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Zu Beginn der Arbeit wird auf die Bedeutung von zeitgeschichtlichem Wissen und der Biografiearbeit in der Betreuung alter Menschen eingegangen. Zum besseren Verständnis werden dazu die Themen Erinnerung und sich erinnern und Flash-backs erläutert. Im Hauptteil werden Lebens- und Kriegserfahrungen der jungen Männer und späteren Soldaten aufgeteilt in Alterskohorten betrachtet. Im empiri-schen Teil stehen qualitative und quantitative Forschungsergebnisse von Kriegser-fahrungen Bezug nehmend auf die physischen und psychischen Folgen auf das Alter und höhere Alter im Mittelpunkt. Dazu werden die Begrifflichkeiten „Trauma“

und „Posttraumatische Belastungsstörungen“ erläutert. Zum Schluss wird auf den Einfluss von Posttraumatischen Belastungsstörungen auf die professionelle Pflege in den unterschiedlichen Seetings eingegangen. Im Kapitel Lebensqualität im Alter wird versucht die Frage zu beantworten, ob es noch zeitgemäß ist, sich mit einem Thema zu beschäftigen das nur mehr eine überschaubare Population betrifft.

2 Bedeutung von zeitgeschichtlichem Wissen

Radebold stellt die Frage:

„Holt uns unsere Geschichte wieder ein? Mit der Feststellung: ‚Wir haben eine Geschichte, wir sind Geschichte und wir verkörpern unsere Geschich-te, gilt selbstverständlich auch für uns als Professionelle selbst – sei es, dass wir der zweiten (= über 60-Jährigen) oder sei es, das wir der dritten (=

30- bis 50-Jährige) Generation angehören„.“22

Er stellt die Behauptung auf, dass uns die Geschichte einholt, wenn sie uns nicht interessiert hat, wenn wir uns ihr entzogen, sie bagatellisiert oder völlig verdrängt haben. Besonders Angehörige der zweiten Generation erleben die

22 H. Radebold, 231.

17 ten, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, sich dem Ausmaß dessen bewusst zu werden und es als Teil ihrer eigenen Biografie anzunehmen.23 Die Schwierigkeit der Annäherung an die eigene Geschichte wird in autobiografi-schen Berichten deutlich. Dies erleben Psychoanalytiker und Psychotherapeuten, Historiker, Theologen, Politiker, Wirtschaftsführer, Künstler und Schriftsteller.24 In Gesprächen mit der Kriegsgeneration ist zu bemerken, dass es für diese Men-schen von Bedeutung ist, ihre damaligen Handlungen zu begründen. MenMen-schen, die von der damaligen Zeit berichten und über ihre Erinnerungen sprechen, sehen sich in der Position, dass sie sich rechtfertigen müssen.25 Glaesmer äußert den Wunsch darüber, dass der historisch-biografische Hintergrund von Patienten, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, in der medizinischen Versorgung mehr be-rücksichtigt werden muss. Es ließen sich dadurch Eigenarten und Symptome die-ser Patienten besdie-ser behandeln.26

Über das Vermächtnis des Aufpassens von Eckart Schwartz :

‚„Man muss die Geschichte erzählen, immer und immer wieder. Damit sie sich nicht wiederholen kann. Und man muss immer aufpassen.„ Vielleicht, so meint er, habe seine Generation nie wieder Krieg geführt, weil sie diesen in der eigenen Kindheit und Jugend erlitten hat. ‚Wir wissen, wie das ist, am Boden zu liegen und zu zittern, ob man die nächsten Minuten noch erlebt.

Wir haben ja nur in Angst gelebt.„ So fährt der charismatische alte Mann übers Land, um als Zeitzeuge aufzutreten, für seinen nächsten Roman zu recherchieren und aus seinen Büchern vorzutragen. Als er am Ende der Lesung das Buch ‚Die Schatten der Vergangenheit„ zuklappt, lädt er die ju-gendlichen Zuhörer ein, mit ihm zu ‚schwatzen, über sein Schicksal. Das Schicksal der Kinder des Krieges. Danach bedankt er sich und sagt noch:

‚Und fragt auch eure Großeltern und Urgroßeltern. So lange es noch mög-lich ist!„“27

23 Vgl. H. Radebold, 231.

24 Ebda. 232.

25 Vgl. Anna, K. Rau, Krieg, Flucht und Vertreibung. Nationalsozialismus und Kriegserfahrungen in der Biografie alter Menschen, 36.

26 Vgl. H. Glaesmer, 199.

27 Andreas Kuba, Wir Kinder des Krieges. Eine Generation erzählt ihre Geschichte, 320f.

18 Die Antwort auf Radebold´s Frage, über die Bedeutung von zeitgeschichtlichem Wissen und ob uns die Geschichte wieder einholt, kann vielleicht mit den Worten des Kriegskorrespondenten Friedrich Orter gegeben werden:

„Ich will fort von hier. Ich will nie mehr Wut und Trauer verzweifelter Frauen in schwarzen Gewändern sehen, die über den Leichen ihrer Männer und Kinder kniend ihren Schmerz hinausschreien.“28

3 Biografiearbeit in der Betreuung alter Menschen

Die Integration von persönlichen Erlebnissen in die persönliche Biografie, ist als eine wichtige Aufgabe im Alter wahrzunehmen. Im Mittelpunkt von pflegerischen Handlungen stehen neben dem individuellen Erleben von Krankheiten Behinde-rungen und Pflegebedürftigkeit.29 Einen besonderen Stellenwert erhält dabei die Persönlichkeit von Pflegepersonen, um mit diesen Anforderungen umgehen zu können. Empathisches Einfühlungsvermögen, hohe Kompetenz und Sensibilität ist besonders in der Betreuung und Pflege von Zeitzeugen erforderlich.30 In den 1970er Jahren hat ein regelrechter Boom der biografischen Forschung eingesetzt, der nach wie vor anhält. Das biografische Material erlaubt es u. a., Einsicht in be-stimmte Milieus, in fremde Kulturen oder zu bebe-stimmten Handlungen zu bekom-men.31

Radebold weist auf die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte im Zu-sammenhang mit der Bedeutung professionelle Angebote für Betroffene setzten zu können und zählt für diese Aufgabe folgende Fragen und Wahrnehmungen auf:32

„Wie weit kenne ich meine diesbezügliche Familiengeschichte?

Welche Lücken in meinen Kenntnissen über meine Familiengeschichte be-stehen bei ihrer Rekonstruktion?

28 F. Orter, 33.

29 Vgl. A. K. Rau, 57.

30 Vgl. A. K. Rau, 69.

31 Vgl. Gabriele Rosenthal, Erlebte und erzählte Lebensgeschichten. Gestalt und Struktur biografi-scher Selbstbeschreibungen, 11.

32 Vgl. H. Radebold, 235.

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Was erschreckt mich, beunruhigt mich, beängstigt mich in der Begegnung mit und an der Geschichte dieser Betroffenen?

An welchen Details ihrer Geschichte bin ich nicht interessiert oder will sie auf keinen Fall weiter hören?

Welche Details verfolgen mich bis in meine Träume?

Welche Umstände einer spezifischen Geschichte versetzen mich in jeweils gefühlsmäßig strapaziöse Rollen, z. B. als Helfer, Retter, Spion, Verfolger, Ankläger oder Richter – somit die immer wieder auftauchende Täter-Opfer-Problematik widerspiegelnd?

Welche Personen meiner eigenen Geschichte fallen mir aktuell ein; auf wel-che Fragen an sie habe ich damals keine Antwort bekommen? Welwel-che Fragen würde ich jetzt (noch) gern den bereits Verstorbenen stellen? Wel-che Fragen, so nehme ich mir vor, will ich den noch Lebenden stellen?“33 Die Zahl der Betroffenen, mit einer entsprechenden Erfahrungsgeschichte, ist so groß das Professionelle damit überall konfrontiert werden können.34 Die Befragung nach traumatischen Erfahrungen stellt speziell bei der Kriegsgeneration ein be-sonderes Problem dar. Teilweise ist es ihnen nicht bewusst, dass sie traumatisiert sind oder es fällt ihnen schwer sich als hilfsbedürftig zu sehen, weil ihre Erlebnisse während des Krieges nichts Außergewöhnliches sind, zumal es eine ganze Gene-ration betroffen hat. Radebold empfiehlt, gezielt auf die historisch-biografischen Hintergründe bei der Kriegsgeneration einzugehen, um aktiv Erlebnisse während des Krieges zu erfragen und mögliche Traumafolgesymptome zu erfahren.35 Le-bensgeschichtliche Interviews mit damals jungen Soldaten zeigen sehr rasch, „wie sehr frühere Sozialisationen, Wertesysteme, Hoffnungen und Erwartungen die Wahrnehmung und Erinnerung bestimmen und wie sehr nachträgliche Umorientie-rungen auch eigene Erlebnisse umwerten und erzählen lassen.“36

33H. Radebold, 235f.

34 Vgl. H. Radebold, 236.

35 Vgl. H. Glaesmer, E. Brähler, 349.

36 Ulrich Herrmann, Rolf-D. Müller, Junge Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Kriegserfahrungen als Lebenserfahrungen.321.

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4 Der Zweite Weltkrieg

„Wo warst du Adam?“

„Ich war im Weltkrieg.“

(Heinrich Böll, Zitat Theodor Haecker)

„Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!“ Diese Meldung von Adolf Hitler bes-tätigte am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen den Beginn des Zweiten Weltkrieges. Erst am 8. Mai 1945 endete mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands vor den Alliierten ein dunkles Kapitel des 20. Jahrhunderts.

Nicht zu Unrecht, wird der Zweite Weltkrieg und seine Folgen für die Bevölkerung als das erschütterndste und schwerwiegendste zeitgeschichtliche Ereignis des letzten Jahrhunderts beschrieben.37

Buchmann38 geht von ca. 1,3 Millionen Österreicher und Österreicherinnen, die zwischen 1938 und 1945 in der Deutschen Wehrmacht gedient haben aus. Über-einstimmende Zahlen von Soldaten im Kriegseinsatz waren bzw. wie viele davon verwundet wurden, als vermisst gemeldet, gefallen oder heimgekehrt sind wurden trotz ausgiebiger Recherche nicht gefunden. Man geht davon aus, dass zwischen 18 und 20 Millionen Männer der deutschen Wehrmacht gedient haben. Für die große Differenz und die ungenauen Angaben findet man Hinweise, dass die Un-tersuchungen dazu immer noch nicht abgeschlossen wurden bzw. möglicherweise nie genaue Zahlen zu erwarten sein werden. Radebold39 bestätigt die Schwierig-keiten einer genauen Datenanalyse, weil sie schwer aufzufinden, weit gestreut in unterschiedlichen Wissensdisziplinen publiziert und bis heute nicht abgeschlossen wurden. Ebenso schreibt Kunz in Herrmann, Müller40 von der Annahme, dass ca.

18,2 Millionen Soldaten (Angehörige der Waffen-SS inkludiert) am Zweiten Welt-krieg beteiligt waren. Sie führen für die Ungenauigkeit der Zahlen den Zusammen-bruch der Kommunikationsstrukturen in der Endphase des Krieges, kriegsbedingte

37 Vgl. H. Glaesmer, 194.

38 Vgl. Bertrand Michael Buchmann, Österreicher in der deutschen Wehrmacht. Soldatenalltag im Zweiten Weltkrieg, 287.

39 Vgl. H. Radebold, 23.

40 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 81.

21 Aktenverlusten sowie systematische Vernichtungen von Unterlagen nach Kriegs-ende an. „Ihre exakte Zahl ist nirgendwo zu ermitteln, ….41

In „Die Geschichte Deutschlands nach 1945 – Ein Soldat kehrt heim“, schreibt Mieder42 über den Deserteur Damerow und zieht einen Vergleich zum Schriftstel-ler Wolfgang Borchert43. Damerow ist undendlich müde, erschöpft, verwirrt. Als er an die Tür seines Elternhauses klopft und seine Mutter ihm öffnet, diese ihn er-kennt und in die Arme schließen will, fällt er auf die Knie und weint. Er ist heimge-kommen, vorerst hat er überlebt. Ihm ist wie seinem Kriegskameraden Wolfgang Borchert zumute. Beide sind sich nie begegnet, beide waren Soldaten, beide wa-ren Deserteure. Beide gehöwa-ren einer Generation an, die den Krieg kaum überwin-den können. Sie sind zerrüttet, gedemütigt und geschlagen heimgekehrt.

„Heinrich Böll44 schrieb am 5.6.1944 aus Ungarn an seine Frau: ‚… und ich sage Dir … glaube nichts, was über den Krieg gedruckt wird oder gedruckt worden ist, wenn es nicht erfüllt ist von den Leiden der Soldaten und von dem Leid, dem wirklichen Pathos dessen, der es geschrieben hat, ….“45 Goltermann46 schreibt über die Unsicherheit, die bei den Heimkehrern in den ers-ten Jahren ihrer Rückkehr geherrscht hat. Es gab kein Gefühl der Sicherheit. Sie waren mit dem Kampf um das tägliche Leben konfrontiert. Dazu gehörten Arbeits-losigkeit, miserable Wohnungssituation, Nahrungsmittelknappheit und Gerüchte und Erzählungen. Die moralische, gesellschaftliche und politische Ordnung war für diese Männer zerstört.

41 Svenja Goltermann, Die Gesellschaft der Überlebenden, 95f.

42 Vgl. Eckhard Mieder, Die Geschichte Deutschlands nach 1945, 16.

43 Wolfgang Borchert, 1921-1947, deutscher Schriftsteller, bekannt im Zweiten Weltkrieg als Autor der „Trümmerliteratur“.

44 Heinrich Böll, 1917-1985, deutscher Schriftsteller.

45 H. Böll, In: Ulrich Herrmann, Rolf-Dieter Müller, Junge Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Kriegser-fahrungen als LebenserKriegser-fahrungen, 32.

46 Vgl. S. Goltermann, 97.

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