• Keine Ergebnisse gefunden

3 V ERÄNDERUNGEN DER B EVÖLKERUNGSSTRUKTUREN IN DER L ORE -L INDU -R EGION

3.2 Migrationsprozesse in der Lore-Lindu-Region

Für die Analyse der Migrationsprozesse in der Lore-Lindu-Region muss zunächst grund-sätzlich festgelegt werden, unter welchen Bedingungen eine räumliche Mobilität als Mig-ration bezeichnet wird. Für die vorliegende Untersuchung wurde als Migrantin oder Migrant definiert, wer seinen Herkunftsort mit der festen Absicht verlassen hat, am Ziel-ort ihren/seinen neuen Lebensmittelpunkt zu haben. Diese Definition umfasst darüber hinaus auch Personen, welche für eine längere Zeit permanent an einen anderen Ort64 wechseln, um dort eine Arbeit aufzunehmen, eine Ausbildung (z.B. Schul- oder Univer-sitätsbesuch) zu absolvieren, etc., und in diesem Ort für die Dauer ihres Aufenthalts woh-nen. Nicht eingeschlossen ist hierbei ein kurzzeitiger Wohnortwechsel von weniger als einem halben Jahr, nach welchem die Person wieder in den Ausgangsort zurückkehrt.

Hingegen wird für Migrationsbiographien, die auch kurzzeitige Aufenthalte an verschie-denen Orten beinhalten, definiert, dass es sich bei der betreffenden Person in den einzel-nen Zwischenstatioeinzel-nen der Migration um eine Migrantin bzw. eieinzel-nen Migranten handelt.

Wohnt eine Person von Geburt an in einem bestimmten Ort, so wird sie in dieser Arbeit als Lokale bzw. Lokaler dieses Ortes bezeichnet. Entsprechend werden die Be-griffe lokale Gruppe, lokale Bevölkerung, etc. verwendet. Ist eine Person in einem be-stimmten Ort nicht geboren, so wird sie als Migrantin/Migrant dieses Ortes definiert.

Analog verhält es sich mit entsprechenden Gruppenbezeichnungen. Wie sich später noch zeigen wird, befinden sich in der Untersuchungsregion auch Orte, deren erstangesiedelte Bevölkerung nicht aus der näheren Umgebung des Ortes stammt. In diesen Fällen wird die Bevölkerungsgruppe des Ortes, deren ethnische Zugehörigkeit sich mit jener der Erst-ansiedler deckt, mit dem Terminus „lokal“ benannt. Gegebenenfalls wird hierbei aller-dings zusätzlich angegeben, dass es sich bei den Betreffenden um lokale Migranten (s.

auch unten) handelt. Ausgenommen von der Regelung, Erstansiedler eines Ortes trotz ihrer Migrationsgeschichte als lokale Bevölkerungsgruppe zu bezeichnen, sind jedoch sämtliche Personen, diebim Rahmen interinsularer Umsiedlungsprogramme in einem neu gegründeten Dorf angesiedelt werden. Sie werden auch dann als Migranten bezeichnet,

64 Mit dem Begriff „Ort“ ist in dieser Arbeit in der Regel ein ganzes Dorf bzw. eine ganze Stadt, nicht jedoch ein Dorf- oder Stadtteil gemeint.

wenn sie die Erstansiedler eines Ortes stellen. Gerade die während der Untersuchungen zutage getretenen subjektiv unterschiedlichen Selbstzuschreibungen zu einer lokalen oder zugewanderten Bevölkerungsgruppe machen diese objektive Definition erforderlich.

Sollte in Einzelfällen von den hier bestimmten Begrifflichkeiten abgewichen werden, wird dies an den entsprechenden Stellen benannt und erklärt werden.

Nach dieser zeitlichen und funktionalen Differenzierung des Migrationsbegriffs wird der Terminus nun für seine Anwendung in der vorliegenden Untersuchung räumlich definiert. Hierbei ist zwischen lokaler, regionaler und nationaler Migration zu unterschei-den. Als lokale Migration sind im Rahmen dieser Arbeit all jene Wanderungsbewegungen zu verstehen, welche ihren Ursprungs- und Zielort innerhalb des Untersuchungsgebietes haben. Unter regionaler Migration hingegen werden die Wanderungen von anderen Ge-bieten der Insel Sulawesi in die Untersuchungsregion und umgekehrt zusammengefasst.

Nationale Migration bedeutet schließlich eine Wanderungsbewegung zwischen Untersu-chungsgebiet und anderen Inseln des indonesischen Archipels. Zudem unterscheiden sich Stadt-Stadt-, Land-Land-, Stadt-Land- und Land-Stadt-Migration, welche sich auch in Form von Etappenmigration miteinander verbinden lassen. Die Etappenmigration ist eine in der Untersuchungsregion sehr häufig vorkommende Art der räumlichen Mobilität.

Die Erfassung der Migration für ein Gebiet wie die Lore-Lindu-Region stellt eine Forscherin oder einen Forscher vor gewisse Schwierigkeiten in bezug auf die verfügbare Datengrundlage. Die Probleme vergrößern sich sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Perspektive.

Räumlich gesehen muss generell zwischen der Untersuchung von Migration in ei-ner in globaler Sichtweise ‚zentralen’ Region und jeei-ner in eiei-ner ‚peripheren’ Region be-züglich einer Industriestaaten-Trikont-Dichotomie unterschieden werden. Erstere weisen in der Regel eine höhere Dichte an statistischem Datenmaterial mit einer scheinbar oder tatsächlich höheren Genauigkeit der enthaltenen Informationen auf. Dennoch lassen sich z.B. großräumige Migrationsbewegungen, wie etwa die zwischen Kontinenten, Ländern oder auch Großregionen eines Landes mittlerweile relativ einfach erschließen. Möchte man allerdings eine vergleichsweise kleine Raumeinheit untersuchen, ist man, bei vorerst reiner Berücksichtigung bereits vorhandener statistischer Daten auf die Grenzen der

Da-tenerfassung für die entsprechende Region angewiesen. Im konkreten Fall der Lore-Lindu-Region erleichtert die Übereinstimmung der Forschungsregion mit den politisch-administrativen Raumeinheiten (z.B. Kecamatan) die Verwendung existierender statisti-scher Daten. Doch bereits auf dieser Ebene lassen sich Migrationsbewegungen nur be-dingt quantifizieren, da in den offiziellen Veröffentlichungen zwar Zahlen zur staatlichen Transmigration (transmigrasi) (vgl. Kap. 3.4.2) erfasst werden, andere Migrationsformen (z.B. spontane Migration) jedoch unberücksichtigt bleiben. Vielmehr muss die Gesamt-migration aus den statistischen Vorlagen zur räumlichen Bevölkerungsverteilung abge-leitet werden. Spätestens an dieser Stelle sind qualitative Zusatzinformationen für eine wirklichkeitsnahe Einschätzung von Migrationsbewegungen unabdingbar. Da das verfüg-bare Sekundärmaterial nur sehr eingeschränkt Aussagen über die Bevölkerungsentwick-lung einzelner Gebietsteile eines Kecamatan oder sogar einzelner Dörfer zulässt, lassen sich daraus entsprechend unzureichend bis gar keine Informationen über die Zu- und Ab-wanderung bzgl. einzelner Gebietsteile bzw. Dörfer generieren. Hier ermöglichen nur detaillierte Fallstudien eine Annäherung an die realen Migrationsprozesse. Besonders auch die räumliche Mobilität zwischen einzelnen Teilregionen des Untersuchungsgebiets ist allein über die Auswertung bestehender Statistiken kaum fassbar.

Daneben ist die Zeitkomponente zu berücksichtigen. Die vorliegende Arbeit um-fasst den Zeitraum eines Jahrhunderts. Kolonialzeitliches Datenmaterial, hauptsächlich in den Kolonialberichten und zeitgenössischen Veröffentlichungen enthalten, beruht größ-tenteils auf Schätzwerten für einige zeitliche Fixpunkte. Zeitreihendatensätze zur Bevöl-kerung der Untersuchungsregion existieren nicht. Statistiken der staatlichen Statistischen Büros (BPS) bieten erst ab dem Zensus von 1970 Daten, welche zumindest Aussagen auf der Kecamatan-Ebene erlauben. Allerdings sind auch in diesem Fall Zeitreihenkalkulatio-nen nur bedingt möglich, da die Statistiken der verschiedeZeitreihenkalkulatio-nen Jahre nicht alle benötigten Informationen in gleicher Detaildichte enthalten. Auch hier dienen Primärdatenerhebun-gen auf Meso- und Mikroebene dazu, Migrationsprozesse in ihrem zeitlichem Umfang besser erfassen zu können.

Darüber hinaus gibt das veröffentlichte Datenmaterial kaum Aufschlüsse über die Motivation von Migranten. Ebenso wenig lassen sich daraus Migrationsbiographien able-sen, die – sofern überhaupt erfasst – über die drei Komponenten Herkunftsort/-region,

Zeitpunkt der Migration und Zielort/-region hinausreichen. Wie bereits für die vorlie-gende Arbeit im Ganzen erwähnt, sei auch im Bezug auf diesen Themenkomplex aus-drücklich betont, dass die im Rahmen der Forschungsarbeit erhobenen Daten die Bevöl-kerungsdynamik und die Migrationsprozesse in der Lore-Lindu-Region nicht umfassend darstellen und analysieren können. Vielmehr sollen die groben Bevölkerungs- und Migrationsstrukturen verfeinert und anhand von Fallbeispielen die Komplexität dieser Strukturen untersucht werden. Zudem soll herausgestellt werden, welche unterschiedli-chen Faktoren die Migrationsprozesse beeinflussen.

3.3 Allgemeine Aspekte der Zu- und Abwanderung im Lore-Lindu-Gebiet