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3 V ERÄNDERUNGEN DER B EVÖLKERUNGSSTRUKTUREN IN DER L ORE -L INDU -R EGION

3.1 Bevölkerung und Bevölkerungsdynamik

3.1.1 Charakterisierung der lokalen Bevölkerungsgruppen

Die lokale Bevölkerung der Lore-Lindu-Region kann in drei ethnische Hauptgruppen unterteilt werden: Kaili, Kulawi und Lore. Anhand ihrer vorkolonialen Siedlungsgebiete lässt sich die räumliche Verteilung dieser Gruppen am deutlichsten darstellen, da die ver-schiedenen Ethnien zu jener Zeit noch relativ isoliert von einander lebten. Die Kaili-Be-völkerung besiedelte die heutigen Kecamatan Sigi-Biromaru und Palolo, während die Kulawi-Menschen im heutigen Kulawi und die Lore-Bevölkerung in den Kec. Lore Utara und Lore Selatan beheimatet war. Das Verbreitungsgebiet der Kaili ging über die beiden genannten Verwaltungseinheiten des Untersuchungsgebiet hinaus und schloss sowohl die Bergregionen westlich und östlich des Palu-Tals als auch die Gebiete der Palu Bucht mit ein.

Das bedeutendste Unterscheidungsmerkmal der drei Hauptgruppen ist ihre Spra-che, welche jeweils weitere Untergruppen herausbildete. So zählen zur Sprachgruppe der Kaili u.a. die Dialekte Ledo (Untersuchungsregion und östliche Palu Bucht), Kaili-Da’a (westliches Randgebirge des Palu-Tals und westliche Palu Bucht), Kaili-Ado

(Pan-dere, Pakuli, Sibalaya) und Kaili-Tea (westliches Hügelland des heutigen Palolo-Tals).

Die Kulawigruppe ist unterteilt in die Dialekte Moma (nördliches Kulawi und Kulawibe-cken um den Hauptort Bolapapu), Uma (südliches Kulawi/Gimpuebene und Pipikoro) und Tado (Lindu See).54 Im Lore-Gebiet unterscheiden sich Sedoa55 (Sedoa-Tal), Napu (ursprünglich Pekurehua56; verbreitet im Napu-Tal) und Behoa/Besoa57 (Besoa-Tal). Die drei ethnischen Gruppen Kaili, Kulawi und Lore decken sich mit den drei einflussreichs-ten Königreichen (kerajaan), welche sich in vorkolonialer Zeit herausgebildet hateinflussreichs-ten: Sigi (Kaili-Bevölkerung), Kulawi und Lore (vgl. Abb. 13).58 Nach Informationen aus den jeweiligen Regionen stellen diese Königreiche Zusammenschlüsse vormals kleinerer Einheiten dar. Demnach hatte es in Kulawi auch einmal die Kerajaan Pipikoro und Gimpu gegeben. Während der niederländischen Kolonialzeit wurden diese der Rechtsprechung von Kulawi unterstellt (ARAGON 2000b: 54f). Auch für die Ostseite der Untersuchungsregion werden die unterschiedlichen Einheiten Sedoa/Tawaelia, Pekurehua und Besoa/Behoa genannt. Nach DEPARTMEN PENDIDIKAN DAN KEBUDAYAAN

54 Befindet sich ein Mitglied der Uma-Gruppe in einer Region außerhalb Kulawis, bezeichnet es sich selbst in der Regel als Angehörige bzw. Angehöriger der Kulawi-Gruppe, um sich von anderen ethni-schen Gruppen wie Kaili oder Bugis abzugrenzen.

55 Der Hauptort des Sedoa-Tals nannte sich zu Beginn Tawaelia und wurde erst später in Sedoa umbe-nannt

56 Vgl. Fußnote 63.

57 Die ursprüngliche Bezeichnung der Sprache und des Tals lautet Behoa. Erst durch die Niederländer kam es zu einer Umwandlung in Besoa, jenen Begriff, welcher sich bis heute durchgesetzt hat. Nach Vermutungen von Zeitzeugen hatte die Namensänderung ihre Ursache in der einfacheren Aussprache für die Niederländer. Eine definitive Erklärung dieses Lautwandels konnte jedoch nicht gefunden wer-den. Aus Befragungen ergab sich ferner, dass manche heutige Ortsbezeichnungen auf einem Missver-ständnis zwischen der lokalen Bevölkerung und den Niederländern beruhen.

58 Über die Aufteilung der Bevölkerung von Zentralsulawesi gab es schon früh unterschiedliche Ansich-ten. Generell ist die Rede von den sog. Toraja (vgl. Fußnote 31). Nach COTÉ (1979: 42) war es Albert C. Kruyt, der diesen Terminus erstmals 1897 auf die Gruppen des nördlichen Zentralsulawesi ange-wendet hatte. Zusammen mit Adriani nannte er die Bewohner des östlichen Zentralsulawesi

„Posso’sch-Todjo’sche groep, „Oost-Toradja groep“ oder „Bare’e-Toradja“, jene des westlichen Teils

„Parigi’sch-Kaili’sche groep“ oder „West-Toradja groep“. Dazu kam noch die „Sadang-groep“ (heute

„Sa’dan Toraja“ genannt), die sich im zentralen Hochland Südsulawesis aufhielt (ADRIANI& KRUYT

1912-14, Bd. 1: 3). KAUDERN (1925, Bd. 1: 26f) unterschied zwischen südlichen und nördlichen Toraja und teilte diese folgendermaßen weiter auf (Übernahme der Schreibweise, wie sie in der Quelle erfolgt):

A) Nord-Toradja, A.1: Poso-Toradja, A.2: Paloe-Toradja (Stämme am Golf von Tomini, Stämme in der Paloe Bay und im Paloe-Tal,, Stämme in den Bergdistrikten um die Flüsse Goembasa und Mioe, Zu-flüsse des Paloe-Flusses), a.3: Koro-Toradja (Stämme im Distrikt um den Koro Fluß, allgemein genannt Pipikoro, Stämme im Distrikt am oberen Teil des Koro, wo er Belanta und Tawaeli genannt wird, Stämme im Distrikt der südlichen Zuflüsse des Koro: dem Rampi und dem Leboni, am Kalaena-Fluß leben einige Stämme, die wahrscheinlich zu dieser Gruppe gehören und gleichzeitig Transitionen zu den Poso-Toradja sind), B) Süd-Toradja: Sadang-Toradja (Stämme an der Quelle des Karama-Flusses, Stämme am Rokong-Fluß, Stämme am Sadang-Fluß).

(1996/1997: 29) gab es in frühester Zeit auf dem Territorium des späteren Sigi u.a. auch die Kerajaan Raranggonau, Dolo, Palu und Sidondo. In der Folge kriegerischer Auseinandersetzungen entwickelte sich Sigi zum einflussreichsten Königreich der Region.

Abb. 13 Verteilung der ethnischen Gruppen des westlichen Zentralsulawesi in den 1930er Jahren (Quelle: KRUYT 1938, Anhang)

Exkurs: Sulawesi – eine ‚nationale Einheit’?

Aus den verwendeten Quellen geht hervor, dass es von kolonialer Seite her die Vorstellung gab, die Insel Sulawesi könnte als eine ‚nationale Einheit‘ gesehen werden. Die Dekonstruktion dieser Idee wurde allerdings selbst von Beteiligten des Kolonialapparates betrieben.

Die Beschreibung der ‚Völker‘ in Manado wäre sehr schwierig, merkt z.B.

TIDEMAN (1926: 12) in seinem Memorie van Overgave an, da die Unterscheidung in Art, Entwicklung und Sprache so groß sei. Zu jener Zeit gab es in Manado 34 Spra-chen. Man sollte laut TIDEMAN (ebd.) dabei zu der Überzeugung kommen, dass von einer nationalen Einheit Celebes, die man sich von gewisser Seite so gerne zu organi-sieren wünschte, eigentlich keine Rede sein könnte. Wenn man von Stammesverband spräche, so TIDEMAN (ebd.: 13) weiter, müßte man sich erst einmal fragen, was unter Stamm zu verstehen sei, da nicht jede Gruppe von Personen, die sich als von einem einzelnen Stammvater abstammend betrachtete, einen Stamm bildete.

HENLEY (1989: 2) geht davon aus, daß das Konzept Sulawesi als kulturelle und politische Kategorie weitestgehend ein Produkt der klassifikatorischen Phantasien westlicher Beobachter war. Denn von Alters her war die Insel Heimat unterschied-lichster Sprachgruppen und Ethnien, die – gerade in gebirgigen Regionen – über lange Zeit isoliert lebten.

Auch die Fremdherrschaften, seien es die Königreiche von Gowa, Bone oder Luwu im Süden der Insel, oder die Herrschaft der Spanier, Philippinen oder der Häupter von Ternate, wie sie im 16. und 17. Jh. vorherrschten, zeigen auf, dass vor der Ausbreitung der niederländischen Kolonialverwaltung Anfang des 20. Jh. in Zentral-sulawesi die Insel Sulawesi nie als Einheit betrachtet wurde.

Im August 1923 wurde in Manado unter der Leitung eines Herrn Tjoroami-noto der sog. Nationaal Celebes Congres ins Leben gerufen. Es wurde ein Komitee gebildet, um Vorbereitungen für einen nationalen Verband Celebes zu treffen. Seitdem wurde von diesem Komitee nichts mehr vernommen, was von Resident TIDEMAN

(1926: 93) als logisch bezeichnet wurde, da nun einmal so etwas wie eine Nation Celebes nicht bestünde und auch nicht bestehen könnte.