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Eine gesunde, nicht über die physiologischen Maße hinaus muskulär beanspruch-te Knochenoberfläche ist in der Regel glatt und ohne Unregelmäßigkeibeanspruch-ten in ihrer Struktur. Wellen, Rillen oder Löcher kommen hier nicht vor. Weiterhin findet man an gesunden Knochenoberflächen keine Auswülste, knöcherne Neubildungen klei-ner und größerer Art oder Stufenbildungen mit glattem oder scharfem Übergang.

Unregelmäßigkeiten der knöchernen Struktur sprechen entweder für Spuren einer pathologischen Veränderung, können jedoch auch lediglich auf postmortale Beschä-digungen durch Störungen des Grabes, Bodenerosionen oder Ausgrabungsarbeiten im Sinne eines Artefakts hinweisen; intravitale Knochenauflagerungen gehen dabei immer auf eine Periostreaktion zurück (Schultz 1988b). Wurde der Knochen intra-vital durch muskelbedingten Stress verändert, finden sich unter Umständen Wul-stungen, Stacheln, Leisten o. ä., die nicht unbedingt krankhafter Natur sein müs-sen. Makroskopisch sind postmortale nicht sicher von intravitalen Veränderungen abzugrenzen; lichtmikroskopische Untersuchungen können dabei helfen, sowohl differentialdiagnostische Fragestellungen bezüglich makroskopisch vermuteter Spuren von Erkrankungen zu beantworten als auch diese klar von postmortalen Artefakten abzugrenzen (Schultz 2001).

2.3.5.1  Oberflächenbefundung und Befunddokumentation

Der*die Untersuchende muss bei auffälligen Unregelmäßigkeiten an den Knochen-oberflächen erst einmal zwischen intravitalen und postmortalen Veränderungen unterscheiden - was oft nur mithilfe lichtmikroskopischer Untersuchungen von Knochendünnschliffpräparaten der Fundstücke mit ausreichender Sicherheit mög-lich ist (Schultz 1988a, 2001, 2003, 2011a, Schultz und Nováček 2012). In diesem Zu-sammenhang sei nochmals erwähnt, dass viele Fundstücke der Populationen aus Calden, Rheine und Großenrode postmortale Veränderungen und Beschädigungen aufweisen, die mögliche pathologische Auffälligkeiten überdecken könnten. Die Knochen sind vor der Bereitstellung überwiegend mehr oder weniger gereinigt worden, wodurch ebenfalls Spuren pathologischer Prozesse an den Fundstücken entfernt worden sein könnten. Jegliche unsachgemäße Behandlung von skeletalem Fundgut kann die Befundung erheblich erschweren oder sogar unmöglich machen.

Besondere Aufmerksamkeit war also der Befundung zu widmen, um Artefakte und Spuren pathologischer Veränderungen bestmöglich auseinanderzuhalten.

Untersucht und befundet wurden die Fundstücke durch makroskopische Begut-achtung und Beleuchtung mit Streiflicht. Die Arbeitsplatzbeleuchtung wurde durch eine Leuchtröhrenlampe der Marke Hansa® (Typ T5 24W) sichergestellt. Streiflicht bedeutet, dass das schräg von oben oder seitlich einfallende Licht (optimal tangenti-ale Lichtführung) Unebenheiten wie kleine Furchen und Rillen oder Erhabenheiten wie plattenförmige Knochenneubildungen und wallartige Aufwölbungen sichtbar macht. Hier kommt der Schatten des mit Licht bestrahlten Bereiches zum Tra-gen, der neben dem eigentlichen Merkmal erscheint und den Bereich herausstellt.

Die Auffälligkeit lässt sich unter Streiflicht mit gutem Kontrast ansehen, sodass die Gefahr, dass man auch kleinste Veränderungen übersieht oder falsch deutet, minimiert wird. Außerdem lässt diese Methode eine differenziertere Beurteilung von Bereichen besonderen Interesses zu.

Eine intravitale Auflagerung auf der Knochenoberfläche ist immer auf eine periostale Reaktion zurückzuführen, die verschiedene Ursachen haben kann (Schultz 1988b). Eine differentialdiagnostisch abklärende, genaue Diagnose ist meist nur mithilfe von Knochendünnschliffen für eine lichtmikroskopische Unter-suchung möglich (Schultz 1986). Geschwulstartige Neubildungen fallen ebenso in das paläopathologische Befundschema. Sie sind mit den gleichen Methoden zu un-tersuchen.

Handlupen sind oft hilfreich, um auch detaillierte, kleine Veränderungen genauer betrachten zu können.

Waren die Veränderungen derart klein, dass selbst mit einer Lupe die genaue Be-fundung unmöglich war, wurde ein binokulares Lupenmikroskop mit Auflicht (kurz: Binokular) der Firma Leica® (Typ S8AP0) verwendet. Durch die integrierte Kamera der Marke Leica® (Typ DC 500) und das Computerprogramm Leica® Ap-plication Suite® (Version 2.8.1.) konnten hier auch Fotos von besonderen Bereichen des Fundstücks erstellt werden; es wurden über 260 Fotos für die Dokumentation aufgenommen.

Weiterführende Diagnostik, die nur durch Anfertigung eines Röntgenbildes be-trieben werden konnte, wurde mit einem Vollschutzröntgengerät der Firma He-wlett-Packard® (Typ 43805N X-RAY SYSTEM, FAXITRON SERIES) gemacht. Dies war z. B. für die röntgenologische Altersbestimmung, diagnostische Abklärungen und differentialdiagnostische Fragestellungen erforderlich; insgesamt wurden über 310 Röntgenbilder für diese Arbeit angefertigt. Verdickte Compacta und Krank-heitsbilder wie die Myositis ossificans waren ebenfalls gute Gründe für die Erstel-lung einer anschaulichen Röntgenaufnahme. Bei dem Röntgengerät ist es möglich, konventionelle und digitale Aufnahmen anzufertigen. Digitale Aufnahmen wurden mithilfe der Computersoftware „iX-Pect for EZ“ ermöglicht. Weiterhin wurde jeder Schädel – wenn er entsprechend erhalten war - geröntgt, um hier Strukturunter-brechungen festzustellen und die Pneumatisation der Nasennebenhöhlen und des Warzenfortsatzes zu begutachten. So ist z. B. die Ausdehnung der Stirnhöhle von diagnostischer Bedeutung - war sie beispielsweise verkleinert, war dies möglicher-weise auf eine Sutura metopica oder eine mangelhafte Pneumatisation im Kindes-alter zurückzuführen. Bei zahlreichen Schädeln konnte man sie nur mithilfe einer Röntgenaufnahme erkennen und befunden, da sie nicht künstlich eröffnet werden sollten.

Röntgenologische Aufnahmen wurden digital aufgenommen; so konnten durch Kontrastveränderungen die Bereiche des Interesses deutlicher herausgestellt und gezeigt werden. Helligkeitskorrekturen des aufgenommenen Digitalbildes - zwecks besserer Sichtbarkeit - konnten ebenfalls vorgenommen werden. Bei vier Schädeln wurde in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universitätsmedizin Göttingen mit freundlicher Hilfe von Alexander Klenke (Zahnarzt) und Frau Degenhardt (zahnmedizinische Fachangestellte) eine DVT (Digitale Volumentomografie)- Aufnahme angefertigt.

Solche Aufnahmen erlauben die überlagerungsfreie Darstellung von Objekten im Schichtbildverfahren (Herrmann 1988b). Bei der Befunderhebung für diese Arbeit waren Fragestellungen bezüglich Schädelfrakturen und -traumata die Indikation für ein dreidimensionales Bild, das in sehr anschaulicher Weise die knöchernen

Strukturen zeigt und mithilfe der computergestützten Schnittbildtechnik Frakturen und Traumata leicht erkennbar darstellt.

Fotos von makroskopischen Strukturen wurden mit einer Casio® Exilim Digitalka-mera mit 10X optischem Zoom erstellt (insgesamt über 7000).

Besonders für Schädel, doch auch für andere schwer einsehbare Bereiche an ver-schiedenen Knochen, standen Endoskope (optisches Endoskop (VOLPI; Baujahr ca.

1977), digitales Endoskop (SCHWEITZER; Baujahr 2009)) mit Kaltlichtquelle (Typ LUX – STA; W12010A – 3093) und Kamera der Marke Canon® (Typ LA-DC58F) zur Verfügung; es wurden über 320 Aufnahmen angefertigt. Mit der Computersoft-ware „Intravision Capture“ konnten Fotos digital aufgenommen und gespeichert werden. Somit war die Einsicht – beispielsweise in den Gehörgang eines Schädels – möglich und die herausgestellten Bereiche konnten fotografisch festgehalten wer-den. Für die verschiedenen Anforderungen standen ein Endoskop mit geradem Tu-bus und eines mit 30 °-Winkel-Optik zur Verfügung.

Die erhaltenen Fundstücke wurden meist in ein Skeletschema eingetragen (Erhe-bungsbogen von M. Schultz 1994 für die AG-Paläopathologie Göttingen, unveröf-fentlicht). Für Schädel wurde häufig ein anderes Schema verwendet, welches von Dmitrij v. Pozndnjakov (Schädelschemazeichnung 1993) entwickelt wurde. Weiter-hin wurden ausgewählte Oberschenkel- und Oberarmknochen sowie Schienbeine, Wadenbeine, Ellen und Speichen in spezielle größere Befundschemata der AG Pa-läopathologie Göttingen eingezeichnet, wenn bestimmte pathologische Verände-rungen, der Erhaltungszustand des Knochens oder andere Besonderheiten wie Va-rietäten detaillierter gezeigt und zeichnerisch festgehalten werden sollten. Waren die Fundstücke stark erodiert oder nur Fragmente erhalten, wurde meist auf eine detaillierte Zeichnung verzichtet. Dies betrifft viele Fundstücke der Populationen aus Rheine und Großenrode, während sich die meisten Fundstücke aus Calden noch so gut erhalten haben, dass ein Einzeichnen auf dem Skeletbogen lohnens-wert war, um das erhaltene Fundstück bildlich zu dokumentieren. Teile der über 600 Befundbögen werden in dieser Arbeit exemplarisch aufgeführt, jedoch ist dies nicht für alle erstellten Befundbögen sinnvoll, sofern kein weiterer Erkenntnisge-winn zu erwarten ist. Befundbögen wurden zu Dokumentationszwecken angefer-tigt, genauso wie zahlreiche Fotografien, von denen nur solche abgebildet werden, die exemplarisch Spuren von Veränderungen oder andere Besonderheiten zeigen.

Die gesamte Originaldokumentation ist in den Räumlichkeiten der AG Paläopatho-logie in Göttingen einzusehen.

Waren Befunde fraglich oder besonders interessant, wurden ein oder mehrere Proben für die Dünnschliffherstellung aus den relevanten Bereichen entnommen,

die lichtmikroskopisch untersucht wurden. Für diese Arbeit wurden von acht Fundstücken der Population aus Calden 22 Dünnschliffe aus elf Regionen angefer-tigt. Von einem Fundstück aus der Population aus Rheine wurden vier Dünnschlif-fe aus zwei Regionen hergestellt und von zwei Fundstücken aus der Population aus Großenrode zehn Dünnschliffe aus fünf Regionen. Die Probenentnahme und die Anfertigung der Dünnschliffe wurden freundlicherweise von Michael Brandt, AG Paläopathologie am Institut für Anatomie und Embryologie der Universitätsmedi-zin Göttingen vorgenommen.

Von den ausgewählten Präparaten wurden stets mindestens zwei Dünnschliffe in zwei verschiedenen Stärken hergestellt (50 µm und 70 µm). Die Methode wur-de von M. Schultz und M. Brandt entwickelt und beschrieben (z. B. Schultz und Drommer 1983, Schultz 1988a, 2001). Für die Präparateherstellung wurde eine Kno-chenprobe aus dem Bereich ausgesägt, der die Veränderungen aufwies. Diese Pro-be wurde zunächst in Dichlormethan (Intermedium) eingelegt und dann in einer Schale aus Aluminium in das Einbettungsmedium, den Kunststoff Biodur (Biodur E12® und Härter E1® (von Hagens 1978, von Hagens und von Hagens 1984)), legt. Anschließend wurde die Schale in einen Exsikkator mit Vakuumpumpe ge-stellt, wo der Austausch von Dichlormethan gegen den Kunststoff stattfand. Dieser Vorgang wird als forcierte Imprägnierung bezeichnet. Das Verfahren der Plastina-tion beruht auf der Dampfdruckdifferenz zwischen dem Intermedium und dem Kunststoff. Der Kunststoff musste vollständig aushärten und wurde dann zurecht-gesägt, sodass er auf einen Objektträger passte, auf den er dann aufgesetzt wurde.

Der Kunststoffblock konnte anschließend auf eine bestimmte Dicke (50 µm oder 70 µm) geschliffen und poliert werden, wobei regelmäßig eine Kontrolle der Dicke mit einer Mikrometerschraube erfolgte (Schultz und Drommer 1983, Schultz 1988a).

Für die lichtmikroskopische Untersuchung wurde ein Lichtmikroskop (Polari-sationmikroskop) der Firma Leica® verwendet. Es handelte sich um das Modell DM-RXP. Die Proben wurden in einfachem und polarisiertem Durchlicht mit und ohne Hilfsobjekt Rot 1. Ordnung (Quarz) als Kompensator untersucht; wei-terhin stand ein Graufilter zur Verfügung (Schultz 1986, 1988a, 2001). Anschlie-ßend wurden die Befunde fotografisch dokumentiert (insgesamt 259 Aufnahmen).

Die 70 µm-Dünnschliffe wurden alle zwecks Übersicht mit einem EPSON® Scanner (Typ EPSON PERFECTION 4870 PHOTO) eingescannt. Die Speicherung der Daten wurde mit dem EPSON® Scan-Computerprogramm vorgenommen.

Zwei Knochenoberflächen einer Fibula der Population aus Calden konnten nur mit-hilfe eines Rasterelektronenmikroskops der Marke ZEISS® (Typ DS 960) genau un-tersucht werden, um sicher postmortale von intravitalen Veränderungen abzugren-zen. Die rasterelektronenmikroskopischen Untersuchungen wurden am Institut

für Anatomie und Embryologie der Universitätsmedizin Göttingen durchgeführt.

Dazu wurden von Herrn M. Brandt zwei Knochenproben aus der Fibula ausgesägt.

Die Proben wurden auf einen kleinen Metallstift geklebt und konnten dann unter Vakuum mit einem Gold-Palladium Target von Frau Ingrid Hettwer-Steeger - ei-nem Mitglied der AG Paläopathologie der UMG - bedampft werden, damit die zu untersuchenden Oberflächen im Rasterelektronenmikroskop darstellbar wurden.

Fotografien der REM-Untersuchungen wurden mit einer Kleinbildkamera aufge-nommen (insgesamt 17 Bilder). Dazu wurde ein Schwarzweißfilm (Ilford Pan F plus) verwendet. Die entwickelten Negative wurden dann wie die Knochendünn-schliffe mit dem EPSON® Scanner (Typ EPSON PERFECTION 4870 PHOTO) einge-scannt. Die Speicherung der Daten erfolgte ebenfalls mit dem EPSON® Scan-Com-puterprogramm.

Langknochen, Kreuzbeine, Schlüsselbeine, Sprungbeine und Fersenbeine wurden nach Bräuer (1988) gemessen und – bei paarigen Knochen – die Körperseite be-stimmt. Weiterhin wurde jedes Fundstück in „detailliert untersucht“ oder „nicht detailliert untersucht“ eingestuft. Diese beiden Einteilungen sind als eine vorläufige Sortierung in befundbare und nicht befundbare Fundstücke zu verstehen. Nach der Einordnung in „nicht detailliert untersucht“ wurde keine nähere Beschreibung des Fundstückes vorgenommen, da dieses zu stark erodiert war, zu klein frakturiert vorlag oder das Fundstück an sich keine weiteren Befunde zulässt, weil entspre-chende Gebiete trotz großer Erhaltungsmenge erosionsbedingt nicht befundbar wa-ren. Wurde ein Fundstück als „detailliert untersucht“ eingeteilt, so wurde immer eine weitere Einteilung in „gesund“ und „krank“ vorgenommen. „Gesund“ heißt, dass die dort einkategorisierten Fundstücke keine Spuren eines intravitalen - bei-spielsweise pathologischen - Prozesses aufwiesen. Wurde die Kategorie „krank“

gewählt, heißt das, dass es Spuren von intravitalen, pathologischen Veränderungen gab oder dass – wie beispielsweise bei Kiefern möglich – eine Anomalie vorlag.

Ebenfalls wurden jene Fundstücke in dieser Zuordnung erfasst, welche Frakturen oder verheilte Spuren solcher aufwiesen.

Weiterhin wurden die Schädel und Langknochen im Befund in prozentuale Er-haltungsparameter eingeteilt. Schädel wurden wie folgt kategorisiert: „1 – 25%“,

„26 – 60%“ und „>61%“ erhaltenes Fundmaterial. Weiterhin wurde genau festge-halten, welche Anteile vorhanden waren. So wurde in der Datenbank eine Tabelle gewählt, in der Schädelkompartimente je Datensatz festgehalten wurden. Die Ta-belle wurde so geführt, dass hinter den Schädelkompartimenten entweder eine 1 für „gesund“ oder eine 2 für „krank“ geschrieben werden konnte. Dies erleichterte die Auswertung der zahlreichen Daten.

Für Langknochen wurden in der Datenbank die anzukreuzenden Einteilungen

„proximales Gelenk“, „proximaler Schaft“, „mittlerer Schaft“, „distaler Schaft“

und „distales Gelenk“ gewählt. Zusätzlich wurde ein anzukreuzendes Feld in der Datenbank verwendet, welches „vollständig“ genannt wurde. Dieses Feld wurde angekreuzt, wenn sich ein Knochen im Ganzen erhalten hatte. Problematisch wur-de die zuvor beschriebene Fünfteleinteilung nämlich dann, wenn ein Knochen in seiner Länge zwar alle „Fünftel“ zusammen ergab, aber dennoch Teile fehlten. Die verwendete Fünfteleinteilung bedeutete nur eine Näherung an die Länge der vor-handenen Fragmente; in ganz exakte Prozentanteile waren die Fundstücke meist nicht zu kategorisieren. So kam es vor, dass Knochen nur in ihrem anterioren Be-reich erhalten waren oder dass von jedem Fünftelabschnitt des Knochens nur ein Teilfragment vorlag, diese aber nicht aneinander passten. In all diesen Fällen könnte trotz eines vollständig angekreuzten Fünftelschemas ein unvollständiger Knochen gemeint sein. Deshalb wurde eine extra Kategorie für „vollständig“ verwendet.

Für die paläopathologische Befunderhebung war es - wie bereits beschrieben - zu-nächst erst einmal wichtig, eine gesunde Knochenoberfläche von einer krankhaft veränderten abzugrenzen. Die Befundung der Gelenkflächen erfolgte nach den Vorschlägen von Schultz (1988b). Nach dieser Einteilung, die Gradierungen von 0 bis VI vorgibt, werden degenerativ und entzündlich veränderte Gelenke geordnet.

Die Schwierigkeit der Gelenkbefundung lag vor allem darin, die morphologischen Veränderungen erst einmal genau zu erkennen und zu beschreiben und dann dem Klassifikationsschema entsprechend einzuordnen.

Nach Schultz (1988b) gibt es für die verschiedenen Schweregrade einer degenera-tiven Veränderung folgende Beschreibung der sieben Grade: Grad 0 beschreibt ein gesundes Gelenk, während Grad I bereits ein Gelenk mit geringfügigen Verschlei-ßerscheinungen kennzeichnet, das aber noch nicht als krankhaft bezeichnet wird.

Grad II steht für ein Gelenk mit geringgradig krankhaften Veränderungen. Der Gelenkrand weist Randleistenbildungen auf, die bis 3 mm breit sein können und die Gelenkfläche besitzt kleine Buckel und/oder kleine Lochdefekte, die aber die Corticalis nicht durchdringen. Grad III steht für mittelgradige krankhafte Verän-derungen, bei denen der Gelenkrand meist eine geschlossene Randleistenbildung zeigt und die Gelenkfläche Veränderungen auf mehr als 50% der Fläche aufweist;

die möglichen Veränderungen sind die gleichen wie bei Grad II, sind jedoch grö-ßer und/oder weiter ausgedehnt. Grad IV steht für ein Gelenk mit hochgradigen krankhaften Veränderungen. Die Randleisten der Gelenkränder messen mehr als 3 mm, alle Defekte auf Gelenkfläche und -rand sind kleinflächig ausgebildet. Die poröse Gelenkoberfläche weist großporige Lochdefekte auf und/oder ist eburniert.

Gelenke mit Grad V weisen die gleichen Veränderungen auf wie solche mit Grad IV;

die Defekte sind jedoch größer und flächiger ausgeprägt (meist geschlossene Rand-leistenbildung und Fläche zu über 50% betroffen). Grad VI repräsentiert ein total deformiertes und durch degenerative Prozesse verändertes Gelenk. Es liegen Kno-chenneubildungen oder ausgedehnte Nekrosen an Gelenkrand und -fläche vor.

Gelenkrand und -fläche wurden immer getrennt voneinander betrachtet, der hö-here Grad entschied dann über den Gesamtgrad des Gelenkteils. War ein Gelenk vollständig, wurden die Gesamtgrade der jeweiligen Gelenkteile zusammengezählt und durch zwei geteilt. Dies ergibt die Bewertungsziffer des Gelenks (BWZ).

Als pathologisch verändert galt eine Gelenkfläche und/oder ein Gelenkrand ab einem Arthrosegrad von mehr als II (2). Es sei angemerkt, dass im ausführlichen Befundkatalog keine römischen Ziffern für die Arthrosegrade der Gelenkteile ver-wendet wurden, da diese rechnerisch für das Programm FileMaker Pro® nicht aus-wertbar gewesen wären. Es finden sich folglich nur arabische Ziffern im vollständi-gen Befundkatalog.

Unter dem Begriff „Muskeltrauma“ wurden bei der Befunderhebung Enthesiopa-thien zusammengefasst, die durch Myotendo- bzw. LigamentopaEnthesiopa-thien im Zuge von muskulärer Überbelastung zu Sehnen- und Bandverknöcherungen geführt haben.

Diese Veränderungen stellten sich als proliferativ verknöcherter Bereich dar oder als nekrotisch bedingte Einkerbung.

Zu Dokumentationszwecken wurde für die Knochen, bei denen es möglich war, ein Untersuchungsblatt zur Erhebung des Gelenkstatus` verwendet (Schultz 1988b), in das die Gradierungen der degenerativen Veränderungen, die sich aus den Unter-suchungen ergeben haben, eingetragen wurden. Das war allerdings nur bei zusam-menhängenden Gelenkverbänden sinnvoll. Die Gelenke der einzelnen Fundstücke wurden ebenfalls befundet. Im direkten Vergleich miteinander sind auch diese Da-ten aussagekräftig, dennoch ist es für eine vollständige Beurteilung degenerativer Veränderungen an Gelenkflächen notwendig, alle beteiligten Gelenkkompartimen-te in befundbarem Zustand betrachGelenkkompartimen-ten zu können. Nur dann ist eine Gesamtgradie-rung des Gelenks möglich. Da bei allen drei Populationen überwiegend einzelne Knochen und Knochenfragmente vorlagen, wurde eine Einteilung der einzelnen Gelenkkompartimente in die Grade der degenerativen Veränderungen - wie zuvor beschrieben - durchgeführt.

Die Befundung der Wirbel erfolgte nach der gleichen Methode, wie sie zuvor für die Langknochen beschrieben wurde. Wirbelsäulenspezifische Besonderheiten wurden ebenfalls dokumentiert. Die Einteilung in die sieben verschiedenen Grade von de-generativen Veränderungen kam zusätzlich zur Anwendung. Zur Dokumentation wurde das Befundschema für Wirbelsäulen von Schultz (1988b) genutzt.

2.3.5.2  Frakturen

Das Fundmaterial wurde auch auf traumatische Ereignisse im Sinne von Fraktu-ren untersucht. Zu beachten war hierbei, dass die meisten ZusammenhangstFraktu-ren- Zusammenhangstren-nungen einzelner Knochen auf postmortale Ereignisse durch Grabstörungen oder Grabungs- und Bergungsarbeiten zurückzuführen waren. Meistens sind Frakturen, die zu Lebzeiten des Individuums entstanden sind, gegen postmortale Frakturen insofern abzugrenzen, als dass diese häufig Ausheilungsspuren zeigen (Schultz 1988b). Lediglich bei perimortalen oder postmortalen Ereignissen bleiben Spuren der Ausheilung aus. Perimortale Frakturen konnten bei dem vorliegenden Material nicht mit ausreichender Sicherheit gegen postmortale Artefakte abgegrenzt werden.

Deutliche intravitale Frakturgeschehen mit Ausheilung waren jedoch an manchen Fundstücken nachweisbar.

2.3.5.3  Befundung der Zähne und Zahnhalteapparate

Für die Dokumentation wurde das Untersuchungsschema für Zähne und Kie-fer nach Schultz (1988b) verwendet. Hier wurde der Zustand der Zähne und des Zahnhalteapparates sowie der Kiefergelenke abgefragt (Schultz 1988b). Mittels der Befundung der Zähne können Aussagen über das Sterbealter, die Nahrungs-zusammensetzung und genetische Muster getätigt werden. Notiert wurde in dem Befundschema, ob ein Zahn erhalten war und in welcher Form – lag er einzeln vor oder in einer Alveole. Leere Alveolen wurden ebenfalls erfasst, an ihnen sind Pa-rodontopathien (Grade 1 bis 5) post mortem noch zu beurteilen. Weiterhin wur-den Befunde über Schmelzhypoplasien, Neubildungen in Form von Sekundär- und Tertiärdentin oder Hyperzementose, Abrasionen, Karies und Zahnstein erstellt, in verschiedene Grade und Spezifitätskategorien eingeteilt und dokumentiert. Abra-sionen wurden nach Schemata von Szilvássy (1988, nach Miles 1963 und Brothwell 1981, modifiziert) sowie Perizonius und Pot (1981) befundet. Anomalien der Zähne und Kiefer, der Arthrosegrad der Kiefergelenke und Zusatzbefunde wie Spuren ei-ner Stomatitis oder Spuren eiei-ner Entzündung der Kieferhöhle konnten hier eben-falls vermerkt werden.

Auf die Gradierung der Abrasionen wurde bereits zuvor eingegangen, weswegen hier auf eine erneute Erklärung verzichtet wird. Bezüglich der Schmelzhypopla-sien sind die Grade 0 bis 5 möglich. SchmelzhypoplaSchmelzhypopla-sien entstehen u. a. im Zuge von Infektionskrankheiten oder Mangelernährung. Fehlen beispielsweise Kalksal-ze, kann es zu einer Störung der Verkalkung der Zahnsubstanz kommen; auch ein Proteinmangel wirkt sich negativ auf das Wachstum der Zähne aus (Schultz 1988b).

Auf die Gradierung der Abrasionen wurde bereits zuvor eingegangen, weswegen hier auf eine erneute Erklärung verzichtet wird. Bezüglich der Schmelzhypopla-sien sind die Grade 0 bis 5 möglich. SchmelzhypoplaSchmelzhypopla-sien entstehen u. a. im Zuge von Infektionskrankheiten oder Mangelernährung. Fehlen beispielsweise Kalksal-ze, kann es zu einer Störung der Verkalkung der Zahnsubstanz kommen; auch ein Proteinmangel wirkt sich negativ auf das Wachstum der Zähne aus (Schultz 1988b).