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3 Theoretischer Teil

3.5 P HASEN DES S YSTEMWECHSELS

3.5.8 Systemtheorie

denn diese haben zumeist eine Erfahrung mit einer demokratischen Regierung ge-macht.68

Ein Problem für die positive Konsolidierung von Übergangsdemokratien besteht da-rin, dass nur wenige der politischen Akteure überzeugte Demokraten sind und eine Mehrheit von Befürworten für die Demokratie in der Zivilgesellschaft erst dann ent-steht, wenn die Demokratie funktioniert. Der Erfolg für die Überzeugung der Gesell-schaft an die Demokratie zu glauben, ist leichter gegeben, je repressiver das alte autoritäre Regime war.

Gerade dieses Bewusstsein, dass man auf keinen Fall zum alten Regime zurückkeh-ren möchte, soll geschärft werden, um die Konsolidierung voranzutreiben. Als Stra-tegie für die politischen Akteure ist es sinnvoll, die Erwartungen der Bevölkerung niedrig zu halten und ihr zu vermitteln, dass man ohnehin die beste Politik macht.

Wichtig sind hier mutige und zukunftsorientierte Politiker mit Visionen, die gemein-sam die Krisen überwinden wollen und den Übergang zu einer stabilen Demokratie forcieren.69

In den späten 1980er-Jahren wurde die Forschung eher durch eine mikropolitolo-gisch-akteurstheoretische Überlegung geprägt und heuristische und analystische Konzepte wurden von Forschern wie beispielsweise O‘Donnell/Schmitter oder Prze-worski eingesetzt. Zu einem Gleichgewicht der beiden Ansätze kam es erst in den frühen 1990er-Jahren.

Es erschienen mehr vergleichende Analysen und Theorien, die von einer ausgewo-generen Berücksichtigung funktionalistischer, handlungstheoretischer und struktura-listischer Überlegungen geprägt waren. Forscher, bei denen das sichtbar wird, sind unter anderem Nohlen, Karl, Offe, von Beyme und Stephens/Stephens.70

Um die Ursache der wechselnden Dominanz des system- und handlungstheoreti-schen Paradigmas in der Transformationsforschung zu ergründen, gibt es zwei Ver-mutungen.

1. Die theoretische Fundierung der politikwissenschaftlichen Transitionsforschung folgte den Konjunkturen der nordamerikanisch dominierten sozialwissenschaftli-chen Theoriebildung mit dem typissozialwissenschaftli-chen „time lag“.

2. Der Funktionalismus des Systemdenkens und der Determinismus neomarxisti-scher Strukturalisten in der Politikwissenschaft wurden durch den methodologi-schen Individualismus an den Rand gedrängt.

3. Die theoretische Ausrichtung der Systemwechselforschung folgte den histori-schen Ereignissen. Die dritte Welle der Transition in Südeuropa und Lateinameri-ka in den 1980er-Jahren konnten plausibler über das Handeln von Akteuren als durch die subjektlose Evolution funktionaler Differenzierung erklärt werden.

70 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 303

4. Die historischen Ereignisse selbst modifizierten also die Transitionsforschung hin zu akteurszentrierten Forschungshypothesen.71

Ein einziger theoretischer Zugang allein, ist er auch noch so durch seine epistemolo-gische Eleganz und Sparsamkeit beeindruckend, kann den Wandel beziehungsweise Wechsel eines politischen Systems nicht erklären.

Die drei Ansätze, der makrosoziologische Ansatz, der strukturalistische Ansatz und der mikrotheoretische Ansatz, stehen in keiner direkten Konkurrenz. Sie beziehen sich lediglich auf unterschiedliche Erkenntnisobjekte.

Systematische und strukturalistische Analysen tendieren dazu, zu viel zu erklären, handlungs- und prozessorientierte Ansätze hingegen zu wenig. Merkel versucht des-halb die jeweiligen Schwächen und Stärken zu zeigen und zu verdeutlichen, dass ihre heuristischen Potentiale häufig komplementär sind.72

Die Ansätze der Systemtheorie beleuchten den Zusammenhang funktionaler Erfor-dernisse und die zu ihrer Erfüllung notwendige Herausbildung adäquater Strukturen.

Sie entwickeln vor allem dort ihre Macht, wo es darum geht, die für den Systemzu-sammenbruch oder Wandel ursprünglichen systemischen Dysfunktionen herauszu-arbeiten.

Die Offenheit und der Abstraktionsgrad des evolutionären Kernprinzips der funktiona-len Differenzierung lassen sich für die Transformationsforschung des Wechsels von autoritären zu demokratischen Systemen in zwei Richtungen fruchtbar machen:

71 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 304

72 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der

sozial-1. der politische Systemwandel wird durch eine erfolgreiche funktionale Modernisie-rung beziehungsweise DifferenzieModernisie-rung der Gesellschaft vollzogen

2. der Wechsel des Systems wird durch eine politisch verhinderte funktionale Diffe-renzierung beziehungsweise Modernisierung der Gesellschaft möglich.73

Daraus kann man ableiten, dass ein einziges theoretisches Paradigma unabhängig von Zeit und Raum politische wie sozioökonomische Transitionsprozesse kaum er-klären kann. Andererseits können aber bestimmte theoretische Konzepte die Phase der Demokratisierung und bestimmte Typen wie zum Beispiel den Zusammenbruch einer Transformation erklären. Wenn die Etappe der Konsolidierung erreicht ist oder wenn ein abweichender Transitionsmodus, wie eine Revolution auftritt, während an-dere Ansätze gerade hier ihr Potential voll entwickeln.74

Ziel von Wolfgang Merkel ist es also eine Theorie der Transformation zu bilden, wel-che ein ausreiwel-chend generalisiertes Konzept entwickelt, das politiswel-che Systemwech-selprozesse zeit- und kontextunabhängig erklären kann, aber gleichzeitig auch offen genug ist, um eine theoriegeleitete Generierung von kontextgebundenen Transfor-mationsansätzen mittlerer Reichweite zu erweitern.75

Im klassischen ersten Fall der Modernisierungstheorie kommt es korrespondierend zum sozioökonomischen Entwicklungsniveau zur Bildung funktionsadäquater politi-scher Strukturen. Dies erwies sich zuerst als äußerst robustes statistisches Instru-ment der Forschung. Die sogenannte „black box“ zwischen sozioökonomischen

73 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 321

74 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 304

75 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und

quisiten und demokratischer Systemform erfuhr jedoch nur eine nicht zureichende Aufhellung.

Man kann allenfalls Konturen erkennen, die den Wechsel des Systems über folgende Entwicklungssequenz mehr beschreiben als erklären: Industrialisierung, Hebung von Bildung, Wohlstand und Urbanisierung, Entstehung einer Mittelklasse und eine politi-sche Mäßigung der Klassen. Im Fall der politisch verhinderten funktionalen Differen-zierung insbesondere der ehemaligen kommunistischen Systeme Osteuropas, kam es zunächst zwar erfolgreich zu Industrialisierung, Wohlstand, Bildung und die Urba-nisierung wurde gehoben, eine Mittelschicht hat sich aber dennoch nicht herausge-bildet.

Die Einfrierung weiterer funktionaler Differenzierungen zur sozialen und wirtschaftli-chen Stagnation der realsozialistiswirtschaftli-chen Gesellschaften führte zur Implosion der kommunistischen Systeme Osteuropas.76

Machtverhältnisse, Akteure, Klassenstrukturen, Institutionen, Zeitabläufe, Zeitpunkte und Sequenzen einzelner Transitionsschritte bleiben aus, da der systemtheoretische Ansatz einen hohen Abstraktionsgrad besitzt.

Der Untergang eines autoritären Regimes wird eher danach erklärt. Die Voraussicht, wann und warum ein System untergeht, ist nicht möglich.

Przeworski nennt diese Leerstelle „satisfying ex post“ und „useless ex ante“.

Die Rolle der sozialen und staatlichen Machtstrukturen und Akteure wird vernachläs-sigt und der ex- wie implizite eschatologische Evolutionismus verhindert deshalb the-oretisch die Erklärung, weshalb ein demokratisches System einer wirtschaftlich

76 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der

sozial-wickelten Gesellschaft untergeht und zu autoritären, zum Beispiel Uruguay und Chile 1973, oder totalitären Regimen, wie beispielsweise Deutschland 1933, führt.77

Analysen, die systemtheoretisch angeleitet sind, sind besser geeignet, die Zusam-menbrüche von totalitären Regimen durch ausgehandelte Transitionen zu erklären.

Sie erlauben eher zu sagen, dass eine Transition eine gelungene Modernisierung ist, als Demokratisierung unter den Voraussetzungen ökonomischen Verfalls. Sie zeigen mehr über das Ende eines autoritären Regimes als über die Konsolidierung eines Systems. Aber auch hier bleiben Leerstellen. Dies gilt vor allem für die autopoieti-sche Systemtheorie, welche Kommunikation statt Handeln einsetzt und vom be-obachtbaren Akteur abstrahiert.78

Wenn man die Systemansätze nicht erklärungstheoretisch überfrachtet, sondern be-wusst und auf struktur- und ordnungstheoretische Elemente beschränkt zielt, lassen sich diese Systemansätze erkenntnisfördernd in die Transformationsanalyse einbrin-gen.79

Drei Schattenzonen bleiben aber dennoch, die man ausleuchten muss:

1. Machtbeziehung zwischen Staat und sozialer Klasse 2. Internationaler Kontext: Bündnisse, Krieg, Krise, Konjunktur

3. Akteure, welche im Handlungskorridor der gegebenen funktionalen und strukturel-len „constraints“ agieren.

77 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 322

78 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 322

79 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und

Der erste Punkt wurde von Barrington Moore (1968) und Rueschemeyer (1992) in den Kontext der Untersuchung politischer Systemwechsel einbezogen.

Erst die diachrone Analyse, welche Moore exemplarisch in seiner historisch-komparativen Studie aufzeigt, ist es, die die jeweils geschichtliche Entwicklung von Klassen und Strukturen erklärt. Dadurch wird auf die Pfadabhängigkeit konkreter Systemtransformationen aufmerksam gemacht und der Universalismus allgemeiner Evolutionsschemata relativiert. Ein regressiver Wechsel von der Demokratie zur Dik-tatur in entwickelten Ländern beziehungsweise Gesellschaften kann im Unterschied zu unilinearen Modernisierungstheorien erklärt werden.80 In weiterer Folge illustriert Moore die Restriktionen und Chancen, die bestimmte Sozial- und Staatsstrukturen den Handlungsmöglichkeiten politischer Akteure bieten.

Diese Strukturen bilden einen ersten Filter, der die Handlungskorridore definiert, die den Akteuren zur Verfügung stehen, und die Aktionsfelder strukturiert. In weiterer Folge determinieren diese Strukturen die zukünftige Entwicklung nicht. Die Akteure haben innerhalb dieses Korridors eine begrenzte Anzahl von Handlungsoptionen, durch die sie in einem zweiten Filter im Verlauf einer strategischen Interaktion mit anderen Akteuren, Konkurrierenden, ihre Strategie auswählen. Die Akteure handeln selbst und können über die Demokratisierungschancen politischer Systeme mitent-scheiden. Als eine Art Bindeglied, welches den evolutionären Determinismus der Systemtheorie wie die restriktionslose Kontingenz strategischer Spiele rationaler Ak-teure aufweicht und damit wechselseitig anschlussfähig macht, können die

80 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 323-324

len „constraints“ dienen. Merkel sieht hier eine theoretische Brückenfunktion zwi-schen Systemtheorie und Akteurstheorie.81

Eine Einschränkung der Kontingenz politischen Handelns wird ebenfalls von den in-ternationalen Rahmenbedingungen gegeben. Externe Umwelteinflüsse beziehungs-weise Bedingungen können für politische Systeme und Akteure entweder restriktive oder optionssteigernde Qualität besitzen. Internationale Einflussfaktoren können auf das Ende alter und die Konsolidierung neuer Systeme nur additiv aufgezählt werden.

Merkel verweist hier auf Philippe Schmitter, der diese in vier Gruppen aufteilt:

1. timing 2. events 3. trends 4. cycles

„Timing“ meint die außenpolitischen Bündnisse.

Als „events“ werden Kriege und militärische Interventionen, am Beispiel von Deutsch-land, Italien, Japan, Österreich von 1945 und Argentinien von 1982, bezeichnet, aber auch Kapitalflucht, am Beispiel von Chile 1973, welche zum Zusammenbruch führen können.

Unter „trends“ versteht Schmitter die Art der Integration in den Weltmarkt.

„Cycles“ meint die internationale Wirtschaftskonjunktur und Auslandsverschuldung als Faktoren für die Destabilisierung oder Konsolidierung von politischen Regimen.

Der genaue Einfluss internationaler Ereignisse und Konjunkturen kann nur schwer im Allgemeinen zu bestimmen sein.

Internationale Faktoren werden aber auch immer durch „virtu“ und „fortuna“ bestimmt sein, mit der die einzelnen Akteure die Möglichkeiten erkennen und nutzen sollen.82

81 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und

Strukturelle „constraints“, Legitimationsfragen, funktionale Systemerfordernisse und die internationalen Rahmenbedingungen können alleine weder die Richtung, den Verlauf noch das Ergebnis von Systemwechselprozessen klären.

Was sie bestimmen, sind die Handlungsbedingungen und sie können zu einem be-stimmten Grad auch die Präferenzen der Akteure festsetzen. Das Ersetzen vom de-terministischen Kausaldenken der Modernisierungstheoretiker durch das sogenannte

„Denken in Möglichkeiten“ eröffnet eine Möglichkeit beziehungsweise Chance in der Transformationsforschung, jene Bereiche zu durchleuchten, die unter den funktiona-len, strukturellen und internationalen „constraints“ und der Folge des Systemwandels leer bleiben.83

Die angeleitete Herausarbeitung der Bedeutung von Akteuren, deren Ziele, Strate-gien, Wahrnehmungen und Koalitionsbildungen, soll neben der Besetzung der Leer-stelle makrosoziologisch orientierter Analysen ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn sein.

Dem Betrachter wird ein Einblick in den Formierungsprozess strategischer Präferen-zen und politischer Handlungen erlaubt. Wechselseitige Interaktionen zwischen der Opposition und den Regimeeliten und innerhalb der Opposition können nachge-zeichnet werden.

Akteurstheorien schärfen unseren Blick dafür, dass die strategische Wahl von soge-nannten Schlüsselakteuren immer auch abhängig von der Wahrnehmung der strate-gischen Absichten der anderen Akteure ist und entzaubern den groben Determinis-mus system- und modernisierungstheoretischer Annahmen. Andererseits zeigen sie auch auf, dass die Ungewissheit der Ergebnisse einer politischen Transition

82 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 324

83 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der

sozial-wegs nur ein Nebenprodukt einer unzureichenden Information der Akteure, sondern vielmehr ein definierendes Merkmal von Transitionsprozessen selbst ist, welches die temporäre Verflüssigung von Normen und Institutionen die strategischen Wahlmög-lichkeiten der Akteure stark erweitert.84 Merkel kommt also mit Sicherheit zu dem Schluss, dass es keinen sogenannten Königsweg in der Transformationsforschung gibt.

„Gibt es also einen Königsweg in der Transformationsforschung? Mit Sicherheit nicht den, der sich exklusiv an den Axiomen, Theoremen und Deduktionen einer soziologi-schen Großtheorie alleine orientiert. Theoriepurismus und epistemologische Eleganz würden mit zu vielen heuristischen Leerstellen bezahlt, zu viele Schattenseiten zwi-schen sozioökonomizwi-schen Ausgangsbedingungen und dem neu entstandenem Sys-tem, also dem Prozess des Systemwechsels selbst, entzögen sich dem erhellenden analytischen Zugriff. Scheut man den (häufig ebenso sterilen wie dogmatischen) Vorwurf des Theorieeklektizismus nicht, lassen sich bei einer kritischen Durchsicht der funktionalistischen, strukturalistischen und akteurstheoretischen Konzepte er-kenntnisfördernde Anschlussmöglichkeiten finden. Ein Ansatz zur Systemwechsel-forschung, der funktionale Teilsystemlogiken, systemische Legitimationserfordernis-se, Sozial- und Machtstrukturen, Institutionen sowie den internationalen Kontext als jeweils zu konkretisierende constraints für das strategische Handeln politischer Ak-teure begreift, vermag die Logik und den Ablauf von Systemwechseln angemessener zu entschlüsseln als Ansätze, die auf eine einzige Theorie verpflichtet werden. Dar-über hinaus bietet er ein theoretisches Gerüst, das offen für kontextgebundene Ana-lysen bleibt, aber gleichzeitig vor der reinen Deskription oder induktiven Beliebigkeit schützt, sich für die konkrete Fall- und Vergleichsanalysen den Ansatz im „do-it-yourself-Verfahren“(von Beyme 1991: 354) zu stricken.“(Merkel 1992: 325-326).

84 Vgl. Merkel, Wolfgang: Struktur oder Akteur, System oder Handlung: Gibt es einen Königsweg in der sozial-wissenschaftlichen Transformationsforschung? In: Merkel, Wolfgang: Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 325