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A. Grundlagen

I. Subjektive Rechte und Interessenverfolgung

Das objektive Recht, dh. die Gesamtheit der rechtlichen Normen, verleiht den Rechtssub-jekten mitunter bestimmte (potentielle) Rechtsmächte: subjektive Rechte. So berechtigen § 433 Abs. 1 S. 1 BGB und § 1061 ABGB den Käufer, die Übergabe der Kaufsache zu fordern.

Nach § 985 BGB, § 366 ABGB kann der Eigentümer seine Sache herausverlangen. All diese einzelnen Rechtsmächte kann man als subjektive Rechte ieS. bezeichnen. Vorliegend handelt es sich jeweils um Ansprüche.

Daneben gibt es noch eine weitere Kategorie, die wir ebenfalls als subjektive Rechte (dies-falls iwS.) bezeichnen, nämlich ganz bestimmte Rechtspositionen. Absolute Rechte sind nach ganz hM. jedenfalls solche subjektiven Rechte iwS. Der prototypische Fall ist das Eigen-tum: Aus dieser Position (§ 903 BGB, § 354 ABGB) ergibt sich eine Vielzahl von Ansprüchen;

neben der Herausgabe etwa auch die Unterlassung (§ 1004 BGB, etwa § 523 ABGB). Die Besonderheit in diesen Konstellationen besteht darin, dass die einzelnen Ansprüche hier un-selbstständig sind, dh., sie können nicht von der Rechtsposition losgelöst zediert werden; denn ihre Funktion besteht darin, die zugewiesene Rechtsposition zu verwirklichen.113 Daneben gibt es selbstständige Ansprüche. Diese hängen nicht unmittelbar mit einem absoluten Recht zu-sammen und sind daher idR. frei übertragbar. Darunter fallen insb. die schuldrechtlichen An-sprüche aus dem Obligationenrecht.

Bei den subjektiven Rechten ieS. handelt es sich vorwiegend um Ansprüche und Gestal-tungsrechte.114 Meines Erachtens sind diese Begriffe jedoch nicht deckungsgleich, weil uns das (potentielle) subjektive Recht ieS. erst bei Individualisierung der Personen sowie Konkre-tisierung der Norm mitsamt Rechtsfolge begegnet. Ein Anspruch kann zB. nur dann gegeben sein, wenn erkennbar ist, wer von wem was woraus verlangt.

Die gesetzliche Anspruchsgrundlage im verbalisierten Sinne gehört dem objektiven Recht an und beinhaltet gleichzeitig die Verbriefung eines potentiellen subjektiven Rechts. Ansprüche entstehen erst durch Individualisierung und Konkretisierung.115 Die Individualisierung ist das subjektive Element des Tatbestandes, es betrifft die involvier-ten Personen. Die Konkretisierung bezieht sich auf den objektiven Tatbestand und die Rechtsfolge. Darüber hinaus ist noch die Aktualisierung zu beachten.116 Sie ist das zeit-liche Momentum und gibt an, wann ein Sachverhalt unter einen Tatbestand subsumiert

113 Wolf/Neuner, BGB AT11 § 20 Rn. 23 f.; für Österreich: Holzner, JBl 2013, 552 (Anm. zu OGH 8 Ob 45/12v).

114 Siehe nur Dörner in Schulze et al., BGB10 § 194 Rn. 2 f. und Stadler, Allgemeiner Teil19 § 5 Rn. 1 ff.; P.

Bydlinski, Übertragung 11.

115 Ausführlich zum österreichischen Recht: Böhm, Unterlassungsanspruch 16, 39 ff.

116 Böhm, Unterlassungsanspruch 39 ff.

werden kann. Ansprüche werden individualisiert, wenn die betroffenen Personen, dh.

die Sachlegitimation, bestimmbar werden. Konkretisiert werden sie, wenn das ge-schuldete Verhalten feststeht. Aktualisiert ist der Anspruch, wenn der Rechtsfall eintritt.

Erst wenn diese Elemente gegeben sind, kann von einem Anspruch die Rede sein.

Selbiges gilt für Gestaltungsrechte des materiellen Rechts. Gesetzliche Gestaltungs-rechte stehen zunächst potentiell jedem Rechtssubjekt zu. Auch sie müssen – als ge-nerell-abstrakt formulierte Normen (Gestaltungsgrundlage) – individualisiert und kon-kretisiert werden: Es muss feststehen, wer Gestaltungsberechtigter und wer Gestal-tungsgegner ist, welcher Gestaltungsgrund vorliegt und was die Gestaltungswirkung ist.

Sie müssen freilich auch aktualisiert sein.

Absolute Rechte wirken von vornherein potentiell gegenüber jedermann. Relative Rechte – etwa obligatorische – sind zwar auch grds. gegenüber jedermann denkbar;

durch einen bestimmten Akt werden sie aber vorab individualisiert und konkretisiert. Sie betreffen dann nur noch bestimmte Personen und einen tendenziell engen Tatbestand mitsamt Rechtsfolge. So kann etwa nach § 433 BGB und § 1053 ABGB grds. jedes Rechtssubjekt Käufer oder Verkäufer sein. Beide Rechtssätze gehören dem objektiven Recht an. Die Anspruchsgrundlage ist der Vertrag selbst. Das Rechtsverhältnis ist auf die Vertragsparteien und auf einen konkreten, im Vertrag geregelten Tatbestand fokus-siert. Das vertragliche Recht wird insofern mit Vertragsschluss individualisiert und kon-kretisiert. Aktualität tritt demgegenüber erst dann ein, wenn der tatsächliche Sachver-halt unter den vertraglichen Tatbestand subsumiert werden kann. Das kann auf der ei-nen Seite ebenfalls in demselben Augenblick erfolgen, etwa bei Kaufverträgen des täg-lichen Lebens. Auf der anderen Seite kann auch erst zeitlich versetzt aktualisiert wer-den, man denke etwa an die Regelung eines vertraglichen Strafschadensersatzanspru-ches. Bei den gesetzlichen Anspruchsgrundlagen, etwa aus den absoluten Rechten (zB. Eigentum), ist die Situation ein wenig anders. Beispielsweise sind § 985 BGB und

§ 366 ABGB Teile des objektiven Rechts. Sie verbriefen wiederum gleichzeitig auch (potentielle) subjektive Rechte ieS. Sie müssen, um zu einem Anspruch zu werden, individualisiert, konkretisiert und aktualisiert werden. Das Besondere im Verhältnis zu obligatorischen Rechtsbeziehungen ist nun, dass die Individualisierung und die Kon-kretisierung mit der Aktualisierung117 zusammenfallen. Denn die Personen und das geschuldete Verhalten werden gleichzeitig bestimmbar;118 der konkrete Sachverhalt ist sofort subsumierbar. Es bedarf hier gerade keines Zwischenaktes wie etwa eines Ver-tragsschlusses. Obwohl der Ausgangspunkt das absolut wirkende Eigentumsrecht ist,

117 Die Begehungsgefahr ist nach einer Ansicht Teil der Konkretisierung des Unterlassungsanspruches: siehe etwa OGH 4 Ob 87/94; RIS-Justiz RS0037660; aA. etwa Böhm, Unterlassungsanspruch 41, für den sie zur Aktualisierung gehört.

118 Böhm, Unterlassungsanspruch 41 ff.

kann der Eigentümer nun seinen Herausgabeanspruch, dh. ein aktuelles und relatives subjektives Recht ieS., geltend machen.

Auch bei Gestaltungsrechten fallen diese drei Momente nicht zwingend zusammen.

So sind bspw. bei einer außerordentlichen Kündigung der Gestaltungsberechtigte und der -gegner im Rahmen eines vertraglichen Schuldverhältnisses bestimmbar; ebenso können der außerordentliche Gestaltungsgrund und die -wirkung konkretisiert sein.

Doch erst der Eintritt des Rechtsfalles, dh. die Aktualisierung, führt dazu, dass der Ge-staltungsgrund besteht. Eine Sonderrolle nimmt die Geltendmachung ein: Die Aus-übung ist von dem Gestaltungsakt abhängig, nicht der Gestaltungsgrund.

Gestaltungsrechte und Ansprüche können in gewisser Weise auch verschränkt sein, denn ersteres kann zu einem Anspruch führen. Im Falle der Gewährleistung kann der Käufer bspw. schlussendlich – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Nacherfüllung verlangen (Anspruch) oder das Vertragsverhältnis auflösen oder mindern (Gestaltungsrechte) und erbrachte Leistungen zurückfordern (Anspruch).

Diese den einzelnen Rechtssubjekten eingeräumten Rechtsmächte beherrschen – als fun-damentale Grundlage in einem auf grds. Gleichrangigkeit der Rechtssubjekte beruhenden System – freilich nicht ihrer selbst willen das Zivilrecht; vielmehr kommt ihnen eine Funktion zu: Sie dienen der Befriedigung eigener Interessen.119 Die privatrechtlichen Beziehungen zwischen Rechtssubjekten werden mittels Gesetze und Rechtsgeschäfte geregelt. Im Mittel-punkt stehen dabei iaR. Individualinteressen der Beteiligten; sie betreffen nur die konkrete Einzelperson. So hat bspw. der nicht besitzende Eigentümer ein Interesse an der Herausgabe seines Eigentums. Ebenso verhält es sich mit dem Verkäufer, der einen wirksamen Kaufver-trag schließt: Er hat ein Interesse an der Zahlung des Kaufpreises. Freilich kommen auch Konstellationen vor, in denen es nicht nur um das Interesse einer einzigen Person geht. So etwa im Falle des Gesamthandeigentums, bei dem nur alle Miteigentümer zusammen verfü-gen können. Doch haben Miteiverfü-gentümer auch hier jeweils ein eiverfü-genes – mitunter auch kontra-diktorisches – Individualinteresse, bspw. an der Veräußerung oder deren Nichtvornahme. Frei-lich ist nicht jedes Interesse per se durch ein subjektives Recht geschützt, sondern können Interessen auch ausschließlich der Sphäre des objektiven Rechts angehören.

Das Interesse und die materielle Berechtigung (Anspruch, Gestaltungsrecht) gehen zwar typischerweise Hand in Hand; das muss aber nicht zwingend so sein.120 Mitunter

119 Eneccerus/Nipperdey, Lehrbuch I/115 428 f., 437; Stadler, Allgemeiner Teil19 § 4 Rn. 1; F. Bydlinski, System 137; P. Bydlinski, Übertragung 11, 14; Halfmeier, Popularklagen 242, 269 sieht das subjektive Recht und folglich auch den Anspruch im Lichte der Güterzuweisung.

120 Eneccerus/Nipperdey, Lehrbuch I/115 431, die von „Befugnis“ (subjektives Recht) in Abgrenzung zum blo-ßen „Normenschutz“ (Begünstigung) sprechen; zu der Reflexwirkung des Rechts siehe Röhl/Röhl, Rechts-lehre3 374; Koziol - Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rn. 156.

sind sogar Fälle denkbar, in denen die Geltendmachung den subjektiven Interessen des materiell Berechtigten widerstreitet, so zB. bisweilen bei gesetzlicher Vertretung. Die Unterscheidung zeigt sich im Rahmen des Zivilrechts mE. besonders gut am Bsp. des unechten Vertrages zugunsten Dritter,121 bei dem der Leistungsempfänger zwar ein Leistungsinteresse hat,122 diese aber nicht über einen Anspruch einfordern kann. Sach-legitimiert sind die Vertragsparteien. Auch der Gläubiger hat ein – etwas subtileres Interesse, etwa die Begünstigung des Dritten; dieses ist mE. aber kein genuines Leis-tungsinteresse, nämlich der Leistung an sich selbst. Dass subjektive Rechte ieS. der Befriedigung eigener Interessen iSv. Güterzuweisung dienen, ist damit zwar der Regel-fall, letztlich aber eine prototypische Betrachtung. In Ausnahmefällen können die Per-son des materiell Berechtigten und jene des Interessenträgers daher sehr wohl ausei-nanderfallen.

Als weiteres Bsp. für subtilere Interessen dient die Gesamtgläubigerschaft (Gesamt-, Solidarforderung) gem. § 428 BGB und § 892 ABGB. Jeder der Gläubiger hat zunächst einen eigenen Anspruch, der auf die gesamte Forderung gerichtet ist; dh., einer der Gläubiger kann zB. die Erfüllung der gesamten Leistung an seine Person begehren: Er ist vollumfänglich aktivlegitimiert. Das rechtliche Interesse teilt sich hingegen in letzter Konsequenz unter den Gläubigern auf – iZw. zu gleichen Teilen (§ 430 BGB; in Öster-reich besteht ein solcher Regressanspruch nur, wenn sich dies aus dem Innenverhältnis ergibt:123 § 895 ABGB) –, denn jeder der Gläubiger hat ein eigenes Interesse an der anteilsmäßigen Befriedigung. Freilich hat auch der die gesamte Forderung verlangende Gläubiger ein darüber hinausgehendes Interesse, man denke etwa an die Sicherung der Forderung oä.

Der Begriff des Interesses begegnet uns häufig in der juristischen Diskussion. Dabei geht es nicht immer – wie etwa im Rahmen des § 256 dZPO oder des § 228 öZPO – um einen Terminus des positiven Rechts.124 Gerade iZm. den subjektiven Rechten ist der Begriff des Interesses gesetzlich nicht definiert und vage geblieben. Niemand kann ernsthaft behaupten, dessen Sinngehalt vollumfänglich und apodiktisch determiniert zu haben.125 Anerkannt ist aber mittlerweile, dass man zwischen dem Vehikel der Interes-sensbefriedigung und dem Interesse als solchem unterscheiden muss, dh., subjektives

121 Eneccerus/Nipperdey, Lehrbuch I/115 431.

122 Siehe nur Schulze in Schulze et al., BGB10 § 328 Rn. 2.

123 Siehe hierzu Gamerith/Wendehorst in Rummel/Lukas, ABGB4 § 895.

124 Siehe etwa Urbanczyk, Verbandsklage 61 mwN.

125 Siehe nur Röhl/Röhl, Rechtslehre3 264 ff. zur Unterscheidung zwischen subjektiven und objektiven Interes-sen und der Ambivalenz des InteresInteres-sensbegriffes; siehe auch Bauer, AöR 113 (1988), 582, 593 ff.; bspw.

vertritt Thiere, Wahrung 24 f. mwN. die Ansicht, dass Interessen aus einem Subjekt (Träger), einem Objekt und der Wertschätzung des Subjekts für das Objekt bestünden; ähnlich Urbanczyk, Verbandsklage 61 ff.

Recht ieS. und Interesse sind nicht gleichzusetzen. Die Funktion der zivilrechtlichen Interessensbefriedigung kann freilich nur von der Rechtsordnung (konkludent) aner-kannte, und insofern rechtliche, Interessen betreffen. Im Allgemeinen ergeben sich In-teressen sohin bereits aus dem objektiven Recht.126 Das ist nachvollziehbar, denn die Rechtsordnung regelt das Zusammentreffen menschlicher Bedürfnisse. Schützens-werte Interessen des Einzelnen zeigen sich hingegen grds. erst anhand subjektiver Rechte iwS.127

II. Ansprüche und Gestaltungsrechte sowie deren gerichtliche Geltendmachung