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Regionale Milieus geschlechtsselektiver Wanderungen

12 E MPIRISCHE U NTERSUCHUNGEN ZU U RSACHEN UND A USWIRKUNGEN DES

12.3 Regionale Milieus geschlechtsselektiver Wanderungen

Im folgenden Abschnitt steht die Frage im Vordergrund, welche Muster der geschlechtsse-lektiven Wanderungen sich abzeichnen und mit welcher Ausprägung sozioökonomischer Indikatoren sie auf regionaler Ebene in Zusammenhang stehen. Die Analyse soll spätere statistische Auswertungen zu Determinanten geschlechtsselektiver Wanderungen vorberei-ten und erste Hinweise auf das Zutreffen der in Abschnitt 4 vorgestellvorberei-ten Hypothesen ge-ben.

Für die Regionalisierung und Typisierung wird eine Clusteranalyse verwendet. Bei der Clusteranalyse, auch in der Sozialgeografie ein häufig angewendetes Verfahren, wer-den Gruppen von bezüglich der zu untersuchenwer-den Indikatoren ähnlichen Regionen iwer-denti- identi-fiziert und voneinander unterschieden. Die Clusteranalyse geht grundsätzlich von einer Gleichwertigkeit aller eingeführten Indikatoren aus und ermöglicht keine Gewichtung bzw.

eine Bestimmung von Effektstärken. Ziel der Klassifizierung mittels Clusteranalyse ist lediglich die Bildung von homogenen Gruppen oder Typen von Fällen (im gegebenen Fall von Regionen), sodass die mathematischen Abstände zwischen den Gruppen möglichst groß sind. Die mit dem Verfahren einhergehende Reduktion der Datenfülle und Komplexi-tät soll die Interpretation von Zusammenhängen erleichtern bzw. erst ermöglichen.

Im vorliegenden Fall wird eine Clusterzentrenanalyse angewandt. Hierbei muss die Zahl der zu berechnenden Cluster zu Beginn der Analyse festgelegt werden – entweder anhand von Hypothesen oder willkürlich ohne weitere Begründung. Die Statistiksoftware bildet die ersten Clusterzentren zunächst provisorisch anhand der ersten Fälle. Dann wird jeder weitere Fall dem Cluster mit der geringsten Distanz zugeordnet. Durch Wiederholun-gen (Iterationen) werden dann auch die anfänglichen Clusterzentren so lange angepasst, bis entweder die vorgegebene Zahl maximaler Iterationen erreicht wurde oder durch zusätzli-che Wiederholungen keine Verbesserung der Trennschärfe der Cluster mehr erzielt werden kann. Ob die vorgegebene Anzahl von zu bildenden Clustern oder die Zuordnung der Fälle zu diesen eine sinnvolle Interpretation im Sinne der Hypothese zulässt, muss manuell überprüft werden. Gegebenfalls wird das Verfahren mit einer anderen Clusteranzahl oder einem veränderten Indikatorenset wiederholt.

Die Durchführung einer Clusteranalyse gliedert sich in der Regel in folgende vier Schritte (vgl. Schmidt 1996): 1) Auswahl und Reduktion der Indikatoren; 2) ggf. Bünde-lung der Daten; 3) Typisierung der Raumeinheiten (statistische Berechnung) sowie 4) Überprüfung der Klassifikationsergebnisse und Interpretation. Für die Typisierung ge-schlechtsselektiver Wanderungsmilieus lag eine Vielzahl sozioökonomischer Regionalin-dikatoren vor: So zu Bevölkerungsentwicklung und -struktur, zur Bildungs- und Sozial-struktur, zur Beschäftigungs- und Wirtschaftsstruktur sowie zu Arbeitslosigkeit und Be-schäftigung. Angesichts der Fülle von vorliegenden Daten war es erforderlich, den theore-tischen Hintergrund bzw. die Hypothesen bei der Datenauswahl und -reduktion zu betonen.

So wurde der Schwerpunkt auf die Einbeziehung solcher Indikatoren gelegt, die geschlech-terspezifisch für die jüngere Bevölkerung in den Kreisen und kreisfreien Städten vorliegen.

Die zur Verfügung stehenden Indikatoren wurden zunächst einer bivariaten Korrelations-analyse unterzogen und Indikatoren mit einem Zusammenhang stärker als 0,8 ausgeschlos-sen. Die sozioökonomischen Bedingungen, welche die Wanderungsentscheidungen der hier interessierenden Bevölkerungsgruppe von 18 bis 29 Jahren besonders bestimmen, wurden folgendermaßen operationalisiert:

Tab. 22: In die Clusteranalyse einbezogene Indikatoren

Dimension Indikator* Zeitraum

1 Anteil weibl. Schulabgänger ohne bzw. mit lediglich Haupt-schulabschluss an allen Schulabgängern

1998-2004 2 Anteil weibl. Schulabgänger mit Abitur an allen Schulabgäng. 1998-2004 3 Anteil weibl. Schulabg. mit Abitur an allen weibl. Schulabg. 1998-2004 4 Anteil männl. Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss an

allen männl. Schulabgängern 1998-2004

5 Studierende je 1000 Einwohner 1998-2004 6 Anteil weiblicher Studierender 1998-2004 7 Vermittlungsquote in Berufsausbildung der Frauen (neu

schloss. Ausbildgsverträge als Anteil an Gesamtzahl neu abge-schl. Ausb.verträge plus nicht vermittelter Bewerberinnen)

2002-2004

8 Differenz der Vermittlungsquoten in Berufsausbildung (Ver-mittlungsquote Frauen minus Männer, Prozentpunkte)

2002-2004 9 Studierende an Fachschulen je 1000 Einwohner von 15-19 J. 1998-2004

Bildungs-struktur und Aus- bildungs-situation

10 Anteil weiblicher Schüler an sämtlichen Schülern an

Fach-schulen (ohne medizinische FachFach-schulen) 1998-2004 11 Jugendarbeitslosenquote (unter 25 Jahre) 1998-2004 12 Differenz Jugendarbeitslosenquoten (Frauen minus Männer) 2002-2004 13 Differenz der Arbeitslosenquoten (Frauen minus Männer) 2002-2004 14 Beschäftigtenquote der Frauen bis 29 J.

(sozialversicherungs-pflichtig beschäftigte Frauen bis 29 J. je 100 15-29j. Frauen

2002-2004

Arbeits-markt

15 Differenz der Beschäftigtenquoten (Frauen minus Männer) 2002-2004 16 Anteil Erwerbstätiger in der Land- und Forstwirtschaft an

allen Erwerbstätigen

2004 17 Anteil Erwerbstätiger im produzierenden Gewerbe an allen

Erwerbstätigen

2004 18 Anteil Erwerbstätiger im Baugewerbe an allen Erwerbstätigen 2004 19 Anteil Erwerbstätiger in Handel und Gastgewerbe an allen

Erwerbstätigen

2004 20 Anteil Erwerbstätiger in Finanzierung, Vermietung und

Un-ternehmensdienstleistungen an allen Erwerbstätigen

2004

Wirt- schafts-struktur

21 Anteil Erwerbstätiger im Bereich öffentliche und private Dienstleistungen an allen Erwerbstätigen

2004 22 Wanderungssaldorate der 18- bis 29-jährigen Frauen

(Pro-mille)

2002-2004 23 Differenz Wanderungssaldoraten (Frauen minus Männer,

18-29 J., in Promille) 2002-2004

Bevölke- rungsstruktur und -bewegung

24 Geschlechterproportion der 18- bis 29-Jährigen (Män-ner/Frauen)

2004

*alle Anteile und Quoten werden, sofern nicht anders angegeben, in Prozent bzw. Prozentpunkten gemessen;

Datenquellen: Indikatoren 1, 2, 3, 4, 14, 15, 22, 23, 24: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2006, eigene Berechnungen; Indikatoren 5, 6, 9, 10: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2007, eigene Berechnungen; Indikatoren: 7, 8, 11, 12, 13: Bundesagentur für Arbeit, Online-Datenangebot, eigene Be-rechnungen; Indikatoren 16, 17, 18, 19, 19, 20, 21: Arbeitskreis Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder (2006): Erwerbstätige in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1991 bis 2004, eigene Berechnungen.

Nach Reduzierung und Auswahl der Daten wurde die Clusteranalyse in mehreren Durchgängen durchgeführt. Eine Clusteranalyse nur für das Gebiet der neuen Bundeslän-der brachte kein befriedigendes Ergebnis. Die sozioökonomischen Bedingungen in Ost-deutschland sind zu ähnlich, um Cluster zu generieren, aus denen sich sinnvoll Hypothesen zur geschlechtsselektiven Abwanderung ableiten und begründen lassen. Erst durch die Einbeziehung des westdeutschen Bundesgebietes zeigen sich deutliche Cluster, mit denen sich die Ursachen der spezifischen Migration verstehen lassen.

Eine Lösung mit fünf Clustern erwies sich als bestes Ergebnis. Tab. 23 stellt die statis-tischen Merkmale der gebildeten fünf Cluster dar. Im folgenden werden sämtliche Cluster-typen kurz beschrieben und charakterisiert. Clustertyp 3, der als typisch für die Kreise der neuen Bundesländer für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse ist, wird dabei ans Ende der Clusterbeschreibungen gestellt und ihm wird besondere Aufmerksam-keit gewidmet.

Tab. 23: Regionale Milieus geschlechtsselektiver Wanderung, Mittelwerte der Clusterzentren 1 Anteil weibl. Schulabgänger ohne bzw. mit

Hauptschulabschluss an allen Schulabgängern

41,71 40,56 36,38 41,90 41,23 2 Anteil weibl. Schulabgänger mit Abitur an allen

Schulabgäng.

55,74 55,64 60,09 55,87 55,01 3 Anteil weibl. Schulabg. mit Abitur an allen

weibl. Schulabg.

32,91 22,47 28,92 39,64 21,51 4 Anteil männl. Schulabgänger ohne

Hauptschul-abschluss an allen männl. Schulabgängern

11,91 11,71 14,89 8,92 10,93 5 Studierende je 1000 Einwohner 61,61 3,87 5,97 166,74 2,14 6 Anteil weiblicher Studierender 46,39 14,44 16,76 48,99 12,80 7 Vermittlungsquote in Berufsausbildung der

Frauen

93,57 93,85 90,23 95,78 94,39 8 Differenz der Vermittlungsquoten in

Berufsaus-bildung (Vermittlungsquote Frauen minus Män-ner)

-0,72 -1,23 -2,29 -0,73 -1,12

9 Studierende an Fachschulen je 1000 Einwohner von 15-19 J.

6,40 1,80 2,34 9,26 2,68 10 Anteil weiblicher Schüler an sämtlichen

Schü-lern an Fachschulen (ohne medizinische Fach-schulen)

51,32 14,27 77,73 52,16 66,30

11 Jugendarbeitslosenquote 6,20 5,26 9,39 4,65 4,42

12 Differenz Jugendarbeitslosenquoten (Frauen minus Männer)

-3,45 -2,93 -4,07 -3,06 -2,85 13 Differenz der Arbeitslosenquoten (Frauen minus

Männer)

-2,96 -0,46 0,82 -3,02 -1,20 14 Beschäftigtenquote der Frauen bis 29 J.

(sozial-versicherungspflichtig beschäftigte Frauen bis 29 J. je 100 15-29j. Frauen

39,31 43,73 37,90 37,05 44,19

15 Differenz der Beschäftigtenquoten (Frauen mi-nus Männer)

-0,66 -2,98 -2,17 -0,77 -2,95 16 Anteil Erwerbstätiger Land und Forst 1,67 3,62 3,05 1,61 3,85 17 Anteil Erwerbstätiger prod. Gewerbe 18,37 24,82 18,89 19,08 22,97 18 Anteil Erwerbstätiger Baugewerbe 5,39 7,04 8,27 4,54 6,91 19 Anteil Erwerbstätiger Handel und Gastgewerbe 24,99 24,74 24,35 24,53 25,64 20 Anteil Erwerbstätiger Finanzierung, Vermietung

und Unternehmensdienstleistungen

16,92 12,50 12,51 16,51 11,70 21 Anteil Erwerbstätiger im Bereich öffentliche und

private Dienstleistungen

32,65 27,28 32,93 33,73 28,93 22 Wanderungssaldorate der 18- bis 29-jährigen

Frauen (Promille)

4,11 -0,60 -3,92 7,04 -0,02 23 Differenz Wanderungssaldoraten (Frauen minus

Männer, 18-29 J., in Promille)

0,19 0,07 -1,21 -0,26 0,39 24 Geschlechterproportion der 18- bis 29-Jährigen

(Männer/Frauen)

1,01 0,94 0,85 1,07 0,96

*Anteile und Quoten werden, sofern nicht anders angegeben, in Prozent bzw. Prozentpunkten gemessen;

Quelle: eigene Berechnungen;

Beschreibung der Clustertypen:

Clustertyp 1 – die Dienstleistungsmetropolen: Zu Typ 1 gehören 52 Kreise in West- und 13 in Ostdeutschland, zumeist handelt es sich um Großstädte. Die Geschlechterproportion ist überdurchschnittlich, es wandern mehr junge Frauen zu als Männer, der Studierenden-anteil ist der zweithöchste aller Cluster. Großstädte mit wichtigen Hochschulen und einem starken Dienstleistungs- und Tourismussektor gehören zu diesem Cluster. Die Jugendar-beitslosenquote und die Beschäftigtenquote der jungen Frauen ist gering, was auf eine große Bedeutung dieser Städte als Ausbildungsstandorte hindeutet. Die Beschäftigtenantei-le in den Sektoren „Finanzierung, Vermietung und UnternehmensdienstBeschäftigtenantei-leistungen“ sowie

„öffentliche und private Dienstleistungen“ sind jeweils die höchsten aller Clustertypen.

Beispiele: Köln, Hannover, Hamburg, Stuttgart, Leipzig, Dresden

Clustertyp 2 – Mischtyp West-Ost: Typ 2 charakterisiert ländliche Kreise mit dem unter den Clustertypen höchsten Anteil Beschäftigter im verarbeitenden Gewerbe, die Ge-schlechterproportion ist leicht unterdurchschnittlich. Generell vereint dieser Clustertyp am stärksten gleichermaßen westdeutsche (77) wie ostdeutsche Kreise (25) in sich. Dabei gehören im Westen eher ländliche, periphere und stark vom verarbeitenden Gewerbe ge-prägte Regionen in diesen Clustertyp – Kreise mit wenig spezieller Attraktivität für weibli-che Zuwanderer. In den neuen Bundesländern zählen jedoch eher Landkreise mit einer etwas günstigeren Situation zu diesem Clustertyp: Kreise, die entweder im Umland großer Städte liegen, an der Grenze zu westdeutschen Bundesländern oder in der tourismusstarken Küstenregion Mecklenburg-Vorpommerns. Statistisch ähneln sich offenbar diese für Frau-en leicht unterdurchschnittlich attraktivFrau-en Kreise im WestFrau-en und die leicht überdurch-schnittlich attraktiven Kreise des Ostens. Vom später beschriebenen typischen Ost-Cluster 3 unterscheiden sich die hier enthaltenen Kreise der neuen Bundesländer vor allem durch eine relativ hohe Beschäftigtenquote unter 30-jähriger Frauen. Die Kreise im Clustertyp 2 verzeichnen im Mittel eine leichte Abwanderung junger Frauen, jedoch keinen auffälligen Unterschied im Wanderungsverhalten der Geschlechter.

Beispiele: Oberbergischer Kreis, Ostalbkreis, Landkreis Oldenburg, Nordwestmecklen-burg, Ohrekreis

Clustertyp 4 – die Studentenstädte: Dieser Typ ist der am schwächsten besetzte Clustertyp, nur 15 kreisfreie Städte gehören zu ihm. Es handelt sich dabei um klassische

Studenten-städte – also Städte mit einem im Verhältnis zur Einwohnerzahl besonders hohen Studie-rendenanteil. Die Hochschulen dieser wichtigen Universitätsstädte weisen meist ein für Frauen besonders attraktives Fächerangebot im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften, Medizin und Pädagogik auf. Die Geschlechterproportion der Einwohner ist stark über-durchschnittlich – es herrscht Frauenüberschuss. Die Wanderungssaldorate der Frauen ist deutlich positiv, jedoch gegenüber den Männer nicht stark überproportional. In den neuen Bundesländern gehören nur zwei Städte zu diesem Cluster – Jena und Greifswald.

Weitere Beispiele: Münster, Heidelberg, Freiburg

Clustertyp 5 – Standardtyp West: Bei Typ 5 liegt die Geschlechterproportion der 18- bis 29-Jährigen genau im deutschen Durchschnitt. Dieser Typ ist der in den alten Bundeslän-dern am häufigsten vorkommende Clustertyp. 176 westdeutsche, aber kein einziger ost-deutscher Kreis gehören zu diesem Typ. Während die Wanderungssaldorate von Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren nahe null liegt, ist die Wanderungssaldorate der gleichaltrigen Männer negativ (worauf die positive Differenz der beider Wanderungssaldoraten schließen lässt). Kreise dieses Typs werden also tendenziell von jungen Männern, nicht jedoch von Frauen verlassen.

Clustertyp 3 – Standardtyp Ost: Typ 3 ist der in den neuen Bundesländern am häufigsten vorkommende Clustertyp, er ist für die hier vorliegende Untersuchung besonders wichtig und soll deshalb ausführlich analysiert werden. 73 von insgesamt 81 Kreisen dieses Typs liegen in den neuen Bundesländern – das sind zwei Drittel aller ostdeutschen Kreise. Der Clustertyp ist charakterisiert durch eine hohe Abwanderung junger Menschen insgesamt, eine stark überproportionale Abwanderung von Frauen und einer besonders unausgewoge-nen Geschlechterproportion der Einwohner von 18 bis 29 Jahre. Das Geschlechterverhält-nis dieser Altersgruppe beträgt in diesem Cluster im Mittel lediglich 0,85. Im Zeitraum von 2002 bis 2004 lag die Wanderungssaldorate junger Frauen (insgesamt –3,92 je 1000) um 1,2 je 1000 unter dem Wert der gleichaltrigen Männer – d.h. bis in die Gegenwart wandern Frauen dort deutlich stärker ab. Clustertyp 3 steht damit explizit für das ostdeutsche Phä-nomen der überproportionalen Frauenabwanderung.

Einher geht das Charakteristikum der überproportionalen Abwanderung von jungen Frauen mit einer geringen Beschäftigtenquote von Frauen, einer geringen Vermittlungs-quote in Berufsausbildung für junge Frauen und einer insgesamt sehr hohen Jugendarbeits-losigkeit. Die Kreise des Clusters 3 weisen von allen Clustertypen den mit Abstand

höchs-ten Anteil Beschäftigter im Baugewerbe auf und den geringshöchs-ten Anteil Beschäftigter in Handel und Gastgewerbe. Der Arbeitsmarkt der Kreise des Clusters 3 ist damit durch eine bei einer insgesamt äußerst schwierigen Arbeitsmarktlage durch eine Vorherrschaft der Bauwirtschaft gekennzeichnet bei eher schwacher Ausprägung des Dienstleistungssektors.

Die geringen Beschäftigten- und Vermittlungsquoten von Frauen sind ein Hinweis auf fehlende Berufsperspektiven für Frauen in diesen Regionen. Auch die Tatsache, dass in diesem Cluster die Vermittlungsquote der Frauen in Berufsausbildung am deutlichsten unter jener der Männer liegt, dürfte einen Teil der überproportionalen Abwanderung erklä-ren. Bisher entsprechen die Ergebnisse weitgehend den Erwartungen und sind wenig über-raschend.

Auffällig sind jedoch die Indikatoren zu Bildung und Ausbildung in den Kreisen des Clustertyps 3. Männliche Jugendliche weisen in den strukturschwachen und von hoher Arbeitslosigkeit geprägten Kreisen des Clusters 3 die unter allen Clustertypen höchsten Quote von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss auf (Indikator 4). Fast 15 Prozent aller männlichen Schulabgänger der Jahre 1998 bis 2003 schafften hier nicht einmal den niedrigsten der allgemein bildenden Schulabschlüsse. Ließe sich dieses Schulversagen noch mit einer generellen Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in diesen Kreisen und der daraus folgenden geringen Motivation erklären, so überrascht, dass dies offenbar nur für männliche Jugendliche gilt: Junge Frauen stellen in den Kreisen des Clustertpys 3 nur 36 Prozent aller Schulabgänger ohne bzw. mit höchstens Hauptschulabschluss – 14 Prozent-punkte weniger, als es bei gleicher Bildungsbeteiligung der Geschlechter wären. In keinem anderen Clustertyp sind so wenige Frauen unter den Schulabgängern mit geringer Qualifi-kation. Auf der anderen Seite liegt der Anteil von Frauen an allen Schulabgängern mit Hochschulreife in keinem anderen Cluster so hoch: 60 Prozent aller Schulabgänger mit Hochschulreife sind weiblich. Bezogen auf alle weiblichen Schulabgänger ist die Abitu-rientenquote der Frauen zwar geringer als in den Großstadtregionen aus Cluster 1 und 4, jedoch um neun Prozentpunkte höher als in den ländlichen Kreisen der alten Bundeslän-dern, die sich größtenteils in Cluster 5 befinden. Auffällig ist auch der hohe Frauenanteil an den Fachschülern in den Kreisen des Clustertyps 3. Knapp 78 Prozent aller Fachschüler waren dort in den Jahren 1998 bis 2004 weiblich. Der Fachschulbesuch liefert hier auf der einen Seite offenbar die Alternative zum schwachen dualen Ausbildungsmarkt, kommt aber möglicherweise auch den geschlechtsspezifischen Berufswünschen und dem Bil-dungsstand von jungen Frauen dieser Regionen besonders entgegen.

Junge Männer erreichen nirgendwo seltener als in Cluster 3 die Hochschulreife und sie sind nirgendwo seltener an Fachschulen zu finden. Allerdings unterbleiben die Bil-dungsanstrengungen eines Teiles der jungen Männer offenbar keineswegs deshalb, weil ihrer Arbeitsmarktchancen in klassischen Berufen des dualen Systems viel besser sind: die Arbeitslosenquote der unter 25-jährigen Männer liegt in Cluster 3 besonders deutlich über derjenigen der Frauen – im Mittel vier Prozentpunkte (Indikator 12).

Cluster1 (65) Cluster 2 (102) Cluster 3 (81) Cluster 4 (15) Cluster 5 (176)

Quelle: eigene Berechnungen, eigene Grafik Cluster 1… die Dienstleistungsmetropolen Cluster 2… Mischtyp Ost/West

Cluster 3… Standardtyp Ost Cluster 4… die Studentenstädte Cluster 5… Standardtyp West

Abb. 30: Regionale Typisierung geschlechtsselektiver Wanderungen, Ergebnisse der Clusteranaly-se

Quelle: eigene Berechnungen

Bei den acht Kreisen der alten Bundesländer, die sich ebenfalls in Clustertyp 3 ein-ordnen, handelt es sich sämtlich um heute strukturschwache, altindustrialisierte Regionen, die ebenfalls stark von traditionell männlichen Branchen geprägt sind bzw. waren: Neu-münster (Militär), Osterode am Harz, Hameln-Pyrmont (Bergbau, Eisenmetallurgie), Lü-chow-Dannenberg (strukturschwaches ehemaliges Zonenrandgebiet), Delmenhorst (Mili-tär), Bremerhaven (Werftindustrie und Hafenwirtschaft), Gelsenkirchen (Stahl, Kohle), Pirmasens (Schuhindustrie, Militär). Diese wenigen westdeutschen Kreise haben mit der großen Zahl der ostdeutschen vor allem die geringe Vermittlungsquote für Frauen in

Be-rufsausbildungsplätze des dualen Systems, den hohen Frauenanteil an Fachschulen und den hohen Prozentsatz männlicher Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss gemeinsam.

Offenbar reagieren die jungen Frauen in diesen strukturschwachen Kreisen mit einer Erhöhung ihrer Bildungsanstrengungen, während bei einem Teil der jungen Männern sogar ein Absinken des Bildungsniveaus zu verzeichnen ist. Dieses Auseinanderdriften der Ge-schlechter ist in den neuen Bundesländern besonders stark ausgeprägt. Es ist zu vermuten, dass allein das erhebliche Bildungsgefälle zwischen jungen Frauen und jungen Männern in den Kreisen des Clusters 3 bereits ein wichtiger Faktor der überproportionalen Abwande-rung von Frauen ist.