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Epidemiologische Daten zu Dosis-Wirkungs- Dosis-Wirkungs-Beziehungen bezüglich Krebs

Datenlage zur Einstufung

X. Epidemiologische Daten zu Dosis-Wirkungs- Dosis-Wirkungs-Beziehungen bezüglich Krebs

G. Heuchert / M. Möhner

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Berlin

In dem Beitrag von Herrn Morfeld wurde die epidemiologische Datenlage zu den Do-sis-Wirkungs-Beziehungen bereits ausführlich dargelegt. Deshalb zentrieren sich die folgenden Ausführungen auf ergänzende methodische Fragestellungen, die für das Verständnis und die Bewertung der speziellen Dosis-Wirkungs-Assoziation zwischen alveolengängigem Quarzstaub (AQS) und Lungenkrebs unverzichtbar sind und dar-über hinaus Innovationen für zukünftige Studienansätze liefern.

Aus klinischer und toxikologischer Sicht hat die epidemiologische Bewertung von Do-sis-Wirkungs-Beziehungen bezüglich der Einwirkung von kristallinem Siliziumdioxid und der Entstehung von Lungenkrebs einige spezielle Einflussfaktoren zu berück-sichtigen (HEUCHERT, 1999), die bisher in einer so ausgeprägten Form (abgesehen von aktuellen Fragen zur Bewertung konkurrierender nichtmaligner und maligner Ef-fekte des Benzols, speziell bezüglich der Non-Hodgkin-Lymphome) kaum beachtet werden mussten.

Zuerst ist auf eine Verzerrung von ermittelten Effektmaßen zum Lungenkrebs zu verweisen, die aus kohorteninternen Interaktionen mit ebenfalls quarzinduzierten nichtmalignen Krankheiten resultiert und als Bias durch konkurrierende Todesursa-chen (bias from competing risk) bezeichnet wird. Abhängig ist dieser Bias insbeson-dere von der Intensität der Quarzexposition, die einerseits zwischen und an einzel-nen Arbeitsplätzen stark variieren kann und sich andererseits in den letzten Jahr-zehnten an den meisten Arbeitsplätzen kontinuierlich vermindert hat. In der Vergan-genheit führten die sehr hohen Quarzexpositionen vorrangig zu einer erhöhten Mor-talität durch nichtmaligne Krankheiten des respiratorischen bzw. kardiorespiratori-schen Systems (Silikose/Silikotuberkulose, chronische Bronchitis/Emphysem, Cor pulmonale, Tuberkulose, Pneumonie).

Lungenkrebs

Silikose / Silikotuberkulose exponierte

Kohorte

Chronische Bronchitis / Emphysem Cor pulmonale

Tuberkulose Pneumonie Follow up

AQS-Abb. X.1 AQS-induzierte maligne und nichtmaligne Krankheiten als konkurrie-rende Todesursachen in Kohortenstudien

Gerade unter den Hochexponierten verstarben viele Personen an den nichtmalignen Krankheitsfolgen der Quarzstaubexposition und zwar bereits in jüngeren Lebensjah-ren, bevor sie die wahrscheinlich längere Latenz des beruflichen Lungenkarzinoms hätten erreichen können (Abbildung X.1). Unter den Überlebenden waren dann Per-sonen mit einer geringeren AQS-Exposition überrepräsentiert, die ihrerseits aber die notwendigen Latenzzeiten für den Berufskrebs erreichen konnten. In der Bilanz einer Kohortenstudie zeigten sich schließlich für hoch Exponierte und für Personen mit schweren Silikosen verminderte Lungenkrebsrisiken und überdies inkonsistente Do-sis-Wirkungs-Beziehungen. Durch diese Phänomene wurde das Erkennen eines Lungenkrebsrisikos der Quarzexponierten über Jahrzehnte maskiert, und es wird aus heutiger Sicht verständlich, dass in früheren Jahren selbst Silikoseforscher in erheb-licher Erklärungsnot standen und deshalb irrtümerheb-licherweise auch die Frage disku-tierten, ob nicht gar kristallines Siliziumdioxid vor einer Erkrankung an Lungenkrebs schützen würde.

An zweiter Stelle soll auf Probleme eingegangen werden, die aus einer unkritischen Betrachtung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen resultieren können, die sich allein auf den Expositionsindikator „kumulative Quarzdosis“ beziehen. In vielen neueren epi-demiologischen Studien wird hinsichtlich der Indikatoren zur retrospektiven Bewer-tung der Exposition die personenbezogen abgeschätzte kumulative Dosis favorisiert.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand, denn mit dem Nachweis von Dosis-Wirkungs-Beziehungen liefert die Epidemiologie einen gewichtigen Beitrag für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Allerdings darf beim Fehlen von konsistenten Dosis-Wirkungs-Beziehungen nicht voreilig geschlussfolgert werden, dass dies ein zuver-lässiges Studienresultat sei, welches alle Störvariablen ausschließe. Die Relevanz von methodischen Fehlern und verzerrenden Einflüssen auf statistische Studienre-sultate, die trotz ihrer hohen Plausibilität auch aktuell veröffentlichte epidemiologi-sche Studien nicht adäquat würdigen, wird näher erläutert.

Zur Wirkung und innovativen Bedeutung von Bias durch konkurrie-rende AQS- bzw. Staub-induzierte Todesursachen in Kohortenstu-dien

Anhand von zwei Studien aus unterschiedlichen Expositionsbereichen (Personen mit einer Silikose: CARTA et al., 2001; Steinkohlenbergleute: MILLER und JACOBSEN, 1985) sollen die Effekte der Konkurrenz staubexpositions-induzierter nichtmaligner und maligner Todesursachen exemplarisch erläutert werden.

In der von CARTA et al. (2001) veröffentlichten Studie zur Mortalität unter sardini-schen Silikosepatienten wird geschlussfolgert, dass die leicht erhöhte Lungenkrebs-mortalität signifikant eher mit anderen Risikofaktoren, wie dem Rauchen, der Atem-wegsobstruktion und der Exposition von Untertagebergleuten gegenüber Radonzer-fallsprodukten, assoziiert war, als mit dem Schweregrad des radiologischen Silikose-befundes oder der kumulativen Quarzstaubexposition. Bei den einzelnen Todesursa-chen der Silikosepatienten fällt jedoch die hohe Exzessmortalität durch nichtmaligne chronische Krankheiten des Atmungssystems (NMCRD) und Tuberkulose auf, von denen bekannt ist, dass sie hochsignifikant mit der AQS-Exposition assoziiert sind (Tabelle X.1). Unter den insgesamt 579 Todesfällen (= 100 %) konkurrieren jeweils der AQS-Exposition anzulastende 260 Exzesstodesfälle durch NMCRD und Tuber-kulose (= 45 % aller Todesfälle) mit nur 9 Exzesstodesfällen durch Lungenkrebs (= 1,6 % aller Todesfälle). Die AQS-induzierte Exzessmortalität durch nichtmaligne Krankheiten des Atmungssystems ist somit in dieser Studie um den Faktor 29 höher als jene durch Lungenkrebs.

Tab. X.1 SMR für spezifische Todesursachen unter 724 Sardinischen Silikose-patienten (CARTA et al., 2001)

Todesursachen beobachtet erwartet SMR (Cl95%)

Alle 579 430,2 1,35 ( 1,24 – 1,14)

÷ bösartige Neubildungen 94 100,8 0,93 ( 0,76 – 1,91)

Lungenkrebs 34 24,9 1,37 ( 0,98 – 1,91)

÷ Tuberkulose 33 1,5 22,00 (17,38 – 27,84)

÷ Herz-Kreislaufkrankheiten 112 119,2 0,94 ( 0,78 – 1,13)

÷ Nichtmaligne chronische Krankheiten des Atmungs-systems (NMCRD)

278 46,1 6,03 ( 5,44 – 6,69)

Wie oben schon angeführt, wird die Möglichkeit der quarzinduzierten Entstehung von Lungenkrebs als Todesursache durch die Überhäufigkeit der quarzinduzierten nicht-malignen Todesursachen unterdrückt. Das wahre quarzinduzierte Lungenkrebsrisiko, das ohne eine quarzinduzierte Exzessmortalität durch nichtmaligne Krankheiten existieren würde, lässt sich unter diesen Umständen nicht exakt ermitteln.

Die vorgenannten Effekte beeinflussen zugleich die Dosis-Wirkungs-Beziehungen.

Während sich für die dominierenden NMCRD eine konsistente Abhängigkeit von der kumulativen AQS-Exposition zeigt, ist diese Beziehung beim Lungenkrebs im Trend inkonsistent und nicht signifikant (Tabelle X.2). Analoge Verhältnisse ergeben sich für diese Todesursachen in Abhängigkeit vom zunehmenden Schweregrad des radiolo-gischen Pneumokoniosebefundes entsprechend den ILO-Kategorien (Tabelle X.3), die in Würdigung der Einflüsse durch bias from competing risk plausibel sind. Mit zu-nehmendem Schweregrad des Peumokoniosebefundes steigt nur das ohnehin domi-nierende Mortalitätsrisiko durch NMCRD signifikant weiter an, nicht aber das konkur-rierende Lungenkrebsrisiko.

Tab. X.2 Trend der Mortalität durch Lungenkrebs und NMCRD in Relation zur kumulativen AQS-Exposition (CARTA et al., 2001)

Lungenkrebs NMCRD

AQS-Exposition kumulativ

[(mg/m3) x Jahre]* Beobachtete Fälle SMR Beobachtete Fälle SMR

2,84 11 1,55 47 5,07

2,90 – 5,68 13 1,25 68 6,08

> 5,68 10 1,35 163 7,52

Trend NS p = 0,024

* berechnet aus [(gh/m3] auf der Basis von 8 h/Tag und 220 Schichten/Jahr

Tab. X.3 Trend der Mortalität durch Lungenkrebs und NMCRD in Relation zur radiologischen ILO-Kategorie (CARTA et al., 2001)

Lungenkrebs NMCRD

ILO-Kategorie

Beobachtete Fälle SMR Beobachtete Fälle SMR

1/0 – 1/2 7 1,23 47 4,63

2/1 – 2/3 11 1,50 68 5,11

3/2+ 16 1,34 163 7,21

Trend NS p = 0,008

Die Studie von MILLER und JACOBSEN (1985) zeigte für die Steinkohlenbergleute we-der eine erhöhte Gesamtmortalität noch ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko. Unabhängig von der Tatsache, dass ein Vergleich der Mortalität einer hochselektierten Untertage-Bergarbeiterkohorte (die man als eine gesundheitliche Elite durch initiale und konti-nuierliche longitudinale Selektion bezeichnen kann) mit der altersentsprechenden männlichen Gesamtbevölkerung aus medizinischer Sicht inadäquat ist, zeigte die Studie dennoch die folgenden, mit der arbeitsbedingten Staubexposition assoziierten Effekte:

1. Die Mortalität nahm mit ansteigender kumulativer Staubexposition systematisch zu.

2. Dieser Gradient basierte hochsignifikant primär auf Todesfällen durch Pneumo-koniose, Bronchitis und Emphysem (p < 0,001).

3. Raucher ohne Pneumokoniose hatten ein höheres Lungenkrebsrisiko als Rau-cher mit Pneumokoniose.

4. Mit zunehmendem Schweregrad der Pneumokoniose nahm das Lungenkrebsrisi-ko der Raucher signifikant ab. Die Abnahme des LungenkrebsrisiLungenkrebsrisi-kos betrug dabei für die Pneumokoniosekategorien 1-3 gegenüber der 0-Kategorie 18 % und für die Progressive Massive Fibrose (PMF) gegenüber der 0-Kategorie 26 %.

Während die ersten beiden Studienergebnisse ein vermeidbares arbeitsbedingtes Gesundheitsrisiko für die Steinkohlenbergleute belegen, verdeutlichen letztere die Effekte von Bias durch konkurrierende Todesursachen, die mit der staubinduzierten Exzessmortalität durch nichtmaligne Krankheiten des Atmungssytems zusammen-hängen. Die Bergarbeiterpneumokoniose schützt die Raucher nicht vor Lungenkrebs, sondern sie führt selbst vorzeitig zu einem Verlust an Lebensjahren und reduziert damit unter den an Pneumokoniose erkrankten Rauchern die Möglichkeit des Auf-tretens von Lungenkrebs als Todesursache. Bei den staubexponierten Rauchern oh-ne Poh-neumokoniose fehlt das dominierende Mortalitätsrisiko durch nichtmaligoh-ne Staubkrankheiten. Deshalb weisen sie in dieser Studie auch ein höheres Lungen-krebsrisiko auf als jene, die an einer Pneumokoniose erkrankt sind. Das unter dem 4.

Punkt mitgeteilte Ergebnis erhärtet den zuvor dargelegten Zusammenhang, denn die Abnahme des Lungenkrebsrisikos der Raucher mit zunehmendem Schweregrad der Pneumokoniose ist ebenfalls durch bias from competing risk erklärbar.

Wird bias from competing risk nicht adäquat gewürdigt, sind Fehlinterpretationen von Studien unvermeidbar. Insbesondere besteht die Gefahr einer systematischen Unter-schätzung des AQS- bzw. Staub-induzierten Lungenkrebsrisikos und einer Fehlinter-pretation inkonsistenter Dosis-Wirkungs-Beziehungen.

Die Erkenntnisse über bias from competing risk sind aber auch für die Begründung von Grenzwerten von großem Interesse. Bisher war es im Rahmen epidemiologi-scher Beiträge zur Diskussion von Grenzwerten allgemein üblich, Dosis-Wirkungs-Beziehungen nur hinsichtlich einzelner Endpunkte der Expositioneffekte zu analysie-ren (wie „AQS-Exposition.Silikose“, „AQS-Exposition.Lungenkrebs“ oder „AQS-Exposition.Tuberkulose“). Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse über bias from competing risk ist diese Vorgehensweise aber für solche Gefahrstoffe, die ein

breite-res Spektrum von nichtmalignen und malignen Krankheiten verursachen, sehr prob-lematisch. Sie lässt sich dort rechtfertigen, wo in sehr niedrigen Dosisbereichen nur noch mit einem Endpunkt zu rechnen ist, so dass bias from competing risk praktisch ausgeschlossen werden kann. Dies trifft jedoch in den meisten bisher bekannten Ko-hortenstudien zu den gesundheitlichen Risiken der AQS-Exposition nicht zu. Der Ef-fekt von bias from competing risk wäre aber in diesen Studien leicht zu beherrschen, wenn alle relevanten Endpunkte der AQS-Exposition (vgl. Abbildung X.1) zusam-mengefasst mit der kumulativen AQS-Exposition korreliert werden. Obwohl dies bis-her noch nicht vorgenommen wurde und dabis-her auch nicht belegbar ist, ließen sich mit diesem Ansatz sehr wahrscheinlich konsistentere Dosis-Wirkungs-Beziehungen darstellen. Ferner könnten qualifiziertere Daten für die Grenzwertdiskussion bereit-gestellt und Unterschätzungen eines AQS-induzierten Verlustes an Lebensjahren vermieden werden.

Bias from competing risk ist nicht nur ein Problem von Kohortenstudien. Bevölke-rungsbasierte Fall-Kontroll-Studien zum Lungenkrebs sind ebenso davon betroffen, wenn das Risiko der AQS-Exposition analysiert werden soll. Die Deutsche Fall-Kontroll-Studie zu beruflichen Ursachen von Lungenkrebs (BOLM-AUDORFF et al., 1998) zeigt jedoch, dass dieser Studientyp gegen bias from competing risk weniger anfällig ist (deutliche Dosis-Wirkungs-Beziehungen, erhöhtes Risiko auch unter Steinkohlenbergleuten!). Die Gründe für diesen Unterschied liegen wahrscheinlich in der typischerweise für Kohortenstudien begrenzten Beobachtungsperiode, die nur Aussagen über jenen Anteil der exponierten Personen ermöglicht, der in der festge-legten Beobachtungszeit erkrankt oder verstorben ist.

Grenzen der Aussagefähigkeit von Beziehungen zwischen