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Von der Population aus Calden lagen größere Fragmente von insgesamt sechs Schä-deln vor, die möglicherweise verheilte Schädelverletzungen aufwiesen. Bei dem gut erhaltenen Schädel „Calden 30“ fand sich ziemlich mittig oben auf der Schädeldecke eine erhabene Abflachung. Dieser Bereich wurde möglicherweise durch eine stump-fe Gewalteinwirkung entlang der Körperachse auf die Schädelbasis eingedrückt, je-doch nicht vollständig durchbrochen. Von dem Schädel wurde ein DVT angefertigt, um eine überlagerungsfreie Darstellung der Schädelstrukturen im Schichtbildver-fahren (vgl. Herrmann 1988b) zu bekommen. Alle Schädelkompartimente konnten so noch einmal detailliert untersucht und die verschiedenen Schichten des DTV begutachtet werden. Hierbei konnte ein Durchbruch der traumatischen Verletzung

oben auf der Schädeldecke ausgeschlossen und die differierende Knochendicke in und neben der Frakturzone begutachtet werden. Durch eine rein makroskopische Begutachtung hätten diese Informationen nicht gewonnen werden können.

Die Abbildungen 181 bis 184 zeigen den beschriebenen Befund oben auf der Schädel-decke des Schädels 30 aus Calden. Das Trauma ist abgeheilt, zog aber eine Reizung des Periosts nach sich, was an der leicht erhabenen Knochenneubildung in dem Bereich der Abflachung zu erkennen ist. Dort finden sich die typischen Spuren, die auch eine Kopfschwartenreizung hinterlässt: Leicht poröse Knochenoberfläche und Erhabenheiten. Möglicherweise war durch das Trauma auch eine offene Weichge-webeverletzung entstanden, die eine Eintrittspforte für Krankheitserreger darstellte.

Diese Krankheitserreger könnten dann einen entzündlichen Reiz der Knochenhaut hervorgerufen haben. Dieser Befund eines Schädeltraumas zeigt deutlich, wie eng verschiedene Befunde miteinander verwoben sein können. Das vorausgegangene Trauma führte wahrscheinlich zu einer lokalen Entzündung des Periosts, welche zu den zuvor beschriebenen Veränderungen der Knochenoberfläche führte. Im Zuge dieses Prozesses hat sich lokal in der direkten Umgebung des Traumas Knochen als Reaktion auf die Entzündung neu gebildet. Dabei lagerte sich poröser, neu gebilde-ter Knochen auf die ursprüngliche Knochenoberfläche auf (vgl. auch Schultz 2011a).

Die Fraktur sowie auch die lokale periostale Entzündungsreaktion heilten offenbar komplikationslos ab.

Abb. 181   Links oben: Übersichtsaufnahme der linken Seite des Craniums „Calden 30“

Der Pfeil markiert die Region mit der Abflachung.

Abb. 182   Rechts oben: DVT des Cranium „Calden 30“

Der abgeflachte Bereich wurde eingekreist und gemessen (gelber Kasten im Bild). Die Fläche ist etwa 1150 mm² groß.

Abb. 183   Links unten: DVT des Cranium „Calden 30“ in sagittaler Ansicht Der Pfeil markiert die abgeflachte Stelle.

Abb. 184   Rechts unten: DVT des Cranium „Calden 30“ in coronaler Ansicht

Der rote Pfeil markiert die Abflachung, die grünen Pfeile markieren die Sutura coronalis, links neben dem roten Pfeil ist die Sutura sagittalis zu sehen.

Der Schädel 29 der Population aus Calden wies drei verheilte knöcherne Verletzun- gen auf; davon befand sich eine links am Os frontale, eine rechts am medialen Or- bitarand und eine weitere kleine auf der rechten Schädelseite. Die Verletzungen am Knochen sind flächenmäßig allesamt sehr klein. Als Ursachen kommen beispiels-weise eine kriegerische Auseinandersetzung oder ein Sturz in Betracht. Aber auch eine Jagdverletzung - verursacht durch Raubtiere - ist denkbar. Die am Knochen sichtbaren Spuren gehen offenbar auf eine Knochenneubildung im Gefolge einer Knochenhautreaktion zurück, die durch umschriebene lokale Weichgewebeverlet-zung in der betreffenden Region entstanden sein könnten.

Der Schädel C28, der detailliert im Befundkatalog vorgestellt wird, zeigt deutliche Spuren einer Hiebverletzung (Abb. 185).

Abb. 185   Trauma am Schädel C28; Calden

Das Cranium 28 weist eine verheilte Fraktur der linken Seite auf (roter Kreis).

Das Individuum überlebte die Attacke. Das ist daran zu erkennen, dass die Fraktur des Schädels eine vernarbte Knochenstruktur im Sinne des Heilungsprozesses an der Schädeldecke aufweist. Vergleicht man dieses Schädeltrauma nach äußerer Ge-walteinwirkung mit anderen Hiebverletzungen, z. B. aus der Eisenzeit, so fällt auf, dass das klassische Muster einer Frakturbildung bei C28 nicht mehr erkennbar ist, da die Läsion gut verheilte. Die anzunehmende Größe und das Ausmaß der ur-sprünglichen Verletzung entsprechen nicht einer Klingenwaffe der Eisenzeit. Klin-genwaffen hinterlassen häufig ein signifikantes Muster, nachdem sie den Knochen durchdrungen haben. Bei einer Impressionsfraktur ist der Defekt, beispielsweise bei einer Lochfraktur, häufig so geformt wie es die Form der Waffe vorgibt. Dies gilt prinzipiell auch bei Hiebverletzungen, die mit einer scharfen oder spitzen Waffe ausgeführt wurden (z. B. Murphy und Davis-Kimbal 2015). Der verheilten Verlet-zung an C28 fehlt ein derartig definiertes Aussehen. Das Aussehen dieser Läsion spricht eher für eine Waffe mit stumpfer, unregelmäßiger Form, wie z. B. eine stei-nerne Hammeraxt. Die hier vorgestellte Läsion kann auch nicht als eine verheilte Trepanation - also eine chirurgische Eröffnung des Schädeldachs - angesehen wer-den, wie sie Schultz (1995) an frühbronzezeitlichen Schädeln Nordanatoliens von der Fundstelle İkiztepe beschrieben hat oder wie Schultz et al. (2006) sie an gefun-denen Trepanationen Jordanischer Schädelfunde als damals wohl älteste bekannte chirurgische Interventionen an der Schädeldecke bezeichnet haben. Inwiefern nach dem Trauma eine Hirnschädigung bei dem Individuum vorlag, ist post mortem

schwierig zu sagen. Es ist jedoch keine Seltenheit, dass Individuen mit Kompressi-onstraumata überleben und die Frakturen gut ausheilen (Weber und Czarnetzki 2001). Die ausgeheilte Region am Schädel 28 wurde bisher stets als eine Fraktur beschrieben. Ob es wirklich eine Fraktur gewesen ist - bei allen typischen Merkma-len, die diese Region aufweist - bleibt nicht endgültig beweisbar. Es sollte daher auch eine andere Ursache für die verheilte Schädeldecke mit in Betracht gezogen werden. So soll z. B. die Heilung einer Langerhans-Zell-Histiozytose - oder eines Eosinophiles Granuloms des Schädels als eine Varietät - ein ähnliches Bild am Schä-del hinterlassen, wodurch selbst Fachleute es manchmal kaum von einer heilenden Fraktur unterscheiden können (Steinbok 2015).

Ein Aspekt, der bisher noch nicht angesprochen wurde, ist, dass es sich bei den sechs Schädeln, die verheilte Spuren einer Fraktur aufweisen, bei vieren eher um weibliche Individuen handelt. Einer war keinem Geschlecht zuzuordnen und einer stammt von einem männlichen Individuum. Fibiger (Schulting und Fibiger 2012) erklärte das Phänomen verletzter weiblicher Individuen so, dass sie wahrschein- lich weniger die Aggressoren einer tätlichen Auseinandersetzung waren, sondern mehr die Opfer.

Dass die Verletzungen ausheilten, könnte darauf zurückzuführen sein, dass die In-dividuen bereits damals über ein ausgeprägtes Sozialverhalten verfügten und dass Kranke und Schwache geschützt und gepflegt wurden. Weiterhin waren mögli-cherweise bereits Kenntnise über die Heilkunde menschlicher Körper vorhanden.

Durch sozialen Zusammenhalt und entsprechende Pflege konnten Individuen nach Verletzungen genesen.

4.8  Chronische Mittelohrentzündungen