• Keine Ergebnisse gefunden

4 V ERÄNDERUNGEN DER S IEDLUNGSSTRUKTUREN

4.1 Die historische Siedlungsentwicklung in der Lore-Lindu-Region

4.1.4 Regionale Unterschiede der Siedlungsentwicklung ab 1945

Die Abb. 29 zeigt die Entwicklung der Dorfgründungen in der Untersuchungsregion für drei Zeitintervalle an.104 Die Anzahl und Verteilung der roten Signaturpunkte in der linken Karte der Abbildung weisen zwei Besonderheiten auf. Erstens verdeutlichen sie noch einmal den hohen Grad der Dorfneugründungen während der Kolonialzeit, wie er bereits im vorangegangenen Kapitel erläutert wurde. Zweitens erkennt man daraus, dass während jener Periode in nahezu der gesamten Lore-Lindu-Region neue Siedlungen errichtet wur-den. Auffallend ist ferner der weiterhin unbesiedelte Ostteil des Palolo-Tals105.

Auf der mittleren Karte (1946-1975) erkennt man insbesondere im Palolo-Tal eine starke Intensität an Dorfneugründungen. Diese hängt mit der Migrationsentwicklung Pa-lolos in jener Zeit zusammen (vgl. Kap. 3, insbes. Kap. 3.6.3). Zudem lässt sich die Ver-besserung der Verkehrsinfrastruktur im Berggebiet zwischen Palu- und Kulawi-Tal sowie

104 In der Abbildung sind nur 80 der insgesamt 119 Dörfer erfasst. Dennoch können daraus die wichtigsten Entwicklungen der Siedlungsverteilung abgelesen werden.

105 Die in der linken Karte der Abb. 29 siedlungsfreie Fläche im Nordwesten Kulawis ist, bedingt durch das Relief, bis heute unbesiedelt.

am Ende des Gimpu-Tals im südlichen Kulawi anhand der linearen Struktur der Dorf-gründungen in diesen Gebieten ablesen. Ab 1976 (vgl. rechte Karte in Abb. 29) wurden deutlich weniger neue Dörfer errichtet als noch in den beiden vorangegangenen Zeitinter-vallen.

Abb. 29 Dorfgründungen in der Lore-Lindu-Region 1906 – 2001

Die größten Aktivitäten fanden diesbezüglich in der östlichen Hälfte des Palolo-Tals statt.

Verantwortlich hierfür zeichnet vor allem die Verbindung des Tals mit dem südöstlich angrenzenden Napu-Tal (Lore Utara) durch eine per Auto befahrbare Strasse, die im Jahr 1982 fertiggestellt worden war.

Da gerade in den letzten zwei Dekaden des 20. Jh. die Zuwanderung in die Lore-Lindu-Region, bedingt durch den Boom des Kakaopreises einerseits (vgl. Kap. 5.2.2) sowie durch Transmigrationsprojekte andererseits (vgl. Kap. 3.4.2), erheblich zunahm, mag die geringe Anzahl der Dorfneugründungen ab 1976 auf den ersten Blick verwun-dern. Die Zunahme der Bevölkerung führt jedoch nicht automatisch zu einer Vermehrung

der Dörfer. Entscheidend ist, auf welche Regionen sich die Bevölkerungszuwächse kon-zentrieren und welche Einwohnerdichte die Siedlungen dieser Gebiete bislang aufweisen.

Wie in Kapitel 3 bereits aufgezeigt wurde, waren besonders Palolo und Lore Utara von der enormen Zuwanderung betroffen. Palolo bestand in den 1980er Jahren aus vielen noch sehr jungen Dörfern. Mit der Reform der administrativen Gemeindeverwaltung In-donesiens durch das Gesetz Nr. 5/1979 wurde das javanische Prinzip des territorial ba-sierten Dorfes (desa) für alle Dörfer des Archipels übernommen. Dieser Dorftyp ist durch seine festen Grenzen bestimmt. Ferner sind alle Menschen, die innerhalb dieser Grenzen leben automatisch Mitglieder der Dorfgemeinde. Mit der landesweiten Anwendung dieses Prinzips wurde der außerhalb Javas verbreitete Clan-basierte Dorftyp unterminiert. Das Gesetz von 1979 legte auch fest, dass jedes Dorf in Dorfteile, sog. dusun zergliedert wird (SOEMARDJAN & BREAZEALE 1993: 12f). Solange die Dörfer noch verfügbare Landres-sourcen aufwiesen, konnte deren Einwohnerdichte durch natürlichen, aber auch durch migrationsbedingten Bevölkerungszuwachs erhöht werden, ohne dass neue Dörfer ge-gründet werden mussten. Das neu erschlossene Land des Dorfterritoriums wurde in der Folge nach und nach mit neuen Dusun-Nummern versehen. Bestanden zu Beginn der Umsetzung des Gesetzes Nr. 5/1979 die meisten Dörfer nur aus ein oder zwei Dusun, zählen manche Gemeinden mittlerweile bis zu fünf oder sechs Dorfteile. Neu zugewan-derte Familien konnten sich in Palolo folglich auf eine große Anzahl von Dörfern mit noch geringer Einwohnerzahl verteilen. Das Kecamatan Lore Utara erlaubte durch seine relativ große Talausdehnung mit einem noch hohen Bestand an nicht bewirtschafteten Flächen ebenfalls, die bereits bestehenden Dörfer dichter zu besiedeln. Dabei wurde in der Regel die bebaute Fläche zu den Dorfgrenzen hin ausgedehnt. Besonders seit Beginn des 21. Jh. kommt es in der Lore-Lindu-Region zu Dorfteilungen, wobei ein Teil der Du-sun – in der Regel jene mit den höchsten Ordnungsnummern – zu der Verwaltungseinheit eines eigenständigen Dorfes zusammengefasst werden. Der Grund hierfür liegt in der zu hohen Einwohnerzahl des jeweiligen Dorfes und/oder in der Distanz dieser Dorfteile zum politischen Zentrum des Dorfes, das sich generell im Dusun mit derOrdnungsnummer 1 befindet.

In diesem Zusammenhang ist die Unterschiedlichkeit der Dörfer in ihrem Aufbau zu beachten. Die Residenzbereiche der meisten Dörfer der Lore-Lindu-Region erstrecken

sich entlang der Hauptstrassen. Maßgeblich für diese Struktur ist, wie bereits erwähnt, die kolonialzeitliche Siedlungsentwicklung einerseits und deren Fortsetzung ab 1945 anderer-seits. Die Wohngebiete dieser Dörfer dehnten sich entlang der Hauptstrasse zu den Dorf-grenzen hin aus. Abhängig von den naturgeographischen Voraussetzungen, sowie der Landvergabepolitik der einzelnen Dorfregierungen entstanden zudem Wohnbereiche, die sich von der Hauptstrasse weg zu den Seiten entwickelten. In manchen Fällen wurden mehrere in sich geschlossenen Siedlungen zu einem Dorf zusammengeschlossen. Bei-spielhaft steht hierfür das Dorf Bolapapu, der Hauptort (ibu kota) des Kecamatan Kulawi.

Nach der kolonialen Umsiedlung der Bergbevölkerung hin zur Hauptstrasse von Palu nach Kulawi entstandene, noch eigenständige Dörfer wurden später zum Dorf Bolapapu zusammengefasst. Von dem Dusun Salua, welcher 1985 von Bolapapu abgetrennt und zu einem eigenständigen Dorf wurde, bis zum Dusun 1, dem politischen Zentrum Bolapapus, betrug die Distanz ca. zwölf Kilometer. Abgesehen von den Dorfteilen 1 und 2, die eine durchgehende Bebauung entlang der Strasse aufweisen, sind die Wohnbezirke der einzel-nen Dusun teils mehrere Kilometer voneinander entfernt und vermitteln dem Laien den Eindruck, es handle sich jeweils um ein eigenes Dorf (vgl. Abb. 32).