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Übersicht zum gepoolten Datenbestand

RR p p Null SMR

4.1 Übersicht zum gepoolten Datenbestand

Die gepoolte Analyse umfasst die Daten von 10 Kohortenstudien mit insgesamt 65.980 Arbeitern (44.160 Bergleute, 21.820 Nicht-Bergleute), unter denen 992 Lun-genkrebstodesfälle bis zum Ende des Follow-up auftraten (600 unter den Bergleuten, 392 unter den Nicht-Bergleuten). Für alle Personen in der Studie liegen zeitabhängi-ge Angaben zur kumulierten Exposition zeitabhängi-gezeitabhängi-genüber Staub aus alveolengängizeitabhängi-gem kri-stallinem Siliziumdioxid vor, gemessen in mg/m³ ž Jahre.

Tab. VII.2 Zehn Kohortenstudien zum Lungenkrebsrisiko nach Exposition gegen-über A-Staub aus kristallinem Siliziumdioxid, gepooled ausgewertet in STEENLAND et al. (2001a)

Tabelle VII.2 gibt einen Überblick zu den 10 Kohortenstudien, die in die gepoolte Analyse eingingen. Die Bergbaukollektive stellen ungefähr 2/3 des Beobachtungs-umfangs. Eine auffällig große Zahl von Personen entstammt den drei chinesischen Kohorten, die von CHEN et al. (1992) ausgewertet wurden. STEENLAND et al. (2001a) folgen der Entscheidung von IARC 1997 und sparen Studiengruppen aus dem Stein-kohlenbergbau explizit für die gepoolte Analyse aus.

Vier der Studien (CHECKOWAY et al., 1997; COSTELLO et al., 1988; CHEN et al., 1992;

STEENLAND und BROWN, 1995) werden sowohl in der Übersicht von IARC 1997 bzw.

Senatskommission 1999 als auch in der gepoolten Analyse von STEENLAND et al.

(2001a) verwendet. Fünf Kohorten (GUÉNEL et al., 1989; COSTELLO et al., 1995;

MERLO et al., 1991; DONG et al., 1995; CHERRY et al., 1998), die bei IARC 1997 und

Senatskommission 1999 als geeignet aufgeführt werden, finden in die gepoolte Ana-lyse von STEENLAND et al. (2001a) keinen Eingang, da Expositionsangaben jeweils nur für Teile der Kohorte vorliegen, so dass sie für eine interne Analyse nicht kom-plett herangezogen werden können. Drei Kohortenstudien (de KLERK et al., 1998;

KOSKELA et al., 1994; STEENLAND et al., 2001b) werden von STEENLAND et al. (2001a) verwendet, aber nicht bei IARC 1997 und Senatskommission 1999 unter den beson-ders geeigneten Studien aufgeführt. Diese Studien lagen bei Redaktionsschluss von IARC 1997 und Senatskommission 1999 noch nicht publiziert vor, oder hatten noch keine geeignete SMR- und Expositionsschätzung. Während die bislang aufgeführten Unterschiede in der Liste der akzeptierten Kohortenstudien, IARC 1997 und Senats-kommission 1999 bzw. STEENLAND et al. (2001a), direkt nachvollziehbar sind, so bleibt es schwer verständlich, warum STEENLAND et al. (2001a) die Kohortenstudie aus dem chinesischen Wolfram-Bergbau (CHEN et al., 1992), die Studie aus dem chinesischen Zinn-Bergbau (CHEN et al., 1992) und die Kohortenstudie aus dem südafrikanischen Goldbergbau (HNIZDO et al., 1997) berücksichtigen, während IARC 1997 und Senatskommission 1999 zu diesen Studien ausführen, dass ihre Risiko-schätzungen durch unkontrollierte Ko-Karzinogene am Arbeitsplatz wahrscheinlich verzerrt sind. Speziell für den chinesischen Zinn-Bergbau wird auf ein Confounding mit Arsen- und für den südafrikanischen Gold-Bergbau auf ein Confounding mit Ra-donexpositionen hingewiesen. Im chinesischen Wolfram-Bergbau treten parallel po-lyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAHs) als Confounder auf (COCCO et al., 2001). In den Kapiteln 4.3 und 4.5 wird auf diese Problematik des Einschlusses von Studien, die nach Ansicht von IARC 1997 und Senatskommission 1999 ohne zusätzliche Confounderkontrolle ungeeignet sind, eine unverzerrte Expositions-Respons-Beziehung für Belastungen mit Siliziumdioxid-Stäuben zu beschreiben, noch eingegangen werden.

4.2 Expositions-Respons-Beziehung nach STEENLAND et al. (2001a)

Zur Schätzung der Expositions-Respons-Beziehung wurde zur Vermeidung zu gro-ßer Rechenzeiten eine vereinfachte analytische Methode gewählt. Anstelle einer vollen Cox-Regression führten STEENLAND et al. (2001a) eine eingebettete Fall-/Kon-troll-Analyse durch, indem aus jedem Risk Set 100 Kontrollen zufällig gezogen wur-den und in die Analyse eingingen. Zum Aufbau der Analyse-Sets wurwur-den nur solche Kontrollen zugelassen, die mindestens solange lebten wie der Fall, und zudem die folgenden Matching-Kriterien erfüllten: Geschlecht, Rasse (nur relevant für US-Studien), Geburtsdatum (bis auf fünf Jahre) und Studie. Das Matching in Bezug auf die Studie wurde durchgeführt, um die unterschiedlichen Lungenkrebshintergrund-raten zu berücksichtigen und andere studienspezifische Charakteristika, wie die Qualität der Expositionsangaben zu kontrollieren. Die Analyse erfolgte dann in Form einer konditionalen logistischen Regression ohne Berücksichtigung weiterer Kovari-ablen unter der Annahme, dass das Matching bereits zu einer genügenden Adjustie-rung geführt hat. Da die Likelihood einer konditionalen logistischen Regression der Likelihood einer Cox-Regression äquivalent ist, können die so ermittelten Odds-Ratios als Schätzungen des relativen Risikos RR, das mit einer vollständigen Cox-Regression abgeleitet worden wäre, aufgefasst werden.

Abb. VII.2 Odds-Ratio OR mit 0,95-Konfidenzintervall für die Lungenkrebs-mortalität über der kumulierten SiO2-A-Staubexposition (Gesamtkollek-tiv, Lag = 0 Jahre) nach STEENLAND et al. (2001a)

Abbildung VII.2 beschreibt die ermittelte Expositions-Respons-Beziehung im ge-samten Kollektiv nach Kategorisierung der kumulierten SiO2-A-Staubexposition in Quintile. Für die obersten drei Quintile ergeben sich signifikant erhöhte Schätzungen für das relative Risiko. STEENLAND et al. (2001a) haben über die kategoreale Analyse hinaus versucht, die Form der Expositions-Respons-Beziehung mit einem log-linearen restringierten kubischen Spline zu beschreiben. Figure 1 in der Publikation gibt die Form der Expositions-Respons-Funktion aufgrund dieser Spline-Rechnung wieder, wobei jedoch die Maßeinheiten in STEENLAND et al. (2001a) falsch angege-ben sind: die Exposition wird nicht in mg/m³ ž Jahre gemessen, sondern in mg/m³ ž Schichten. Hierzu nehmen die Autoren an, dass eine Person, die ein gesamtes Jahr arbeitet, in allen Kollektiven und zu allen Zeiten 365 Schichten verfährt. Kyle STEENLAND erklärt hierzu nach Anfrage des Autors in einer e-mail vom 10.01.2002:

“This is almost certainly an overestimate, by perhaps 7/5.” Deutlich wird hieran, dass für die gepoolte Analyse nur grobe Zeitdaten in Form von Jahren zur Verfügung standen und insbesondere keine Schichtangaben. Dies ist problematisch, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass zu allen relevanten Zeiten in allen Studien-kollektiven unterschiedlicher Nationalität pro Expositionsjahr dieselbe Anzahl von Schichten verfahren wurde.

0 5 10 15 20 25 30 0,8

1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2

÷÷÷÷

Gesamtkollektiv, Spline, Lag = 15a Gesamtkollektiv, Lag = 0a Nicht-Bergbaukollektiv, Lag = 0a Bergbaukollektiv, Lag = 0a OR

KCQ / mg/m3 a

Abb. VII.3 Odds Ratio OR für die Lungenkrebsmortalität und Spline-Modell über der SiO2-A-Staubexposition nach STEENLAND et al. (2001a)

Abbildung VII.3 zeigt neben der durchschnittlichen Expositions-Respons-Funktion auch die optimierte Spline-Funktion. Zudem sind die kategorial ermittelten Expositi-ons-Respons-Funktionen, getrennt für das Bergbau- und Nicht-Bergbau-Kollektiv abgebildet. Die Abbildung belegt eine deutliche Heterogenität der Form der Expositi-ons-Respons-Beziehung: während die Kurve für das Bergbau-Kollektiv vom Aus-gangswert aus zunächst fällt und erst oberhalb einer kumulierten SiO2 -A-Staubexposition von 7 mg/m³ ž Jahre erhöhte Lungenkrebsrisiken anzeigt, folgt die Expositions-Respons-Beziehung für das Nicht-Bergbau-Kollektiv einer gänzlich ande-ren Form, indem die Kurve zunächst steil ansteigt und dann ab dem 3. Quintil un-plausibel wieder abfällt. Trotz dieser deutlich unterschiedlichen Risikokurven für die beiden Teilkollektive formulieren STEENLAND et al. (2001a) im Abstract ihrer Arbeit:

„Results ... were consistent between underground mines and other facilities.“ Diese Fehldeutung der Autoren beruht auf einer unzulässigen Verwendung von einfachen linearen Modellen zur Beschreibung der Expositions-Respons-Funktion: da beide Teilkollektiv-Kurven mit dem Ausgangs-OR von 1,0 im ersten Quintil beginnen und im 5. Expositions-Quintil ein ähnliches OR erreichen, verdecken lineare Ausgleichsrech-nungen, dass zwischen den Extremquintilen eine deutlich verschiedene Krümmung vorherrscht. Speziell macht Abbildung VII.3 deutlich, dass unterhalb einer kumulier-ten SiO2-A-Staubexposition von 6 mg/m³ ž Jahre eine starke Unsicherheit über die Form der Expositions-Respons-Beziehung besteht. Die Spline-Funktion schmiegt sich in ihrem Verlauf zunächst eher dem Nicht-Bergbau-Kollektiv an, wird dann aber vom Bergbau-Kollektiv und der absinkenden Risikokurve des Nicht-Bergbau-Kollektivs nach unten gedrängt, so dass ein künstliches Maximum im Bereich von 2 bis 3 mg/m³ ž Jahre entsteht. Die Form der Spline-Funktion ist im unteren Expositi-onsbereich insgesamt irregulär: die Funktion beginnt mit einer scharfen Nadel nach

unten und steigt dann auf das beschriebene Maximum an, um bei höherer Exposition wieder leicht abzufallen. Eine solche, deutlich nicht-monotone Kurvenform ist wohl kaum als Beschreibung der kausalen Expositions-Respons-Beziehung akzeptabel.

Die Spline-Funktion ist im Unterschied zu den kategorialen Darstellungen in Abbil-dung VII.3 allerdings mit einem Lag der Exposition von 15 Jahren berechnet. Die an-deren Kurven sind ohne ein Lagging dargestellt (STEENLAND et al., 2001a enthält nicht alle Informationen). Allerdings ergibt sich für das Gesamtkollektiv bei Anwen-dung eines Lags von 15 Jahren beinahe dieselbe kategoriale Kurve mit lediglich marginaler Veränderung. Das unterschiedlich angesetzte Lagging zwischen Spline-Funktion und kategorialer Analyse ist demnach nur von untergeordneter Bedeutung und steht einem Vergleich nicht im Wege.

Abbildung VII.3 macht also insgesamt deutlich, dass im niedrigen Expositionsbereich, d.h. für eine kumulierte SiO2-A-Staubexposition niedriger als 6 mg/m³ ž Jahre die Do-sis-Wirkungs-Beziehung unklar ist. Bei der offensichtlichen Heterogenität des Ver-laufs der Kurven kann insbesondere die Spline-Funktion, die ein Minimum und ein Maximum im niedrigen Expositionsbereich zeigt, nicht überzeugen. Unabhängig von diesen Unsicherheiten belegt die Analyse von STEENLAND et al. (2001a) aber ein-drücklich das klar erhöhte Lungenkrebsrisiko im Expositionsbereich oberhalb von 6 mg/m³ ž Jahre, insbesondere für Expositionen höher als 25 mg/m³ ž Jahre. Wird der Trennpunkt für ein eindeutig erhöhtes Risiko bei 6 mg/m³ ž Jahre angesetzt, so ent-spricht dies bei Voraussetzung einer 40jährigen Exposition einer ständigen Belas-tung mit 0,15 mg/m³ Quarz-A-Staub, d.h. einer BelasBelas-tung in der Höhe des bis 1999 gültig gewesenen MAK-Wertes für Quarzfeinstaub. Nach Diskussion dieser Kurven erklärt Kyle STEENLAND in einem e-mail-Austausch mit dem Autoren am 10.01.2002:

„I agree that issues of heterogeneity and the shape of the curve remain important issues not completely resolved by our analysis.” Die Lösung des Heterogenitäts-problems (vgl. Kapitel 2) und auch die Bestimmung einer Expositions-Respons-Funktion im unteren Expositions-Bereich (d.h. für Belastungen unterhalb von 0,15 mg/m³ SiO2-A-Staub über 40 Jahre) ist somit auch mit der gepoolten Analyse von STEENLAND et al. (2001a) nicht gelungen. Festzuhalten bleibt aber der Hinweis auf signifikant erhöhte Krebsrisiken bei Expositionen gegenüber SiO2 -A-Staubkon-zentrationen deutlich oberhalb von 0,15 mg/m³ über 40 Jahre.

STEENLAND et al. (2001a) berichten, dass die Homogenität der Expositions-Respons-Beziehungen deutlich zunimmt, sobald die kumulierte Exposition gegenüber SiO2 -A-Staub nicht linear, sondern logarithmisch in die Auswertungen eingeht. Hierzu ist an-zumerken, dass eine Logarithmierung von Größen bei Heterogenität der Daten eine varianzstabilisierende Wirkung hat, insofern eine tatsächlich vorliegende Unter-schiedlichkeit zum Teil maskiert. Grundsätzlich sollte jedoch ein Befund mit Vorsicht gedeutet werden, wenn eine wesentliche Aussage, wie die zur Heterogenität, sich als sensitiv gegenüber einer Expositionstransformation darstellt. Dies weist darauf hin, dass die Expositions-Respons-Funktion nur unsicher aus dem Datenmaterial ge-schätzt werden kann, da bereits geringe Modellmodifikationen, wie der Übergang zu einer logarithmierten Exposition, wesentliche Aussagen deutlich verändern.

Aktuell wird in manchen Darstellungen auf die quantitativen Risikoanalysen in RICE et al. (2001) verwiesen, wonach bis in niedrigste Expositionsbereiche von 0,001 mg/m³ alveolengängigem Siliziumdioxid-Staub über eine Belastungszeit von 45 Jahren das Lungenkrebsexzessrisiko als erhöht bestimmbar sei. Hierzu ist anzumerken, dass es

sich bei der Studie von RICE et al. (2001) um eine weitere Zusatzanalyse der Arbeit von CHECKOWAY et al. (1997) zu den kalifornischen Diatomeenerde-Arbeitern han-delt, die aus verschiedenen Gründen ungeeignet erscheint, gerade im niedrigen Konzentrationsbereich bei Langzeitbelastung repräsentative und stabile Risikoschät-zungen insbesondere für Expositionen gegenüber alveolengängigem Quarzstaub herzuleiten. Zunächst handelt es sich im Wesentlichen um eine Cristobalit-Belastung, die vermutlich zu höheren Lungenkrebsrisiken führt als eine entsprechende Quarz-staubbelastung (vgl. auch hierzu die Ausführungen in Kapitel 4.4). Die Studie besitzt des Weiteren eine mediane Expositionsdauer von unter fünf Jahren (s. Studie 1 in Abb. VII.4), weshalb eine Risikoabschätzung für Langzeitexpositionen auf Grundlage dieser Arbeit sehr gewagt ist. RICE et al. (2001) demonstrieren darüber hinaus, dass die Risikoabschätzung gerade im unteren Expositionsbereich wesentlich vom ge-wählten epidemiologischen Analysemodell abhängt (s. Figure 1, RICE et al., 2001) und zudem eine große statistische Unsicherheit besteht (vgl. Figure 2, RICE et al., 2001). Des Weiteren sei angemerkt, dass diese Studie in die gepoolte Analyse von STEENLAND et al. (2001a) eingegangen ist, so dass Risikoschätzungen basierend auf dieser Einzelstudie aufgrund der vorliegenden Ergebnisse der IARC Multizentren-Studie von STEENLAND et al. (2001a) deutlich an Bedeutung verlieren. Deshalb soll-ten Risikoschätzungen, wie in Tabelle VII.2 von RICE et al. (2001) vorgelegt, in denen Lungenkrebsexzesslebenszeitrisiken nach 45jähriger Exposition bei 0,001 mg/m³ für weiße und schwarze Frauen sowie Männer ausgewiesen werden, nur mit äußerster Zurückhaltung inhaltlich interpretiert werden, gerade weil selbst die gepoolte Analyse von STEENLAND et al. (2001a) im Expositionsbereich unterhalb von 0,15 mg/m³ Quarz-A-Staub über 40 Jahre nicht in der Lage ist, eine überzeugende Expositions-Respons-Beziehung abzuleiten.