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„Unsere größten Ängste sind die Drachen,

die unsere tiefsten Schätze bewahren.“ (Rainer Maria Rilke)

Hirsch226 betont die Bedeutung lang zurückliegender Traumatisierungen für die ältere Bevölkerung und geht davon aus, dass sowohl in der gesellschaftlichen Wahrnehmung, als auch in der pflegefachlichen Ausbildung und Praxis die The-men der Traumatisierung und Re-Traumatisierung älterer Menschen (noch) kaum präsent sind. Er führt mitunter folgende Punkte an:

 Gefühle von Scham, Missachtung, Hoffnungslosigkeit, Selbstaufgabe.

 Isolation und Vereinsamung, Angst (vor Dritten).

 Auftreten von psychosomatischen Erkrankungen.

 Körperliche und psychische Veränderungen nach Gewaltanwendungen.

 Armut und finanzielle Ausbeutung.

 Posttraumatische Belastungsstörungen.227

Das Schweigen wurde im Kap. 5.3. aus Sicht der Betroffenen im Erwachsenenal-ter behandelt. Traumatische Erlebnisse lassen Menschen verstummen. Für viele davon ist es bereits zu spät darüber zu sprechen, weil sie bereits verstorben sind oder sehr alt sind. Die Hoffnung liegt an den Enkelkindern, dass sie zumindest der damaligen Generation, dem Unerhörten Gehör geben.228

In einer Studie von Teegen und Cizmic über „Traumatic Life Events and Present Stress Disorders of Elderly People in Need of Care“, wurden pflegebedürftige Se-nioren zu ihren Erinnerungen an traumatische Lebenserfahrungen befragt. An der Erhebung nahmen 37 Personen (Männer und Frauen) teil, das durchschnittliche

225 M. Hermann, P. Bäurle, 31.

226 Vgl. Rolf D. Hirsch, Gewalt gegen alte Menschen – aktuelle Traumatisierungen, In: Psychothe-rapie im Alter, Nr. 3, 1. Jg. Heft 3, 2.

227 Vgl. R. D. Hirsch, 2.

228 Ebda, 3.

52 Alter betrug 81 Jahre. 65% davon litten unter somatoformen Symptomen, die mit traumatischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges assoziiert waren.

Bei 11% wurde eine Posttraumatischen Belastungsstörung und bei 32% eine par-tielle Posttraumatische Belastungsstörungen festgestellt. Die Untersuchung wurde im häuslichen Umfeld, dem Gesprächstempo mit Pausen und den jeweils indivi-duellen Bedürfnissen der Gesprächspartner angepasst. Die standardisierten Inter-views dauerten ca. zwei Stunden. Abgefragt wurden soziodemografische Daten (Lebensalter, Geschlecht, Familienstand, Lebenssituation, Bildungsniveau, Alter bei Berufsverlust/Pensionierung); Gesundheitsstatus (die Pflegestufe wurde bei den betreuenden Pflegepersonen erfragt); körperliche Erkrankungen und Funkti-onseinbußen wurden anhand einer Checkliste erhoben. Die traumatischen Le-benserfahrungen wurden anhand der deutschen Übersetzung von Zumbeck &

Teegen, (1997) des Traumatic Life Event Questionnaire (TLEQ, Kubany, 1996), mit 13 der 17 Items erhoben.229 Es wurden u. a. Items vorgegeben, diese spra-chen familiäre Gewalt, Kriegserfahrungen, den plötzlispra-chen Verlust nahestehender Menschen, Diagnosen einer lebensbedrohlichen Krankheit oder schwere Unfälle an.230 In Anlehnung zu Teegen und Meister (2000) wurden zusätzlich Angaben zu Extrembelastungen während des Zweiten Weltkrieges mit 13 Items erfragt, diese entsprachen den Tramakriterium nach DSM-IV.231

Trauma im Lebensverlauf Tab.1: Traumatische Lebenserfahrung. Angaben von 37 pflegebedürftigen Senioren

229 Vgl. Fauke Teegen, Lucas-David Cizmic, Traumatische Lebenserfahrungen und heutige Belas-tungsstörungen pflegebedürftiger alter Menschen, In: Zeitschrift für Gerontopsychologie und – psychiatrie, 16(2), 80.

230 Vgl. F. Teegen, L.-D. Cizmic, 80.

231 Vgl. F. Teegen, L.-D. Cizmic, 80.

53 In Tab. 1 ist ersichtlich, dass alle Befragten sich an traumatische Lebenserfahrun-gen erinnern konnten. Mit steiLebenserfahrun-gendem Lebensalter standen das „Erleben des plötzlichen und unerwarteten Todes nahestehender Personen“, die „Diagnose ei-ner schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung“232 und Extrembelastungen wäh-rend des Zweiten Weltkrieges, die im jungen Erwachsenalter gemacht wurden , im Vordergrund.233 Das Ergebnis war, dass mehr als drei Viertel durch Bombardie-rung und Beschuss in Lebensgefahr geraten sind, dass sie Angehörige durch plötzliche Trennung oder gewaltsamen Tod verloren haben und dass sie mit Schwerverletzten und Sterbenden konfrontiert waren. 60% der Befragten berichte-ten, dass die traumatischen Ereignisse immer noch als belastend erlebt werden.234 Die belastenden Erinnerungen wurden zum Teil andeutungsweise beschrieben:

So schilderte ein 81-jähriger Mann seine Erinnerungen an seine Verwundung: „Ich bin dreimal verwundet worden und mußte danach immer wieder an die Front.“235 Aufgrund der kleinen Stichprobe sind die Ergebnisse nicht allgemein übertragbar, weisen jedoch darauf hin, dass viele ältere, hilfs- und pflegebedürftige Menschen im Laufe ihres Lebens, besonders durch Ereignisse im Zweiten Weltkrieg schwer traumatisiert wurden und z. T. unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden.236 Die Studie war interessant obwohl sie Männer und Frauen betraf, weil die Befragung an Personen durchgeführt wurde, die nicht an einer demenziellen Erkrankung litten237.

Heuft stellt fest, dass seelisches Leid nicht quantifizierbar ist. Die Frage, ob ein reales Trauma anders zu bewerten sei, als eine traumatische Phantasie, kann somit nicht beantwortet werden. Es kann nur das Ausmaß der psychogenen Be-einträchtigung nach einem traumatischen Ereignis oder nach einem Symptomaus-bruch bewertet werden. Die seelischen Folgen von Traumata zeigen sich radika-ler, als die Folgen von unbewussten oder unbewältigten Konflikten.238

232 F. Teegen, L.-D. Cizmic, 82.

233 Vgl. F. Teegen, L.-D. Cizmic, 82.

234 Vgl. F. Teegen, L.-D. Cizmic, 82.

235 Ebda, 82.

236 Vgl. F. Teegen, L.-D. Cizmic, 89.

237 Anm. d. Verf.

238 Vgl. G. Heuft, 229.

54 schnittstudien zu posttraumatischen Symptomen sind für die deutsche Kriegsge-neration nicht verfügbar. Internationale Forschungen weisen jedoch auf die Be-deutung des Zeitpunktes der Traumatisierung.239

6 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

„Ich war schon seit Monaten mit den Füßen daheim, wo niemand wusste, was ich gesehen hatte. Und es fragt auch keiner. Erzählen kann man nur, wenn man

wie-der den abgibt, von dem man erzählt. Ich war froh, dass keiner etwas fragte, und insgeheim kränkte es mich.“240

„Der Bergriff Post-Traumatic-Stress-Disorder (PTSD) wurde im Jahre 1980 mit dem Erscheinen des DSM-III eingeführt und im DSM IV durch die „acute strss di-sorder“ ergänzt. Im DSM-IV wird die Störung unter den Angststörungen aufge-führt.“241 Die Symptome können unmittelbar nach einem traumatischen Gesche-hen oder nach mehrjähriger Verzögerung auftreten.242

Es ist erwiesen, dass chronifizierte posttraumatische Belastungen, ausgelöst durch traumaassoziierten Stress den Verlauf von körperlichen Erkrankungen be-einflussen können. Dies konnte für Herz-Kreislauferkrankungen und immunologi-sche Erkrankungen bestätigt werden.243