II. Empirischer Teil
6.2 Typ II – Einfluss von Großeltern, die in der Nähe des Enkelkindes
beherrschen
Dem Typ II werden die Großeltern von Luisa und Mara (Interview 1) sowie die slowenischsprachigen Großeltern von Lara und Sofija (Interview 4) zugeteilt. Die Mütter Sanja (IP 1) und Malina (IP 4) schildern in den Interviews ihre Erfahrungen mit Großeltern, welche – wie oben bereits erwähnt wurde – beide Erstsprachen ihrer Kinder auf sehr gutem Niveau beherrschen. Während die Eltern von Sanja einen im Zuge des Bosnienkrieges der 1990er Jahre nach Österreich geflüchtet sind und folglich einen Migrationshintergrund aufweisen, gehört die Mutter von Malina wie sie selbst der slowenischen Minderheit in Kärnten an. Die Erstsprache von Sanjas Eltern ist demnach Bosnisch, wobei sie die deutsche Sprache den Angaben der Tochter zufolge inzwischen aber auch gut beherrschen. Malinas Mutter spricht als Angehörige der slowenischen Volksgruppe in Kärnten die deutsche wie auch die slowenische Sprache fließend.
Ihr Vater hat die slowenische Sprache zwar erlernt, spricht diese aber eher nur gebrochen. Trotz dessen, dass der Großvater väterlicherseits somit nicht beide Erstsprachen der Enkelkinder auf einem guten Niveau beherrscht, werden Malinas Großeltern dem Typ II zugeordnet. Der Grund hierfür liegt darin, dass im Interview ohnehin eher die Beiträge der Großmutter als des Großvaters fokussiert werden (siehe hierzu Interview 1 und Interview 4 sowie die Punkte 5.1 und 5.4 der vorliegenden Arbeit).
147 Wie die Tabelle unten veranschaulicht wurden im Rahmen der Analyse für den Typ II insgesamt vier Kernkategorien herausgearbeitet. Dabei standen wiederum die unter Punkt 6.1 der vorliegenden Arbeit bereits genannten Faktoren (die geographische Distanz und Kontakthäufigkeit, die Beziehungsqualität, die Erwartungen und das Engagement der Großeltern sowie der aus Elternperspektive wahrgenommene Einfluss der Großeltern) im Mittelpunkt der Auswertung.
Interview 1
Abbildung 6 im Anhang
Interview 4
Abbildung 11 im Anhang Einfluss der Großeltern auf die sprachliche und
kulturelle Erziehung und Entwicklung der Enkelinnen
Marginaler Einfluss der Großeltern auf die Erziehung der Enkelinnen und deren Zweisprachigkeit aus Sicht der Mutter Beide Großelternpaare leben wie die Eltern und
Enkelkinder in Kärnten
Sehr enge Beziehung von Großeltern und Enkelkindern
Sehr gute Beziehung der Eltern zu den Großeltern mütterlicherseits
Sehr gute Beziehung der Großeltern und Enkelinnen Gute Beziehung von Eltern und Großeltern
Kernkategorie I: Häufiger Kontakt und sehr gute Beziehung zwischen Großeltern und Enkelkindern sowie sehr gute bzw. gute Beziehung zwischen Großeltern und Eltern
Besprechung der elterlichen Vorstellungen zur mehrsprachigen Erziehung der Kinder mit den Großeltern vor der Geburt der ersten Tochter Erwartungen und Forderungen des Großvaters mütterlicherseits an die Eltern die mehrsprachige Erziehung der Enkelkinder betreffend
Erwartung und Forderung der Mutter an die Großmutter mütterlicherseits, mit den Enkelinnen Slowenisch zu sprechen
Die Großmutter mütterlicherseits erwartet sich von der Mutter die Weitergabe des sprachlichen und kulturellen Erbes, was sich laut der Mutter auch z.B.
im unternommenen Kulturprogramm mit der Enkeltochter widerspiegelt
Aktive Unterstützungsleistungen der Großeltern im Rahmen der mehrsprachigen Erziehung
beispielsweise in Form der Beschaffung von Büchern und Lernmaterialien, gemeinsamer Lektüre von bosnischen Texten und der Alphabetisierung in der bosnischen Sprache
Die Großeltern zeigen den Enkelinnen mehr kulturelle, traditionelle und kulinarische Vielfalt als die Eltern
Großer Stellenwert der slowenischen Sprache in der Herkunftsfamilie der Mutter und Unterstützung der mehrsprachigen Erziehung in Form von
slowenischem Kulturprogramm und der Beschaffung von slowenischen Büchern oder Hörspielen durch die Großmutter mütterlicherseits
Kernkategorie II: Erwartungen sowohl der Eltern an die Großeltern als auch der Großeltern an die Eltern die mehrsprachige Erziehung der Enkelkinder betreffend gehen mit aktiven
Unterstützungsleistungen der Großeltern bezogen auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung der Enkelkinder einher
Großeltern mütterlicherseits nehmen sich Zeit, unternehmen und spielen viel mit den Enkelinnen Großeltern mütterlicherseits werden als Entlastung der Eltern in Form von Kinderbetreuung und Unterstützung im Alltag erlebt
Die Mutter wünscht sich mehr Einsatz der Großeltern mütterlicherseits die Kinderbetreuung betreffend und weniger Forderung nach den Enkelinnen vonseiten der Großeltern väterlicherseits
Kernkategorie III: Unterschiedliches Ausmaß des Engagements der Großeltern im Bereich der Kinderbetreuung im Allgemeinen
Schöne Aussprache und reicher Wortschatz der älteren Tochter in der bosnischen Sprache
Erfüllung der elterlichen Erwartungen an die Großmutter mütterlicherseits die mehrsprachige Erziehung betreffend
143 Die Mutter spricht von einem fast täglichen Kontakt (siehe hierzu Interview 1).
148
Großeltern als sprachliche Ressource im Rahmen der
mehrsprachigen Erziehung Fortführung des slowenischen Kulturprogramms durch die Großmutter mütterlicherseits als einzig für die Mutter definierbare Rolle der Großeltern im Rahmen der zukünftigen mehrsprachigen Erziehung Den Stellenwert von Großeltern empfindet die Mutter in der Gesellschaft oftmals als zu hoch angesetzt
Geschwister würden, wenn sie in Kärnten leben würden, aus Sicht der Mutter gerne an
slowenischem Kulturprogramm mit den Nichten teilnehmen
Kernkategorie IV: Das Engagement der Großeltern sowohl in Bezug auf die Förderung des sprachlichen und kulturellen Erbes als auch auf die Kinderbetreuung wirkt sich auf die elterliche Wahrnehmung des Einflusses der Großeltern auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung der Enkelkinder aus
Auch für diese beiden Interviews konnte eine gute Beziehung zwischen den Großeltern und Enkelkindern sowie zwischen den Großeltern und Eltern festgestellt werden (siehe Kernkategorie I), welche wie unten im Paradigma dargestellt wiederum als ursächliche Bedingung für den Einfluss der Großeltern auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung der Enkelkinder betrachtet wird. Darüber hinaus werden die im Rahmen der Kernkategorie II genannten beidseitig vorhandenen Erwartungen als Handlungsstrategie, welche auf den Einfluss der Großeltern einwirkt, begriffen. Auffallend ist hierbei, dass sowohl Sanja (IP 1) als auch Malina (IP 4) nicht nur von Erwartungen, sondern auch von Forderungen bezogen auf die mehrsprachige Erziehung sprechen. Letztere scheinen demnach sowohl auf Elternseite als auch auf Großelternseite eine besonders wichtige Rolle zu spielen (siehe hierzu Interview 1 und Interview 4 sowie die Punkte 5.1 und 5.4 der vorliegenden Arbeit). Die Kernkategorie III subsummiert die Unterstützungsleistungen unter sich, welche die Großeltern aktiv an den Tag legen, um die Sprachentwicklung ihrer Enkelkinder zu fördern. Wie auch aus der Tabelle hervorgeht, können diese von den Müttern konkret benannt werden. Während Sanjas Eltern die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung ihrer Enkelkinder fördern, indem sie beispielsweise bosnische Bücher und Lernmaterialen beschaffen und mit den Enkeltöchtern das Lesen und Schreiben auf Bosnisch üben, nimmt Malinas Mutter regelmäßig an slowenischem Kulturprogramm mit der Enkeltochter teil und besorgt darüber hinaus slowenische Bücher und Hörspiele für sie. Für beide Großelternpaare scheint die Weitergabe von Sprache und Kultur eine besondere Rolle zu spielen (siehe hierzu
149 auch Interview 1 und 4 sowie die Unterpunkte 5.1 und 5.4 der vorliegenden Arbeit). Die letztgenannten Punkte werden dabei ebenso den Handlungsstrategien zugeordnet. Trotz allem zeichnet sich bei einem Vergleich der Daten ein unterschiedliches Engagement der Großelternpaare in Bezug auf die Kinderbetreuung ab. Während Sanja (IP 1) ihre Eltern sowie deren Kinderbetreuungsdienste als Entlastung im Alltag erlebt, engagieren sich die Eltern von Malina (IP 4) aus ihrer Sicht in diesem Bereich zu wenig (siehe hierzu auch Interview 1 und 4 sowie die Unterpunkte 5.1 und 5.4 der vorliegenden Arbeit). Dabei führt auch hier das Ausmaß des Engagements der Großeltern zu einer Konsequenz im Paradigma, welche durch die IV. Kernkategorie treffend auf den Punkt gebracht wird: Das Engagement der Großeltern sowohl in Bezug auf die Förderung des sprachlichen und kulturellen Erbes als auch auf die Kinderbetreuung wirkt sich auf die elterliche Wahrnehmung des Einflusses der Großeltern auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung der Enkelkinder aus.
Daraus lässt sich bereits erkennen, dass die vorliegende Arbeit hinsichtlich ihres Forschungsthemas den Begriff des großelterlichen Engagements nicht nur auf die Motivation der Großeltern, gezielte Unterstützungsleistungen wie z.B. die Teilnahme an einem Kulturprogramm zu erbringen, sondern auch allgemein auf das Engagement bezieht, so viel Zeit wie möglich mit den Enkelkindern zu verbringen. Der Grund hierfür liegt darin, dass – wie auch Brake und Büchner (2007: 212, bezugnehmend auf Mannheim 1964144) ausführen – die Vermittlung von kulturellen Werten zu einem großen Teil im Zuge ganz gewöhnlicher, alltäglicher Interaktionen geschieht.
144 Nähere bibliographische Angaben befinden sich unter der Fußnote 134 der vorliegenden Arbeit.
150 Abbildung 3: Typ II – Einfluss von Großeltern, die in der Nähe des Enkelkindes leben und beide Erstsprachen des Enkelkindes beherrschen
Wie oben erwähnt wurde, nimmt Sanja (IP 1) das Engagement ihrer Eltern im Alltag als Entlastung wahr, während sich Malina (IP 4) über den aus ihrer Sicht zu geringen großelterlichen Einsatz die Betreuung der Enkelkinder betreffend beklagt. Dem Paradigma oben sowie der Konsequenz in diesem zufolge ergibt sich daraus, dass Sanja sich von ihren Eltern unterstützt fühlt und diese im Hinblick auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung ihrer Kinder auch als sprachliche Ressource wahrnimmt und beschreibt. Malina hingegen fühlt sich von ihrer Mutter zwar unterstützt, empfindet die Stellung der Großeltern
Kontext
Die Großeltern leben in der Nähe der Enkelkinder und beherrschen beide Erstsprachen der Enkelkinder gut
Handlungsstrategien
Erwartungen sowohl der Eltern an die Großeltern als auch der Großeltern an die Eltern die mehrsprachige Erziehung der Enkelkinder betreffend gehen mit aktiven
Unterstützungsleistungen der Großeltern bezogen auf die mehrsprachige Erziehung und Entwicklung der Enkelkinder einher
Unterschiedliches Ausmaß des Engagements der Großeltern im Bereich der Kinderbetreuung im Allgemeinen
151 innerhalb der Gesellschaft aber oftmals als zu hoch angesetzt. So beschreibt sie im Interview auch, dass ihre Erwartungen an die Großmutter die mehrsprachige Erziehung der Töchter betreffend zwar erfüllt worden wären, zeitgleich klagt sie aber über den mangelhaften Einsatz der gleichen die Kinderbetreuung betreffend.
Darüber hinaus geht sie davon aus, dass ihre Geschwister den Part der Großmutter – das heißt, die Teilnahme an slowenischem Kulturprogramm – genauso übernehmen könnten, wenn sie in Kärnten leben würden. Aber auch diesbezüglich gibt sie an, dass selbst dadurch der Einfluss der Großmutter aus ihrer Sicht nicht weniger werden würde, aber dass sie dadurch eben mehr Auswahl an Betreuungspersonen hätte (siehe hierzu auch Interview 1 und Interview 4 sowie die Unterpunkte 5.1 und 5.4).
Interessant ist zudem, dass Sanja (IP 1) sowohl die Erwartungen und Forderungen der Großeltern als auch deren Unterstützungsleistungen und Beiträge zur Sprachentwicklung der Enkeltöchter wesentlich detailreicher benennt bzw.
beschreibt, als dies Malina (IP 4) tut. Daraus zeichnet sich wiederum ab, dass Sanja die Großeltern ein Stück weit mehr als Unterstützung und sprachliche Ressource zu erleben scheint, als dies bei Malina der Fall zu sein scheint.
Im Großen und Ganzen zeigt sich auch hier – ähnlich wie unter Punkt 6.1 im Rahmen der Beschreibung des Typs I – dass insbesondere das Engagement der Großeltern für den wahrgenommen Einfluss der Großeltern aus Elternperspektive eine besondere Rolle spielt. Welche Rolle ebendieses Engagement im Rahmen des Typs III einnimmt, wird das folgende Unterkapitel zeigen.