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Einzelne Organisationsformen

Im Dokument ERFÜLLUNG STAATLICHER AUFGABEN (Seite 149-154)

II. Privatisierung der Organisationsformen

3. Einzelne Organisationsformen

Organisationsformen sind laut vogel «rechtliche Typisierungen des Aussen- und Innenlebens von Organisationen».515 Jede gefestigte Rechtsform verfügt über für sie typische Eigenschaften, womit aber nicht gesagt ist, dass sich die verschiedenen Formen in jedem Punkt unterscheiden. Die verschiedenen Verwaltungsträger ausserhalb der Zentralverwaltung werden also nicht zu einem Modell geordnet, sie stehen begrifflich nebeneinander.516

Im Folgenden werden diejenigen Organisationsformen von Verwaltungs-trägern aufgelistet, die über eine gefestigte Bezeichnung verfügen. Die Auf-zählung entspricht der aktuellen Praxis der Verwaltungsorganisation auf Bundesebene — zu beachten ist allerdings, dass das öffentliche Recht keinen Numerus clausus der Organisationsformen kennt, im Unterschied zum Privat-recht.517 Der Gesetzgeber kann jederzeit neue Formen schaffen.

a. Zentralverwaltung

Zentralverwaltung bedeutet «die Zusammenfassung von Verwaltungseinhei-ten eines Verwaltungsträgers zu einem geschlossenen, hierarchisch durch-strukturierten Gefüge»518. Die Einheiten der zentralen Bundesverwaltung heissen Ämter und können zu Gruppen zusammengefasst werden.519 Prä-gendes und kennzeichnendes Merkmal der Zentralverwaltung ist die Hier-archie. Sie bedeutet viererlei:520 (1) Jede Verwaltungseinheit ist einer anderen

512 TschAnnen, Organigramm, S. 525. Ähnlich auch TschAnnen, Systeme, Rz. 56.

513 TAnqUerel, Droit administratif, Rz. 127.

514 Ähnlich auch TschAnnen, Organigramm, S. 525.

515 vogel, Einheit der Verwaltung, S. 71.

516 Die beschränkten «Möglichkeiten für eine dogmatische Typisierung» betont auch vogel, Einheit der Verwaltung, S. 72.

517 vogel, Einheit der Verwaltung, S. 76 f.

518 TschAnnen, Systeme, Rz. 57.

519 Art. 2 Abs. 2 RVOG. Dazu auch TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwal-tungsrecht, § 6 Rz. 2; ferner vogel, Einheit der Verwaltung, S. 225 f.

520 Eigene Zusammenstellung. Zum Ganzen ausführlich häFelin/Müller/UhlMAnn, Allge-meines Verwaltungsrecht, Rz. 1569–1577, 1594; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemei-nes Verwaltungsrecht, § 6 Rz. 4–7; vogel, Einheit der Verwaltung, S. 137 f., 226–229.

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untergeordnet; (2) Aufgabenverantwortung und Entscheidungsmacht mün-den an der Spitze der Hierarchie, beim Bundesrat; (3) übergeordnete Einheiten haben gegenüber den untergeordneten besondere Aufsichts- und Eintritts-rechte; (4) Einheiten sind in ihrer gegenseitigen Kommunikation auf vorge-gebene Dienstwege verpflichtet.

Einheiten der Zentralverwaltung sind etwa das Schweizerische Bundes-archiv und das Bundesamt für Umwelt.521

b. Weisungsfreie Einheiten der Bundesverwaltung

Eine Gruppe von Verwaltungseinheiten nehmen eine ungewöhnliche Stellung ein: Sie sind nicht rechtsfähig und deshalb keine eigenen Verwaltungsträger;

sie erfüllen Aufgaben der Zentralverwaltung (oder eines anderen Verwal-tungsträgers), unterstehen aber nicht derselben Hierarchie.522 Insbesondere entfällt die Dienstaufsicht, was sie von Weisungen übergeordneter Behörden befreit.523 Erwähnenswerte Organisationsformen, die als weisungsfreie Ein-heiten der Bundesverwaltung angesehen werden, sind öffentliche Beauftragte (etwa der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte524), Kontrollstellen (im Bund nur die Eidgenössische Finanzkontrolle525) und Behördenkommissionen526 (z.B. die Elektrizitätskommission527).528

c. Öffentlichrechtliche Anstalten

Öffentlichrechtliche Anstalten sind die klassische Organisationsform für die Leistungsverwaltung. So sind etwa die Eidgenössischen Technischen Hoch-schulen (Bildungsleistungen) und die Schweizerische Unfallversicherungs-anstalt (Versicherungsleistungen) als Anstalten ausgestaltet.529 In diesen Fäl-len werden Anstalten per Spezialgesetz errichtet, um Benutzern den Zugang zu einer Einrichtung bereitzustellen. Das Bundesrecht setzt Anstalten jedoch

521 Siehe Ziff. B.II.1.4 und B.VII.1.7 im Anhang 1 zur RVOV.

522 Siehe zum Ganzen häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1626–1632; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 6 Rz. 8–12; vogel, Einheit der Verwaltung, § 8.

523 So ausdrücklich Art. 7a Abs. 2 RVOV.

524 Art. 26 Abs. 3 DSG.

525 Art. 1 FKG.

526 Die andere Form der ausserparlamentarischen Kommission, die Verwaltungskommis-sion, ist hier nicht relevant, sie übt lediglich beratende und vorbereitende Funktionen aus (Art. 8a RVOV).

527 Art. 21 StromVG.

528 TschAnnen, Organigramm, S. 530 f. Zu diesen drei Formen ausführlich vogel, Einheit der Verwaltung, § 9–11; und ferner TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Ver-waltungsrecht, § 6 Rz. 8–12.

529 Art. 1 ETH-Gesetz; Art. 61 UVG.

§ 4 Erfüllungsprivatisierung

für allerlei Zwecke ein, so auch für Zulassungs- und Aufsichtsaufgaben;530 wie etwa das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic und die Eidge-nössische Finanzmarktaufsicht FINMA531. Die öffentlichrechtliche Anstalt lässt sich daher «nicht nach dem Gegenstand ihrer Tätigkeit definieren.»532 Begriffsbildend ist vielmehr ihre Rechtsfähigkeit. Nicht rechtsfähige «Anstal-ten» sind bloss betriebliche Einheiten eines anderen Verwaltungsträgers.533 d. Öffentlichrechtliche Körperschaften

Öffentlichrechtliche Körperschaften sind rechtsfähige Verbindungen von Mitgliedern, die auf dem Wege der Selbstverwaltung Verwaltungsaufgaben erfüllen.534 Selbstverwaltung bedeutet, dass die Körperschaftsmitglieder selbst über die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben bestimmen. Nach dem Grund zur Mitgliedschaft werden drei Arten unterschieden: Gebietskör-perschaft (Mitgliedschaft hängt an Wohnsitz), PersonalkörGebietskör-perschaft (persön-liche Eigenschaft, wie etwa bestimmte wirtschaft(persön-liche Tätigkeit) und Real-körperschaften (Eigentum einer Sache).

Im Bund ist beispielsweise Schweiz Tourismus als öffentlichrechtliche Körperschaft verfasst.535

e. Öffentlichrechtliche Genossenschaften

Eine sonderliche und seltene Organisationsform sind die öffentlichrechtli-chen Genossenschaften. Sie sind privatrechtlich als Einrichtungen des öffent-lichen Rechts vorgesehen (Art. 829 OR).536 Das einzige Beispiel ist gegenwärtig die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit,537 die ihren Aufgaben nach wohl auch als Personalkörperschaft ausgestaltet werden könnte.538

530 Vgl. TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rz. 6.

531 Art. 68 HMG; Art. 4 FINMAG.

532 vogel, Einheit der Verwaltung, S. 282.

533 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rz. 10; vogel, Einheit der Verwaltung, S. 281 f. Etwas undeutlich zur Abgrenzung häFelin/Müller/

UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1667.

534 Zum Folgenden häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1633–

1658; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rz. 10; vogel, Einheit der Verwaltung, § 13.

535 Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über Schweiz Tourismus vom 21. Dezember 1955 (SR 935.21).

536 häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1705 f.

537 Art. 2 des Bundesgesetzes über die Förderung der Beherbergungswirtschaft vom 20. Juni 2003 (SR 935.12).

538 Vgl. vogel, Einheit der Verwaltung, S. 323, der Genossenschaften generell den Körper-schaften beiordnet.

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f. Öffentlichrechtliche Stiftungen

Öffentlichrechtliche Stiftungen erfüllen Verwaltungsaufgaben, indem sie finanzielle Beiträge ausrichten.539 Sie sind Vermögensansammlungen, die für einen bestimmten Zweck errichtet werden («abgesondertes Zweckvermö-gen»540). Stiftungen haben keine Benutzer oder Mitglieder, sondern «Desti-natäre»541. Die Trägerschaft des Schweizerischen Nationalparks ist beispiels-weise als öffentlichrechtliche Stiftung ausgestaltet.542

g. Öffentlichrechtliche Aktiengesellschaften

Sollen staatliche Aufgabenträger am privatwirtschaftlichen Markt teilneh-men, kann sich der Staat des Gesellschaftsrechts bedienen (sogleich h), oder er kann sich lediglich inspirieren lassen von den privatrechtlichen Organisa-tionsformen und per Gesetz eigene Formen schaffen. «Die Form der spezial-gesetzlichen Aktiengesellschaft ermöglicht es dem Bund, die Grundordnung des zivilistischen Aktienrechts den besonderen Bedürfnissen eines öffentli-chen Unternehmens anzupassen.»543

In der Verwaltungspraxis des Bundes werden Träger von Grundversor-gungsaufgaben (Service public) als spezialgesetzliche Aktiengesellschaften ausgestaltet.544 Damit drückt der Bund aus, dass diese Organisationsform zugleich staatliche Aufgaben wahrnimmt wie auch im privatwirtschaft-lichen Wettbewerb tätig sein soll. Diese «Sowohl-als-auch»-Motivation führte der Bundesrat etwa bei der jüngsten Postreform545 an: Die Form der Aktiengesellschaft soll der Post Kapitalmarkt- und Kooperationsfähigkeit vermitteln, das heisst die «Fähigkeit[,] eigene Finanzmittel zu beschaffen oder Fremdmittel aufzunehmen [und] Allianzen einzugehen.»546 Gleich-zeitig können Zweckbestimmung und Eignerverhältnisse «auf die spezi-fischen Bedürfnisse des Bundes und dessen öffentliche Interessen an den

539 Zum Folgenden häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1685–

1694; TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9; vogel, Einheit der Verwaltung, S. 297–306.

540 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rz. 2.

541 TschAnnen, Systeme, Rz. 64 a.E.

542 Art. 2 des Bundesgesetzes über den Schweizerischen Nationalpark im Kanton Graubünden vom 19. Dezember 1980 (Nationalparkgesetz; SR 454).

543 TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rz. 11, zum Ganzen Rz. 9–11; häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1695–1701;

vogel, Einheit der Verwaltung, S. 324.

544 So die Post, SBB und Swisscom; siehe jeweils Art. 2 Abs. 1 POG, SBBG und TUG. Dazu auch TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rz. 10.

545 Art. 2 Abs. 1 POG zur rechtlichen Stellung der Post.

546 Botschaft POG, 5278.

§ 4 Erfüllungsprivatisierung

Aufgaben der Schweizerischen Post ausgerichtet werden.»547 Für den Bundesrat waren somit besonders die «Informations- und Einflussrechte»

ausschlaggebend für sein Abweichen von einer «rein privatrechtlichen Konzeption».548

h. Privatrechtliche Gesellschaften

Schliesslich können privatrechtliche Gesellschaften Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.549 Der Staat kann dabei auf vorbestehende juristische Perso-nen zurückgreifen, solche gründen oder sich an solchen beteiligen.550 Alle Formen des Privatrechts stehen dem Gemeinwesen zur Verfügung, wobei meist die Aktiengesellschaft, seltener auch die Genossenschaft zum Zug kommt.551 Rechtsgestalt und innere Organisation der Verwaltungsträger richten sich ausschliesslich nach dem zivilen Gesellschaftsrecht, mit Aus-nahme der ausdrücklichen Möglichkeit des Gemeinwesens, Vertreter in die Gesellschaftsorgane zu entsenden (Art. 762 Abs. 1 OR für die Aktiengesell-schaft und Art. 926 Abs. 1 für die GenossenAktiengesell-schaft).

In der Lehre werden die privatrechtlichen Verwaltungsträger gelegent-lich weiter unterschieden nach dem Grad der finanziellen Beteiligung des Gemeinwesen, sprich, ob das Gesellschaftskapital aus Steuermitteln oder aus privater Hand bestritten wird: «Echte Private» kommen ohne staatliche Beteiligung aus, in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen stehen privates und öffentliches Kapital Seite an Seite, während öffentliche Unternehmen gänzlich im Besitz der öffentlichen Hand sind.552 Rein private Aufgabenträ-ger ohne staatliche Beteiligung sind etwa die ORS Service AG oder die Secu-ritas AG, die im Auftrag des Staatssekretariats für Migration Asylsuchende betreuen bzw. die Sicherheit in Asylzentren gewährleisten.553 Ein öffentli-ches Unternehmen im vollumfänglichen Bundesbesitz ist dagegen etwa die RUAG Holding AG, eine Beteiligungsgesellschaft, welche die

Rüstungsunter-547 Botschaft POG, 5279.

548 Botschaft POG, 5278 f. Ähnlich, aber etwas weniger deutlich schon bezüglich Swisscom, Botschaft Umwandlung PTT, 1316, 1333 (damals noch «Telekommunikationsunterneh-mung»); bei der Bahnreform von 1998 siehe Botschaft Bahnreform, 944.

549 Allgemein dazu häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1707–1712;

TschAnnen/ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rz. 3–8.

550 TschAnnen, Systeme, Rz. 69 f.

551 häFelin/Müller/UhlMAnn, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rz. 1707; TschAnnen/

ziMMerli/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rz. 3.

552 bAUMAnn, Wettbewerbsverzerrungen, Rz. 79, 82; TschAnnen, Systeme, Rz. 69 f.

553 Beispielsweise SEM, Temporäre Unterkunft für Asylsuchende in Boltigen, Medienmit-teilung vom 28. Oktober 2016.

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nehmen des Bundes umfasst.554 Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen, an dem der Bund nur eine Mehrheitsbeteiligung hält, ist dagegen etwa die Swisscom AG.555

4. Kennzeichen der Erfüllungsprivatisierung in

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