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Worin die wesentlichen Unterschiede zwischen Unternehmenswikis und der Wikipedia be-stehen, wurde in [252, S. 44ff.] herausgearbeitet. Im Folgenden sollen diese Ausführungen allgemein auf öffentliche Wikis hin angepasst werden. Eine Sonderform stellen öffentliche Wikis dar, die von Unternehmen – häufig aus der IT-Branche – der jeweiligen Community zur Verfügung gestellt werden. Beispiele gibt es von IBM1, SAP2, Sun Microsystems3 oder SonyEricsson4.

Den Einsatz von Wiki-Systemen in Unternehmen haben Bo Leuf und Ward Cunningham bereits im Jahr 2001 als eines von mehreren Anwendungsfeldern angesehen:

1http://www.ibm.com/developerworks/wikis/dashboard.action, letzter Abruf: 15. November 2010.

2https://www.sdn.sap.com/irj/sdn/wiki, letzter Abruf: 15. November 2010.

3http://wikis.sun.com/dashboard.action, letzter Abruf: 15. November 2010.

4http://developer.sonyericsson.com/wiki/display/leftnav/Welcome+to+our+Wiki+community, letzter Abruf: 15. November 2010.

„Corporate groups [...] can use these [collaborative discussion] servers to plan, execute, document, and follow up various projects. The servers may be team-oriented or work for the entire company or division.“ [137, S. 9]

Die Etablierung einer kollaborativen Wissensmanagement-Umgebung – z.B. eines Wiki-Systems – in einem Industrieunternehmen ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.

Die Offenheit eines Wiki-Systems ist im Unternehmen zugleich die größte Chance und das größte Risiko. Wikis ermöglichen eine schlankere Ablauforganisation. Gleichzeitig besteht die Gefahr der Zweckentfremdung eines flexiblen Systems, um bisherige Vorgehensweisen beibehalten zu können – z.B. durch die Installation eines komplexen, zentralen Rechtekon-zeptes bzw. Workflows. Die Rahmenbedingungen – insbesondere in Großunternehmen – unterscheiden sich von öffentlichen Wikis in sechs Bereichen, die in den nächsten Ab-schnitten erläutert werden.

7.1.1 Gruppentyp

Nicola Döring unterscheidet Gruppen nach Funktion, Größe und subjektiver Bedeutung [48, S. 490ff.]. Die Wikianer wären danach eine informelle Gruppe, die „eher selbst orga-nisiert und unter sozio-emotionalen Gesichtspunkten entstanden ist“. Zumindest in großen Wikis stellen die Teilnehmer eine Großgruppe dar. Die Kommunikation der Wikianer ba-siert in der Regel nicht auf persönlichen Treffen. Auch für die Sozialisation nehmen öf-fentliche Wikis für ihre Mitglieder sicherlich keine herausgehobene Stellung ein. Nach Charles Cooley sind ihre Teilnehmer damit eine Sekundärgruppe – ob sie in der weiter gefassten Definition von Döring eine Primärgruppe sein könnten, müsste empirisch unter-sucht werden [48, S. 491]. Die Wiki-Nutzer bei Bosch bilden überwiegend Arbeits- bzw.

Projektteams. Daher sind sie nach Döring zwar ebenfalls eine Sekundärgruppe, aber auch eine formale Kleingruppe [48, S. 490]. Die Community ist in Unternehmen also in Grö-ße und Zusammensetzung vorgegeben und weitgehend stabil. Durch die begrenzte GröGrö-ße der Community ist es allerdings schwieriger, eine kritische Autoren- und Leserschaft zu erreichen.

7.1.2 Motivation

Die Mitglieder der „Wiki Community“ im Unternehmen sind unterschiedlich motiviert.

Eine Privatperson beteiligt sich an einem öffentlichen Wiki als Autor aus eigenem Antrieb und unentgeltlich. Möglicherweise spendet sie sogar noch Geld, um den Unterhalt der Website mitzufinanzieren. Wiki-Arbeit im Unternehmen wird bezahlt und geschieht daher nicht per se aus eigenem Antrieb.

Die Psychologie unterscheidet verschiedene Formen von Motivation. Zwei der bekanntes-ten werden kurz skizziert und auf die Wiki-Kollaboration bezogen. Die Bedürfnispyramide von Abraham H. Maslow besteht aus fünf Stufen: körperliche Grundbedürfnisse, Sicher-heit, soziale Beziehungen, soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung. Erst wenn man

eine bestimmte Stufe erreicht hat, erlangt die jeweils nächste Bedeutung. Die untersten drei Stufen und Teile der vierten Stufe werden auch als Defizitbedürfnisse bezeichnet.

Wenn diese gestillt sind, ist man zufrieden. Wachstumsbedürfnisse auf Teilen der vierten und auf der fünften Stufe können dagegen nie abschließend gestillt werden. Der Wikianer eines öffentlichen Wikis wirkt eher wie jemand, der freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus sich selbst verwirklichen möchte. Zwar können auch Beschäftigte in ihrer Arbeit nach Selbstverwirklichung streben – was wünschenswert ist – es können aber auch die Stufen Sicherheit, soziale Beziehungen oder Anerkennung im Vordergrund stehen.

Die Unterteilung in intrinsische und extrinsische Motivation ist für Wissensmanage-ment im Allgemeinen und die Wiki-Kollaboration im Besonderen von Bedeutung. Zur Unterscheidung schreibt Friedemann Nerdinger:

„Die motivierende Wirkung, die von der Tätigkeit ausgeht, wird als die int-rinsische, der Tätigkeit bzw. der Arbeit als solcher innewohnende Motivation bezeichnet. Wer arbeitet, weil ihn die Aufgabe interessiert, weil sie ihm Spaß macht und ihn befriedigt, der ist intrinsisch motiviert. Arbeitet dagegen ein Mensch aus Gründen, die nicht in der Arbeit als solcher liegen, bezeichnet man ihn als extrinsisch motiviert: Wer also zum Beispiel arbeitet, um mög-lichst viel Geld zu verdienen oder sein soziales Ansehen zu steigern, der ist extrinsisch motiviert.“ [166, S. 93]

Anreize zur Steigerung der extrinsischen Motivation müssen nach Friedemann Nerdinger vorsichtig eingesetzt werden, da so intrinsische Motivation verdrängt werden kann [166, S.

91-101]. Monetäre Anreize machen demnach auch für die Förderung der unternehmensin-ternen Wiki-Arbeit keinen Sinn.

7.1.3 Zeitbeschränkung

Dieser Aspekt könnte auch unter Motivation subsumiert werden, ist aber in Zeiten stei-genden Produktivitätsdrucks eine eigene Erwähnung wert. Im Unternehmen ist daher nicht nur die subjektive, sondern auch die objektive Zeitbeschränkung größer als während der Ausübung einer Freizeitbeschäftigung. Auch hoch motivierten Mitarbeitern fehlt häufig die Zeit, sich systematisch auf Wiki-Arbeit einzustellen.

7.1.4 Vorleistung

Albert W. Tuckers Gefangenendilemma aus der Spieltheorie haben Uwe Wilkesmann und Ingolf Rascher auf die Generierung neuen Wissens übertragen [259, S. 22-39].

Mit dem Gefangenendilemma wird eine Situation konstruiert, in der zwei Spieler sich entweder für Kooperation oder für Verrat entscheiden können. Kooperieren sie, haben beide insgesamt den größten Nutzen. Wählen sie den Verrat, haben beide insgesamt den geringsten Nutzen. Falls Sie unterschiedliche Strategien wählen, hat der Kooperierende den weitaus geringeren Nutzen. Da sich die Spieler nicht absprechen können, ist die

individuell rationale Entscheidung immer die kollektiv irrationalste.

Die Vorleistung bedeutet – auch übertragen auf die Wiki-Kollaboration – individuel-le Kosten und erst die kolindividuel-lektive Vorindividuel-leistung ermöglicht auch kolindividuel-lektiven Nutzen. Dieses Gefangenendilemma lässt sich nach Wilkesmann nur durch eine soziale Norm oder intrinsische Motivation auflösen.

Im „Job Characteristics Model“ haben John R. Hackman und Greg R. Oldham [83]

dargestellt, dass der Abwechslungsreichtum, die Ganzheitlichkeit, die Bedeutung, die Selbstständigkeit der Aufgabe und der Rückmeldeaspekt die fünf Kerndimensionen darstellen, die zu hoher Arbeitsmotivation führen. Das Wiki als – nach Anja Ebersbach und Markus Glaser – „emanzipatorisches Medium“ [54] sollte prädestiniert sein, diese Motivatoren mit Leben zu füllen. Wie aber sieht die Arbeitswirklichkeit aus? Um die Anwendbarkeit des Wiki abteilungsweit zu demonstrieren, gaben Werkstudentinnen bei Robert Bosch vorab mögliche Inhalte in beispielhafter Aufbereitung ein. Nur in diesem Zustand war es möglich, im Arbeitsalltag eine gewisse Aufmerksamkeit für das System zu wecken, unbefüllt wäre dies weitaus schwieriger gewesen. In öffentlichen Wikis nimmt die „Vorbefüllung“5 nicht die Rolle ein, die sie in einem Unternehmenswiki hat.

7.1.5 Prozesse und Führung

Ein Wiki ist grundsätzlich nicht prozess-, sondern ergebnisorientiert ausgelegt. Die neues-te Version einer Wiki-Seineues-te ist auf obersneues-ter Ebene zuerst sichtbar, zugehörige Diskussions-oder Kommentarbereiche sind eine Ebene tiefer angesiedelt. Trotzdem könnte ein Prozess-gerüst die Wiki-Einführung erleichtern. Beispielsweise kann eine Arbeitsgruppe verein-baren, Protokolle direkt während Besprechungen im Wiki festzuhalten. Ergänzungen und Kommentare sind einfach und transparent später möglich. Über Subskriptionen können sich die Teilnehmer automatisch per E-Mail über neue Protokolle benachrichtigen lassen.

Im Prozesszusammenhang stellt sich außerdem die Frage, wie Führungskräfte die Exter-nalisierung von Wissen fordern und fördern können.

7.1.6 Anonymität

Die Benutzer eines Unternehmenswikis agieren in der Regel nicht anonym, sondern sind über ihre Benutzerkennung identifizierbar. In öffentlichen Wikis ist dies seltener der Fall.

Die Grundidee der Wikis ist ja gerade das „schnelle“, direkte Editieren ohne umständli-che Anmeldeprozedur. Fehlende Anonymität kann aber gerade in Unternehmen, in denen bereits ein „Web of Trust“ existiert, die initiale Nutzung des Wikis fördern.

5So wurde bei Robert Bosch die Migration vorhandener Inhalte in ein zunächst leeres Wiki bezeichnet.

Dieser Begriff wird auch im Folgenden verwendet.