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„Hin und wieder mußt du mal ein paar Schüsse loslassen. Sonst friert das Ding ein. Einfach geradeaus ins Dunkle halten. Damit es nicht einfriert. ….

Du mußt den Kopfschützer von den Ohren machen. Befehl vom Regiment.

Auf Posten muß man den Kopfschützer von den Ohren machen. Sonst hört man ja nichts. Das ist Befehl. …. Er nahm den Kopfschützer von den Ohren und die Kälte griff mit spitzen Fingern nach ihnen. …. Der Schweiß kam kalt unter dem Helm heraus und gefror auf der Stirn. Gefror dort. Es waren zwei-undvierzig Grad Kälte. Unterm Helm kam der Schweiß heraus und gefror.

…. Da sang er. Laut sang er, daß er die Angst nicht mehr hörte. Und das Seufzen nicht mehr. Und daß der Schweiß nicht mehr fror. Er sang. Und er hörte die Angst nicht mehr.“177

171 S. Goltermann, 162.

172 S. Goltermann, 426.

173 Ebda, 426.

174 W. Schmidbauer, 141.

175 Michael Norman, Zeitzeuge, ehem. Marine.

176 J. Herman, 93.

177 M. Töteberg, I. Schindler, 200f.

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„Die Angst verläßt mich nicht mehr. Ich spüre körperlich, wie sich alles in mir ver-krampft“.178

Franka179, geb. 1965, Lehrerin erzählt:

„Meine Eltern erzählten immer viel von der Kriegszeit, aber es gibt Tabus, da frage ich besser nicht nach. Mein Vater ist 1922 geboren, und er durch-lief die ganze nationalsozialistische Erziehung. Mit 18 ging er als Soldat nach Russland. …. „Vor längerer Zeit sah ich ein altes Foto von meinem Vater, aufgenommen kurz nach dem Krieg. Ich weinte fast, so sehr rührte mich dieses Bild. Es gibt einen Spruch in unserer Familie: ‚Der Krieg kostet den Soldaten fünf Jahre seines Lebens„. Es ist ein merkwürdiger Spruch, denn kostet der Krieg nicht überhaupt das Leben? Auf diesem Foto sieht er so aus, als habe es ihn das Leben gekostet.“180

Herman181 berichtet über die kollektive Überzeugung von Soldaten, dass, wenn sie sich lange Zeit in Gefahr befanden, nur ihre gegenseitige Loyalität und der Einsatz füreinander sie vor Schaden bewahren könne. „Schließlich fürchteten sie die Trennung voneinander mehr als den Tod.“182

Bode183 schreibt über die „Not und Wut der Heimkehrer“184 und geht dabei auf ihre persönlichen Erinnerungen ein. Sie schildert ihre Kindheit in den fünfziger Jahren, von Männer, die sie als Choleriker und Tyrannen erlebt hat, die jedoch von ihrer Umgebung in Schutz genommen wurden, weil man mit ihnen Mitleid haben muss-te aufgrund des Krieges und den damit verbundenen Folgen.185

178 S. Goltermann, 394.

179 Franka, geb. 1965, Nachkriegskind, Lehrerin, erzählt über ihren Vater.

180 Bettina Alberti, Seelische Trümmer. Geboren in den 50er- und 60er-Jahren. Die Nachkriegsge-neration im Schatten des Kiegstraumas, 47f.

181 Vgl. J. Herman, 91

182 J. Herman, 91.

183 Vgl. S. Bode, 47

184 S. Bode, 47.

185 Vgl. S. Bode, 47.

45 Noll-Hussong186 schreibt über die Somatisierungsgefahr durch negative Affekte und Inkompetenzgefühle. Wenn psychologische Folgen einer Traumatisierung nicht verstanden werden bzw. verstanden werden wollen, treten meist unbewusst körperliche Phänomene auf. Es besteht der Wunsch nach Legitimität.187 Noch bis in die 1960-er Jahre hielt die Medizin an der Meinung fest, dass ein gesunder Kör-per keine seelischen Störungen verursacht. Es wurde angenommen, dass andere Faktoren dafür verantwortlich sind z. B. vererbte Belastungen oder eine labile Be-findlichkeit.188 Chronifizierte posttraumatische Belastungen können den Verlauf körperlicher Erkrankungen mit beeinflussen z. B. gastrointestinale, kardiovaskulä-re, bronchopulmonale und muskuloskeletale Erkrankungen, sowie Diabetes melli-tus und andere immunologische Erkrankungen.189

Die Diagnose „Dystrophie“ hat sich aus der Not heraus entwickelt. Viele Heimkeh-rer zeigten spezielle Symptome die im Zusammenhang mit physischen Schädi-gungen und psychischen BeeinträchtiSchädi-gungen aufgrund einer vorangegangenen Mangelernährung in Verbindung gebracht werden konnten. Viele litten an Depres-sionen, Konzentrationsschwächen, an unkontrollierten Wutausbrüchen. Andere fühlten sich ständig verfolgt oder von Feinden umzingelt.190 „Für viele Männer ging nach der Heimkehr der Krieg immer weiter…“.191

In einer bevölkerungsbasierten Studie gelang es Spitzer, Barnow, Volzke, et al., (2009)192 erstmals die Zusammenhänge von traumatischen Erfahrungen, einer

186 Vgl. Michael Noll-Hussong, Neurobiologie posttraumatischer und somatischer Störungen im Alter, In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie Heft 3, 210.

187 Vgl. M. Noll-Hussong, 210.

188 Vgl. S. Bode, 47.

189 Vgl. M. Noll-Hussong, 209.

190 Vgl. S. Bode, 48.

191 S. Bode, 48.

192 C. Spitzer, S. Barnow, H. Volzke, et al., konnten erstmals in einer bevölkerungsbasierten Studie die Zusammenhänge von traumatischen Erfahrungen, einer aktuellen PTBS und dem Auftre-ten verschiedener körperlicher Erkrankungen aufzeigen.

46 Posttraumatischen Belastungsstörung und dem Auftreten von verschieden körper-lichen Erkrankungen aufzuzeigen.193

Unter den somatischen Formen nehmen Schmerzen die führende Rolle ein. Be-sonders im Alter stellen Schmerzen ein großes Problem dar, welche von älteren Menschen aufgrund von Krankheiten, kognitiven oder körperlichen Beeinträchti-gungen, diese als Normalität des Alters tolerieren.194

Bei der deutschen Kriegsgeneration konnte zwischen traumatischen Erfahrungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen verstärkt das Auftreten von körperli-chen Erkrankungen z. B. kardiovaskuläre Risikofaktoren und Erkrankungen, Asthma und Schilddrüsenerkrankungen aufgezeigt werden.195

„Dieser Befund unterstreicht, dass die Kriegstraumatisierungen nicht nur psychische Folgen nach sich ziehen, sondern sich auch negativ auf die körperliche Gesundheit auswirken und die Folgen damit wesentlich komple-xer als üblicherweise angenommen sind.“196

Radebold verweist auf zwei Untersuchungen von Greb, Pilz, Lamparter197, (2003), bei vorwiegend männlichen Patienten, die sich nach einem frischen Herzinfarkt einer By-Pass-Operation unterziehen mussten. Es konnten beschädigende bis traumatisierende zeitgeschichtliche Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg nachgewiesen werden.198 Das in Glaesmer, Brähler199 beschriebene Allostatic Lo-ad Model von Schulkin200, (2004), wird herangezogen, um den Zusammenhang

193 Vgl. Heide Glaesmer, Elmar Brähler, Die Langzeitfolgen des Zweiten Weltkrieges in der deut-schen Bevölkerung. Epidemiologische Befunde und deren klinische Bedeutung, In: Pscho-herapeutenjournal Heft 4, 348.

194 Vgl. M. Noll-Hussong, 210.

195 Vgl. H. Glaesmer, E. Brähler, 348.

196 H. Glaesmer, E. Brähler, 348.

197 T. Greb, U. Pilz, U. Lamparter, führten Untersuchungen an älteren Menschen mit traumatischen Kriegserfahrungen in der Kinder- und Jugendzeit durch, die sich im Alter einer By-Pass Ope-ration unterziehen mussten.

198 Vgl. H. Radebold, 80.

199 Vgl. H. Glaesmer, E. Brähler, 348.

200 J. Schulkin geht im Allosatic Load Model davon aus, durch die Summe von Veränderungen der sozialen, psychologischer und umweltbedingter Stressoren zu einem Ungleichgewicht der Regulationsmechanismen zur Stressbewältigung kommen kann.

47 von traumatischen Erfahrungen und Posttraumatischen Belastungsstörungen mit körperlichen Erkrankungen zu erklären. In diesem Model wird davon ausgegan-gen, dass physiologische Regulationsmechanismen durch die Summe von sozia-len, psychologischen und umweltbedingten Stressoren aus dem Gleichgewicht geraten können, die für eine Stressverarbeitung notwendig wären. Wenn eine Dysregulation aufgrund von Stressoren eintritt, entsteht ein physiologisches Risi-ko für verschiedene Erkrankungen, besonders für Posttraumatische Belastungs-störung. Dies konnte inzwischen gut belegt werden.201 Auch Herman beschreibt, dass chronisch Traumatisierte nie mehr den Zustand von physischer Ruhe und Entspanntheit erreichen und über Unruhe und Schlaflosigkeit klagen. Häufig treten Spannungskopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden und Bauch-, Rücken- oder Beckenschmerzen auf. Viele der Opfer leiden unter Würgereiz, Herzklopfen oder klagen über Zittern.202