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In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse aus der Vorstudie zusammengefasst. Ein überwiegender Teil der Benutzer hat typische Wiki-Arbeit15 zu verrichten, verfügt aber über wenig Erfahrung mit Wiki-Systemen. Die meisten Mitarbeiter erwarten mit einem Wiki eine Verbesserung in der Wissensorganisation. Ob die Transparenz in einem Wiki zur Motivation beiträgt, ist für die meisten noch nicht entschieden. Die Qualitätseinschätzung fällt unter den Befragten insgesamt positiv aus. Das Informationsdesign wurde zwiespältig bewertet. Die Erwartung, dass mit dem Wiki hochwertiges Wissen – asynchron – erarbeitet werden kann ist recht hoch. Das Flüchtige der Wiki-Arbeit wird eher als Hindernis für die Beteiligung gesehen – weniger als Chance für mehr Dynamik.

Die Ergebnisse der Vorstudie lassen eine weitere Erforschung von Unternehmenswikis interessant erscheinen und liefern Ansatzpunkte für die Generierung von Hypothesen.

15Mit „typischer Wiki-Arbeit“ ist Item 1.2 gemeint: „Ich muss heute ‚nie‘ (0) / ‚selten‘ (1) / ‚gelegentlich‘

(2) / ‚häufig‘ (3) / ‚sehr häufig‘ (4) Dokumente verfassen, ändern und Kollegen darüber informieren.“ – siehe hierzu auch Tabelle 10.

10 Hauptstudie I: Qualitative Evaluation unternehmensinterner

Wiki-Kollaboration

In diesem Kapitel wird der erste, qualitative Teil der Hauptstudie vorgestellt. Mit Hilfe semi-strukturierter Experteninterviews1bei den jeweiligen Wiki-Verantwortlichen werden die ausgewählten Wikis in zwei Gruppen aufgeteilt: in erfolgreich (Gruppe 1) und (noch) nicht erfolgreich etablierte Wikis (Gruppe 2). In Abschnitt 10.1 wird die Methodik des ersten Teils der Hauptstudie vorgestellt, insbesondere auf die Gütekriterien qualitativer Datenerhebung eingegangen und die Methode des semi-strukturierten Experteninterviews beschrieben. Nach einer kurzen Übersicht über die durchgeführten Interviews werden im Abschnitt 10.2 die Ergebnisse für jedes Unternehmen in den Dimensionen des DeLone-McLean-Modells vorgestellt. Abschließend wird in Abschnitt 10.3 als Ergebnis festgehal-ten, in welche Gruppe die Wikis welcher Unternehmen eingeordnet werden.

10.1 Methodik

10.1.1 Gütekriterien qualitativer Datenerhebung

Nicola Döring und Jürgen Bortz stellen als Gütekriterien qualitativer Datenerhebung Ob-jektivität,ReliabilitätundValiditätvor [18, S. 326ff.]. Die Kriterien werden im Folgenden vorgestellt und auf die Datenerhebung in dieser Arbeit angewandt.

Objektivität

Mit „Objektivität“ ist nicht „höhere Wahrheit“ gemeint, sondern „interpersonaler Kon-sens“: verschiedene Forscher müssen bei der Untersuchung desselben Sachverhalts mit denselben Methoden zu ähnliche Ergebnisse kommen können. Das Vorgehen hat daher transparent zu sein und – soweit möglich – standardisiert [18, S. 326]. Ines Steinke stellt wichtige Bestandteile intersubjektiver Nachvollziehbarkeit vor [225, S. 252ff.], die nun auf den qualitativen Part der Hauptstudie bezogen werden. In qualitativer Forschung kann intersubjektiveÜberprüfbarkeit „aufgrund der Einzigartigkeit der Erhebungssituation und der Nichtstandardisierbarkeit des Vorgehens“ [225, S. 208] nicht beansprucht werden. Um

1Deren Aufbau orientiert sich am in Abschnitt 7.7.4 beschriebenen DeLone-Mc-Lean-Modell. Vgl. dazu Abbildung 7 auf S. 94.

eine Basis für eine Bewertung von Forschung zu haben, ist aber die Herstellung intersub-jektiverNachvollziehbarkeitzu fordern [225, S. 208]. Die Dokumentation als ein Weg zur Sicherung und Prüfung der Kriteriumsdimensionen Transparenz und Explizitheit beinhal-tet in dieser Arbeit die folgenden Punkte:

• DasVorverständnisdes Forschers wird im Theorieteil ab S. 11 dargelegt.

• Die Erhebungsmethode semi-strukturiertes Experteninterview ist im folgenden Unter-kapitel ab S. 129 beschrieben. Wichtig beimErhebungskontextzu erwähnen ist der An-spruch, das Interview in der vertrauten Umgebung der Befragten stattfinden zu lassen2.

• Die Datender Interviews sind im Anhang ab S. 287 dokumentiert. Da auf eine Audio-Aufzeichnung der Daten aus organisatorischen Gründen3 verzichtet wurde, kamen die üblichenTranskriptionsregelnnicht zur Anwendung.

• Zur Auswertungsmethodelässt sich das Korrekturlesen der Mitschriebe anführen – mit Ausnahme der Interviews 6, 7 und 124. Zusammengefasst wurden die Ergebnisse geord-net nach Kategorien in Tabelle 26 (theoretische Fundierung).

• Bei der Darstellung der Informationsquellenwird mit wortwörtlichen Äußerungen der Interviewpartner und Paraphrasen gearbeitet. Unterschieden werden beide Ebenen über Anführungszeichen, welche Zitaten vorbehalten sind.

Reliabilität

Ob qualitative Erhebungstechniken reliabel sein sollen, wird kontrovers diskutiert [18, S. 327]. Die Einzigartigkeit, Individualität und historische Unwiederholbarkeit des For-schungskontexts veranlasst z.B. Siegfried Lamnek, die „Wiederholungsreliabilität“ grund-sätzlich abzulehnen [131, S. 177].

Validität

Wie in der quantitativen Forschung ist die Validität auch in der qualitativen Forschung das wichtigste Gütekriterium.

Hierzu gehört zunächst die Frage, ob die Interviewäußerungen authentisch und ehr-lich sind. Da meist mehr als eine Person interviewt wurde, hatte die zweite oder dritte Person zumindest immer die Möglichkeit korrigierend einzuschreiten. Die Zusammen-arbeit war durch Reziprozität gekennzeichnet. Die Befragten mussten zwar die Zeit für

2Bis auf Interview 8 – eine Übersicht zu den Interviews findet sich in Tabelle 15 – konnten die Interviewten an ihrem Arbeitsort in fünf verschiedenen Bundesländern aufgesucht werden. Mit Ausnahme der Inter-views 4, 6 und 9 wurden mehr als eine Person befragt. Jeweils ein Hauptinterviewpartner konnte dabei auf die Erfahrungen seiner Kolleginnen bzw. Kollegen verweisen.

3In einigen der beteiligten Unternehmen wäre die Mitführung von Aufzeichnungsgeräten auf das Unter-nehmensgelände mit Schwierigkeiten verbunden gewesen. Da das Interview verhältnismäßig stark struk-turiert war, wird der Verzicht auf Audio-Daten forschungsökonomisch begründet. Die schriftliche Auf-zeichnung komprimiert die Inhalte zwar schon während der Erhebung, sorgt allerdings auch für eine entspanntere Interviewatmosphäre und lässt den Befragten immer wieder Zeit für Reflexionen.

4In diesen Fällen kamen die Befragten der Bitte um Korrekturlesen nicht nach.

das Interview investieren und dabei auch mögliche Fehler „zugeben“, auf der anderen Seite haben sie aber nicht nur die Ergebnisse der quantitativen und qualitativen Erhebung ausgehändigt bekommen, sondern auch die Software, die eigens für die quantitativen Wiki-Analysen entwickelt wurde5. Insofern kann von einer positiven und konstruktiven Grundstimmung ausgegangen werden. Wie die Inhalte der Interviews im Anhang ab S.

287 belegen, wurde Eigenkritik seitens der Interviewten nicht ausgespart. Das Nachprüfen von Interviewäußerungen wirft ethische und inhaltliche Probleme auf [18, S. 327].

Auch die konsensuelle Validierung – im Sinne des Konsens’ zwischen Forscher und Beforschten – wurde insofern durchgeführt, als die Interviewpartner die Mitschriebe erhalten und – bis auf die Ausnahme von drei Interviews – auch korrigiert zurückgeschickt haben.

10.1.2 Datenerhebung mittels semi-strukturierter Experteninterviews

Jürgen Bortz und Nicola Döring stellen 19 Varianten qualitativer Einzelbefragungen vor [18, S. 315], die seit den 1940er Jahren bis heute entwickelt bzw. eingesetzt wurden.

Dazu gehören z.B. das biografische, diskursive und narrative Interview, das Experten-, Leitfaden- und Tiefeninterview, aber auch die Deutungs-, die Verhaltensanalyse und die Anamnese. Das Leitfadeninterview wird als „gängige Form qualitativer Befragungen“

bezeichnet und soll auch in meiner Untersuchung zum Einsatz kommen [18, S. 314ff.].

Michael Quinn Patton bündelt qualitative Interviews in die drei grundlegenden An-sätze „informal conversational interview“, „general interview guide approach“ und

„standardized open-ended interview“ [177, S. 342]. Vorbereitung, Konzeptualisierung und Instrumentierung unterscheiden sich dabei ebenso wie die jeweiligen Stärken und Schwächen. Beim informellen Gesprächsinterview geht es vor allem um die spontane Generierung von Fragen im Rahmen eines natürlichen Gesprächsflusses. Die interviewte Person realisiert möglicherweise nicht einmal, dass sie interviewt wird. Beim allgemeinen Interviewleitfaden bedient man sich einer Checkliste, um sicherzustellen, dass alle rele-vanten Themen abgefragt werden. Das standardisierte offene Interview besteht aus einem Satz sorgfältig formulierter Fragen, die den Gesprächspartner in derselben Reihenfolge und in exakt denselben Worten gestellt werden [177, S. 342]. Im Leitfadeninterview ist der Freiheitsgrad höher – Fragen können auch spontan gestellt werden. Um das vorher abgegrenzte Thema zu beleuchten und aufzuklären, kann eine Konversation aufgebaut werden. Der Leitfaden hilft dabei, systematisch vorzugehen und die zur Verfügung stehende Zeit optimal zu nutzen. Dabei kann der Leitfaden mehr oder weniger detailliert aufgebaut sein [177, S. 343f.].

Die Vorzüge von Experteninterviews stellen Alexander Bogner und Wolfgang Menz zusammen [15]; im Folgenden sollen sie kurz zusammengefasst werden. Zum einen

5Siehe dazu Folie 5 im Anhang ab S. 257.

ermöglicht das Experteninterview eine „konkurrenzlos dichte Datengewinnung gegenüber der [...] zeitlich und ökonomisch weit aufwendigeren teilnehmenden Beobachtung, Feldstudie, einer systematischen quantitativen Untersuchung usw.“ [15, S. 7]. Wichtig im Zusammenhang dieser Arbeit ist zum anderen auch die Annahme, dass die „Experten als ‚Kristallisationspunkte‘ praktischen Insiderwissens betrachtet und stellvertretend für eine Vielzahl zu befragender Akteure interviewt werden“ [15, S. 7]. Die elf Hauptinter-viewpartner fungierten als Stellvertreter für mindestens 1.7896 aktive Wiki-Nutzer in den Unternehmen. In einem Fall war der Experte in seiner Funktion als Unternehmensberater zusätzlich in einer Schlüsselposition und konnte den weiteren Feldzugang – über zwei Kundenkontakte – erleichtern. Bogner und Menz stellen zusammenfassed fest, dass Experteninterviews „aufgrund ihres heimlichen Versprechens auf schnelle, objektive und unproblematisch zu erhebende Daten eine erhebliche Anziehungskraft auf empirische Sozialforscher“ [15, S. 9] ausüben. Sie weisen allerdings auch darauf hin, dass die

„methodische Fundierung dieser Erhebungsmethode bislang noch recht unsolide ist“ [15, S. 10].

Michael Meuser und Ulrike Nagel tragen zur Diskussion über die qualitative Me-thode Experteninterview bei, in dem sie als „Experten“ bezeichnen, „wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über privilegierten Zugang zu Informationen über Personen-gruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt“ [15, S. 73]. In meiner Untersuchung sind beide Voraussetzungen erfüllt. Als Experten wurden die „Wiki-Initiatoren“ befragt, die mit der Wiki-Einführung in ihrem Unternehmen befasst waren bzw. sind. Diese Initiatoren treten außerdem auch als reale Nutzer in Erscheinung. Sie verfügen darüber hinaus über einen Zugang zu Entscheidungprozessen im Zusammenhang mit ihren Wikis und können zumindest teilweise Aussagen über die beteiligten Nutzer machen7.

Bortz und Döring führen außerdem fünf Varianten qualitativer Gruppenbefragungen auf: das Brainstorming, die Feldbefragung/ethnografische Befragung, die Gruppendiskus-sion, das Gruppeninterview und die Moderationsmethode. Auch diese Befragungsarten wurden seit den 1940er Jahren entwickelt. In einem Gruppeninterview werden „[m]ehrere Personen (z.B. Schulklasse, Familie) [...] gleichzeitig anhand eines Leitfadens befragt“

[18, S. 319]. Vorzüge der Gruppenbefragungen sind, „auf ökonomische Weise die Position mehrerer Gesprächspartner [zu] ermitteln und dabei gleichzeitig Einblicke in die Grup-pendynamik der Kommunikation“ zu erlauben. Weitere Vorteile sind die entspanntere Gesprächsatmosphäre – da die Interviewten nicht während der gesamten Befragung gleichermaßen gefordert sind – und die Anregung eigener Gedanken durch das Mithören der Antworten anderer. Nachteilig an der Gruppenbefragung ist die steigende

Unüber-6Zur Problematik der Grundgesamtheit der Wiki-Nutzer in den Unternehmen siehe Kapitel 8.2.2 und 8.2.3.

Minimal 1.789 Wiki-Nutzer haben zumindest einen Editiervorgang durchgeführt. Maximal wurden 3.487 Wiki-Nutzer repräsentiert. Auch bei diesen Zahlen können – wenn auch vermutlich in geringem Umfang – technische Benutzer, z.B. für Skripte, oder Sammel-Benutzer, z.B. für anonymen Zugang, enthalten sein.

7Gemeint ist damit, dass gerade in den größeren Unternehmen die Initiatoren nicht alle Nutzer persönlich kennen (können).

sichtlichkeit, so dass sich der Einsatz mehrerer Interviewer oder Videoaufzeichnungen anbieten, um die Identifikation der Akteure zu erleichtern. Bei Gruppenbefragungen begnügt man sich statt einer „wörtlichen Transkription“ daher „gelegentlich mit zusam-menfassenden Protokollen des Gesprächsverlaufs“ [18, S. 319]. So wurde auch bei den Interviews der Wiki-Initiatoren in den beteiligten Unternehmen vorgegangen. Tabelle 15 gibt – getrennt nach Interviews innerhalb und außerhalb der Robert Bosch GmbH – einen chronologischen Überblick über die durchgeführten Interviews.

In den Unternehmen A, D und K konnten aus zeitlichen und organisatorischen Gründen leider keine Interviews durchgeführt werden. In Unternehmen A fanden die Verantwortli-chen trotz mehrerer Nachfragen keine Zeit für ein Interview vor Ort – welches als einziges auch außerhalb Deutschlands stattgefunden hätte. Von Unternehmen A lagen zwar die Daten sehr vieler Wikis vor – nur 19% der Wikis hatten aber mehr als 100 Artikel. Dies deutet darauf hin, dass das Unternehmen sich noch am Beginn seiner Wiki-Aktivitäten befindet. In Unternehmen D wechselte zwischen März und September 2008 die Zuständig-keit für das Thema Wiki – die neue Verantwortliche war trotz zahlreicher Versuche nicht erreichbar. Ihr Vorgänger hatte allerdings telefonisch angedeutet, dass das Unternehmen den Wiki-Einsatz bisher nicht offiziell unterstützt – möglicherweise war deshalb auch das Interview nicht gewünscht. Zumindest spricht dies dafür, dass die Wikis noch nicht erfolgreich im Unternehmen etabliert sind. Ein Interview mit dem Wiki-Verantwortlichen in Unternehmen K war bereits geplant, musste aber aus zeitlichen Gründen abgesagt werden – ein neuer Termin kam nicht zustande. Da es sich bei K um ein Unternehmen mit mehreren zehntausend Mitarbeitern handelt und das untersuchte Wiki noch weniger als 1.000 Artikel und nur 75 aktive Autoren umfasst hat, spricht zumindest dieser Aspekt dafür, dass das Wiki noch nicht erfolgreich etabliert ist.

Tabelle 15: Übersicht über Wiki-Interviews

Nr. Datum Dauer Teil- Unter- Ort1 Repräsentierte

nehmer nehmen Wikis

1 28.08.2008 14:00-16:00 2 C SN Wikie48- Wikie60

2 29.08.2008 09:30-11.30 2 G BY Wikie80, Wikie81

3 29.08.2008 15:00-17:00 2 H BY Wikie82

4 09.09.2008 14:00-16:00 1 I NW Wikie83

5 19.09.2008 09:00-11:00 3 L NW Wikie86

6 19.09.2008 16:00-18:00 1 E HE Wikie72- Wikie77

7 01.10.2008 13:00-15:00 4 F BY Wikie78, Wikie79

8 06.10.2008 10:00-12:30 2 B BW Wikie26- Wikie47

9 05.12.2008 11:00-14:30 1 J BY Wikie84

10 09.10.2008 13:00-14:00 2 RB BW Wikii7

28.10.20082 16:00-17:30

11 13.10.2008 10:00-12:00 2 RB BW Wikii13, Wikii14, Wikii19

12 27.10.2008 13:00-15:00 4 RB BY Wikii24

P 28 55

1 Aus Gründen der Vertraulichkeit ist beim Ort nur das Bundesland angegeben, in dem das Interview stattgefunden hat. „BW“ steht für Baden-Württemberg, „BY“ für Bayern, „HE“

für Hessen, „NW“ für Nordrhein-Westfalen und „SN“ für Sachsen.

2 Teil 2 des Interviews