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Toxikologische Untersuchungen

In-vitro-Untersuchungen

Einzelheiten des Vektorenmodells sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben.

Grundprinzip ist, dass die Staubproben an Alveolarmakrophagen in vitro im multi-dose-Regime überprüft werden, da unterschiedliche Stäube sowohl eine unter-schiedliche Lage wie auch Steilheit des Dosis-Wirkungs-Bezuges für einzelne Vekto-ren besitzen. Zusätzlich zeigt sich, dass bestimmte VektoVekto-ren, so z.B. die Sekretion von ROS ggf. schwellwertartig über die Dosis sezerniert werden. Als Parameter wer-den ausgewiesen: Glucuronidase (i), Zellschädlichkeit (ZS), Stoffwechselaktivität (LPS ausgelöstes ROS) (ii), TNF alpha bestimmt als biologisch aktives TNF (iii), durch Staub ausgelöste ROS-Freisetzung (iv). Die Darstellung erfolgt im Vektordia-gramm als Wirkungsraute. Alle in-vitro-Teste wurden im multi-dose-Ansatz durchge-führt mit Dosen von 10, 30, 60, 120, 240 mg/106 Zellen.

Tierversuche Expositionen

Weibliche Wistar-Ratten mit einem Körpergewicht von ca. 200 g (10 Tiere pro Expo-sition und Zeitpunkt) wurden mittels intratrachealer Instillation von Quarz (0.15, 0.3, 0.6, 1.2, 2.4 mg/Tier) in physiologischer Kochsalzlösung (0,5 ml) exponiert; Kontroll-tiere wurden nur mit Salzlösung instilliert oder blieben unbehandelt (Basisversuche mit DQ12). Die Gruppen der Reinstquarzproben der Quarzindustrie erhielten 0.6, 1.2 und 2.4 mg/Tier. Die Tiere der Gruppe Neuburger Kieselerden wurden mit 0.3, 1.5 und 7.5 mg/Tier belastet. Die Tiere wurden 3, 21 und 90 Tage nach der Behandlung getötet. Jeweils fünf Tiere wurden ausgeblutet und die Lungen nach Eröffnung des Brustraumes über die Trachea mit physiologischer Kochsalzlösung gespült. In der zurückgewonnenen Spülflüssigkeit (BAL) wurden folgende Untersuchungen durch-geführt: Bestimmung des Differenzialzellbildes, des Protein-, TNF-alpha- und Fibro-nektingehaltes sowie die Analyse der Surfactantphospholipide. Bei den verbliebenen fünf Tieren wurden die Lungen entnommen und in flüssigem Stickstoff eingefroren.

Von diesem Material wurden Gefriergewebeschnitte angefertigt und daran die quan-titative Bestimmung von 8-Oxoguanin, die Menge p53 und p53 mut positiver Zellen sowie die Proliferationsrate bestimmt.

8-Oxoguanin

Die Gewebeschnitte wurden 15 min in Methanol fixiert und in 2 x SSC (300 mM Nat-riumchlorid, 30 mM Natriumcitrat, pH 7,2) rehydriert. Nach Behandlung mit RNAsen wurde die zelluläre DNS durch Inkubation mit Proteinase K denaturiert. Zur Reduzie-rung unspezifischer Antikörperbindung wurden die Proben mit PBS/20 % BSA für 20 min vorinkubiert. Danach wurden sie mit einem Kaninchen-anti-8-Oxoguanin-Antikörper (1 µg/ml PBS/1 % BSA) (Lit) für 16 h bei 4°C behandelt. Nach dem Aus-waschen nicht gebundener Antikörper wurden die Proben mit einem TRITC-gekop-pelten Ziege-anti-Kaninchen-Antikörper (2 µg/ml PBS/1 % BSA, Dianova, Hamburg) für 45 min bei 37 °C exponiert, die Kern-DNS mit DAPI (0,3 µL in PBS, 10 min) ge-färbt und danach in PBS/Glycerol eingebettet.

Bildanalyse

Die Fluoreszenzbilder wurden mit einer gekühlten CCD-Kamera (Hammamatsu, Hammamatsu City, Japan) und einem Multiparameter-Bildanalyseprogramm (Ahrens ACAS, Bargteheide), wie beschrieben (SEILER and KIRSTEIN et al., 1993), durchge-führt. Jede Messung repräsentiert den Mittelwert der Fluoreszenzwerte von 100 ein-zelnen Zellen.

Proliferation

Die Fraktion der proliferierenden Lungenzellen wurde durch den immunhistochemi-schen Nachweis von Ki67 bestimmt. Die Gewebeschnitte wurden hierzu mit Ethanol fixiert (30 min), mit PBS rehydriert und 2 x 5 min in einem 650 W Mikrowellengerät behandelt (in Citratpuffer, pH 6,0). Die Proben wurden danach auf Raumtemperatur abgekühlt und mit A. dest sowie PBS gewaschen. Nach einer Vorinkubation mit PBS/1 % BSA (30 min, 37°C) wurden die Proben mit einem Kaninchen-anti-Ki67-Antikörper (20 µg/ml PBS/1 % BSA, 2 h, RT, Dianova, Hamburg) inkubiert. Nach dem Auswaschen nicht gebundener Antikörper wurden die Proben mit einem TRITC-gekoppelten anti-Kaninchen-Antikörper (2 µg/ml PBS/1 % BSA, Dianova, Hamburg) für 45 min bei 37 °C exponiert, die Kern-DNS mit DAPI (0,3 µL in PBS, 10 min) ge-färbt und danach in PBS/Glycerol eingebettet. Zur Bestimmung der Menge der posi-tiven Zellen wurden mindestens 300 Zellen pro Gewebeschnitt in vier bis sechs Mik-roskopgesichtsfeldern kontrolliert.

p53/p53 mut – Protein

Die Gewebeschnitte wurden mit Ethanol fixiert (30 min), mit PBS rehydriert und 2 x 5 min in einem 650 W Mikrowellengerät behandelt (in Citratpuffer, pH 6,0). Die Proben wurden danach auf Raumtemperatur abgekühlt und mit A. dest sowie PBS gewaschen. Nach einer Vorinkubation mit PBS/1 % BSA (30 min, 37°C) wurden die Proben mit den anti-p53-Antikörpern (1 h, 37°C) inkubiert. Nach dem Auswaschen nicht gebundener Antikörper wurden die Proben mit dem entsprechenden zweiten Antikörper für 45 min bei 37 °C exponiert, die Kern-DNS mit DAPI (0,3 µL in PBS, 10 min) gefärbt und danach in PBS/Glycerol eingebettet. Zur Bestimmung der Menge der positiven Zellen wurden mindestens 300 Zellen pro Gewebeschnitt in vier bis sechs Mikroskopgesichtsfeldern kontrolliert.

Die verwendeten Antikörper:

(1) p53: Pan (Wildtyp und Mutanten-spezifisch) Schaf anti p53 (Roche, Mannheim).

Verdünnung: 1:40 in PBS/1 % BSA. Zweiter Antikörper: Kaninchen anti Schaf TRITC gekoppelt (Dianova, Hamburg). Verdünnung: 2 µg/ml PBS/ 1% BSA.

(2) p53 mut: Ab-1 Mutanten spezifischer (Epitop aa 212-217) Maus monoklonaler Antikörper (Neomarkers, Union City, USA). Verdünnung: 1:250 in PBS/ 1 % BSA. Zweiter Antikörper: Ziege anti Maus FITC-Konjugat (Dianova, Hamburg).

Verdünnung: 2 µg/ml PBS/1 % BSA.

Entzündungsmarker

Die in der BAL enthaltenen Zellen wurden isoliert, in Hanks-Lösung resuspendiert, gezählt und ein Differenzialzellbild erstellt. Die Proteinkonzentration der BAL-Überstände wurde mit der Methode von Lowry bestimmt. Die Aktivität von TNF-alpha in der BAL-Flüssigkeit (BALF) wurde durch den Zelllyse-Test nach AGGARWAL

(AGGARWAL and KOHR et al., 1985) bestimmt. Die Analyse des Surfactant-Phospholipides Phosphatidylcholin in der BALF wurde wie bei BRUCH (BRUCH and GONO et al., 1994) beschrieben durchgeführt.

In der aktuellen Veröffentlichung werden nur die Daten des 90d-Zeitpunktes darge-stellt.

Die statistische Analyse der Daten erfolgte mit nonparametrischen Testen (MAC-OS;

Statview2), die Darstellung benützt den Box-Plot (Median sowie 25 bzw. 75 % der Daten als Grenzen der Box).

Ergebnisse

Die Ergebnisse von abgeschlossenen Auswertungen größerer Untersuchungsreihen an den drei Probengruppen mit dem wichtigen Versuchszeitpunkt 90 Tage post-expositionem (nur für Gruppe 1 und 2) sowie die Resultate der in-vitro-Teste im Vektorenmodell sind nachstehend aufgesetzt.

Basisergebnisse mit dem Referenzstaub Quarz DQ12

In der Abbildung III.1 sind die Ergebnisse der Grunduntersuchungen am Referenz-quarz DQ12 zusammengefasst; die Daten sind in einer Veröffentlichung bereits vor-gestellt worden (SEILER and REHN et al., 2001).

In der Abbildung III.1 ist zu erkennen, dass bei der niedrigsten Dosis von 0.15 mg Quarz-DQ12/Lunge deutliche entzündliche und fibroblastische Effekte (li und re oben) festzustellen sind; die Ratio PG/PI < 2 ist pathologisch. Genotoxizität tritt erst bei Dosen ≥ 0.6 mg für 8-oxoGua und ≥ 1.2 mg für p 53 mutant auf. Die lowest ad-verse effect levels (LOAEL) sind mit einer blauen Box eingegrenzt. Somit treten ge-notoxische Effekte oberhalb entzündlicher und fibroblastischer Dosen auf. Über zwei Dosenstufen ist für Quarz DQ12 kein Effekt sichtbar. Die niedrigen subnormalen Werte für 8-oxoGua werden als Effekte einer stimulierten Reparatur oder anderer Ausgleichsmechanismen aufgefasst (SEILER and REHN et al., 2001).

2,4

Quartz DQ12 (mg / Lung)

D NA-d amage

8-0x0Gua, rel. FU p53 mutant positive cells, %

2,4

Percentage of Neutrophils in BALF

Inflammation

Abb. III.1 Ergebnisse einer Quarzdosisreihe it 90 d von 0.15, 0.3, 0.6, 1.2, 2.4 mg/Rattenlunge für die Parameter von Entzündung, DNA-Schaden (Addukt), und Mutation (p53 Mutante). Mit einem Rechteck markiert ist der Bereich des lowest adverse effect levels (LOAEL). LOAEL für DNA-Schäden treten erst bei fünf- bis zehnmal und höheren Dosen auf ge-genüber dem LOAEL für Entzündung und Fibrose. DNA-Schäden Schwellwert-assoziiert; kein direkt genotoxischer Effekt. Daten veröf-fentlicht (SEILER and REHN et al., 2001).

Reinstquarzstaubproben der Quarzwerke Frechen

Aufbauend auf den Grundergebnissen mit dem Standardquarz DQ12 wurden unter-schiedliche Reinstquarzproben (insgesamt 32) aus verschiedenen Lagerstätten im Vektorenmodell untersucht. Im Prescreening selektierten drei Wissenschaftler (Borm, Donaldson, Bruch) unabhängig voneinander anhand geblindeter Ergebnisse über-einstimmend zwei Proben mit niedriger und zwei Proben mit hoher Aktivität.

-100

Abb. III.2 Vier Reinstquarzproben im Vektormodell, Dosis 120 µg/106 Zellen li oben und unten: Proben mit hoher Aktivität. Re zwei Proben mit niedri-ger Aktivität. Die Unterschiede sind vor allem durch die unterschiedliche Aktivität der Induktion von TNF-alpha bedingt.

Proben 2/1C und 3/1C repräsentieren Stäube einer hohen biologischen Aktivität, 5/1C und 11/1C einer niedrigen Aktivität. Bei diesen Reinststaubquarzen sind die Unterschiede vor allem durch den Vektor TNF-alpha und durch den Parameter der Zellschädigung charakterisiert. Die Resultate sind in Abb. III.2 festgehalten.

Die vier Proben wurden im Tierversuch im multi-dose- und multi-time-Regime in Do-sen von 0.6, 1.2 und 2.4 mg/Lunge über 3, 21 und 90d Versuch getestet. Vorgestellt werden die Daten des 90d–Versuches für die Parameter-Anzahl Neutrophiler in der BAL (Entzündungsparameter) (Abb. III.3), Ratio PI/PG in der BAL (Fibroseparame-ter) (Abb. III.4) und 8-OxoGua in den Lungenzellen (Genotoxizität) (Abb. III.5). Die Abstufung der Proben in zwei Vertreter einer hohen und zwei Vertreter einer niedri-gen Aktivität in vitro lässt sich in den drei Parametern der in-vivo-Untersuchunniedri-gen wieder finden. In diesem Grundmuster scheint die Probe 2/1C in dem Parameter Entzündungszellen sogar den Referenzstaub DQ12 deutlich zu überragen. In den anderen Parametern lässt sich diese Eigenheit auch für die Genotoxizität andeu-tungsweise wieder finden. Weiter fällt auf, dass die Probe 11/1C sehr niedrige Werte genotoxischer Aktivität besitzt.

50

10

0 20 30 40

DQ1 2 2 / 1C (S1 ) 3/ 1C (S2 ) 5/ 1 C (S3 ) 1 1/ 1 C (S4 ) Kont r

0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 1.2

Anzahl der Neutrophilen in der BALF, x 106

Abb. III.3 Entzündungszellen in der BAL 90d nach it von vier Proben Reinstquarz.

0 ,5 1 1,5 2 2,5 3

0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 Kontr. 1.2

DQ12 2/1C (S1) 3/1C (S2) 5/1C (S3) 11/1C (S4) Ratio Phosphatidyl-Inositol/-Glycerin PI/PG

Abb. III.4 Fibrotische Effekte von vier Reinstquarzproben, bestimmt über PI/PG.

Werte über 1 sind pathologisch.

106

5/ 1C (S3) 11/ 1C (S4)

5/1C (S3) 11/1C (S4)

5 10 15 20 25 30 35 40

Kontr. DQ12 2/1C (S1) 5/1C (S3) 11/1C (S4)

*

*

*

*

3/1C (S2) 8-Oxoguaningehalt der DNS, rel. FE.

0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 0.6 1.2 2.4 1.2

Abb. III.5 Genotoxische Effekte in der Lunge bestimmt über das DNA-Addukt 8-oxoGua. Graue Schattierung hinterlegt den Normalbereich. Proben 2/1C und geringer 3/1C sind stärker genotoxisch als die Proben 5/1C und 11/1C.

Quarzhaltige Produktstäube der Fa. Hoffmann Mineral

Die Ergebnisse der Testung im Vektorenmodell in vitro sind in Abbildung III.6 fest-gehalten. Hier zeigt sich, dass die Proben bei einer hohen Dosierung von 120 µg/106 Zellen praktisch keine Schädlichkeit auf Alveolarmakrophagen ausüben. Analog fal-len die Ergebnisse der in-vivo-Untersuchungen aus. Hier sind nur die Daten der ge-notoxischen Untersuchungen ausgeführt. Es zeigt sich sogar bis in den Dosisbereich von 7.5 mg/Lunge keine signifikant erhöhte Genotoxizität der Prüfsubstanzen. Die Daten anderer Parameter und Prüfzeiten werden getrennt publiziert.

5/1C (S3) 11/1C (S4)

0 20

Gluc 200 nmol

ZS 100 %

TNF 30 units aktisil VM56

Korund Quarz DQ12

Sillitin V 85

TNF 30 units Gluc 200 nmol

ZS 100 %

Abb. III.6 Biologische Aktivität im Vektormodell von zwei Neuburger Kieselerden 120 µg/106 Zellen mit Quarzanteilen von 79 %. Sehr geringe Aktivität im Vergleich zu DQ12.

0 2 4 6 8 10 12 14

1.5 0.3 1.5 7.5 0.3 1.5 7.5 8-Oxoguanin / DNS

Kontr. Quarz DQ12 aktiSil VM56 Sillitin V85

Abb. III.7 Genotoxizität von zwei Neuburger Kieselerden (Quarzgehalt 79 %) in der Rattenlunge 90d nach it Applikation. Praktisch keine Genotoxizität bis in den Dosisbereich 7.5 mg/Lunge.

Korund Quarz DQ12 ROS 150 nmol

ROS 150 nmol

Sonderproben von Arbeitsplätzen mit einem spezifischen Risiko

Die Daten zur biologischen Aktivität von Cristobalit sind bereits publiziert (REHN and REHN et al., 1999). Im Lichte der nunmehr sehr breiten Datenbasis von zahlreichen untersuchten Reinstquarzproben ist ein besonderer Befund vorzustellen. Wie in Ab-bildung III.2 zu erkennen ist, üben selbst Proben mit hoher biologischer Aktivität kei-ne besondere Wirkung über den Vektor ROS-Freisetzung aus, wohl aber auf die Vektoren TNF-alpha und Zytotoxität. Der von uns untersuchte Cristobalit unterschei-det sich in dieser Hinsicht drastisch: Selbst in der niedrigen Dosierung von 60 µg/106 Alveolarmakrophagen werden signifikant erhöhte Mengen an ROS sezerniert (Abbil-dung III.8).

140

250

25 90

Gluc

ROS

TNF ZS

Cristobalite 120 Korundum 120

quartz-DQ12 120 Cristobalite 60

quartz-DQ12 60

Abb. III.8 Wirkung von Cristobalit im Vektormodell in vitro auf Alveolarmakropha-gen: Sehr starke Stimulation ROS; kein Effekt bei Quarz DQ12.

Abb. III.9 Testung von vier Feinstäuben chinesischer Zinnminen in vitro im Vek-tormodell. Obere Reihe Quarz DQ12 und Korund gegen Bali- und Changpo-Zinnmine. Untere Reihe Quarz DQ12 und Korund gegen Tongken- und Limu-Zinnmine. Li 30, Mitte 60 und re 120 µg/106 Alveo-larmakrophagen. Bei 120 µg deutliche Aktivierung der ROS-Achse. Zu-sätzlich bei Limu-Mine gesteigerte TNF-alpha-Sekretion schon bei 30 µg/106 Alveolarmakrophagen.

Ein ähnliches Verhalten ist bei den vier von uns untersuchten Zinnminenstäuben der Herkunftsorte Limu, Tongken, Changpo und Bali zu entdecken. Diese Proben besit-zen ein außerordentlich hohes Potential der Stimulation der ROS-Freisetzung in Al-veolarmakrophagen (Abbildung III.9). Zusätzlich erkennt man, dass auch der Vektor TNF-alpha sehr stark stimuliert ist; dies trifft besonders für den Staub der Limu-Mine zu. Mit Quarzanteilen von 10 bis 40 % sind diese Proben unterschiedlich zusam-mengesetzt. Das Gesamtpotential der in-vitro-Toxizität übersteigt das des Referenz-staubes Quarz DQ12 drastisch.

Diskussion

Die vorliegenden Ergebnisse sind Teilresultate einer größeren Untersuchung, die im Hinblick auf die Fragestellung Unterschiedlichkeit verschiedener Quarzspezies und Unterschiedlichkeit von Quarz in besonderen Arbeitsbedingungen (quarzhaltige Ar-beitsplatzstäube) zusammengefasst wurden; das Untersuchungsdesign war beson-ders auf die Frage eines Schwellenwertes für die Genotoxizität ausgelegt. Hieraus resultieren sehr niedrige Dosisstufen der in-vivo-Testung.

Zunächst wurden im Prescreening aus einem Panel von 32 Quarzproben zwei mit hoher und zwei mit niedriger Aktivität selektiert. Dieses Panel repräsentiert gewis-sermaßen den Arbeitsstoff als solchen in Form von Reinstaubproben. Hier zeigt sich bereits, dass in vitro wie auch in vivo eine große Spannbreite der biologischen Akti-vitäten existieren. Diese Spannbreite umfasst auch die für die Kanzerogenität Vor-aussetzung-gebende Genotoxizität. Alle untersuchten Proben aus diesem Panel hatten für die Genotoxizität ein deutlich höheres Expositionsniveau als für die Para-meter Entzündung und Fibrogenität. Damit sind die in den früheren Untersuchungen festgestellten Schwellenwerte für Genotoxizität bestätigt worden (BRUCH and SEILER

et al., 2000; SEILER and REHN et al., 2001; SEILER and REHN et al., 2001).

Neu ist, dass auch für die genotoxischen Effekte eine Abstufung im Sinne niedriger Aktivität und hoher Aktivität – auch für Reinstquarzproben – existiert. Die Ergebnisse lassen auch den Schluss zu, dass die Beschreibung der toxikologisch relevanten Stofflichkeit über den Term „Feinstaub kristalliner Kieselsäure“ im Hinblick auf die gesundheitliche Auswirkung nur unzureichend gelingt. Schon seit langem ist be-kannt, dass das toxische Prinzip mit der Oberfläche des kristallinen SiO2-Tetraeders assoziiert ist. Jedes Kristallgitter ist an der Oberfläche gestört, wobei die Konstitution der Störung nur sehr schwer vorhersehbar oder messbar ist. Sicher ist jedoch die toxische Wirkung an diese Störung an der Oberfläche des Tetraeders gekoppelt;

damit erklärt sich auch die große Spannbreite der toxischen Wirkungen selbst bei den hier untersuchten so genannten Reinstproben. Dies bedeutet, dass eo ipso aus naturgesetzlichen Gründen das eigentliche toxikologische Prinzip durch ein Bewer-tungsverfahren Feinstäube kristalliner Kieselsäure im Prinzip nicht fassbar ist. Die für die Wirkungsweise am Menschen entscheidende Stofflichkeit ist nicht mit dem inne-ren Kristallgitter (SiO2-Tretraeder), sondern mit der Oberfläche des Gitters verknüpft und damit seinen Störungen inhärent. Die Konformation der Oberfläche ist anschei-nend nicht stabil.

Die zweite Untersuchungsreihe umfasst Staubproben, die zu 79 % aus kristalliner Kieselsäure (Quarz) sowie aus kaolinitischen Bestandteilen zusammengesetzt sind.

Bereits diese geringe Änderung gegenüber den Reinstaubproben ergibt eine drasti-sche Wirkungsabschwächung, die sich besonders im Bereich der genotoxidrasti-schen Ef-fekte bemerkbar macht; hier ist hervorzuheben, dass die obere Dosis von 7.5 mg/Rattenlunge bereits den Beginn toxischer Effekte des Inertstaubes Korund markiert (NEHLS and SEILER et al., 1997). Die Wirkungsabschwächung ist auch im Vektorenmodell in vitro zu beobachten. Die in-vivo- und in-vitro-Untersuchungen bestätigen die epidemiologischen Erfahrungen, dass an bestimmten Arbeitsplätzen keine oder nur sehr geringe Risiken zu erwarten sind, so zum Beispiel im Lothringi-schen Bergbau. Schon seit langem wird vermutet, dass die Tonmineralbestandteile für den Schutzeffekt ursächlich sein könnten. Die Zugabe von Tonmineralien führt in

experimentellen Untersuchungen zu einer deutlichen Wirkungsabschwächung bzw.

zum Wirkungsverlust von Quarz. Mechanistisch wird dies durch die kontinuierliche Auslösung von Aluminiumsalzen aus den kaolinitischen Mineralien erklärt, die eine feste Verbindung mit der Quarzoberfläche eingehen. Im Gesamtbild kann festgestellt werden, dass die kaolinitischen Bestandteile in der vorliegenden Versuchsanordnung zu einer Inertisierung der Genotoxizität der Quarzfeinstäube führen.

Ein völlig anderes Ergebnisbild ergibt sich aus der dritten Untersuchungsreihe. An Alveolarmakrophagen in vitro wurden besondere Proben aus spezifischen epide-miologischen Situationen im Vektorenmodell untersucht. Zum einen handelte es sich hier um die Staubprobe Cristobalit, die repräsentativ für Arbeitsplätze mit Vorkom-men von Hochtemperaturmodifikationen ist. Eine solche Situation liegt in den Unter-suchungen von CHECKOWAY vor, der im Bereich der Diatomeenerdeverarbeitung Kohorten erhöhter Tumorraten beschreibt; an diesen Arbeitsplätzen existierten deut-lich überhöhte Expositionen mit Cristobalit. Die Checkoway-Kohorte ist Bestandteil mehrerer epidemiologischer Arbeiten, die zur Risikoabschätzung für Krebs und Sili-kose bei Belastung mit kristallinen Kieselsäuren dient (CHECKOWAY and HUGHES et al., 1999; CHECKOWAY and FRANZBLAU, 2000; PARK and RICE et al., 2002).

Die anderen vier Staubproben entstammen den chinesischen Zinnminen; frühere und auch laufende epidemiologische Untersuchungen legen dar, dass die Bergleute der Zinnminen ein deutlich erhöhtes Lungenkrebsrisiko und Silikoserisiko aufweisen (COCCO, 2001; COCCO and RICE et al., 2001; HAZELTON and LUEBECK et al., 2001;

CHEN and CHEN, 2002).

Ein Vergleich der Expositionsdaten mit denen anderer Kohorten außerhalb Chinas ist aufgrund der besonderen Messstrategie im chinesischen Bergbau nur bedingt mög-lich. Es scheint jedoch sehr wahrscheinlich, dass beim Vergleich mit anderen Ko-horten innerhalb von China diese Zinnminen ein besonders hohes Risiko für Silikose und für Lungenkrebs darstellen. Besonders hohe Erkrankungsziffern an Silikose sind für die Limu-Mine bestimmt worden (CHEN, 2001). Die in-vitro-Daten der aus diesen Minen gezogenen Stäube manifestieren einen uns bisher nicht begegneten Grad an Toxizität. Besonders in den Parametern ROS-Freisetzung in Verbindung mit den ho-hen Werten an TNF-alpha-Release markiert sich bereits in niedrigen Dosen eine be-sondere Toxizität. Auffällig ist die Sonderstellung der TNF-alpha-Release der Limu-Mine, die in Übereinstimmung mit den epidemiologischen Daten steht. Wie bei der Hochtemperaturmodifikation Cristobalit setzt die ROS-Sekretion bereits bei niedrigen Dosen im Vektormodell ein.

In aktuellen epidemiologischen Untersuchungen wird darauf verwiesen, dass in den Zinnminen eine Arsenexposition existiert (u.a. COCCO, 2001).

Die in-vitro-Testung im Vektorenmodell belegt, dass es sich bei diesen Proben um Stäube besonderer Art handelt. Es ist sicherlich verfrüht nur anhand der Ausprägung der unterschiedlichen Vektoren weitergehende Schlüsse über das Ergebnisbild der toxikologischen Testung zu machen. Hierzu sind unabdingbar in-vivo-Untersu-chungen nötig. Es kann dennoch gefolgert werden, dass die frühe Ausprägung der ROS-Achse mit der Zusammensetzung der Zinnminenstäube in Verbindung steht.

Nach neueren Untersuchungen ist Arsen in der Lage, durch eine Entkopplung des mitochondralen Stoffwechsels spezifisch die Sekretion von ROS zu erhöhen (HEI and

LIU et al., 1998; LIU and ATHAR et al., 2001). Der in den in-vitro-Untersuchungen beo-bachtete frühe Anstieg der ROS-Freisetzung in Makrophagen kann gut mit dieser Hypothese in Übereinstimmung gebracht werden.

In wie weit die beobachteten Effekte mit den Quarzanteilen verknüpft sind, ist in ho-hem Maße fraglich. Daher bestehen auch Zweifel, in wie weit die Einbeziehung der epidemiologischen Daten aus den chinesischen Zinnminenkohorten in die 10-Kohorten-Studie (STEENLAND and MANNETJE et al., 2001) überhaupt berechtigt ist.

Diese chinesischen Kohorten tragen wesentlich zur Power der Studie und damit zum Ergebnis der quantitativen Risikoberechnung von Quarz bei.

Die Daten wurden in einem Intratrachealversuch in subchronischer Versuchszeit von 90 Tagen gewonnen. In einer Stellungnahme der Society of Toxicology (SOT) wird die Applikationsweise des Intratrachealversuches für die Untersuchung der Toxizität von Hartstäuben befürwortet, soweit nicht spezifisch Fragen der Eliminationskinetik untersucht werden sollen (DRISCOLL and COSTA et al., 2000). Das von uns gewählte Dosierungsschema schließt in jedem Fall eine overload-Situation aus; Overload wird in gegebenen Versuchsrahmen jenseits einer Dosierung von 7 mg anzunehmen sein, da dann bereits pathologische Reaktionen selbst auf Inertstäube wie Korund auftre-ten (NEHLS and SEILER et al., 1997). Andererseits hat sich die niedrige Dosierung als günstig erwiesen, um quantitative und qualitative Wirkungsunterschiede zwischen den verschiedenen Proben zu diskriminieren.

Zur Zeit kann die Aussagefähigkeit der in diesem Modell gewählten Versuchszeiten des subchronischen Versuches nur zurückhaltend interpretiert werden. Letztendlich müssen Ergebnisse von Langzeituntersuchungen abgewartet werden. Hierbei inte-ressiert besonders, in wie weit die in den vorliegenden Versuchen sich andeutende große Spannbreite zwischen Inflammation und Fibrogenität einerseits und Genotoxi-zität andererseits bestehen bleibt. Auch sollte geklärt werden, ob beispielsweise die praktisch nicht nachweisbare Genotoxizität von Quarzen mit Zumischungen von Tonmineralien (Neuburger Kieselerden) auch im Langzeitversuch Bestand hat.

Zur Zeit kann die Aussagefähigkeit der in diesem Modell gewählten Versuchszeiten des subchronischen Versuches nur zurückhaltend interpretiert werden. Letztendlich müssen Ergebnisse von Langzeituntersuchungen abgewartet werden. Hierbei inte-ressiert besonders, in wie weit die in den vorliegenden Versuchen sich andeutende große Spannbreite zwischen Inflammation und Fibrogenität einerseits und Genotoxi-zität andererseits bestehen bleibt. Auch sollte geklärt werden, ob beispielsweise die praktisch nicht nachweisbare Genotoxizität von Quarzen mit Zumischungen von Tonmineralien (Neuburger Kieselerden) auch im Langzeitversuch Bestand hat.