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4.9   Degenerative Veränderungen an Gelenken

4.9.2   Geschlechtsunterschiede bei degenerativen Gelenkerkrankungen

Um Lebensbedingungen von Populationen verstehen zu können, ist auch die Rekonstruktion und Betrachtung der Arbeitsteilung von weiblichen und männ-lichen Individuen wichtig. Anhand von Gelenkerkrankungen ist generell eine Rekonstruktion einer geschlechtsabhängigen Arbeitsverteilung möglich, wie Teegen und Schultz (2003) mit Befunden an 34 Individuen aus slawischen Gräber-feldern zeigen konnten. Ein menschliches Skelet kann folglich unter Umständen und u. a. in Korrelation mit archäologischen Daten Auskunft über körperliche Ak-tivitäten geben, die das Individuum täglich während seines Lebens ausgeführt hat (Hawkey und Merbs 1995). Aufgrund des Erhaltungszustandes der Fundstücke konnte nur für die Population aus Calden diesbezüglich eine nennenswerte Aussa-ge Aussa-getroffen werden. Für die Population aus Großenrode waren nur drei Fundstü-cke - die eine Arthrose aufwiesen - einem Geschlecht zuzuordnen. Im Detail waren dies ein Os coxae und ein Os femoris eines weiblichen Individuums und eine Fibula eines männlichen Individuums. Bei einer so geringen Anzahl an entsprechenden Funden kann keine Aussage über die geschlechtsspezifischen Unterschiede der kör-perlichen Aktivität der Population aus Großenrode getroffen werden. Bei der Popu-lation aus Rheine war kein einziges Fundstück mit den entsprechenden Kriterien nachzuweisen.

Für die Population aus Calden ergeben sich folgende, vergleichbare Ergebnisse (Knochen weiblicher Individuen sind immer zuerst genannt): Die Häufigkeit der Arthrose an den Gelenkflächen von Ellen, Schienbeinen, Gelenkflächen von Schul-terblättern und Oberarmknochen ließ keine wesentlichen, geschlechtsspezifischen Unterschiede erkennen; hingegen wurden bei Wirbeln in vier zu acht Fällen, bei Kreuzbeinen in zwei zu vier Fällen, bei Hüftpfannen in acht zu fünf Fällen, bei Oberschenkelknochen in sieben (mit sechs proximal und fünf distal) zu 19 Fällen (mit 17 proximal und 12 distal), bei Atlantooccipitalgelenken in vier zu drei Fällen Spuren von Arthrose beobachtet. Weiterhin waren ein männliches Schlüsselbein und ein männliches Wadenbein mit Arthrose zu finden. Bei der Population aus Cal-den gab es insgesamt 31 von 185 Skeletelemente, die an Cal-den Gelenkflächen Spuren einer Arthrose aufwiesen, einem weiblichen Individuum zuzuordnen und befund-bar waren und 50 aus 174 von männlichen Individuen.

Auch wenn für die Population aus Calden eine größere Zahl an befundbaren Skeletfunden vorlag als in den beiden anderen hier untersuchten Populationen, die für die Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede von degenerativen Gelenkerkrankungen zur Verfügung standen, so ist dennoch die Aussagekraft als gering einzuschätzen, weil zu wenige Fundstücke überhaupt einem Geschlecht zugeordnet werden konnten. Für den Vergleich von weiblichen und männlichen Femora waren zwar ebenfalls nicht viele, aber dennoch genügend Fundstücke vor-handen, um zumindest eine Annäherung für die Fragestellung zu liefern: Sieben von 25 (28%) Femora weiblicher Individuen wiesen degenerative Gelenkerkran-kungen auf und 19 von 40 (48%) Femora männlicher Individuen. Die Hüftpfannen wiesen mit 47% (n = 8 von 17) weiblichen zu 42% (n = 5 von 12) männlichen kei-nen aussagekräftigen geschlechtsspezifischen Unterschied bezüglich degenerativer Gelenkerkrankungen auf. Bringt man die Werte rechter und linker weiblicher und männlicher Hüftpfannen mit den Werten der Femora zusammen, so ergeben sich folgende Ergebnisse: Von den weiblichen Hüftpfannen wiesen drei rechte und fünf linke eine Arthrose auf sowie vier rechte Oberschenkelköpfe und zwei linke. Bei den Hüftpfannen männlicher Individuen wiesen drei rechte und zwei linke eine Arthrose auf sowie acht rechte Oberschenkelköpfe und neun linke. Die Werte kann man nicht ohne weiteres korrelieren, da die verschiedenen Knochen wahrscheinlich nicht einzelnen Individuen zuzuordnen sind. Dennoch ist anhand der vorgestellten Beobachtung die Vermutung zu äußern, dass degenerative Gelenkerkrankungen des gesamten Hüftgelenks bei männlichen Individuen häufiger vorkamen, als bei weiblichen. Dies könnte ein Hinweis auf einen geschlechtsspezifischen Unterschied der Bewegungsgewohnheiten der Individuen sein. Demzufolge gibt es Anhalts-punkte dafür, dass Männer der Population aus Calden ihre unteren Extremitäten stärker beansprucht haben, da sie möglicherweise u. a. für die Nahrungsbeschaf-fung häufig längere Strecken zu Fuß zurücklegen mussten sowie schwerere Lasten zu tragen hatten. Diese Annahme würde die Rolle des Mannes als Jäger und die Rolle der Frau als „Hausfrau“ unterstützen. Dass bei Hüftpfannen insgesamt keine aussagekräftigen, geschlechtsspezifischen Unterschiede gefunden werden konnten, mag ein Zufall sein, da insgesamt nur wenige Hüftpfannen befundbar waren (ins-gesamt 52 Hüftpfannen, davon 29 rechte und 23 linke).

4.10  Muskeltraumata

Die in der vorgelegten Arbeit unter dem Oberbegriff „Muskeltrauma“ zu verstehen-den Spuren pathologischer Veränderungen sind Enthesiopathien, die als Band- und Sehnenverknöcherungen an Knochen sichtbar sind und durch muskuläre Über-belastungen im Sinne von Myotendo- bzw. Ligamentopathien entstanden sind.

Sie wurden unter dem Begriff „Muskeltrauma“ zusammengefasst, weil sie makro-skopisch untereinander häufig nicht sicher unterscheidbar waren. Am Rande sei bemerkt, dass sich starke Überbelastungen schneller am Knochen manifestieren, als leichte, deren Manifestation am Knochen mehr Zeit in Anspruch nimmt; aufgrund dieser Tatsache wird die Gesamthäufigkeit von „Muskeltraumata“ unterschätzt (Gresky et al. 2008). Traumata dieser Art hinterlassen bei entsprechender Ausdeh-nung eine erkennbare Struktur am Knochen in Form knöcherner Neubildungen oder lokaler Nekrosen.

Bei der Population aus Calden waren folgende Knochen von einem „Muskeltrau-ma“ betroffen: Fünf Wirbel (von insgesamt 241 befundbaren; 2%), fünf Schlüssel-beine (von insgesamt 20 befundbaren; 25%), vier Rippen (von insgesamt 130 be-fundbaren; 3%), fünf Schulterblätter (von insgesamt 31 bebe-fundbaren; 16%), vier Oberarmknochen (von insgesamt 62 befundbaren; 6%), fünf Ellen (von insgesamt 49 befundbaren; 10%), fünf Speichen (von insgesamt 50 befundbaren; 10%), 24 Ober-schenkelknochen (von insgesamt 116 befundbaren; 21%), 13 Kniescheiben (von 23 befundbaren; 57%), 19 Schienbeine (von insgesamt 79 befundbaren; 24%), 13 Wa-denbeine (von insgesamt 47 befundbaren; 28%).

Es fällt auf, dass bei den Knochen der unteren Extremität „Muskeltraumata“ insge-samt häufiger gefunden wurden. Nur die Schlüsselbeine wiesen eine ähnlich hohe Häufigkeit auf.

Das insgesamt häufigere Auftreten von „Muskeltraumata“ an der unteren Extremi-tät könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Individuen der Population aus Calden viel zu Fuß unterwegs gewesen sind. Bei der vorangegangenen Betrachtung dege-nerativer Gelenkerkrankungen konnte ein ähnlicher Schluss gezogen werden.

Für die Population aus Rheine waren bezüglich des Auftretens von „Muskeltrau-mata“ keine aussagekräftigen Ergebnisse erzielbar, da die Fundstücke in so stark erodiertem Zustand vorlagen, dass eine Oberflächenbefundung meist nicht mög-lich war.

In der Population aus Großenrode fanden sich an einem Wirbel (von insge-samt 191 befundbaren; 1%), zwei Schlüsselbeinen (von insgeinsge-samt 15 befundba-ren; 13%), einem Oberarmknochen (von insgesamt 35 befundbabefundba-ren; 3%), neun Oberschenkelknochen (von insgesamt 52 befundbaren; 17%), drei Schienbeinen (von insgesamt 58 befundbaren; 5%) und vier Wadenbeinen (von insgesamt 20 be-fundbaren; 20%) Spuren von „Muskeltraumata“.

Diese Werte spiegeln nicht das Ergebnis der Population aus Calden wider. Da die Population aus Großenrode fast ausschließlich in Form von Knochenfragmenten

vorlag, ist es nicht verwunderlich, dass Spuren pathologischer Veränderungen möglicherweise nicht leicht zu entdecken waren. Weiterhin könnten von den Kno-chen die relevanten Bereiche gefehlt haben oder erodiert gewesen sein, sodass ent-sprechende Bereiche mit Spuren von „Muskeltrauma“ der Befundung nicht mehr zur Verfügung standen.

4.11  Mindestindividuenzahl

In dieser Arbeit stützen sich viele Aussagen auf die Mindestindividuenzahl, die aber – wie der Name schon aussagt – nur eine Mindestzahl bedeutet. So könnte es sein, dass beispielsweise die 152 Fundstücke, die bei der Population aus Calden Ober-schenkelknochen zuzuordnen waren, nicht zu den mindestens vorhandenen 39 In-dividuen gehörten, sondern zu weiteren. Die Anzahl der tatsächlich vorhandenen Individuen ist nicht anzugeben, doch es darf angenommen werden, dass die Zahl deutlich über der Mindestindividuenzahl liegt. Dies hängt mit der Bestattungswei-se in Kollektivgräbern zusammen, bei der augenscheinlich zahlreiche Knochen zer-stört wurden oder durch Bodenerosion zerfielen. Weiterhin ist anzunehmen, dass durch landwirtschaftliches Überpflügen der Grabanlagen über Jahrhunderte obere Schichten der Gräber zerstört wurden und dabei auch Fundgut für immer verloren ging. Für die Bestimmung der MIZ wurden Zähne und Knochen herangezogen. Die jeweils größte Zahl wurde dann als MIZ angegeben. Für die Population aus Calden wurde eine MIZ von 39 anhand rechter Femora errechnet, für die Population aus Rheine eine MIZ von 23 anhand von Zähnen 26, für die Population aus Großenrode wurden die MIZ mit 43 anhand der Anzahl des Zahns 46 errechnet.

4.12  Körperhöhe

Die Körperhöhe ist ein komplexes Maß am menschlichen Körper und wird von Rösing (1988) als eines der variabelsten und kompliziertesten am Menschen be-zeichnet. Die Körperhöhe unterliegt großen Schwankungen, die unter anderem von Alter, Geschlecht, ethnischer Herkunft und vielem mehr abhängt sowie nur dann möglichst genau berechnet werden kann, wenn an einem Skelet viele Mes-sungen durchführbar sind (Rösing 1988). Das Fundgut der für diese Arbeit unter-suchten Populationen enthielt keine vollständigen Skelete. Mehrere Maße an ver-schiedenen Knochen eines Individuums waren nicht zu erheben, lediglich einige Oberschenkelknochen konnten bei entsprechendem Erhaltungszustand vermes-sen werden. Somit ist die Angabe der Körperhöhe in dieser Arbeit nur eine Nä-herung. Da jedoch ausschließlich Oberschenkelknochen für die Vermessung zur Verfügung standen, ist der damit einhergehende Fehler für alle gemessenen Femo-ra gleich. Damit sind die rekonstruierten Körperhöhen zumindest untereinander

näherungsweise vergleichbar, wobei auch innerhalb eines Skelets Schwankungs-breiten verschiedener Knochen auftreten, die - wenn individuell betrachtet - zu ab-weichenden Körperhöhenrekonstruktionen führen würden (Rösing 1988). Bei der Rekonstruktion von Körperhöhen nach Sjøvold (1990) für die Individuen der Popu-lation aus Calden konnten die Gesamtlängen von 29 Oberschenkelknochen verwen-det werden. Die berechneten Körperhöhen der Individuen schwankten insgesamt zwischen mindestens 136,2 cm bis maximal 189,6 cm, unabhängig von der Seite und dem Geschlecht; die durchschnittliche Schwankungsbreite liegt zwischen 140,7 cm und 185,2 cm. Der Median liegt bei etwa 155 cm, der Mittelwert bei etwa 158 cm.

Für weibliche Individuen kann eine durchschnittliche Spanne der Körpergröße von etwa 153,5-161,7 cm (berechnet nach Bach 1965) angegeben werden und für männ-liche etwa 161-170,6 cm (berechnet nach Breitinger 1938).

Die kleinen Größen gehen möglicherweise darauf zurück, dass manche Individuen noch nicht vollständig ausgewachsen waren.

Der Erhaltungszustand des Fundgutes der Populationen aus Rheine und Großenro-de war so mangelhaft, dass die Längendaten Großenro-der Oberschenkelknochen nicht mess- oder rekonstruierbar waren. Zudem fehlten zumeist Teile der Knochen, sodass eine Rekonstruktion der Körperhöhe nicht vorgenommen werden konnte.