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Psychische und physische Gewalterfahrungen

4.8 Gewalterfahrungen

4.8.2 Psychische und physische Gewalterfahrungen

Eine Zeitzeugenaussage in Herrmann, Müller fasst eindrückliche die Situation der Soldaten und die physisch und psychisch erlebte Grausamkeit zusammen:

„Wir gerieten auf dem Weg nach vorn zweimal in dichten Feuerhagel und brachten nur wenig mehr als die Hälfte des frischen Ersatzes durch. Die Jungs hielten die Feuerwalze nicht aus, viele sprangen auf und wollten da-vonlaufen, so wurden sie erst recht getroffen. Die durchkamen, stanken

133 Vgl. Reinhart Koselleck, Die Diskontinuität der Erinnerung, In: Deutsche Zeitschrift für Philoso-phie Jg. 47, Heft 2, 213-222.

134 U. Herrmann, R.-D. Müller, 118.

135 Ebda, 118.

136 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 119.

37 nach ihrer eigenen Scheiße … Die Menschen reagieren gleich. Gefangene, die wir machten, hatten die Hosen genauso voll wie wir. Es ist, als ob der Körper die Situation, für die er nicht geschaffen wurde, bestreiken wolle.“137 In Feldpostbriefen wird die erlebte Angst und der psychische Schmerz selten und wenn dann zurückhaltend zur Sprache gebracht.138

„Vom Vater kamen fast täglich Feldpostbriefe. Darin standen manchmal kleine Geschichten: Neues von Peter. Das Pferd Peter war so etwas wie der beste Freund, dem es stets gelang, den Vater aus gefährlichen Situati-onen herauszubringen. Man geriet in Not, aber man wurde gerettet. Eine tröstliche Botschaft.“139

In Herrmann, Müller hingegen wird über Zeitzeugenberichte, die Angst vor Schmerz und Tod sehr eindeutig beschreiben, berichtet:

„All die Zerstückelten und Zerfetzten, die Verbrannten und Zermalmten, die die Schlacht hinterließ, werden darin vorrangig einer anonymen Gewalt zu-geschrieben, der gegenüber sich die Wahrnehmung der eigenen Person darin allein auf das Opfer der Gewalt reduziert.“140

Im Krieg erleben die Soldaten die Ambivalenz von Todeserfahrung, von Töten und Getötet-werden. Hier geht es um Menschen, die gewaltsam zu Tode gekommen sind und keines natürlichen Todes gestorben sind. Aus einer politischen und mo-ralischen Herausforderung wird eine eindeutige Tat.141

„Am zweiten Tag des Polenkrieges musste ich auf einen Befehl von Posen Bomben werfen. Acht von 16 fielen in die Stadt, mitten in die Häuser hinein. Da hatte ich keine Freude dran, am dritten Tag war es mir gleichgültig und am vierten hatte ich meine Lust drauf ….“ 142

137 U. Herrmann, R.-D. Müller, 128.

138 Vgl. S. Bode, 77.

139 S. Bode, 77.

140 U. Herrmann, R.-D. Müller, 128.

141 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 114.

142 Sönke Neitzel, Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, 84.

38 Es werden offensichtlich Mordaktionen beschrieben, die durch eigene Gräueltaten gerächt werden. Folgender Bericht ist zu lesen143:

„Ich habe hier südlich von Breslau die Leichen der erschlagenen Zivilisten gesehen. Frauen, denen sie die Hand abgehackt haben und Mädchen, die halbtot geschändet und dann direkt geschlachtet wurden – und mir dürft Ihr glauben. Wir haben gestern sofort daraufhin 20 Russen umgelegt, die wir gefangen hatten, und ich schieße auch jeden, den ich erwische, sofort über den Haufen.“144

Ein erst 18-jähriger Soldat reagierte auf den Tod von Kameraden, indem er Rituale zur Bewältigung der Situation einführte, er sammelte ein paar Habseligkeiten, überbrachte den Angehörigen die Todesnachricht, rauchte noch die letzten Stum-pen des Toten. Erst als sein engster Freund fiel, reichten die Rituale nicht mehr aus und er sprengte den Druck der Verzweiflung, indem er seinem toten Freund Vergeltung durch das Töten von145 „10 Russen und einen braunen Bonzen“, schwor.146

„Irgendwo in Schlesien …. ‚Ich weiß nicht mehr genau, wo es war, wir hat-ten weder einen Orts- noch Zeitbegriff, als die ershat-ten Einschläge kamen.

Wir waren auf freiem Feld, und es gab die ersten furchbaren Schreie der Verwundeten.„ In den Schützengräben liefen Soldaten … neben Kindern und alten Männern, die Frontlinie war ein einziges Chaos.“147

Wolfgang Pickert machte sich in die Hose, inmitten des Artilleriefeuers, umgeben von Toten.148

„Das Kämpfen war sehr hart, ich muß das offen gestehen, manchmal war es so, daß die Gulaschkanone nicht an uns herankommen konnte, auch die Essensträger nicht, weil wir zu stark unter Feuer standen, so daß wir manchmal zwei bis drei Tage nichts zu essen hatten. Die Kälte war

143 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 131.

144 U. Herrmann, R.-D. Müller, 131.

145 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 141.

146 U. Herrmann, R.-D. Müller, 141.

147 A. Kuba, 179.

148 Vgl. A. Kuba, 179.

39 bar. Wir waren doch nicht dementsprechend gekleidet. Die Winterkleidung kriegten wir erst im Frühjahr.“149

„Und dann vergaß ich es nie, wie du nach tagelangem Marsch in dem zer-schossenen Haus die kleine verschrumpfte Kartoffel aus der Asche nahmst, wie man eine kostbare Frucht, einen Pfirsich, nimmt und voll Andacht ihren Geruch atmetest. – Erde und Sonne – sagtest du, und draußen waren es 48 Grad Kälte.“150

Selbst die deutschen Truppenärzte erkannten, dass viele Soldaten ohne sichtbare Verwundungen starben. Es gab keine Krankheitsdiagnose dafür. Als Grund wur-den Unterkühlung, Erschöpfung oder andere Ursachen vermutet.151

Die Wohn- und Versorgungssituation unterschied sich im städtischen und ländli-chen Bereich. Die Großstädte waren durch Bombenangriffe weitgehend zerstört, die Versorgung mit Nahrungsmitteln war unzureichend, es herrschte große Not.152 Mieder153 berichtet über 400 Millionen Kubikmeter Bombenschutt, die auf Deutsch-lands Boden lagen. Ein Fünftel der Wohnungen und Fabriken und zwei Fünftel der Verkehrsverbindungen lag in Trümmern. Das Geld hatte seinen Wert verloren.

Trotzdem waren nicht alle Produktionsanlagen zerstört. Die psychische Gewalt wird in Demütigungen, Hunger, Schlafentzug, sinnloser Befehle und mangelnder Kommunikation an der Front erlebt.154

„Ein Kamerad in meiner Truppe, er war ein Bauer aus Niederösterreich na-mens Polt; musste regelmäßig auf einen Spind in unserer fast vier Meter ho-hen Stube der ehemaligen preußischo-hen Kadettenanstalt klettern, sich dort nie-derhocken und immer wieder den schwachsinnigen Satz rufen: ‚Ich, Nepomuk

149 J. Steinhoff, P. Pechel, D. Showalter, Deutsche im Zweiten Weltkrieg. Zeitzeugen sprechen, 209.

150 W. Borchert, In: Michael Töteberg, Irmgard Schindler, Wolfgang Borchert. Das Gesamtwerk, 317.

151 Vgl. http://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article112744602/Hunger-groesster-Feind-der-Wehrmacht-in-Stalingrad.html, o. S.

152 Vgl. A. Rau, 32.

153 Vgl. E. Mieder, 16.

154 Herbert Maeger, Verlorene Ehre. Verratene Treue – Zeitzeugenbericht eines Soldaten, 29.

40 von Schlipps, sitze auf dem Baum und wackle mit den Ohren, weil ich ein krummgeficktes Eichhörnchen bin.„“155

5 Kriegsfolgen

Die Zahl der Heimkehrer, die unter den Folgen von Krieg und Gefangenschaft lit-ten, wurde so groß, dass man diese Menschen nicht mehr unter „anlagebedingt“

oder „labile Charaktere“ abstempeln konnte.156

„Wir sind die Kegler.

Und wir selbst sind die Kugel.

Aber wir sind auch die Kegel, die stürzen.

Die Kegelbahn, auf der es donnert, ist unser Herz.“ (Wolfgang Borchert)

„Er war als 18-Jähriger ausgezogen, kam als 25-Jähriger zurück, von Ver-wundungen gezeichnet, erschöpft. Er hatte nichts gelernt, als zu überleben.

Das Leben sollte jetzt beginnen, aber es schien ihm immer schwer, sich zu freuen.“ ‚Im Krieg habe ich das Lachen verlernt„.“157

Eine ähnliche Situation schreibt Heinrich Böll über Wolfgang Borchert:

„Er war achtzehn, als der Krieg ausbrach, vierundzwanzig, als der Krieg zu Ende war. Krieg und Kerker hatten seine Gesundheit zerstört, das übrige tat die Hungersnot der Nachkriegsjahre Zwei Jahre blieben ihm zum Schreiben, und er schrieb in diesen zwei Jahren wie jemand, der im Wettlauf mit dem Tode schreibt. Borchert hatte keine Zeit, und er wußte es.“158

155 H. Maeger, 29

156 Vgl. S. Bode, 48.

157 Wolfgang Schmidbauer, Er hat nie darüber geredet. Das Trauma des Krieges und die Folgen für die Familie, 9.

158 H. Böll über W. Borchert, In: M. Töteberg, I. Schindler, o. S.

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