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Grundlagen zu Eigenschaften des Straßenverkehrssystems

Im Dokument Implementierung komplexer Systemgüter (Seite 139-145)

4.2.1 Charakteristische Eigenschaften des Sektormodells

RELEVANTE TECHNISCHE EIGENSCHAFTEN DES STRAßENVERKEHRSSYSTEMS

Die zentralen technischen Gebrauchsgüter im Straßenverkehrssystem sind die Streckeninfrastruktur (Straßen) sowie die Verkehrsmittel (Fahrzeuge) inkl. des Fahrzeugführers, der die Längsführung (Beschleunigen / Verzögern) und Querführung (Lenken) des Fahrzeugs vornimmt.375

375 Eine automatisierte Längs- oder Querführung wird in dieser Arbeit nicht betrachtet. Vgl. z. B. GASSER ET AL. (2012, S. 8 ff.) für verschiedene Stufen der Fahrzeugautomatisierung.

Bei den Verkehrsmitteln handelt es sich um Mobilien mit vergleichsweise langen Lebensdauern von durchschnittlich etwa 12 Jahren376, die durch vergleichsweise hohe Anschaffungskosten gekennzeichnet sind. Moderne Straßenfahrzeuge sind in zunehmendem Ausmaße mit verschiedenen Sensoren, die Daten über den Zustand des Fahrzeugs und über die Umgebung erfassen, sowie mit verschiedenen Schnittstellen (z. B. für die On-Board-Diagnose) ausgestattet.377

Die Verwendung der Streckeninfrastrukturen ist aufgrund ihrer kollektiven Nutzung potenziell durch Nutzungskonflikte gekennzeichnet, die sich in Staus und Unfällen niederschlagen können. Neben statischen Nutzungsregeln (wie z. B. Geschwindigkeitsbeschränkungen und Vorfahrtsregeln) dienen zusätzlich infrastrukturseitige Elemente (wie z. B. Lichtsignalanlagen (LSA)) der Steuerung der Nutzung.

Für die Abstimmung der interdependenten Entscheidungen der Nutzer mit dem Ziel einer besseren Nutzung des Straßenverkehrssystems werden Informationen benötigt, die sich auf die Sicherheit und auf die Effizienz des Verkehrs beziehen. Diese Informationen werden insbesondere durch den Fahrzeugführer benötigt, um eine effiziente und sichere Längs- und Querführung des Fahrzeugs vornehmen zu können. Im Blickfeld dieser Arbeit stehen Informationen über drohende Kollisionen mit einem anderen Verkehrsteilnehmer, Informationen über die aktuelle Auslastung von Strecken sowie Informationen über den Verkehr im unmittelbaren Umfeld von Lichtsignalanlagen, welche dann zur Steuerung der Lichtsignalanlage verwendet werden können. In Tabelle 2 sind zentrale technische Anforderungen dargestellt, die diese drei Arten von Informationen an ihre Erzeugung stellen.

Im Straßenverkehrssystem

benötigte Informationen … Anforderungen

an Latenzzeit378 Anforderungen an Daten

… über drohende Kollisionen mit anderen

Verkehrsteilnehmern < 1 Sekunde - (Möglichst) Daten aller Fahrzeuge im Umfeld

… über aktuelle Durchschnitts-geschwindigkeiten

> 1 Minute - Daten einiger Fahrzeuge (Abdeckung und Glaubwürdigkeit)

… über den Verkehr an Lichtsignalanlagen (zur Steuerung derselben)

Wenige Sekunden

- Bei verkehrsabhängiger LSA-Schaltung:

Daten einiger Fahrzeuge

- Bei Vorrangschaltung für einzelne Fahr-zeuge: Daten des anfordernden Fahrzeugs Tabelle 2: Anforderungen an ausgewählte,

im Straßenverkehrssystem benötigte Informationen379

376 Diese Angabe gilt für Personenkraftwagen; vgl. KRAFTFAHRT-BUNDESAMT (2011, S. 6).

377 Eine Darstellung zu den verschiedenen Arten an Sensoren findet sich z. B. in WINNER ET AL. (2015, Kap. IV).

378 Die Latenzzeit gibt an, wie viel Zeit maximal für den Datentransport vergehen darf, ohne dass die Qualität der Information unter eine kritische Grenze sinkt; vgl. SIM-TD (2013a, S. 5 ff.).

379 Auf die Anforderungen an die räumliche Genauigkeit der Daten wird in dieser Arbeit nicht eingegangen.

NACHFRAGE NACH STRAßENVERKEHR

Die Eigenschaften der Nachfrage nach Straßenverkehrsprozessen ergeben sich aus den Anforderungen, die durch die im Rahmen der Transportbedürfnisse einzelner Individuen bzw. der Produktion von Gütern erforderlichen Wegeketten bzw. Warenketten gestellt werden.380

Die Nachfrage weist vor diesem Hintergrund bestimmte Präferenzen im Hinblick auf die Effizienz und die Sicherheit der Transportprozesse sowie auf die externen Effekte in Form von Emissionen auf. Im Hinblick auf die Effizienz kommt sowohl der Dauer als auch der Varianz der für Transportprozesse benötigten Zeit eine große Bedeutung zu.

4.2.2 Relevante Angaben zum Entscheidungsmodell

Das Straßenverkehrssystem als Basissystem wird in dieser Arbeit über die drei Rollen

‚Verkehrsteilnehmer„, ‚Zurverfügungstellung Straße„ und ‚Angebot Straßenfahrzeug„ beschrieben (vgl.

Abbildung 21).

Abbildung 21: Rollenmodell für das Straßenverkehrssystem381

Aus forschungspragmatischen Gründen stellt die Rolle ‚Verkehrsteilnehmer„ eine komplexe Rolle dar, in der verschiedenartige Rollen gebündelt sind (‚Angebot Transportleistung„, ‚Angebot Transportprozess„ sowie ‚Zurverfügungstellung Straßenfahrzeug„); bzgl. dieser drei Rollen wird also von einer integrierten Wahrnehmung ausgegangen. Bzgl. des Verkehrsteilnehmers wird nur bei Bedarf nach individuellem Personenverkehr, Güterverkehr, Verkehr von Einsatzfahrzeugen und öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) unterschieden. Die Rolle ‚Zurverfügungstellung Straße„ ist annahmegemäß nicht nur für die Straßen, sondern auch für die Bereitstellung und den Betrieb der an diesen Straßen benötigten Lichtsignalanlagen zuständig.

In Übereinstimmung mit den in Abschnitt 2.3.2 dargestellten Analyseparametern sind in diesem Kapitel seitens der Rolle ‚Verkehrsteilnehmer„ die Entscheidungen über die Beschaffung von Informationen – welche die Nachfrage nach VTS determinieren – von zentraler Bedeutung. Diese Informationen werden dann als Input für Brems- oder Ausweichmanöver bzw. für die Routenwahl

380 Hinweise auf verschiedene Arten an Anforderungen liefern z. B. die im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung diskutierten Nutzenkomponenten, vgl. z. B. INTRAPLAN /PLANCO /TUBS (2014, S. 2).

381 Die Darstellung der Informationen soll nur der Verdeutlichung dienen. Sie sind nicht Teil des Rollenmodells.

Verkehrsteilnehmer Angebot Transportleistung

Angebot Transportprozess Zurverfügungstellung

Straße (inkl. LSA)

Zurverfügungstellung Straßenfahrzeug

Angebot Straßenfahrzeug Informationen

verwendet. Analog sind die Entscheidungen der Rolle ‚Zurverfügungstellung Straße„ über die Beschaffung von Informationen von zentraler Relevanz. Dort werden die Informationen für die Steuerung der Lichtsignalanlagen benötigt.

4.2.3 Eigenschaften von Organisationsmodellen im Straßenverkehr

Tabelle 3 beinhaltet Angaben über die Anzahl an Kraftfahrzeugen in verschiedenen Klassen. Diese Anzahl liefert einen Anhaltspunkt für die große Anzahl an einzelnen Akteuren, welche die Rolle

‚Verkehrsteilnehmer‘ in Deutschland im Status quo wahrnehmen.

Anzahl in 1.000

Personenkraftwagen 43.851

Motorräder 4.055

Lastkraftwagen 2.629

Sonstige 2.432

Summe 52.967

Tabelle 3: Anzahl an Kraftfahrzeugen in Deutschland im Jahr 2014382

Die Rolle ‚Zurverfügungstellung Straße‘ (welche annahmegemäß auch die Bereitstellung und den Betrieb der benötigten Lichtsignalanlagen umfasst) wird in Deutschland in Abhängigkeit der Straßennetzkategorie durch unterschiedliche öffentliche Gebietskörperschaften wahrgenommen.

Tabelle 4 beinhaltet diese Straßenkategorien inklusive der Netzlänge sowie die zuständigen Gebietskörperschaften.

382 Eigene Darstellung mit Daten aus DIW (2014, S. 133). Im Jahr 2008 waren 59,76 Millionen Menschen in Deutschland im Besitz einer Fahrerlaubnis für PKW; vgl. DIW (2014, S. 120).

Straßennetzkategorie Netzlänge383 zuständige Gebietskörperschaft384

absolut [km] relativ [%] Ebene Anzahl385

Bundesfernstraßen 52.317 7,7386

- Bund387

(Eigentum sowie Bereitstellungs- und Finanzierungsverantwortung) - Bundesländer

(Verantwortung für Bau, Erhaltung und Betrieb im Rahmen der

Bundesauftragsverwaltung)

./.

davon Bundesautobahnen 12.917 1,9

davon Bundesstraßen 39.400 5,8

Landesstraßen 86.200 12,7 (Bundes-)Länder 16

Kreisstraßen 91.900 13,5 Landkreise bzw. kreisfreie Städte 402 Gemeindestraßen 450.000 66,1 Gemeinden bzw. kreisfreie Städte 11.161

Summe 680.417 100

Tabelle 4: Netzlängen der öffentlichen Straßen in verschiedenen Kategorien in Deutschland und zuständige Akteure

Auf dem Straßennetz in Deutschland wird jährlich eine Gesamtfahrleistung von über 700 Milliarden Kilometern (vgl. Tabelle 5) erbracht. Als Größenordnung für staubedingte Wartezeiten pro Verkehrsteilnehmer in Deutschland werden durch das CEBR (2014) etwa 118 Stunden pro Jahr angegeben.388 Jährlich kommt es zu knapp 300.000 Unfällen mit Personenschäden und es kommen mehr als 3.000 Personen zu Tode (vgl. Tabelle 6).

2010 2011 2012 2013 Gesamtfahrleistung

[in Milliarden km] 704,8 717,6 719,3 725,7

davon Personenkraftwagen 599,0 608,8 610,1 615,1

davon Lastkraftwagen 60,7 62,5 63,2 64,3

Sonstige 45,1 46,3 46,0 46,3

Tabelle 5: Gesamtfahrleistung in Deutschland389

383 Vgl. DIW (2014, S. 101) und KOMMISSION VERKEHRSINFRASTRUKTURFINANZIERUNG (2012, S. 32 f.).

384 Vgl. z. B. WIESINGER /MARKUSKE (2003, S. 183 ff.) und SAUTHOFF (2010, S. 371 ff.). Es wird vereinfachend davon ausgegangen, dass Straßenbaulast, Verkehrsregelungs- sowie Verkehrssicherungspflicht bei einem Träger zusammenfallen.

385 Vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT (2014, S. 29).

386 Auf den Bundesfernstraßen wurden im Jahr 2013 mit 332,6 Milliarden Kilometern über 45 % der Gesamtfahrleistung in Deutschland erbracht; vgl. DIW (2014, S. 106 und S. 153), was auf die große verkehrliche Bedeutung dieser Straßennetzkategorie hinweist.

387 Ausnahmen existieren für Ortsdurchfahrten durch größere Gemeinden, bei denen die Straßenbaulast bei der jeweiligen Gemeinde liegen kann; vgl. z. B. SAUTHOFF (2010, S. 373 ff.).

388 Diese Angabe berücksichtigt auch Zeit, die durch den Verkehrsteilnehmer für den Ausgleich von zeitlicher Unzuverlässigkeit einzukalkulieren ist. Ohne Berücksichtigung dieser Unzuverlässigkeit liegen die durchschnittlichen Staustunden bei etwa 38 Stunden; vgl. CEBR (2014, S. 40 ff.). Für die staubedingten Kosten gibt das CEBR (2014, S. 45) für Deutschland für das Jahr 2013 etwa 33 Milliarden Euro an; CEDELFT /INFRAS / FRAUNHOFER ISI(2011, S. 91 ff.) geben für ganz Europa für das Jahr 2008 eine Größenordnung von 146 bis 243 Milliarden Euro an.

389 Eigene Darstellung mit Daten aus DIW (2014, S. 153).

2010 2011 2012 2013 Unfälle mit Personenschäden

[Anzahl in 1.000] 288,3 306,3 299,6 291,1

Unfälle mit schwerem Sachschaden

[Anzahl in 1.000] 108,1 97,7 98,3 96,4

Schwerverletzte Personen

[Anzahl in 1.000] 62,6 69,0 66,3 64,1

Getötete Personen

[Anzahl in 1.000] 3,6 4,0 3,6 3,3

davon Insassen von Personenkraftwagen 1,840 1,986 1,791 1,588

davon Radfahrer 0,381 0,399 0,406 0,354

davon Fußgänger 0,476 0,614 0,520 0,557

Tabelle 6: Unfälle mit Personen- und Sachschaden in Deutschland390

Die Rolle ‚Angebot Straßenfahrzeug‘ wird in Deutschland wettbewerblich durch verschiedene private Akteure wahrgenommen, welche in dieser Arbeit auch als Fahrzeughersteller bezeichnet werden.

Hinweise auf die Anbieterstruktur liefern die in Abbildung 22 dargestellten Anteile der größten Marken am Bestand an Personenkraftwagen in Deutschland.

Abbildung 22: Anteile der Marken am Bestand an Personenkraftwagen in Deutschland im Jahr 2013391

Für die Nutzung des Straßenverkehrssystems gelten in Deutschland zahlreiche Institutionen. Diese werden vor allem durch die öffentliche Hand für die Nutzung der von ihr zur Verfügung gestellten öffentlichen Straßen vorgegeben. Sie reichen von grundsätzlichen Nutzungsbedingungen (z. B.

Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrs-Ordnung) über technische Anforderungen an die Verkehrsmittel (z. B. Fahrzeug-Zulassungsverordnung) und Anforderungen an Kraftfahrzeugführer (z. B. Fahrerlaubnis-Verordnung) bis zu Regelungen über die Bepreisung (z. B.

390 Eigene Darstellung mit Daten aus DIW (2014, S. 156 ff.).

391 Eigene Darstellung mit Daten aus KRAFTFAHRT-BUNDESAMT (2013, S. 7). Ein Akteur kann auch mehrere Marken anbieten. Z. B. sind dem Akteur Volkswagen AG neben der Marke Volkswagen u. a. auch die Marken Audi, Škoda, Seat und Porsche zugeordnet; vgl. VOLKSWAGEN AG (2013).

VW 21%

Opel 12%

Mercedes 9%

Ford 8%

BMW, Mini

7%

Audi 7%

Renault, Dacia 5%

Škoda 3%

Toyota, Lexus 3%

Peugeot 3%

Sonstige 22%

Bundesfernstraßenmautgesetz). Spezifische Regeln im Hinblick auf die Zuweisung von Infrastrukturkapazitäten – wie z. B. bei der Bahn – existieren nicht: Es gilt das Windhundprinzip.392

Im Dokument Implementierung komplexer Systemgüter (Seite 139-145)