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Erzwungene Avantgarde – die „Frauenfrage“ in der DDR

9 S OZIALISATIONSHINTERGRÜNDE : G ESCHLECHTERARRANGEMENTS IN DER DDR

9.1 Erzwungene Avantgarde – die „Frauenfrage“ in der DDR

Bei der Teilung im Jahr 1949 traten beide deutsche Staaten das gleiche Erbe der Ge-schlechterverhältnisse des Deutschen Reiches an. Geprägt waren diese durch einen Wider-spruch zwischen dem bürgerlichen Familienideal einer ausschließlich Hausarbeit leisten-den Ehefrau und der Tatsache weiblicher Erwerbstätigkeit, die es auf einem gewissen Ni-veau immer gegeben hat (Schäfgen 1998). In ökonomischen Krisenzeiten mit hoher Ar-beitslosigkeit führte dieser Widerspruch in Deutschland immer wieder zu politischen Ver-suchen, Frauen an ihren vermeintlich „natürlichen“ Platz in der Familie zurückzuverwei-sen. Das aus der Massenarbeitslosigkeit der Weimarer Republik hervorgegangene national-sozialistische Regime sah Frauen aus beschäftigungs- und bevölkerungspolitischen Grün-den ausschließlich als Mütter und Hausfrauen. In modernisierungsfeindlichem Duktus, der eine Vergangenheit idealisierte, die es so nie gegeben hatte, sollten sie möglichst viele Kinder gebären, ihrem Ehemann ein angenehmes Heim schaffen und so zur „nationalen Wiedergeburt“ beitragen. Die propagandistische Aufwertung der Mutter wurde von An-griffen gegen die Erwerbsbeteiligung von Frauen begleitet (Lagrave 1995). Allerdings ließ

der kriegsbedingte Mangel an männlichen Arbeitskräften bereits wenige Jahre später die Kluft zwischen Hausfrauenideal und gesellschaftlicher Wirklichkeit wieder zutage treten.

Während es in der Bundesrepublik nach Kriegsende wiederum zu einer Aufwertung der Frauenrolle als die der Hausfrau und Mutter kam, entwickelten sich die Geschlechter-verhältnisse in der „sozialistischen“ DDR anders. Ursache war das Zusammenfallen der sozialistischen Ideologie, auf die sich der Staat berief, mit ökonomischen Zwängen der Nachkriegszeit. Die neu gegründete DDR befand sich in einer prekären ökonomischen Situation. Durch die deutsche Teilung war eine ungünstige Branchenstruktur des neuen Staatsgebildes entstanden, Industrieanlagen waren zerstört oder demontiert und in der Bevölkerung gab es kriegsbedingt einen Überhang an weiblicher und älterer Bevölkerung.

Dies alles machte eine rasche Einbeziehung von Frauen in die Erwerbsarbeit zur ökonomi-schen Notwendigkeit. Die marxistisch-leninistische Ideologie lieferte dazu einen passen-den Überbau: Erwerbsarbeit war in der marxistischen Gesellschaftstheorie und deren Aus-legung durch die SED der einzig legitime Inklusionsmechanismus in die sozialistische Gesellschaft und wurde nun für beide Geschlechter obligatorisch. Die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen am Produktionsprozess galt, neben ihrer formaljuristischen Gleich-stellung, als Bedingung für die Überwindung der bürgerlichen Unterdrückung der Frau und als Befreiung von der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ehemann.

Dieser auf Erwerbsarbeit verkürzte Gleichstellungsbegriff kam bereits im Mai 1946 in einer Konferenz der SED zu Problemen der Arbeit unter Frauen zum Ausdruck – in der Folge wurden schon vor Gründung der DDR alle gesetzlichen Bestimmungen aufgehoben, die der Gleichberechtigung der Geschlechter im Erwerbsleben entgegenstanden. So wur-den Beschäftigungsverbote für Frauen in bestimmten Berufen und Branchen aufgehoben und es ergingen sogar Auflagen an Betriebe, Frauen zu beschäftigen (Obertreis 1986). In der Verfassung der DDR von 1949 wurden dann auch das Recht und die Pflicht zur Arbeit für alle Bürger festgeschrieben.

Im Mütter- und Kinderschutzgesetz von 1950 wurden Frau und Mann auch innerhalb der Familie rechtlich gleichgestellt. Einschränkungen der Rechte der Frau, die diese bis dahin bei der Eheschließung hinzunehmen hatte, wurden aufgehoben und durch ein meinsames Entscheidungsrecht der Eheleute ersetzt. Damit wurde die Sorge um die ge-meinsamen Kinder prinzipiell beiden Elternteilen übertragen, verheiratete Frauen erhielten ein Recht auf Berufsausübung. In der Bundesrepublik Deutschland wurde eine solche Regelung erst im Jahr 1977 – 27 Jahre später – eingeführt. Bis dahin war die Ehefrau im Westen zumindest formaljuristisch „zur Haushaltsführung verpflichtet“. Berufstätig durfte

sie nur sein, wenn sie dadurch ihre „familiären Verpflichtungen nicht vernachlässigt“, ihr Ehemann durfte Arbeitsverträge seiner Frau ohne ihr Einverständnis kündigen23.

Auf die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen wurde in der DDR auf drei Wegen hingearbeitet: durch Propaganda (etwa durch „Hausfrauenkampagnen“ in Wohnge-bieten, d.h. durch öffentlicher Kritik am Hausfrauendasein), durch die Schaffung günstiger gesetzlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen (wie die Bereitstellung von Kin-derbetreuungseinrichtungen) und auch durch ökonomischen Druck. So reichten die in der DDR gezahlten Löhne in der Regel nicht zur Ernährung einer Familie durch eine Einzel-person aus. Geschiedene Ehefrauen hatten nur in Ausnahmefällen juristische Unterhaltsan-sprüche gegenüber ihren geschiedenen Männern und mussten deshalb selbst erwerbstätig werden. Im Zeitraum des ersten Fünfjahrplanes der DDR (1951-55) wurden durch die staatlichen Maßnahmen 500.000 vorher nicht erwerbstätige Frauen berufstätig (Ahrend 1979: 55). Allerdings verschlechterte sich das Arbeitskräfteangebot in der DDR durch Abwanderung Richtung Westen weiter. Die politischen Kampagnen zur Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit, die bis dahin hauptsächlich auf ledige Frauen zielten, wurden Ende der 1950er Jahre auch auf verheiratetet Frauen ausgedehnt. „Nur-Hausfrauen“ gerieten unter Rechtfertigungsdruck – ihnen wurden kleinbürgerliche Einstellungen vorgeworfen.

Die anhaltende Propaganda durch Staat, Partei und gesellschaftliche Organisationen blieb nicht ohne Wirkung. Als nach der Abschaffung der Lebensmittelkarten im Jahr 1958 die Lebensmittelpreise deutlich stiegen, war ein zweites Erwerbseinkommen für viele Familien auch eine ökonomische Notwendigkeit. Gefördert wurde die Erwerbstätigkeit von Frauen auch durch eine Gleichbesteuerung beider Erwerbseinkommen, welche anders als das bis heute in Deutschland geltende Prinzip des Ehegattensplittings keinen „Hausfrauenbonus“

für nicht oder nur geringfügig erwerbstätige Ehefrauen gewährt.

Da die Mehrheit der Frauen damals über keine Ausbildung verfügte, konnten sie le-diglich Anlerntätigkeiten ausführen. In den 1960er Jahren wurde eine Qualifizierungskam-pagne ins Leben gerufen, die dafür sorgen sollte, dass bereits im Beruf stehende ungelernte Frauen (und auch Männer) über eine Nachqualifizierung einen Facharbeiterabschluss er-warben. Da solche Nachqualifizierungen für Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Arbeit und Familie schwierig waren, wurde mit dem Gesetzbuch der Arbeit 1961 eine Reihe von Maßnahmen verabschiedet, um die Mehrbelastung von Frauen zu reduzieren.

1962 wurden Fern- und Abendstudiengänge eingerichtet, die sich speziell an Frauen und

23 So festgeschrieben im Bürgerlichen Gesetzbuch aus dem Jahr 1900, das im Westen unverändert galt.

Mütter richteten. 1963 folgte die Einführung des Frauensonderstudiums, ein Bildungsgang speziell zur Ausbildung von jungen Müttern. Allerdings wurde bald deutlich, dass eine hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen nur mit familienpolitischer Flankierung möglich ist – vor allem, um keine drastisch sinkenden Kinderzahlen zu riskieren. Der VII. Parteitag der SED im Jahr 1967 beschloss deshalb auch die besondere Unterstützung von Frauen, spe-ziell von Frauen mit mehreren Kindern. Die beschlossenen Maßnahmen zielten auf einen weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, die Reduzierung der Haushaltsarbeit durch den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen ab. Die Anfang der 1960er Jahre begonnenen Quali-fizierungsoffensiven für Frauen richteten sich nun gezielt auf die Einbeziehung von Frauen in technische Berufe und auf ihre Qualifikation für leitende Tätigkeiten.

Im Jahr 1971 sah die SED die „Frauenfrage“ offiziell als gelöst an. Die Qualifizie-rungsmöglichkeiten, gesetzliche Grundlagen und die Schaffung von Kindertagesstätten hätten es ermöglicht, die Frau ökonomisch unabhängig zu machen (Bühler 1997: 32).In der Tat hatten Frauen, die nach 1952 in der DDR geboren wurden, gegenüber Männern keine Benachteiligung hinsichtlich der Erlangung einer beruflichen Ausbildung mehr zu verzeichnen (Trappe 1995: 175).

9.2 Traditionalismus und späte Modernisierung -