrastrukturbasierten Datentransport um ein räumlich-komplementäres Gut (Gebietsgut). Die Rolle

‚Angebot Datentransport„ wird daher nachfolgend auf verschiedene Teilgebiete bezogen: Zwischen

446 Vgl. die beiden vorausgehenden Abschnitte sowie z. B. die Einschätzung des DOT (2014b, S. 49270).

447 Vgl. z. B. SIM-TD (2013a, S. 12 f.).

Im Dokument Implementierung komplexer Systemgüter (Seite 159-198)