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Das Private als Begriff der Bundesverfassung

Im Dokument ERFÜLLUNG STAATLICHER AUFGABEN (Seite 63-67)

II. Privatisierung

3. Das Private als Begriff der Bundesverfassung

Da dem vermeintlichen Gegenbegriff Entstaatlichung keine klaren Konturen für die Privatisierung zu entnehmen sind, stellt sich die Frage, ob Begriffsklar-heit aus dem Verfassungsverständnis der privaten Sphäre zu gewinnen ist.

Privatisierung an sich ist kein Begriff der Verfassungssprache, das Priva-te allerdings wird in vierzehn Artikeln erwähnt. Diese NormsPriva-tellen sollen im Folgenden daraufhin untersucht werden, ob sie Rückschlüsse auf den Pro-zess der Verschiebung von der staatlichen in die private Sphäre zulassen. Im Folgenden werden die verschiedenen Erwähnungen des Privaten zu drei Konstellationen gegliedert.

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a. Zweiteilung in private und andere Akteure

An vier Stellen unterscheidet die Verfassung private und andere Akteure:

¾ Art. 5 Abs. 3 BV: Private müssen ebenso wie staatliche Organe den Grund-satz von Treu und Glauben beachten;

¾ Art. 41 Abs. 1 BV: Die Sozialziele, für die Bund und Kantone verantwort-lich sind, ergänzen die persönverantwort-liche Verantwortung und die private Initi-ative;

¾ Art. 83 Abs. 2 BV: Bau, Betrieb und Unterhalt von Nationalstrassen kann vom Bund an öffentliche, private oder gemischte Trägerschaften über-tragen werden;

¾ Art. 196 Ziff. 3 Abs. 2 Bst. f: Der Bundesrat kann für Eisenbahngrosspro-jekte eine ergänzende Finanzierung durch Private sowie internationale Organisationen vornehmen.

An zwei weiteren Stellen teilt die Verfassung die Akteure nach ihrer Rechts-grundlage in zwei Gruppen:

¾ Art. 96 Abs. 2 Bst. a BV: Die wettbewerbspolitischen Massnahmen des Bundes treffen Unternehmen und Organisationen des privaten wie des öffentlichen Rechts gleichermassen;

¾ Art. 178 Abs. 3: Verwaltungsaufgaben können an Organisationen und Per-sonen des öffentlichen wie des privaten Rechts übertragen werden.

Diese sechs Stellen lassen einige Schlussfolgerungen zu. Erstens wird darin das Bild der zwei Sphären bestätigt: Die Verfassung kennt nur staatliche oder private Akteure und unterscheidet keine weiteren Kategorien. Die Trennli-nie zwischen den Sphären bleibt aber funktionell, also an der Aufgabe hän-gend; diesen Stellen ist nicht zu entnehmen, die Verfassung gehe von einem personellen Begriffsverständnis des Staats aus.

Art. 41 Abs. 1 BV führt neben dem Privaten auch das Persönliche auf. Dies lässt darauf schliessen, dass «privat» einen überindividuellen, gesellschaft-lichen Aspekt hat, wobei das Persönliche nur eine einzelne Person betrifft.84 An den anderen Stellen scheint das Private sowohl individuelle wie überin-dividuelle Aspekte aufzuweisen. Daher erübrigt es sich, neben dem Staatli-chen und dem Privaten eine dritte Kategorie aus der Verfassung abzuleiten.

Diese Textstellen belegen zweitens, dass für staatliche Akteure andere Regeln gelten als für private. Auch Art. 5 Abs. 3 BV ändert nichts daran, ob-wohl er «[s]taatliche Organe und Private» in einem Atemzug nennt (siehe dazu hinten § 3/II.5.a). Private werden durch diese Bestimmung «nicht […]

gleicher-84 In diese Richtung auch gächTer/Werder, Basler Kommentar, Art. 41 Rz. 15

§ 2 Begriffserklärung

massen wie der Staat auf ein widerspruchsloses Handeln verpflichtet»85, viel-mehr ist die Bindung an den Vertrauensgrundsatz asymmetrisch. Dies geht darauf zurück, dass im nichtstaatlichen Bereich die Privatautonomie gilt.86

Und schliesslich wird die Zweiteilung in eine staatliche und eine private Sphäre aufgeweicht, wenn es um die Erfüllung staatlicher Aufgaben geht.

Kooperationen, Mischformen und die Einbeziehung Privater in die Erfüllung staatlicher Aufgaben sind von vornherein vorgesehen. Wie vorne schon fest-gestellt (I.3), gilt das Zwei-Sphären-Bild für die Aufgabenseite. Was die Erfül-lung betrifft, ist vielmehr von einem Spektrum auszugehen.

b. Lebensbereich Privater an sich

An fünf Stellen erwähnt die Verfassung den Lebensbereich Privater, um die-sen besonders zu schützen oder besonders zu fördern:

¾ Art. 13 BV: Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre und des Privatlebens;

¾ Art. 35 Abs. 3 BV: Grundrechte sollen auch unter Privaten wirksam werden;

¾ Art. 95 Abs. 3 BV: Die Bestimmungen über Vergütungen in Aktiengesell-schaften bezwecken u.a. den Schutz von Privateigentum;

¾ Art. 108 Abs. 1 BV: Eigenbedarf Privater bei der Förderung des Wohnungs-baus und des Erwerbs von Wohnungs- und Hauseigentum;

¾ Art. 180 Abs. 2 BV: Private Interessen, die der öffentlichen Information über die Tätigkeiten des Bundesrats entgegenstehen können.

Diese fünf Artikel zeigen erstens, dass es Bereiche des Privaten gibt, die dem Staat nur unter besonderen Bedingungen zugänglich sind — die Freiheits-rechte des Individuums. In einer anderen Hinsicht scheidet die Verfassung Bereiche des Privaten aus, denen staatlicher Schutz oder staatliche Förde-rung zukommen soll.

Ausserdem ist diesen Artikeln wiederum das Zwei-Sphären-Bild zu ent-nehmen, indem das Staatliche als (zum Teil nur impliziertes) Gegenstück zum Privaten auftaucht: Der Staat muss Eingriffe in die Privatsphäre oder das Privatleben rechtfertigen. Die staatlichen Behörden sind dafür verantwort-lich, dass Grundrechte auch unter Privaten wirksam werden. Der Staat erlässt besondere Vorschriften zum Schutz des privaten Eigentums, die in dieser

85 schindler, Rollenverteilung, Rz. 55. Ferner biAggini, Kommentar BV, Art. 5 Rz. 24, der «zulasten Privater direkt sanktionierbare Handlungspflichten» aus Art. 5 Abs. 3 BV verneint.

86 Vgl. schindler, Rollenverteilung, Rz. 55, der dies in der «individuellen Freiheit»

begründet sieht.

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Form das Staatseigentum nicht betreffen. Der Staat wird nicht gefördert, wenn er Wohnungsraum bauen oder erwerben will. Und der Staat muss auf private Interessen Rücksicht nehmen, wenn er die Öffentlichkeit über seine Tätigkeiten informiert.

Diese Bestimmungen lassen das Private also als einen vom Staat abge-grenzten Bereich erscheinen, der anderen Regeln unterliegt.

c. Privatwirtschaft

Das Private taucht schliesslich als Teil des verfassungsrechtlichen Wirt-schaftsverständnisses auf. Vier Bestimmungen regeln Freiheit und Rahmen-bedingungen der privaten Wirtschaft:

¾ Art. 27 Abs. 2 BV schützt den freien Zugang zu einer privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit;

¾ Art. 95 Abs. 1 BV gibt dem Bund sodann das Recht, über diese Erwerbstä-tigkeit Vorschriften zu erlassen;

¾ Art. 94 Abs. 2 BV hält Bund und Kantone an, zusammen mit der Privat-wirtschaft für Wohlfahrt und Privat-wirtschaftliche Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen;

¾ Art. 94 Abs. 3 BV fordert den Staat auf, der privaten Wirtschaft günstige Rahmenbedingungen zu setzen.

Art. 98 Abs. 3 BV erwähnt zudem die Privatversicherungen als Unterkatego-rie der Privatwirtschaft.

Diese Normen suggerieren, dass staatliche Einmischung in die Wirtschaft von vornherein vorgesehen ist. Der viel beschworene Grundsatz der staats-freien Wirtschaft erscheint in diesem Zusammenhang als ideologisch aufge-ladene Wunschvorstellung (siehe dazu hinten § 3/III.4). Wirtschaftliche Betä-tigung ist nicht der privaten Sphäre allein vorbehalten.

Die Bestimmungen über die Privatwirtschaft dienen insgesamt nicht dazu, den Privatisierungsbegriff fassbarer zu machen. Ebenso wenig helfen sie, staatliche Tätigkeit e contrario aus der privatwirtschaftlichen Tätigkeit zu definieren. Dieser letztere Begriff ist als sachlicher Schutzbereich eines Grundrechts bedeutsam (Art. 27 Abs. 2 BV). So werden etwa Tätigkeiten in Ausübung einer Monopolkonzession von der privatwirtschaftlichen Tätigkeit ausgespart,87 ohne dadurch zur Staatstätigkeit zu werden (es sei denn, die Konzession sei mit einer Erfüllungspflicht verbunden, siehe dazu vorne I.2.b).

87 biAggini, Kommentar BV, Art. 27 Rz. 12.

§ 2 Begriffserklärung

d. Zwischenfazit: Keine Begriffsklarheit aus der Verfassung

Vorab ist festzuhalten, dass die Verfassung keine eigentliche Definition des Privaten enthält. Dies zu erwarten, wäre auch verfehlt, regelt die Verfassung doch in erster Linie die Grundlagen des Staats. Folglich prägt die Verfassung auch kein eigenes Verständnis der Privatisierung. Sie verdeutlicht allerdings, dass das Bild zweier abgetrennter Sphären nuanciert gesehen werden muss.

Eine klare Trennlinie zwischen der staatlichen und der privaten Sphäre wird nur bezüglich der Aufgaben gezogen, deren Erfüllung eine Tätigkeit dient.

Diese trennscharfe Definition geht auf den funktionellen verfassungsrecht-lichen Staatsbegriff zurück (siehe vorne I). Was die Aufgabenerfüllung be-trifft, ist von einem Spektrum auszugehen mit typisch staatlichen Erfüllungs-formen auf der einen und typisch privaten auf der anderen Seite.

4. Zweiteiliger Privatisierungsbegriff für einen zweiteiligen

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