• Keine Ergebnisse gefunden

PTBS – Geschichte, Kultur und Politik

Schwelling berichtet über Rituale von zurückkehrenden Soldaten der griechischen Antike, in denen Zeremonien der Reinigung beschrieben werden, damit die

239 Vgl. H. Glaesmer, E. Brähler, 349.

240 Herta Müller, Atemschaukel, 270.

241 M. Langkafel, Die Posttraumatischen Belastungsstörung, In: Psychotherapie im Dialog 1/2000, 3.

242 Vgl. M. Noll-Hussong, 209.

243 Vgl. G. Flatten, U. Gast, A. Hofmann, et al., S3 – Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, In: Trauma und Gewalt 3.

55 ner wieder zivil- und gesellschaftsfähig werden.244 In zahlreichen Sagen und Mär-chenwird von Geistern berichtet, die so lange ruhelos in ihren Gräbern bleiben müssen, bis ihre Geschichten erzählt wurden.245

Politische Strömungen haben in den vergangenen hundert Jahren drei Formen von psychischen Traumata in den Blickpunkt der Forschung gedrängt. Zuerst wur-de die „Hysterie“ Ende des 19. Jahrhunderts ausgehend von Frankreich und als archetypische psychische Störungen der Frau beschrieben, dann folgte bereits die Schützengraben- oder Kriegsneurose nach dem Ersten Weltkrieg und zuletzt die sexuelle und innerfamiliäre Gewalt im Zusammenhang der Frauenbewegung in Westeuropa und Nordamerika.246

Drožðek247 berichtet über die multidimensionale Beeinflussung von Kultur auf die Gesundheit, die psychische Verfassung und PTBS. In jeder Kultur herrscht ein unterschiedliches Verständnis, was traumatische Ereignisse und posttraumatische Beeinträchtigungen sind. Ebenso werden durch sozio- und psycho-physiologische Prozesse die Symptome, der Verlauf, die Folgen der PTBS, aber auch die klini-sche Manifestation der Probleme und die Art der Hilfe beeinflusst. Die Kultur be-einflusst die Weise, wie jeder Einzelne, das Familiensystem oder andere Systeme Traumata bewältigen und den Folgen daraus anpassen. „Die Hauptsymptome ei-ner posttraumatischen Reaktion gleichen sich über Kulturen hinweg mehr als dass sie sich unterscheiden.“248

Die Wahrnehmung und Interpretation von Erlebnissen und Ereignissen werden von der jeweiligen Kultur, historischen Epoche oder der jeweiligen Wirtschaftsform geprägt.2491889 stellte der Berliner Neurologe Hermann Oppenheim die These auf, dass organische Erkrankungen durch traumabedingte Erschütterungen des

244 Vgl. BirgitSchwelling, Rezension zu: S. Goltermann, (2009): Die Gesellschaft der Überlebenden.

Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg, 236.

245 Vgl. J. Herman, 9.

246 Vgl. J. Herman, 29ff.

247 Vgl. Boris Drožðek, Interkulturelle Traumabehandlung: Eine Rückkehr zu den Grundlagen oder eine Erweiterung der Grenzen des Berufsstandes? In: Andreas Maercker, Rita Rosner, Psy-chotherapie der posttraumatischen Belastungsstörung, 28.

248 A. Maercker, R. Rosner, 28.

249 Vgl. S. Neitzel, H. Welzer, 14.

56 Nervensystems hervorgerufen werden können.250 Im Ersten Weltkrieg begann mit den sogenannten „Kriegszitterer“, Soldaten, die ihr Zittern nicht mehr abstellen konnten solange sie im Fronteinsatz waren, erstmals die Erforschung der Sym-ptome.251

Im Ersten Weltkrieg wurden erstmals die Schützengrabengefechte als militärische Taktik eingeführt. Die Soldaten waren während der Gefechte in den engen Grä-ben, meist in hockender Position eingepfercht und somit der Hilflosigkeit preisge-geben. Das Überleben hatte somit nichts mehr mit Kampf oder Können zu tun, sondern mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit.252

Über ein bisher unbekanntes Phänomen, mit dem die Psychiatrie bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges konfrontiert war schreibt Goltermann253: „Be-reits nach dem ersten Kriegsjahr litten mehr als hunderttausend deutsche Solda-ten - … - zumindest zeitweise an Dämmerzuständen oder Lähmungserscheinun-gen, an Schütteln, Zittern, dauerndem Erbrechen, vorübergehender Taubheit, Stummheit oder auch Blindheit.“254 „At the time, symptoms of shell shock varied from spasms, paralysis, mutism, deafness, and nightmares to uncontrollable trem-bling.”255

Die deutschen Ärzte brachten die Symptome in einen Zusammenhang mit den Techniken der Kriegsführung, wehrten sich jedoch gegen einen somatischen Zu-sammenhang. Sie verwendeten Bezeichnungen wie „Granaterschütterung“256,

„Granatfernwirkung“257, „Granatexplosionslähmung“258 oder auch „Nerven-schock“259, im englischen steht dafür der Begriff „sehll-shock“260. Mit diesen

250 Vgl. Matthias M. Weber, Erschütterte Nerven. In: Psychotherapie, 2010, Bd. 15, Heft 2, 208.

251 Vgl. S. Bode, 197.

252 Vgl. S. Bode, 198.

253 Vgl. S. Goltermann, 168.

254 S. Goltermann, 168.

255 Megan Brush, Shell Shock: The Culture of Cowardice in the First World War, 3.

256 S. Goltermann, 168.

257 Ebda, 168.

258 Ebda, 168.

259 Ebda, 168.

260 Ebda, 168.

57 fen versuchte man sich mit den körperlichen Symptomen als Folge zu distanzie-ren.261 “„Shell shock„, the term that would come to define the phenomenon, first appeared in the British medical journal The Lancet in February 1915, only six months after the commencement of the war.“262

In der Zeit des Ersten Weltkrieges stand in der Psychiatrie die Konversionssym-ptomatik im Vordergrund, d. h., es bestehen psychosomatische Erscheinungen, ohne organische Störungen, mit körperlichen Symptomen.263

Seelische Verletzungen galten bis 1914 bei den Soldaten als Feigheit. In den ers-ten beiden Kriegsjahren wurden die Soldaers-ten dafür standrechtlich erschossen.

Eine Ausnahme gab es nur für diejenigen, die glaubhaft nachweisen konnten, dass sie gelähmt, blind, taub oder geisteskrank sind. Für viele war dies die einzige Chance um mit dem Leben davon zu kommen.264

Durch die Veteranen des Vietnamkrieges (1964-1975) wurde die Diskussion um die gesellschaftliche Anerkennung des erfahrenen Leids wieder aufgenommen.

Sie waren maßgeblich an der Aufnahme der Diagnose des PTSD in das Hand-buch der American Psychiatric Association beteiligt, sie gründeten auch eine eige-ne Organisation (Vietnam Veterans Against War, VVAW), um mehr Aeige-nerkennung bei den Machthabern zu erreichen.265 Im Artikel: „Wenn das Kriegstrauma zurück-kommt“, geht Heuft auf den rasanten Anstieg von älteren Menschen mit psychi-schen Problemen in seiner Klinik ein und konnte die beschriebene Angst der Men-schen vor einem erneuten Krieg, mit dem Beginn des Irakkrieges 1991 in Zusam-menhang bringen.266

261 Vgl. S. Goltermann, 168.

262 http://www.smithsonianmag.com/history/the-shock-of-war-55376701/#UcPGOYa6KYIt4l2g.99, o. S.

263 Vgl. W. Schmidbauer, 92.

264 Vgl. W. Schmidbauer, 92.

265 Vgl. J. Härri, 25f.

266 Vgl. http://dasgehirn.info/denken/das-gehirn-im-alter/wenn-das-kriegstrauma-zurueckkommt-194/, o. S.

58