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3 Theoretischer Teil

3.5 P HASEN DES S YSTEMWECHSELS

3.5.7 Die Rolle der Akteure in den Phasen des Systemwechsels

Die Phase der Liberalisierung beginnt immer mit der Spaltung der Elite des herr-schenden Blocks. Die Gründe für eine solche Spaltung sind oft vielfältig und unter-schiedlich. Beispielsweise können wirtschaftliche oder außenpolitische Krisen die Ursache darstellen. Aber auch wirtschaftliche Erfolge können ein Bedürfnis wecken, dem Regime eine breitere Legitimationsbasis zu verschaffen.

Laut Przeworski ist unabhängig von Krisen- oder Erfolgsszenarien die Stabilität eines autoritären Systems dann gefährdet, sobald kollektive Entwürfe für eine andere Zu-kunft aufkommen und wenn von Teilen der Bevölkerung und der herrschenden Elite ein anderes politisches System als realisierbare Alternative zum existierenden Sys-tem erkannt und wahrgenommen wird.

Eine begrenzte politische Öffnung ist zum Scheitern verurteilt. Nach der Einleitung einer Liberalisierung entwickelt sich ein eigendynamischer Prozess.53

Die Gewährung neuer Freiheiten führt einerseits zur Entstehung von neuen unab-hängigen Organisationen in der Zivilgesellschaft, andererseits können sich auch be-reits bestehende Organisationen unabhängig von dem autoritären Regime zeigen.

Kommt es in der Folge zu Massenprotesten, Unruhe und Unordnung, kann das be-stehende Regime auf zwei Möglichkeiten zurückgreifen.

Das neue System beziehungsweise die Demokratisierung wird eingeleitet oder es wird zum alten autoritären System zurückgekehrt. Die Organisationen, welche neu

52 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 91

entstanden sind, werden unterdrückt oder eingegliedert und die Repression wird ver-stärkt.54

Die Rolle der Akteure in der Liberalisierungsphase ist jene des Verhandlers. Aus-gangssituation einer Liberalisierung ist demnach die Interaktion zwischen der Oppo-sition und des autoritären Regimes. Die OppoOppo-sition hat die Wahl, sich entweder dem Regime zu beugen und dessen Regeln anzuerkennen oder diese zu hinterfragen.

Die Elite des herrschenden Systems hat hingegen die Möglichkeiten, die Kosten und Nutzen von Tolerierung und Repression abzuwiegen oder das Verhalten der Opposi-tion einzuschätzen.55

Marks sieht hier drei mögliche Szenarien, wie sich die herrschende Elite zur Tolerie-rung der Opposition entscheiden kann.

„1. The elite prefers supression followed by opposition acquiescene to any other out-come, but if the opposition challenges under supression, the elite prefers to tolerate no matter what the opposition responds. 2. The elite prefers toleration followed by opposition activity within the system to any other outcome, but if the opposition chal-lenges under toleration, the elite prefers to suppress no matter what the opposition responses. 3. The elite prefers toleration followed by the system challenging political activity, but in every other case it prefers suppression.“ (Marks 1992: 48f)56

In der Phase der Transition kann die Opposition die herrschende Elite zu einer Stra-tegie der Tolerierung veranlassen, wenn die Überzeugung der Eliten des herrschen-den Systems gelingt, sich im Falle einer Repression gegen das System aufzulehnen oder sich im Falle einer Tolerierung innerhalb der legalen Grenzen zu bewegen.

54 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 92

55Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 92

56 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

In jedem Anfangsstadium des Systemwechsels sind laut Przeworski Liberalisierer und Hardliner des autoritären Systems und oppositionelle Kräfte der Zivilgesellschaft als Akteure involviert, die alle unterschiedliche Ziele im Hinblick auf die Neuentwick-lung des politischen Systems haben.

Laut Przeworski ist keine rationale Entscheidung zur Einleitung der Liberalisierung möglich. Als Möglichkeiten für die Akteure sieht er die Aufrechterhaltung des Sys-tems, die eine weichere Diktatur, eine härtere Diktatur, die Transition oder den Pro-test beziehungsweise Aufstand.57

Aufgrund seiner Überlegungen kommt er zu dem Schluss, dass ein Transitionspro-zess nur aufgrund von Irrtümern und Missverständnissen zustande kommen kann.

Reformer wollen von Anfang an eine Demokratisierung des Systems. Der Zivilgesell-schaft vermitteln sie ihre wahren Absichten, den Hardlinern gegenüber vertreten sie jedoch eine Strategie der begrenzten politischen Öffnung. Auf diese Weise kann mit Zustimmung der Hardliner eine Liberalisierung eingeleitet werden, die dann in ein neues politisches System mündet.

Liberalisierer sehen zu Beginn das System in der Überzeugung, dass sie die Folgen durch eine Repression kontrollieren können. Kommt es nun aber zu einer starken Mobilisierung der Opposition, passen die Liberalisierer ihre Strategie an, da die Eliten des herrschenden Systems Zweifel an der Wirksamkeit der Repression bekommen.

In der DDR sagte angeblich Erich Mielke kurz vor dem Untergang zu Erich Honecker:

„Erich, wir können nicht Hunderttausende zusammenschlagen!“58

Eine weitere Rolle spielen soziologische und psychologische Faktoren. Durch die persönlichen Kontakte der einzelnen Akteure kann es zum Abbau von Feindbildern

57 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 93

kommen, wenn sich die einzelnen Verhandler sympathisch sind.59 Ist die Phase der Demokratisierung erfolgreich abgeschlossen kommt es zur Auflösung des autoritären Regimes. Demokratische Verfahren werden institutionalisiert. Günstig während der Ablösung des Regimes ist vor allem die Bildung einer Einheit der oppositionellen Kräfte. Ist das autoritäre Regime abgelöst, ist es wichtig, dass ein Wettbewerb inner-halb der verschiedenen Gruppen der Opposition entsteht, denn nur so funktioniert Demokratie.

Kämpft man also für die Demokratie, muss man an zwei Fronten stehen. Einerseits gegen das alte autoritäre Regime, andererseits aber auch gegen die Verbündeten, um sich den besten Platz im neuen System, der Demokratie, zu sichern.60

Przeworski vertritt hier die Meinung, dass eine erfolgreiche Auf- beziehungsweise Ablösung eines autoritären Regimes nur dann passieren kann, wenn sich die Refor-mer der herrschenden Eliten und die Gemäßigten der Opposition in Form von soge-nannten formellen oder informellen Pakten verständigen.

O‘Donnel und Schitter definieren einen Pakt, wie folgt: „A pact can be defined as an explicit of justified, agreement among a select set of actors which seek to define (or better, to redefine) rules governing the exercise of power on the basis of mutual guarantees fort he ´vital interests´ of those entering into it“ (O‘Donnel/Schmitter 1986:

37)61

Die Ausgangslage einer Demokratisierung ist wieder als eine strategische Situation zu sehen. Reformer und Gemäßigte haben unterschiedliche Handlungsoptionen.

59 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 93

60 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 94-95

61 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Entscheidend sind hier die Präferenzen der einzelnen Akteure im Hinblick auf die erwünschte Entwicklung des politischen Systems und die Allianzen, die zu ihrer Ver-wirklichung geschlossen werden.

Ergebnisse der politischen Entwicklung können sein:

1. Überleben des autoritären Regimes 2. autoritäres System mit Zugeständnissen 3. eingeschränkte Demokratie

4. uneingeschränkte Demokratie62

Die eigentlichen aktiven Akteure in der Phase der Demokratisierung sind in erster Linie die Reformer und die Gemäßigten. Hardliner und Radikale wirken eher im Hin-tergrund.63

Paradox erscheint die Rolle der Akteure in der Institutionalisierung demokratischer Verfahren. Es werden zwar dauerhafte Regelungen entworfen, die Akteure haben in erster Linie aber laufend ihre zukünftige Position im neuen System im Auge. Sie ent-werfen also Regeln, nach denen sie künftig selber spielen, aber auch generelle und gerechte Verfahren für zukünftige politische Kräfte und Generationen. Günstig scheint hier die Situation, in der die Kräfteverhältnisse unbekannt sind und jeder die Möglichkeit hat, im neuen System jeden Platz einzunehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, momentane Vorteile über die Einführung bestimmter Verfahren festzuschrei-ben.64

62 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 96

63 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 96

Die erfolgreiche Beendigung der Phase der Demokratisierung ist dann vollzogen, wenn sich alle Akteure, die irgendwie beteiligt waren, auf die Durchführung von freien Wahlen einigen, denn nur dadurch kann eine demokratische Regierung eingesetzt werden. Die Demokratisierung ist beendet, wenn eine demokratische Wahl abgehal-ten wurde.65

In der Phase der Konsolidierung nimmt die Zahl der Akteure zu und professionelle Parteien, Politiker und Interessensgruppen spielen eine bedeutende Rolle. Zu den Hauptproblemen, die die Akteure in dieser Phase erwarten, zählen die Bewältigung wirtschaftlicher Krisen, der Umgang mit den Verbrechen des autoritären Regimes, die Unterstellung des Militärs unter Zivilkontrolle und die Überwindung einer unde-mokratischen politischen Kultur.66

Um eine Demokratie zu gewährleisten, müssen sich die Interessensgruppen aufspal-ten und Parteien gründen. Nun kann das Dilemma entstehen, dass eine zu frühe Spaltung der Allianz gegen das autoritäre Regime ebendiesem die Möglichkeit zur Machterhaltung bietet. Kommt es zu keiner Aufspaltung, besteht in weiterer Folge die Möglichkeit, dass das neue Regime bald dem alten autoritären gleicht. Die Taktik der Akteure soll also darin bestehen, die autoritären Kräfte zu neutralisieren und die Zahl der wirklich überzeugten Demokraten zu erhöhen.67

Eine Bedeutung kommt hier all jenen demokratischen Politikern zu, die in der Lage sind, die demokratischen Institutionen und Verfahren mit Leben zu erfüllen. Beson-ders erwähnt seien hier diejenigen Politiker, die während der Diktatur im Exil waren,

65 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 97

66 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

Systemwechsel 1; Theorien, Ansätze und Konzepte der Transitionsforschung. 2. Auflage, Opladen 1996. S. 98

67 Vgl. Bos, Ellen: Die Rolle der Eliten und kollektiven Akteuren in Transitionsprozessen. In: Merkel, Wolfgang:

denn diese haben zumeist eine Erfahrung mit einer demokratischen Regierung ge-macht.68

Ein Problem für die positive Konsolidierung von Übergangsdemokratien besteht da-rin, dass nur wenige der politischen Akteure überzeugte Demokraten sind und eine Mehrheit von Befürworten für die Demokratie in der Zivilgesellschaft erst dann ent-steht, wenn die Demokratie funktioniert. Der Erfolg für die Überzeugung der Gesell-schaft an die Demokratie zu glauben, ist leichter gegeben, je repressiver das alte autoritäre Regime war.

Gerade dieses Bewusstsein, dass man auf keinen Fall zum alten Regime zurückkeh-ren möchte, soll geschärft werden, um die Konsolidierung voranzutreiben. Als Stra-tegie für die politischen Akteure ist es sinnvoll, die Erwartungen der Bevölkerung niedrig zu halten und ihr zu vermitteln, dass man ohnehin die beste Politik macht.

Wichtig sind hier mutige und zukunftsorientierte Politiker mit Visionen, die gemein-sam die Krisen überwinden wollen und den Übergang zu einer stabilen Demokratie forcieren.69