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Sucht man in der Lore-Lindu-Region nach Relikten der traditionellen Landwirtschaft, wird man vor allem im Pipikoro-Gebiet im westlichen Kulawi fündig. Fernab der asphal-tierten Strassen und nur zu Fuß, auf dem Pferd oder (teilweise) mit dem Motorrad er-reichbar, kann man in den Dörfern noch erahnen, auf welche Weise im Zentralsulawesi des frühen 20. Jh. Landwirtschaft betrieben wurde. Die sich deutlich vom dichten Wald abhebenden Brachefelder zeugen davon, dass in diesem Gebiet noch heute Brandro-dungswanderfeldbau betrieben wird.

Abb. 41 Brachefeld in der Nähe von Lawe (Quelle: Eigene Aufnahme, 2001)

Zwar bestehen in einem Dorf wie Lawe heutzutage feste Siedlungsstrukturen und hat die Einführung von Kaffee und Kakao zur Anlegung permanente Felder geführt, der Anbau von saisonalen Produkten wie Mais, Trockenfeldreis oder Cassava erfolgt jedoch weiterhin in Feldrotation. Der Mechanisierungsgard in der Landwirtschaft liegt weit unter dem Durchschnitt der gesamten Lore-Lindu-Region. Handtraktoren sind nicht nur auf-wendig in der Anschaffung, da die schlechte Verkehrsinfrastruktur des Pipikoro-Gebiets

sowohl den Transport erschwert als auch die Transportkosten erhöht. Die Geräte wären bei Feldern mit einer Hangneigung von bis zu 80 Grad auch nur bedingt einsatzfähig (vgl.

Abb. 41). Die Weiterverarbeitung des geernteten Reises erfolgt noch immer traditionell mit Hilfe eines lesung batu oder lesung kayu, einem Trog aus Stein bzw. Holz. Der ge-trocknete Reis wird dabei in den Trog gefüllt, welcher in der Mitte eine runde Vertiefung aufweist. Mit einer hölzernen Stange wird dann in monotonem Rhythmus senkrecht in die Vertiefung geschlagen, wobei sich das Spreu von den Reiskörnern trennt.

Bereits BURKHARD (2002a: 7ff) verweist darauf, dass die von DOVE (1983) als Trugschlüsse identifizierten Mythen über den Wanderfeldbau auch für die Untersu-chungsregion zutreffen. So kann weder behauptet werden, dass sich das kultivierte Land in kommunalem Besitz befindet, noch trifft es zu, dass die Flächen von einer ganzen Ge-meinde bestellt werden.132 Die Rodung des Waldes für die neuen Agrarflächen erfolgte (und erfolgt noch immer, z.B. im Pipikoro-Gebiet) in Arbeitsgruppen, die im Napu-Tal z.B. horobo genannt werden (BURKHARD 2002a: 7). Während früher vorwiegend Mit-glieder einer extended kin group eine Arbeitsgruppe bildeten, wird nun, wie etwa aus dem Dorf Lawe zu erfahren ist, im gesamten Dorf nachgefragt, wer sich an einer solchen Ar-beitsgemeinschaft beteiligen möchte. Nachdem für jedes Mitglied der Gruppe eine Fläche gerodet worden war, markierte jeder Bauer sein Feld, wodurch es von da an als Besitz seiner Familie ‚registriert’ war. Meist wurde die paruja, das Durchpflügen des Bodens mit Hilfe einer größeren Anzahl an Büffeln (je nach Feldgröße bis zu 50 Tiere), ebenfalls in Gemeinschaftsarbeit dieser Gruppe nacheinander für jedes Feld durchgeführt. Die weitere Bestellung des Feldes wurde häufiger von der Familie durchgeführt, welche das Feld besaß, als in Gruppenarbeit.

132 HENLEY (2002: 193) kommt, bezugnehmend auf ADRIANI & KRUYT (1950-1951, Bd. 3: 26f), zu dem Schluss: „In sparsely populated Central Sulawesi, by contrast, all of the fallow land belonging to a sin-gle village was held in common and reallocated each year by an unpredictable process of consultation and concensus”. Den in dem zitierten Satz genannten Kontrast zeichnet er in Rückgriff auf die Arbeiten von WILKEN (1873) und GRAAFLAND (1898) am Beispiel der im Vergleich zu Zentralsulawesi dichter bevölketen Region der Minahasa, wo eng definierte Verwandschaftsgruppen ein System dauerhafter Landrechte selbst für die Dauer der Brachezeit pflegten (HENLEY 2002: 193). Allerdings ist hierbei an-zumerken, dass sich das Werk von ADRIANI & KRUYT nicht mit dem westlichen Teil Zentralsulawesis befasst, welchem die Lore-Lindu-Region zuzurechnen ist, sondern mit dem östlichen Teil. Somit stehen die Ausführungen weniger im Widerspruch zu den Ergebnissen des Verfassers, sowie von BURKHARD

(2002a), sondern deuten vielmehr auf die heterogene Ausgestaltung von Landbesitzrechten in unter-schiedlichen Regionen Zentralsulawesis hin.

Der Ertrag der Felder war keinem System kommunaler Redistribution unterwor-fen. Vielmehr gehörten die jeweiligen Feldfrüchte dem jeweiligen Besitzer des Feldes.

Man könnte verleitet sein, dem Einfluss der niederländischen Kolonialherren einen ent-sprechenden Wandel von Gemeinde- zu Privatbesitz zuzuschreiben. Die Niederländer stärkten die formale Betonung der Kernfamilie, indem sie durch die Veränderung der Siedlungsstruktur (permanente Dörfer, permanente Häuser) im Rahmen der Besteuerung von landwirtschaftlichen Erträgen nicht das gesamte Dorf, sondern jede einzelne Familie in Form von Kopfsteuern fokussierten (vgl. LOGEMAN 1922: 131f; VOORN 1925: 15).133

Auf den gerodeten Flächen wurden Reis (padi ladang), Mais, Cassava und Ge-müse angebaut. Während der Kolonialzeit kamen teilweise noch Kaffeefelder hinzu. Reis wurde entweder im Wechsel mit den anderen Produkten (außer Kaffee) oder gemischt angebaut, wobei der Reis meist in der Mitte und die anderen Früchte an den Rändern ge-pflanzt wurden. Bevor die ersten Händler in die Hochlandregionen (z.B. Kulawi) kamen, wurden Güter wie z.B. Salz im Tiefland (z.B. im Palu-Tal) im Austausch mit Reis134, Gold135 und anderen Produkten erworben. Wie in Kulawi wurde auch im Napu-Tal bereits zu vorkolonialen Zeiten Gold geschürft. Dieses wurde anfangs hauptsächlich für Tribut-gaben an den raja von Sigi benutzt. Nachdem sich die ersten chinesischen Händler in Poso angesiedelt hatten, wurde das Gold dort gegen Salz und andere Luxusgüter jener Zeit getauscht (vgl. auch KRUYT & KRUYT 1921: 407).

Der Brandrodungswanderfeldbau war zur Zeit der Ankunft der Niederländer in der Lore-Lindu-Region weit verbreitet. Gleiches gilt aber auch für den Nassreisanbau, oder zumindest für das Wissen darüber. Allerdings waren es nicht die Kolonialherren, die den Nassreisanbau im Untersuchungsgebiet erstmals eingeführt hatten. Dies belegen zeit-genössische Quellen und jüngere Untersuchungen. Das Vorkommen von Nassreisfeldern im Palu-Tal wird im 18. Jh. bereits von VALENTIJN (1724: 74f) erwähnt. Auch HISSINK

133 Auf landwirtschaftliche Produkte, sog. buah tanah, wurde eine Steuer von fünf Prozent des Ertrags erhoben. Den jeweiligen Dorfchefs wurden acht Prozent der eingenommenen Steuern als Lohn zur Ver-fügung gestellt (LOGEMAN 1922: 132).

134 Im Tauschhandel zwischen Kulawi und dem Palu-Tal wurde in den 1930er Jahren z.B. ein Liter Salz mit einem Liter Reis getauscht.

135 Das Gold wurde aus den Flüssen gewaschen. Es handelte sich dabei jedoch nur um geringe Mengen.

(1909: 62f) fielen aufgelassene sawah-Felder in dieser Region auf, wofür er kriegerische Auseinandersetzungen vor der Ankunft der Niederländer und die Entwaldung der das Tal säumenden Berghänge verantwortlich macht. METZNER (1981: 47) fand heraus, dass sich im Palu-Tal bereits zu Zeiten von Rumphius (1628-1702) ausgedehnte Nassreisareale be-funden haben sollen. Dabei stellt METZNER die Hypothese auf, dass die sawah-Technik in diesem Gebiet den Bugis zu verdanken sei, welche seit Jahrhunderten die Küsten um Palu aufsuchten und sich dort nach der niederländischen Einnahme der südsulawesischen Stadt Makassar als Fischer und Händler niederließen (ebd.). Diese Hypothese eines frühen Ein-flusses von Menschen von außerhalb Zentralsulawesis wird auch von den zeitgenössi-schen Aufzeichnungen GRUBAUERs (1923) bestätigt. Er weißt nicht nur darauf hin, dass sich bei einer Fahrt von Sidondo nach Palu noch alte Spuren von sawah-Feldern erkennen ließen (GRUBAUER 1923: 151), sondern führt weiter aus:

„Da die Kunst Sawahs anzulegen, wie sie in höchster Entwicklung in Java existiert, den Kajeli [Kaili; Anm. d. Verf.] unbekannt ist, so darf hiernach auf sehr frühe Ein-wanderung fremder Elemente geschlossen werden.“ (ebd.).

Die Berichte der niederländischen Kolonialverwalter in Zentralsulawesi verweisen eben-falls auf die Existenz vorkolonialer Nassreisfelder im Palu-Tal. VAN HENGEL (1910: 24) bezieht sich beispielsweise auf alte Bewässerungsgräben, welche unter kolonialer Füh-rung verbessert bzw. verlängert wurden. Von ehemals ausgedehnten sawah-Gebieten, die sich durch die Trockenheit im Palu-Tal in Kakteenwälder verwandelt hätten, geht auch TIDEMAN (1926: 3) in seinem Report aus. SARASIN & SARASIN fassen die Landschaft südlich des Dorfes Sibalaya (Palu-Tal) in ihren Reiseaufzeichnungen folgendermaßen zusammen:

„Weiter zunächst durch wohl bevölkertes Land; Kulturpflanzungen wechseln mit Stri-chen niederen Waldes, in denen elegante Pandanus-BäumStri-chen und Philodendron-Li-anen auffallen; dann wieder Reisfelder, oft durch gut angelegte Kanäle bewässert und Grasebenen, mit Büffelherden bevölkert. Die Kokospalmen, welche die Dörfer um-schatten, fallen durch besondere Höhe auf.“ (1905, Bd. 2: 19).

Das Gebiet südlich von Pakuli in Richtung Kulawi wird von den beiden Naturforschern so wahrgenommen:

„Die Gegend blieb zunächst wohl bebaut, Pflanzung folgte auf Pflanzung; nach eini-ger Zeit jedoch wurden die Kulturflecke durch immer ausgedehntere Stücke Waldes unterbrochen, worauf dieser zuletzt Oberhand gewann.“ (ebd.: 21).

KRUYT & KRUYT (1921: 407) vermerken in ihren Aufzeichnungen, dass es auch im Napu-Tal bereits vorkoloniale Nassreisfelder gegeben hatte. Bei ihrem Besuch des Tals fallen ihnen alte Erddämme auf, die wie Begrenzungsdämme von sawah-Feldern ausse-hen. Nach KRUYT (1908: 1313f) ist die Verwahrlosung ehemaliger Nassreisfelder im Napu-Tal auf den Umstand zurückzuführen, dass die Bevölkerung den scheinbar einfa-cheren Weg der Nahrungsgewinnung mittels kriegerischer Überfälle auf die Bevölkerung des Poso-Tieflands präferierten. Eine zeitliche Einordnung des Nassreisanbaus in den Gebieten außerhalb des Palu-Tals anhand des empirischen Datenmaterials ist nur mäßig aufschlussreich. Zum einen lässt die lange Zeitspanne von einem Jahrhundert nicht zu, entsprechende Zeitzeugen zu finden. Zum anderen widersprechen sich die Aussagen der Kindergeneration zu sehr. Manche behaupten, dass die Niederländer für die Einführung des Nassreisanbaus verantwortlich sind. Andere schließen diese Option völlig aus. Die Ursachensuche für diese große Differenz in den Angaben lässt jedoch Spielraum für viel-fältige Spekulationen.136 Verlässlicher erscheinen hier die Quellen zeitgenössischer Reise-aufzeichnungen. So lässt sich die vorkoloniale Nassreisbewirtschaftung anhand der Au-genzeugen SARASIN & SARASIN auch für das Kulawi-Tal belegen:

„Von dem Hügel herab, auf dem wir uns befanden, sieht man südwärts auf einen mit-ten im Gebirge sich ausdehnenden Kessel, welcher gegen Wesmit-ten seinen Ausgang hat, sonst aber amphitheatralisch ringsum ansteigt, wobei die stufenweise angelegten Reisfelder gewissermaßen die Sitzreihen darstellen, (...) das schöne Gebirgskulturland von Kuláwi.“ (1905, Bd. 2: 27).

Die traditionelle Landnutzung war in erster Linie Subsistenzwirtschaft und diente daher der Erzeugung von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Mais (s.u.), Cassava und Ge-müsesorten. Die Feldrotationsdauer von 7-10 Jahren, welche den von RASUL & THAPA

(2003: 496) für Südostasien genannten Durchschnitt von 15 bis 20 Jahren deutlich unter-schritt, erlaubte den bewirtschafteten Böden die erforderliche Neuanreicherung mit Mine-ralstoffen, um die Fruchtbarkeit zu gewährleisten. Noch heute kann in Dörfern wie Lawe

136 Beide Behauptungen können beispielsweise durch eine antikoloniale Grundhaltung der Interviewten gefärbt sein. Die Aussage, dass sawah-Felder bereits vor der Kolonialherrschaft existierten, könnte da-bei dadurch begründet sein, dass man seine Vorfahren vor der Vermutung in Schutz nehmen will, sie seinen völlig primitiv gewesen. Den Niederländern die Einführung des Nassreisanbaus zuzuschreiben, könnte auf dem Denkmuster basieren, dass die Kolonialherren alles – und zwar ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung – verändert haben, so auch den Reisanbau.

weitgehend auf den Einsatz von Düngemitteln verzichtet werden, da die Böden nach der Brachezeit wieder ausreichend fruchtbar sind. Die niedrige Bevölkerungsdichte der in kleinen Gruppen siedelnden Familienverbände (vgl. hierzu Kap. 4) ermöglichte die Ein-haltung der Rotationsdauer der Felder. In manchen Bergregionen stellte Reis durchaus ein Luxusprodukt dar. Dort ernährten sich die Menschen vorwiegend von Knollenfrüchten, wie z.B. Cassava. Bei Nahrungsmangel ging diese Bevölkerung in den Wald, um nach Sago zu suchen (HISSINK 1909: 121; VORSTMAN 1935: 19f).

Nassreisfelder wurden traditionell mit Hilfe von Wasserbüffeln bestellt. Bei dieser als paruja bezeichneten Bewirtschaftungsweise wurde eine Herde von Büffeln über das Feld getrieben, um den Boden umzugraben. Büffel wurden traditionell zur Verhinderung ihrer völligen Verwilderung für einige Zeit des Jahres eingefangen. Die restliche Zeit ver-brachten die Tiere in freier Wildbahn (vgl. auch Kap. 5.2.1). Durch das Sammeln der zahlreichen Büffel zum Weiden auf gerodeten Waldflächen wurde eine Wiederbewaldung verhindert, wodurch sich neben den natürlich entstandenen auch anthropogen beeinflusste Grasflächen entwickelten. Die verstärkte Sesshaftmachung der Bevölkerung während der Periode des kolonialen Siedlungsausbaus dürfte eine nicht unbedeutende Rolle bei der Zunahme der Grasflächen gespielt haben. HENLEY ist davon überzeugt, „that the great majority of large grasslands ultimately owed their existence to the deliberate creation of pasture for grazing.“ (2004: 313).

Befragt man ältere Menschen in der Lore-Lindu-Region nach dem Sortiment der von ihren Eltern angebauten Agrarprodukte, so wird gelegentlich auch der Mais erwähnt.

Diese Pflanze wurde nach ARAGON (1996d: 57) im westlichen Zentralsulawesi erst wäh-rend der niederländischen Kolonialherrschaft eingeführt. Die Kolonialverwaltung propa-gierte den Anbau von Mais auf den abgeernteten Reisflächen, um den Ertrag der Felder zu steigern (ANSINGH 1937: 8). Die Aussagen der befragten Bauern verwundert allerdings nicht, wenn man bedenkt, dass laut ARAGON (1996a: 57) der gemeinsame Anbau von Reis und Mais schon bald als traditionell im Gewohnheitsrecht (adat) verankert galt. Im Napu-Tal taucht die vorkoloniale Kenntnis der Maispflanze in einer Volkslegende auf.

Demnach brachten Bewohner von Gowa137 (Südsulawesi) Mais nach Napu. Sie übergaben den Menschen einige Körner, doch diese dachten, es handle sich um Gift, und warfen die Körner weg. Drei Monate später entdeckten die Menschen die herangewachsenen Mais-pflanzen. In der Lokalsprache Napus heißt Mais gogoa. Da es bereits vor dem 20. Jh.

vereinzelte Kontakte zwischen den Bevölkerungsgruppen Zentral- und Südsulawesis gab, ist es durchaus möglich, dass in diesem Teil des Untersuchungsgebiets bereits vor der Einflussnahme der Niederländer Mais angebaut wurde. KRUYT (1908: 1313) untermauert diese Vermutung, indem er Cassava, Mais und Bananen als Hauptbestandteil des Speise-plans des Großteils der Bevölkerung im Napu-Tal zu vorkolonialer Zeit beschreibt. Reis wurde hingegen vornehmlich von der ‚adeligen’ Bevölkerungsschicht verzehrt.