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Traditionalismus und späte Modernisierung - Geschlechterarrangements in der

9 S OZIALISATIONSHINTERGRÜNDE : G ESCHLECHTERARRANGEMENTS IN DER DDR

9.2 Traditionalismus und späte Modernisierung - Geschlechterarrangements in der

Anders als in der DDR kam es in der Bundesrepublik Deutschland unter der christlich-liberalen Koalition zwischen 1949 und 1966 zu einer deutlichen Rückverweisung der Frauen auf ihre Rolle als Hausfrau und Mutter (Schäfgen 1998). Die geringe Geburtenzahl in den ersten Nachkriegsjahren wurde der hohen Frauenerwerbstätigkeit angelastet, die Familienpolitik setzte sich das Ziel, den Rückzug der Frauen in den Haushalt durch finan-zielle Leistungen zu fördern (Kindergeld zunächst ab dem 3. Kind, steuerliche Vergünsti-gungen, Heiratsdarlehen). Dies sollte verhindern, dass Mütter aus finanziellen Motiven erwerbstätig werden müssen. Gleichzeitig wurde die Unabkömmlichkeit der Mutter für das Wohl der Kinder und die negativen Auswirkungen der Frauenerwerbstätigkeit auf Familien und Kinder propagiert. Betreuungsangebote für Kinder passten nicht in dieses Konzept und wurden auch nicht gefördert. In den 1950er Jahren wurde diese Rückverweisung der Frau-en auf die HausfrauFrau-en- und Mutterrolle auch von dFrau-en KirchFrau-en und GewerkschaftFrau-en ver-fochten und schien nach den hohen Belastungen der Frauen in den 1940er Jahren auch bereitwillig akzeptiert zu werden. Die durch die Marshallplanhilfen im Land getätigten

enormen Investitionen steigerten die Arbeitsproduktivität so, dass die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht erforderlich schien und die Einkommen der Ehemänner ausreichend zu Ver-sorgung der Familien waren.

Als sich in der so genannten Wirtschaftswunderzeit eine Arbeitskräfteknappheit ein-zustellen begann, versuchte man dies durch das Anwerben von „Gastarbeitern“ aus dem Ausland zu lösen. Die Frauen- und Müttererwerbstätigkeit blieb während dieser Zeit des ökonomischen Booms zwar moralisch missbilligt24, wurde aber ökonomisch teilweise als notwendig erachtet und geduldet. Immerhin lag im Jahr 1960 die Frauenerwerbsquote in der Bundesrepublik bei knapp 48 Prozent – und damit über den damaligen Werten in Schweden oder im Vereinigten Königreich (Thome/ Birkel 2005: 26).

Zwischen 1966 und 1969 (Regierung einer großen Koalition zwischen CDU und SPD) kam es zu einigen wichtigen Modifikationen im offiziellen Frauenbild der Bundesrepublik.

Im Gegensatz zur ausschließlichen Hausfrauenrolle wurde nun ein „Dreiphasenmodell“ der Erwerbsbeteiligung von Frauen als normatives Leitbild verfochten, wonach in der typi-schen weiblichen Biografie auf eine Phase der Ausbildung und der Erwerbsarbeit eine Familienphase folgt, an die sich nach dem Heranwachsen der Kinder wieder eine Erwerbs-phase anschließt. Zwar wurde an der ausschließlichen Verantwortlichkeit der Frau für Haushalt und Kinder nicht gerüttelt, doch zumindest rhetorisch eine partnerschaftliche Form von Ehe und Familie verfochten (Schäfgen 1998). Mit dem Ausbau von Kinderta-gesstätten wurden erstmalig sozialpolitische Maßnahmen eingeleitet, um Frauen mit Kin-dern die tatsächliche Beteiligung am Erwerbsleben zu ermöglichen25. In der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition wurden von der Politik Versuche unternommen, die seit 1949 im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigungsnorm der Geschlechter durch die rechtli-che und beruflirechtli-che Gleichstellung von Frauen stärker umzusetzen. Die Förderung sowohl der Qualifizierung als auch der Erwerbstätigkeit von Frauen war ein Schwerpunkt des SPD-Regierungsprogramms von 1969. Der „Bericht der Bundesregierung über die Maß-nahmen zur Verbesserung der Situation der Frau“ 1972 wendete sich von einer anthropo-logischen Rollenbestimmung ab und räumte den Frauen mehr Rechte ein, ihre Position in der Gesellschaft selbst zu bestimmen. Der Bericht, der in weiten Teilen nicht

24 Im ersten Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frau aus dem Jahr 1966 heißt es unter anderem, die Frau solle „Pflegerin und Trösterin“ sein, „Sinnbild bescheidener Harmonie“, „Ordnungsfaktor in der einzig verlässlichen Welt des Privaten“. Erwerbstätigkeit und gesellschaftliches Engagement sollte die Frau nur dann eingehen, wenn es die familiären Anforderungen zulassen (Bundesregierung 1966).

25 Der christdemokratische Familienminister Heck kritisierte die Vernachlässigung der Kindergärten durch seinen Vorgänger Wuermling und forderte die Beseitigung des Fehlbedarfs an Kinderbetreuungseinrich-tungen und die verstärkte Ausbildung von Kindergärtnerinnen.

nahme, sondern ein Programm war, betonte die Notwendigkeit der Verbesserung von Bil-dung und AusbilBil-dung für Frauen. Bereits im Arbeitsförderungsgesetz (1969) und im Aus-bildungsförderungsgesetz (1972) hatte die Bundesregierung dafür gesorgt, dass in Famili-en, in denen mehrere Kinder weiterführende Schulen besuchFamili-en, Mädchen nicht mehr zu-rückgesetzt werden mussten weil die finanziellen Mittel der Familie nicht ausreichten.

Frauen unter 35 Jahren, vor allem verheiratete, geschiedene und getrennt lebende, konnten nun mit öffentlicher Hilfe eine Berufsausbildung aufnehmen oder eine früher abgebroche-ne zu Ende führen. Vorher hatte etwa ein Drittel aller Arbeitabgebroche-nehmerinabgebroche-nen eiabgebroche-ne begonabgebroche-neabgebroche-ne Ausbildung ohne Abschluss abgebrochen. Frauen konnten sich nun auch dann beruflich fortbilden, wenn der Ehemann sich weigerte, die Kosten zu tragen (Pross 1972). Mit der Eherechtsreform 1977 wurde die einseitige Pflicht der Frauen zur Haushaltsführung gestri-chen und durch den Passus „Regelung der Haushaltsführung in gegenseitigem Einverneh-men“ ersetzt. Das Leitbild der Hausfrauenehe wurde formal aufgehoben und beiden Part-nern das Recht auf Erwerbstätigkeit eingeräumt.

Diese politische und institutionelle Modernisierung der Geschlechterverhältnisse in der Bundesrepublik erfolgte vor dem Hintergrund einer erstarkenden Frauenbewegung, die aus der Studentenbewegung von 1967/68 hervorgegangen war. Ihr ging es nicht lediglich um rechtliche und ökonomische Gleichstellung, sondern um eine „Entlarvung männlicher Denkstrukturen“ oder männlicher Verhaltensweisen, in der sich patriarchale Herrschaft manifestiere. Die bürgerliche Gesellschaft wurde als eine von Männern für Männer ge-machte Sozialstruktur gesehen, in der Frauen lediglich zum Funktionieren des männlich dominierten Erwerbs- und Hierarchiesystems benutzt würden. Nach 1968 kam es überall in der Bundesrepublik zur Gründung von Frauengruppen. Zum Teil waren dies Abspaltungen aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS), zum Teil auch Neugründungen, in denen die veränderten Einstellungen eines Teil der jüngeren Generation zu den bürgerli-chen Institutionen Staat und Familie, aber auch zur Sexualität zum Ausdruck kamen. Im Jahr 1971 lieferten die Kampagnen gegen den Abtreibungsparagrafen 218 noch mehr Zündstoff und trugen zur weiteren Ausbreitung des Gedankens einer notwendigen Be-kämpfung der patriarchalen Unfreiheit bei.

Nach dieser „antiautoritären“, basisdemokratischen Entstehungsphase institutionali-sierte sich die Frauenbewegung unter der Überschrift der „Gleichstellung von Mann und Frau“ rasch im politischen System der Bundesrepublik. Dies geschah letztlich auch vor dem Hintergrund einer weltweiten Emanzipationswelle, welche die Sensibilität für

Ge-schlechterfragen erheblich steigerte.26 In Deutschland wurde das seit 1950 bestehende, aber unbedeutende „Referat für verfassungsrechtliche Belange von Frauen“ 1972 organisato-risch dem damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit angegliedert.

Dieses „Frauenreferat“ wurde 1979 zu einem Arbeitsstab Frauenpolitik ausgeweitet und wuchs 1986 zu einer Abteilung Frauenpolitik. Im Jahr 1987 wurde die Frauenpolitik dann im Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit auf Ministerebene institutio-nalisiert. Mittlerweile haben sämtliche Bundesministerien Arbeitseinheiten, die sich mit den Frauenfragen des jeweiligen Ressorts beschäftigen.

Gleichzeitig nahm die Institutionalisierung der Förderung einer Gleichstellung der Frau auf Landes- und kommunaler Ebene zu. Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es Gleich-stellungsbeauftragte in den Bundesländern oder es wurden Referate für Frauenfragen ein-gerichtet (Nave-Herz 1997). 1994 trat ein Gesetz zur Gleichstellung von Frauen im öffent-lichen Dienst in Kraft, das die Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten zunächst in allen Dienststellen mit mindestens 200 Beschäftigten vorsieht. Im Jahr 2001 trat das Bun-desgleichstellungsgesetz in Kraft, dass die Wahl einer Gleichstellungsbeauftragten in allen Dienststellen des öffentlichen Dienstes ab 100 Mitarbeitern vorsah. Gleichstellungsstellen oder –beauftragte gibt es heute in allen Universitäten, Behörden und größeren Unterneh-men. Die Institutionalisierung der Frauenförderung veränderte in der Bundesrepublik Deutschland erheblich das politische Klima. Die Grenzen zwischen der ursprünglichen Frauenbewegung und den Frauen in Parteien und Verbänden wurden mehr und mehr ver-wischt und Forderungen nach Gleichstellung diffundierten nach und nach in alle Teile der Gesellschaft. Die Forderung nach Gleichstellung von Männern und Frauen wurde bald zum politischen Mainstream und zum dauerhaften Thema staatlichen Handelns.

Allerdings blieb trotz der Thematisierung der Gleichstellung von Mann und Frau im öf-fentlichen Diskurs und in der Politik der Bundesrepublik bis in die 1980er Jahre de facto die Familienrolle der Frau dominant, Frauen in Partnerschaften blieben vielfach Zuverdie-nerinnen. Vor dem Hintergrund einer nach wie vor völlig unzureichenden Versorgung mit

26 Im Jahr 1975 wurde eine UN-Weltkonferenz „zur Rolle der Frau in der nationalen und internationalen Gesellschaft“ in Mexiko einberufen. Dort wurde ein „globaler Aktionsplan zur Verbesserung der Stellung der Frau“ ins Leben gerufen und die Dekade von 1975 bis 1985 zur „Dekade der Frau“ erhoben. 1979 wurde eine UN-Konvention „zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau“ ausgearbeitet, die von ca. 50 Ländern, darunter auch Deutschland, unterzeichnet wurde. Auch das europäische Parlament bildete 1979 eine Ad-hoc-Kommission „Rechte der Frau“, deren Aufgabe es war, die Rechte der Frauen in der Europäischen Kommission zu vergleichen und zu analysieren. Dadurch etablierte sich auch auf internati-onaler Ebene eine Berichts- und Rechenschaftspflicht für nationale Behörden in Bezug auf die Gleichstel-lung von Frauen im öffentlichen Leben.

Kindertagesstätten war eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen in der Bun-desrepublik weiterhin extrem erschwert. Die wirtschaftliche Krise 1974/75 hatte den sozi-alliberalen Traum von Vollbeschäftigung für Männer und Frauen beendet und nach altem Muster gab es Tendenzen, die Frauen wieder auf die Familie zurückzuverweisen. So legte der 2. Familienbericht (1975) und auch der 3. Familienbericht (1979) der Bundesregierung den Schwerpunkt nicht auf eine Gleichstellung von Männern und Frauen im Erwerbsleben, sondern auf die Höherbewertung der Hausfrauenarbeit. Zwar nahm ab Mitte der 1970er Jahre der weibliche Bildungsstand und die Erwerbstätigkeit deutlich zu, dennoch wies die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1989 mit nur 55 Prozent eine im Vergleich zu ande-ren westlichen Industriestaaten (und zur DDR) sehr geringe Erwerbsquote von Frauen auf.

9.3 Geschlechterverhältnisse in Bildung und Beruf um 1989