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Das System der öffentlichen Abgaben

Im Dokument ERFÜLLUNG STAATLICHER AUFGABEN (Seite 195-198)

IV. Privatisierung der Finanzierungsformen

2. Das System der öffentlichen Abgaben

«Öffentliche Abgaben sind alle öffentlichrechtlichen Geldleistungen, die das Gemeinwesen gestützt auf seine Finanzkompetenz den Privaten auferlegt.»746 Das System der öffentlichen Abgaben ist also konzipiert, um zu erörtern, welche Gelder der Staat einziehen darf. Die finanziellen Aspekte der Aufgaben-erfüllung gehen aber darüber hinaus. Sie beschlagen jegliche Quelle, die die Erfüllung staatlicher Aufgabe finanziert. Als Ausgangspunkt soll hier dennoch das System der öffentlichen Abgaben rekapituliert werden.

Der Bund braucht eine Grundlage in Verfassung oder Gesetz, um öffentli-che Abgaben zu erheben, ein Numerus clausus von Abgabearten besteht aber nicht.747 Daher kann es vorkommen, dass Abgaben im Einzelfall schwierig einzuordnen sind. Grundsätzlich lassen sich aber drei Kategorien von öffent-lichen Abgaben ausscheiden:

¾ Abgaben, die ohne Verbindung zu einer staatlichen Leistung stehen, heissen Steuern. Dies sind voraussetzungslos geschuldete Abgaben.748 Abhängig davon, ob die Steuern der allgemeinen Staatskasse zufliessen oder für bestimmte Verwendungszwecke vorgemerkt sind, lassen sie sich in allgemeine und Sondersteuern unterscheiden.749

¾ Als Gegenstück dazu werden alle Abgaben, die als Gegenleistung für eine bestimmte staatliche Leistung erhoben werden, als Kausalabgaben kate-gorisiert.750 In diese Kategorie fallen Gebühren, Vorzugslasten, Ersatz-abgaben und MehrwertErsatz-abgaben.751 In direktestem Bezug zur Erfüllung

745 häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1871.

746 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 1. Ähnlich auch häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2753.

747 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 2 f.

748 biAggini, Kommentar BV, Art. 127 Rz. 5; häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Ver-waltungsrecht, Rz. 2758, 2830; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwal-tungsrecht, § 57 Rz. 7.

749 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 8–10.

750 häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2758; TschAnnen/

ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 18; WiederKehr, Kausal-abgaben, S. 9.

751 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 20–38. Abwei-chend bzgl. Mehrwertabgaben WiederKehr, Kausalabgaben, S. 5.

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staatlicher Aufgaben stehen dabei die Gebühren, welche leistungs- und meist auch kostenabhängig erhoben werden. Sie fallen nur an, wenn tat-sächlich eine staatliche Leistung beansprucht wird, und sie sollen die genau dadurch entstehenden Kosten decken.752

¾ Als dritte Kategorie werden die Gemengsteuern ausgeschieden. Sie sind Abgaben, die zwar als Gegenleistung für eine staatliche Leistung anfallen, aber nicht kostenabhängig sind.753 Sie sind also dem Entstehungsgrund nach den Kausalabgaben nahe, liegen aber höher, als es bei diesen zulässig wäre. Zum Beispiel kann das kantonale Recht den Tarif für Notariatsleis-tungen höher ansetzen, als es der vom Notar geleistete Aufwand recht-fertigen würde.754

Diese Kategorisierung ist rechtlich bedeutsam, weil je nach Abgabeart ande-re Prinzipien zur Anwendung kommen. Für die Steuern setzt die Verfassung selbst die einschlägigen Prinzipien fest. Art. 127 Abs. 2 BV verpflichtet die Steuererhebung auf die Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichmässigkeit und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die ersten beiden Prinzipien gebieten, dass alle Personen in gleicher Weise der Steuerordnung unterlie-gen, ohne Steuerprivilegien, und dass die Rechtsgleichheit auch in der Be-steuerung beachtet wird.755 «Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungs-fähigkeit» ist ein Ausdruck der Verhältnismässigkeit und bedeutet, Gering-verdienende leichter und GutGering-verdienende stärker zu belasten. Pauschalisie-rungen sind dabei zulässig, eine individuelle Steuerberechnung ist nicht gefordert.756

Bei den gegenleistungsbasierten Kausalabgaben kommen zwei andere Prinzipien zur Anwendung: das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip.

Ihnen kommt aber ein anderes Gewicht zu als den steuerlichen Prinzipien:

Sie gelten nämlich nicht generell, sondern sind lediglich mögliche Kompen-sationsmechanismen für eine gelockerte gesetzliche Grundlage; sie können

752 häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2764; TschAnnen/

ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 20 f.

753 BGE 140 I 176 E. 5.3 S. 181; häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2866; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 57 Rz. 39.

754 BGE 130 III 225 E. 2.5 S. 230; nebenbei: «Die Zulässigkeit einer Gemengsteuer beruht hier darauf, dass das Bundeszivilrecht die Steuerhoheit der Kantone nicht beschränkt».

755 biAggini, Kommentar BV, Art. 127 Rz. 8, 10 f.; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemei-nes Verwaltungsrecht, § 58 Rz. 5 f.

756 biAggini, Kommentar BV, Art. 127 Rz. 12; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 58 Rz. 7; insbesondere sind degressive Einkommenssteuern ver-boten. Kursorisch auch häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2845.

§ 4 Erfüllungsprivatisierung

also einen Mangel im Gesetzmässigkeitsprinzip beheben.757 «Das Kosten-deckungsprinzip besagt, dass die Gesamteingänge an Abgaben den Gesamt-aufwand für den betreffenden Verwaltungszweig nicht oder höchstens gering-fügig überschreiten sollen»758. Das Kostendeckungsprinzip bindet also den Verwaltungsaufwand insgesamt an die erhobenen Abgaben — eine Abgabe soll nicht mehr einbringen, als im betreffenden Verwaltungszweig aufgewendet wird. Das Äquivalenzprinzip beschlägt dagegen die einzelne Kausalabgabe:

«Es bestimmt, dass eine Gebühr nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der Leistung stehen darf und sich in vernünftigen Gren-zen halten muss.»759 Es konkretisiert damit das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Willkürverbot.

Das Kostendeckungs- und das Äquivalenzprinzip scheinen eher den Gehalt von optionalen Argumenten aufzuweisen denn von standfesten Prinzipien, die diesen Namen verdienen.760 Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung von Kausalabgaben weitgehend frei, welche Kosten in welchem Ausmass damit gedeckt werden sollen.

«Bei der Prüfung der Frage, ob eine Kausalabgabe nicht in einem offen-sichtlichen Missverhältnis zur erbrachten Leistung steht, ist auch dem Um-stand Rechnung zu tragen, ob diese von Gesetzes wegen die vollen Kosten der Behörde zu decken bzw. eine rein verursacherorientierte Finanzierung be-zweckt […]. Eine derart weitgehende finanzielle Belastung — im Sinne einer uneingeschränkten Verursacherfinanzierung — kann unter Umständen das Äquivalenzprinzip verletzen, wenn der Wert der staatlichen Leistung bzw.

Handlung nicht allein dem Abgabepflichtigen zugerechnet werden kann bzw. wenn die vom Staat erbrachte Leistung auch der Verwirklichung öffent-licher Interessen dient»761.

Kausalabgaben sind generell eine Möglichkeit, die Kosten der Verwaltungs-tätigkeit auf Private zu überwälzen.

757 Anstelle vieler BGE 143 II 283 E. 3.5 S 292. Ferner biAggini, Kommentar BV, Art. 127 Rz. 6;

häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2762, 2806.

758 Anstelle vieler BGE 143 II 283 E. 3.7.1 S. 293. Ferner biAggini, Kommentar BV, Art. 127 Rz. 6; häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2760; TschAn-nen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 58 Rz. 13.

759 Anstelle vieler BGE 143 I 147 E. 6.3.1. S. 158; auch zum Folgenden. Ferner häFelin/

Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 2761.

760 WiederKehr, Legalitätsprinzip im Kausalabgaberecht, S. 50. Ansatzweise in diese Rich-tung auch TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines VerwalRich-tungsrecht, § 59 Rz. 13.

761 WiederKehr/richli, Praxis des allgemeinen Verwaltungsrechts, Rz. 566 f.

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