• Keine Ergebnisse gefunden

Historische Bedingungen und Auswirkungen auf die Geschlechter-

13 E RKENNTNISGEWINN UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHE K ONSEQUENZEN

13.2 Historische Bedingungen und Auswirkungen auf die Geschlechter-

Die Geschlechterverhältnisse in der DDR waren, in Bezug auf Bildungs- und Erwerbsbe-teiligung, von einer gegenüber der BRD-Gesellschaft größeren Gleichstellung zwischen Männern und Frauen geprägt. Gleichwohl zeichnete sich das Erwerbssystem in der DDR durch eine hohe geschlechtsspezifische Segmentierung aus. Da die DDR eine klassische Industriegesellschaft mit erheblichem Modernisierungsrückstand und permanentem Ar-beitskräftemangel war, wurde eine Zuweisung von Männern auf physisch anstrengende, häufig geringere Qualifikationen erfordernde Tätigkeiten in Industrie, Bau und Landwirt-schaft beibehalten, während sich qualifizierte Dienstleistungsberufe in Erziehung, Bildung, Gesundheit und Verwaltung als Domänen weiblicher Beschäftigung entwickelten. Der

Anteil stark frauendominierter Berufe war gegen Ende der 1980er Jahre in der DDR deut-lich größer als in der Bundesrepublik, in den 1980er Jahren war der Anteil hochqualifizier-ter weiblicher Beschäftighochqualifizier-ter (mit Fach- oder Hochschulabschluss) bereits größer als jener der Männer. Knappheiten im DDR-Wirtschaftssystem (etwa die Nichtverfügbarkeit von Handwerkern für den privaten Bereich), die Lohnpolitik der Staatsführung (Arbeiter in der Industrie hatten häufig ein höheres Einkommen als Beschäftigte im Dienstleistungsbe-reich) und auch die Propaganda der DDR-Führung trugen dazu bei, dass der sozioökono-mische Status von manuellen, handwerklichen Berufen in der DDR erheblich über dem Status von Dienstleistungsberufen lag, mitunter selbst dann, wenn letztere eine akademi-sche Bildung verlangten (vgl. Abschnitt 9).

Trotz Übernahme des westdeutschen Wirtschafts- und Bildungssystems und des enormen wirtschaftlichen Strukturwandels in den neuen Bundesländern und einem Anstei-gen der weiblichen Bildungs- und Erwerbsbeteiligung in den alten Bundesländern, blieben eine Reihe von Unterschieden zwischen alten und neuen Bundesländern bestehen. So war im Jahr 2004 die Erwerbsbeteiligung ostdeutscher Frauen mit 73,4 Prozent weiterhin deut-lich höher als in Westdeutschland (64,5 Prozent) und ging damit in den neuen Bundeslän-dern trotz des äußerst schwierigen Arbeitsmarktes nach 1990 lediglich um etwa vier Pro-zentpunkte zurück (Wanger 2006: 10). Auch blieb die Teilzeitquote der Frauen in den neuen Bundesländern mit 38 Prozent (2004) nach wie vor deutlich unter jener der west-deutschen Frauen (51 Prozent). Die Erwerbsneigung ostdeutscher Frauen liegt demnach bis heute deutlich über jener westdeutscher Frauen. Man kann hier von einer weiteren Wirk-samkeit der aus der DDR-Gesellschaft herrührenden spezifisch ostdeutschen Geschlechter-arrangements sprechen.

Die These, Frauen seien generell die Verlierer der ostdeutschen Arbeitsmarktentwick-lung, trifft in dieser Verallgemeinerung nicht zu. Zwar verloren zu Beginn des Struktur-wandels der ostdeutschen Wirtschaft Anfang der 1990er Jahre vor allem Frauen ihre Ar-beitsplätze, besonders im verarbeitenden Gewerbe sank der Frauenanteil deutlich und in der zu dieser Zeit expandierenden Baubranche fanden vor allem Männer Beschäftigung.

Doch bereits seit 1994 verschlechterte sich die relative Situation der Frauen gegenüber den Männern auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt nicht mehr. Seit 1995 ist der von Frauen geleistete Anteil am Gesamtarbeitsvolumen der neuen Bundesländer gestiegen und lag im Jahr 2004 mit 43,4 Prozent über dem Wert von 1991 (42 Prozent). Diese Entwicklung war vor allem auf den Arbeitsplatzabbau in klassischen Männerberufen – im verarbeitenden Gewerbe, im primären Sektor und am Bau – zurückzuführen, während weiblich dominierte

Branchen, vor allem Bildung, Gesundheitswesen und öffentliche Verwaltung, weitgehende Beschäftigungsstabilität erlebten. Die Arbeitslosenquote der Männer näherte sich immer mehr dem Wert der Frauen an und überstieg diesen seit dem Jahr 2002. Im Jahr 2004 wa-ren in den neuen Bundesländern geringfügig mehr Frauen als Männer sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt und die weibliche Arbeitslosenquote lag 1,1 Prozentpunkt unter jener der Männer (Abschnitt 10).

Nicht bestätigt hat sich die Vermutung, die Investitionen in den wirtschaftlichen Strukturwandel der neuen Bundesländer hätten lediglich zur Schaffung von männertypi-schen Industriearbeitsplätzen geführt, nicht aber zum Ausbau des Dienstleistungssektors, in dem vorwiegend Frauen beschäftigt sind. Eine detaillierte Analyse der Arbeitsplatzdich-te in verschiedenen Branchen ergibt, dass die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäf-tigungsverhältnisse sowohl als Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als auch bezogen auf die geschlechtsspezifische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in fast allen Branchen, in denen vorzugsweise Frauen beschäftigt sind, gleich hoch oder höher liegt als in den alten Bundesländern (Abschnitt 10.5). Während die Zahl sozialversiche-rungspflichtig beschäftigter Frauen je 100 Einwohner zwischen 18 und 60 Jahren in den neuen Bundesländern mit 53 zwei Prozentpunkte über dem Wert in Westdeutschland liegt, liegt die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Männer je 100 männliche Ein-wohner dieses Alter 13 Punkte unter dem Wert in Westdeutschland (50 je 100 Ost, 63 je 100 West). Es wäre also viel eher von einer strukturellen Benachteiligung von Männern auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt zu sprechen. Auch eine Analyse der Erwerbseinkom-men (Brutto-Stundenlöhne) zeigt, dass das geschlechtsspezifische Lohngefälle in den neu-en Bundesländern eher geringer als in Westdeutschland ist und dass Männer in dneu-en altneu-en Bundesländern einen größeren Einkommensvorteil als Frauen gegenüber ihren Ge-schlechtsgenossen in den neuen Bundesländern erzielen können (Abschnitt 10.6) – Fakto-ren, die eher eine überproportionale Abwanderung von Männern vermuten ließen.

Hingegen kam es in den neuen Bundesländern seit Anfang der 1990er Jahre zu einer enormen weiblichen Bildungsexpansion. Zwischen 1992 und 2000 erhöhte sich der Anteil weiblicher Schulabgänger mit Fach- oder Hochschulreife von 18,5 auf 33,5 Prozent (bezo-gen auf die alterstypische Bevölkerung, vgl. Tab. 17) – bei den Männern stieg sie lediglich auf 20 Prozent, während gleichzeitig der Anteil männlicher Schulabgänger ohne Haupt-schulabschluss auf 15 Prozent anwuchs (bei den Frauen nur 7,5 Prozent). Das Bildungsge-fälle zwischen Frauen und Männern ist in den neuen Bundesländern weit größer als in Westdeutschland. Von allen weiblichen Absolventen allgemeinbildender Schulen in den

neuen Bundesländern von 1995 bis 2004 erreichten 31,4 Prozent die Hochschulreife (Män-ner 20,9 Prozent), nur 7,4 Prozent der weiblichen Absolventen blieben ohne Hauptschulab-schluss (Männer 14, 4 Prozent; vgl. Abb. 26).

Vorliegende Erklärungsversuche zum Zurückbleiben männlicher Jugendlicher im all-gemein bildenden Schulsystem – wie die Feminisierung von Bildung und Erziehung oder die exzessive Mediennutzung durch männliche Jugendliche – sind nicht eindeutig belegt und scheinen allein nicht geeignet, eine ausreichende Erklärung für das geschlechtsspezifi-sche Bildungsgefälle in den neuen Bundesländern zu liefern.

Das eingetretene Bildungsgefälle zwischen jungen Frauen und Männern (Abschnitt 10.7) dürfte einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der überproportionalen Abwanderung junger Frauen aus den neuen Bundesländern liefern. Hierbei bestätigte sich die Vermutung einer Dominianz „männerspezifischer“ tertiären Ausbildungseinrichtungen bzw. Ausbil-dungsgänge in den neuen Bundesländern als Ursache für die überproportionale Abwande-rung von Frauen nicht (Abschnitt 6). Vielmehr spielt neben ökonomischen Erwägungen auch das Partnerwahlverhalten eine Rolle. Die Tendenz zu bildungshomogamen Partner-schaften oder AufwärtspartnerPartner-schaften (in Bezug auf Bildung und sozialen Status des ners) trägt dazu bei, dass Frauen aus den neuen Bundesländern häufiger als Männer Part-nerschaften mit Personen aus dem westlichen Teil der Bundesrepublik eingehen und da-durch häufiger im anderen Landesteil sesshaft werden (Abschnitt 7, Abschnitt 12.1).