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Aufruf Joseph Goebbels (1943) im Berliner Sportpalast an vorwiegend 16-jährige Schüler zum totalen Krieg „Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt erst vorstel-len können?“97

Einen interessanten Aspekt zu den Lebens- und Kriegserfahrungen von Soldaten bringen Herrmann, Müller98 indem sie der Frage nachgehen, wer die „jungen“ Sol-daten sind. Sie stellen fest, dass „Jung“99 nicht dasselbe meint, wie „Jugend“.100 Die Jugend ist als Phase, als Status des Übergangs zum Erwachsenen zu sehen und sowohl historisch, als auch kulturell sehr unterschiedlich und meist auch von geschlechtstypischen Merkmalen gekennzeichnet. Bestimmte Zäsuren, wie das Ende der Schulzeit, der Eintritt ins Arbeitsleben, das Erlangen der Heirats- und Strafmündigkeit, aber auch die „Wehrfähigkeit“101, können nicht immer einem be-stimmten Lebensalter zugeordnet werden. Im Wesentlichen geht es jedoch um die Öffnung von neuen Erfahrungsräumen, die der Jugend vorenthalten sind. Dass innerhalb dieser Erfahrungsräume immer noch zwischen jung und alt unterschie-den werunterschie-den muss, verdeutlichen Herrmann, Müller102 anhand eines Beispiels. …

„ein 38-jähriger, frisch als Soldat eingezogener Familienvater ist im Vergleich zu einem 22-jährigen ledigen Leutnant zwar alt nach Lebensalter und –erfahrung, aber jung gemessen an seiner Kriegserfahrung.“103

Bereits im Herbst 1942 gab es den Befehl zum Abzug von 200 000 kriegserfahre-nen Soldaten von der Luftwaffe. Sie wurden aufgrund der hohen Verluste im Erd-kampf, bei der Kriegsmarine und auf U-Booten benötigt. Sie wurden von 15- bis 17-jährigen Oberschülern der Jahrgänge 1926-1928 ersetzt. Diese kamen aus der Hitlerjugend und wurden als Flakhelfer eingesetzt. Tatsächlich leisteten die

97 A. Kuba, 161f.

98 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 115.

99 U. Herrmann, R.-D. Müller, 115.

100 Ebda, 115.

101 Ebda, 115.

102 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 115.

103 U. Herrmann, R.-D. Müller, 115.

31 jungen Dienst als Richt-, Lade- und Munitionskanoniere, ebenso wurden sie zu Wachdiensten und Telefondiensten herangezogen und mussten Waffenpflege und Schanzarbeiten durchführen.104

Richard Suchenwirth,105 1927 geboren, Neurologe, war einer dieser Flakhelfer. Er kam mit 16 Jahren von der Schule und wurde zum Luftwaffenhelfer rekrutiert. Be-reits mit 17 hatte er viele seiner Klassenkameraden und seinen Bruder im Krieg verloren.106 Suchenwirth erinnert sich, als er als 16jähriger einen Luftwaffenangriff über München miterlebte:

„Es dauerte nicht lange, da brannten rings um uns überall Häuser, sodass die ganze Theresienwiese hell erleuchtet dalag. Granatsplitter klackerten vor unseren Füßen zu Boden. Ein eigenartiger Geruch nach Schießpulver und Bränden lag in der Luft.“107

In dieser Nacht warfen die Engländer 70 000 Bomben ab und mehrere Hundert Menschen verbrannten. Suchenwirth dachte in diesem Moment nicht an die Men-schen.108

„Helmut Godai109 war 16, als er im Mai 1943 in Wien mit der Straßenbahn in den Krieg fuhr. Während sich die Tramway mit den Schülern der 5. Klasse, die zuvor die Uniform der Luftwaffenhelfer angezogen hatten, dem Winter-hafen an der Donau näherte, schwankte der Wiener Gymnasiast zwischen Euphorie und Angst.“ 110

Godai über seine Einberufung zur Kriegsmarine in Usum an der Nordsee:

„Die 17-jährigen mussten mit der Gasmaske durch die Dünen robben, auf dem schwarzen Schotter des Kasernenhofs in Deckung springen, mar-schieren und stillstehen, marmar-schieren und stillstehen. Wurde bei der tägli-chen Musterung etwas beanstandet, musste der Kriegsschüler bei Tisch

104 Vgl. A. Kuba, 162.

105 Richard Suchenwirth, Zeitzeuge, geb. 1927.

106 R. Suchenwirth, In: A. Kuba, 25.

107 A. Kuba, 164.

108 Ebda, 164.

109 Helmut Godai, Zeitzeuge, geb. 1927.

110 A. Kuba, 168.

32 strammstehen und hungern. …. Aber uns hat das nichts ausgemacht. Wir waren ja hart trainiert. Und bereit, uns für die große Sache zu opfern„.“111 Diese jungen Soldaten waren noch wenige Monate zuvor ungeduldige Schüler und Studenten. Die Stimmung wurde durch die Kriegsrhetorik ihrer vom Kriegs-dienst befreiten Geschichts- und Deutschlehrer aufgeheizt. Sie wollten es ihren Vettern und älteren Brüdern zeigen, wie man „Krieg“112 führt. Mit einem Notabitur gingen sie zum Teil von den Gymnasien ab.113

Wolfgang Pickert114, 1930 geboren, als Einzelkind in bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, erzählt dass er im Dezember 1944 als 14-jähriger ein Gewehr in die Hand gedrückt bekam.115

„Es wurden Gewehre ausgegeben. Einige ältere und verwundete Soldaten, die nicht mehr für die Front verwendungsfähig waren, haben uns gezeigt, wie wir mit den alten Karabinern vom Typ K98 umzugehen hatten. Die Handhabung mit diesen Modellen aus dem Ersten Weltkrieg war für uns recht schwierig, denn sie waren groß und schwer. Doch es machte uns Spaß.“116

Der Zeitzeuge Schörken R.117, Jahrgang 1928, berichtet über die Zeit als Flakhel-fer:

„Ich weiß noch, als ich 16 Jahre alt wurde, im Sommer 1944, da hab ich mir überlegt: Welcher 16-jährige auf der ganzen Welt kann von sich behaupten, dass er mit seiner Flakbatterie schon sechs englische oder amerikanische Bomber abgeschossen hätte? Ich fand das schon was Besonderes.“118

111 Ebda, 173.

112 U. Herrmann, R.-D. Müller, 159.

113 Vgl. U. Herrmann, R.-D. Müller, 159.

114 Wolfgang Pickert, Zeitzeuge, geb. 1930.

115 Vgl. A. Kuba, 178.

116 A. Kuba, 178.

117 Rolf Schörken, Zeitzeuge, geb. 1928.

118 U. Herrmann, R.-D. Müller, 345.

33 In der historischen Jungend- und Sozialforschung wird die Jugend mit der oberen Altersgrenze von 25 Jahren begrenzt.119 Die Frage, wer die „jungen“ Soldaten im Zweiten Weltkrieg waren kann somit einfach beantwortet werden. Von den im Jahr 1939 Eingezogenen waren ca. 47% höchstens 25 Jahre alt, geht man von der Obergrenze 18 Jahre aus, so waren dies im gleichen Zeitraum ca. 25%. Bei ca.

17,4 Millionen Wehrmachtsangehörigen, bedeutet das dass die Hälfte aus jungen Soldaten bestand und davon immer noch ein Viertel aus Jüngeren.120

Für die Soldaten war der Zweite Weltkrieg ein wesentlicher Lebensabschnitt, ge-prägt von Todesbedrohungen, Verwundungen, Erschöpfung und zahlreichen Her-ausforderungen, mit schrecklichen Erfahrungen und Erlebnissen und mitunter von verlorenen Ausbildungsjahren. Allerdings machten sie auch Erfahrungen von Ver-lässlichkeit, Kameradschaft und Freundschaft.121