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Quarz, Silikose, Rauchen und Lungenkrebs

Quarz, Silikose, Rauchen und Lungenkrebs

Ergebnisse des zweiten Reviews liegen voraussichtlich ab Mai 2002 vor.

Bmn_workshop.ppt © 07_2000, 27

VII. Epidemiologische Daten außerhalb des Stein-kohlenbergbaus zum Zusammenhang zwischen Quarzstaubexpositionen und der Lungenkrebs-mortalität

P. Morfeld

Institut für Arbeitswissenschaften der Ruhrkohle AG, Dortmund

Zusammenfassung

Epidemiologische Kohortenstudien zu staubexponierten Arbeitnehmern belegen ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko sowohl bei Vorliegen einer Silikose als auch bei höherer langfristiger Quarz-A-Staubeinwirkung, wobei diese beiden Aussagen nicht unab-hängig voneinander zu verstehen sind und wahrscheinlich auch nicht-kausale Asso-ziationen spiegeln. Des Weiteren liegt eine Heterogenität der beobachteten Effekte vor: das Paradoxon der Exposition aus dem Steinkohlenbergbau mit bedeutsamen Quarz-A-Staubanteilen aber deutlich modifizierter Wirkung ist nur ein Beispiel. So sind die ermittelten Expositions-Respons-Kurven der Bergbau- und Nicht-Bergbau-Kohorten außerhalb des Steinkohlenbergbaus grundsätzlich inkompatibel. Des Wei-teren ist eine nicht-lineare Expositions-Respons-Beziehung mit Schwelleneffekten aufgrund der vorliegenden Daten nicht ausschließbar, so dass aus epidemiologischer Sicht bislang keine Beurteilung von Niedrig-Belastungen, speziell auch mit Relevanz für den Umweltbereich, möglich erscheint.

Aufgrund der bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten, insbesondere im niedrigen Expositionsbereich unterhalb von 0,15 mg/m³ Quarz-A-Staub, kann die Epidemiologie politischen Entscheidungsträgern keine eindeutige Regulierungs-empfehlung für Niedrig-Expositionen gegenüber Quarz-A-Stäuben am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung des Lungenkrebsrisikos vorgeben. Die Verantwortung, eine angemessene Regelung zu finden, verbleibt außerhalb derzeitiger wissenschaftlicher Bemühungen. Festzuhalten bleibt jedoch aus epidemiologischer Sicht ein unstrittig erhöhtes Lungenkrebsrisiko nach Langzeitexpositionen gegenüber alveolengängigen Quarzstäuben in Konzentrationsbereichen oberhalb von 0,15 mg/m³.

1. Einleitung und Problemstellung

1.1 Stand der Diskussion um die Karzinogenität von A-Stäuben aus kristal-linem Siliziumdioxid

Belastungen mit kristallinen SiO2-Stäuben am Arbeitsplatz wurden von der Internati-onal Agency for Research on Cancer (IARC 1997) und von der Senatskommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Prüfung gesundheitsschädlicher Ar-beitsstoffe (Senatskommission 1999) aufgrund epidemiologischer Befunde als hu-mankarzinogen für die Lunge eingestuft. In Deutschland steht eine Umsetzung dieser

Beschlüsse in eine rechtskräftige Form durch das Bundesarbeitsministerium unmit-telbar bevor. Auf europäischer Ebene behandelt die Grenzwertkommission der EU (Scientific Committee of Occupational Exposure Limits, SCOEL) ebenfalls diese Kar-zinogenitätsfrage (vgl. auch HUNTER et al., 1997). Nun hatte die zuständige Arbeits-gruppe der IARC 1996 den Karzinogenitätsbeschluss nur durch Mehrheitsentscheid der Experten und nicht einstimmig gefasst sowie inhaltliche Einschränkungen formu-liert: so gilt die Karzinogenitätsaussage nur für kristalline Siliziumdioxidstäube aus beruflichen Quellen und auch diese nicht einheitlich für alle Industriezweige. Hierbei wurde allerdings keine definitive Liste vorgegeben, in welchen Industriezweigen denn ein gesichert erhöhtes Karzinogenitätsrisiko durch Belastung mit SiO2-Stäuben vor-liegt. Des Weiteren hat die IARC angemerkt, dass die karzinogene Potenz von der Art der SiO2-Stäube abhänge. Hier ist die Bedeckung der aktiven Oberfläche der SiO2-Partikel von Bedeutung, aber auch ihr Vorkommen als Quarz, Cristobalit oder Tridymit (Polymorphismus des kristallinem Siliziumdioxid). Selbst unterschiedliche Quarzspezies (DQ12, Min-U-Sil) zeigten eine unterschiedliche Potenz in Karzinoge-nitätsexperimenten mit Ratten. Hinzu kommt, dass eine wesentliche Industriebran-che, in der bedeutende Quarzexpositionen am Arbeitsplatz auftreten können, näm-lich der Steinkohlenbergbau, sowohl in der Bewertung der IARC 1997 als auch der Begründung der Senatskommission 1999 bewusst aus den Betrachtungen zur Karzi-nogenität von SiO2-Stäuben ausgespart wurde, da eine offensichtlich atypische Re-aktionsweise für diese Gegebenheit des Quarzes vorliegt (WOITOWITZ et al., 1989;

IARC 1997; Senatskommission 1998; MORFELD und PIEKARSKI, 2000). Aus diesen Beweggründen heraus wurde die Karzinogenitätsentscheidung der IARC zwischen-zeitlich mehrfach kritisch hinterfragt: HESSEL et al., 2000; DONALDSON und BORM, 1998; SOUTAR et al., 2000. Insbesondere die toxikologisch motivierten Ausführungen von DONALDSON und BORM (1998) und die sorgfältige, kritische Sichtung der Evidenz durch eine Arbeitsgruppe des Institute for Occupational Medicine in Edinburgh (SOUTAR et al., 2000) stimmen nachdenklich.

Im Folgenden soll versucht werden, den epidemiologischen Erkenntnisstand, ausge-hend von den Datenbasen und Entscheidungen der IARC 1997 und der Senats-kommission 1999 unter besonderer Berücksichtigung der zwischenzeitlich zusätzlich erschienenen bedeutenden weiteren epidemiologischen Forschungsarbeiten (vor allem STEENLAND et al., 2001a), wiederum unter bewusster Aussparung der Daten aus dem Steinkohlenbergbau, zusammenfassend und kritisch vorzustellen, um Ent-scheidungsträgern eine wissenschaftlich abgesicherte Grundlage zur Entschei-dungsfindung aufzubereiten.

2. Methodische Vorbemerkungen zur Bedeutung von Kohorten-studien in der Epidemiologie

Der wissenschaftliche Ankerpunkt aller Überlegungen von IARC 1997 und Senats-kommission 1999 gründet in der Epidemiologie der Kohortenstudien. In einer Kohor-tenstudie wird erstens das Schicksal einer Gruppe gesunder, aber exponierter Men-schen (Kohorte) hinsichtlich der Morbidität oder Mortalität verfolgt, zweitens das Schicksal mindestens einer gering oder nicht-exponierten Vergleichskohorte und dann drittens die Ausprägung des Respons in den beiden Gruppen verglichen. Da-gegen beginnt eine Fall/Kontroll-Studie mit der Aufklärung der Expositionsvergan-genheit einer Sammlung von Fällen (Kranke, Tote) und einer Sammlung von

Kon-trollen (nicht Erkrankte, nicht Verstorbene) und vollzieht dann einen Vergleich der Gruppen hinsichtlich ihrer Expositionshistorie. Eine Fall/Kontroll-Studie ist in diesem Sinne rückwärtsgerichtet und entspricht daher nicht der natürlichen Kausalrichtung (Ursache zeitlich vor der Wirkung), wie sie in einer Kohortenstudie abgebildet wird.

Fall/Kontroll-Studien sind somit lediglich als „abgekürzte“ Ersatz-Kohortenstudien zu verstehen, aber werden aus pragmatischen Gründen wegen ihrer einfacheren Durchführung Kohortenstudien häufig vorgezogen (insbesondere die Erhebung vieler Kovariablen erscheint in Kohortenstudien oft gar nicht realisierbar). Wie dargelegt wiegen Kohortenstudien aber kausallogisch stärker: so besprechen IARC 1997 und Senatskommission 1999 zwar auch Fall/Kontroll-Studien, ihre Entscheidungen stüt-zen die Kommissionen aber stüt-zentral auf die vorliegenden Kohortenstudien. Entspre-chend wird auch in dieser Übersicht der Fokus auf Kohortenstudien gerichtet.

Die Auswertung von Kohortenstudien kann in zwei Richtungen erfolgen, die deutlich voneinander zu unterscheiden sind: externe und interne Analysen. Die zentrale Maß-zahl des ermittelten Effektes in externen Vergleichen stellt die standardisierte Morta-litätsrate (besser Mortalitätsratio) dar, kurz SMR. Diese Maßzahl vergleicht die Sterb-lichkeit der beruflich exponierten Kohorte mit der Gesamtbevölkerung als einer im wesentlichen nicht-exponierten Kohorte, wobei über geeignete Stratifizierungen des Datenmaterials die potentiell verzerrenden Einflüsse von Geschlecht, Alter und Ka-lenderzeit kontrolliert werden. Dieser Vergleich wird als extern bezeichnet, da die Vergleichsgruppe hier außerhalb der Arbeitswelt, nämlich als Gesamtbevölkerung gewählt wird. Die Maßzahl des Effektes im internen Vergleich ist das relative Risiko (RR), bei dem die Sterblichkeit innerhalb der Kohorte zwischen Teilkohorten unter-schiedlicher beruflicher Exposition, ebenfalls nach geeigneter Adjustierung für poten-tielle Störgrößen (Confounder) verglichen wird. Der Vergleich wird intern genannt, da keine Daten außerhalb des untersuchten Arbeitsbereiches herangezogen werden, um die Größe des Effektes der Exposition zu messen. Morbiditätsstatistiken werden formal entsprechend gewonnen. Führt der Vergleich von höher mit geringer Expo-nierten auf Maßzahlen von SMR > 1 oder RR > 1, so deutet dies für die beruflich Ex-ponierten auf ein erhöhtes Risiko hin. In Fall/Kontroll-Studien werden als entspre-chende Maßzahlen sogenannte odds ratios (OR) berechnet und mit dem Neutral-wert = 1 verglichen. Im Folgenden soll der Frage nach erhöhten SMR- und RR-Werten in Kohortenstudien, die den Einfluss der beruflichen SiO2-Staubexposition untersuchen, nachgegangen werden. Dabei ist ein besonderes Augenmerk auf die Form der Expositions-Respons-Beziehung zu richten, d.h. es muss insbesondere der Frage nachgegangen werden, ob sich die Maßzahlen mit zunehmender Exposition, auch nach Berücksichtigung von Confoundern, monoton erhöhen, was als wichtigster epidemiologischer Hinweis auf einen potentiellen Kausalzusammenhang zu deuten ist. Stets müssen hierbei auch Zufallseinflüsse kontrolliert werden, so dass es not-wendig wird, zumindest Konfidenzintervalle der Risikostatistiken in die Beurteilung einzubeziehen.

Zu Bedeutung, Design und Auswertung von Kohortenstudien in der Epidemiologie sei weiterführend auf das Lehrbuch von ROTHMAN und GREENLAND (1998) verwiesen.

3. Epidemiologie der Kohortenstudien zu SiO

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-Expositionen am Arbeitsplatz und der Lungenkrebssterblichkeit (IARC 1997, Senatskommission 1999)

Nach intensiver Sichtung und Diskussion des vorliegenden epidemiologischen Mate-rials benennen IARC 1997 und Senatskommission 1999 neun Kohortenstudien aus drei Industriebereichen als besonders geeignet, um den möglichen Kausalzusam-menhang zwischen Exposition gegenüber kristallinen SiO2-Stäuben und dem Lun-genkrebsrisiko zu bewerten.

Goldbergbau: STEENLAND und BROWN 1995 (USA)

Steinbrüche und Weiterverarbeitung: COSTELLO und GRAHAM 1988 (USA), GUÉNEL

et al. 1989 (Dänemark), COSTELLO et al. 1995 (USA)

Keramikindustrie: MERLO et al. 1991 (Italien), CHEN et al. 1992 (China), DONG et al. 1995 (China), CHECKOWAY et al. 1997 (USA), CHERRY et al. 1998 (UK)

Die Studien zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass es keine Anhaltspunkte für unkontrolliertes Confounding durch andere berufliche Karzinogene oder sonstige Hinweise auf eine Verzerrung des Befundes gibt. Alle Studien erlauben eine Be-schreibung des Effektes mittels der SMR, also im externen Vergleich. Es sei ange-merkt, dass hier CHERRY et al. 1998 zu den epidemiologischen Arbeiten über die

„Staffordshire pottery workers“ angeführt wird als publiziertes Update der von IARC 1997 nach als im Druck zitierten Arbeiten BURGESS et al. 1997, CHERRY et al. 1997 und MCDONALD et al. 1997 zu derselben Studiengruppe.

Abb. VII.1 IARC 1997 und Senatskommission 1999 benennen neun Kohortenstu-dien aus drei Industriebereichen als besonders geeignet zur Beurteilung des Zusammenhangs zwischen SiO2-Staubexposition und Lungen-krebsrisiken. Dargestellt ist die SMR (zum Teil auch SRR, SIR) für Lun-genkrebs mit 0,95-Konfidenzintervallen für jede Einzelstudie und im Mittel für alle Studien (fixed- effects-Meta-Analyse)

Abbildung VII.1 zeigt, dass die SMR-Statistiken der neun als besonders geeignet be-nannten Kohortenstudien mit einer Ausnahme oberhalb des Neutralwertes von 1,0 liegen. Für die Einzelstudien sind diese Erhöhungen nur in drei Fällen signifikant, wie die Konfidenzintervalle anzeigen. Eine fixed-effects-Meta-Analyse errechnet für alle neun Studien eine Gesamt-SMR von 1,23 mit einem 0,95-Konfidenzintervall von 1,14 bis 1,34. Ein statistischer Test auf Heterogenität der Einzelbefunde ergibt ein chi² (8) = 42,5; p < 0,00025, was bedeutet, dass die Einzel-SMR-Werte stärker variie-ren als aufgrund einer „natürlichen“ statistischen Streuung zu erwarten wäre. Beson-ders die beiden Extremwerte (GUÉNEL et al., 1989 und CHEN et al., 1992) liegen un-erklärlich weit von der mittleren SMR entfernt. Eine fixed-effect-Meta-Analyse unter Ausschluss dieser beiden Studien ergibt für die restlichen sieben Untersuchungen eine mittlere SMR von 1,27 mit einem 0,95-Konfidenzintervall von 1,16 bis 1,38. Ei-nen klaren Hinweis auf Heterogenität der Befunde innerhalb dieser sieben Studien findet der Test nicht: chi² (6) = 6,09; p = 0,22. Allerdings gibt es keinen Grund die Arbeiten von GUÉNEL et al. 1989 und CHEN et al. 1992 aus einer Gesamtbetrachtung auszusparen, so dass der insgesamt uneinheitliche SMR-Befund die Vorbehalte der IARC 1997 verdeutlicht, wonach eine Erhöhung des Risikos nach Exposition gegen-über kristallinen SiO2-Stäuben nicht homogen an allen Arbeitsplätzen berichtet wird.

Sehen wir von dieser Heterogenitätsproblematik einmal ab, so kann das Gesamter-gebnis als eine um 25 % signifikant gegenüber der Normalbevölkerung erhöhte Lun-genkrebssterblichkeit der SiO2-Staubexponierten Kohorten interpretiert werden. Je-doch ist hier ein weiterer wichtiger Aspekt in die Diskussion einzubringen: welchen Einfluss haben die möglicherweise zwischen den Arbeiterkohorten und der Gesamt-bevölkerung differierenden Rauchgewohnheiten auf die Interpretation des Ergebnis-ses? Um die Größenordnung des verzerrenden Einflusses eines unterschiedlichen Rauchverhaltens in der Kohorte und der Vergleichspopulation abzuschätzen, kann in erster Näherung ein einfaches Mischungsmodell angesetzt werden (vgl. AXELSON

und STEENLAND, 1988). Nach dieser sog. Axelson-Korrektur ermittelt sich die Null-SMR bei differentem Rauchverhalten zwischen Kohorte K und Population P als

1, K 0, K 1, P 0, P

RR p p