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C. Die Verbandsklage in Deutschland: Gläubigerschaft

I. Fehlende Stammposition und erweiterter Anspruchsbegriff?

Mitunter wird die Konstruktion als Gläubigerschaft mit der Begründung abgelehnt, es fehle den Verbänden an der notwendigen Stammposition.307 Eine solche lässt die geschützten Ei-geninteressen ersichtlich werden,308 die dann mittels Ansprüche verfolgt werden können.

Letztlich läuft es bei dieser Kritik folglich auf das Verständnis des subjektiven Rechts hinaus.

Wir kennen die Unterscheidung zwischen subjektivem Recht iwS. und ieS. bereits von den absoluten Rechten, die insofern als Paradigma dienen.309 Ersteres wird als Stammposition (Stammrecht) aufgefasst, aus der sich die einzelnen Ansprüche ableiten. Die hM. verallgemei-nert diesen Gedanken: Nicht nur unselbstständige, sondern jegliche Ansprüche setzten eine entsprechende Stammposition voraus.310 Mit anderen Worten: Ansprüche entstehen aus

304 BT-Drs. 19/12084, 27.

305 Siehe dazu Greger, NJW 2000, 2457, 2462 betreffend die Vorgängerbestimmung des § 3 Abs. 1 UKlaG, namentlich § 13 Abs. 2 AGBG, unter Rekurs auf BT-Drs. 14/2658, 52.

306 So auch Bechtold/Bosch in Bechtold/Bosch, GWB9 § 33 Rn. 18, 21; Roth in Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schro-eder, Kartellrecht 92. Lfg. § 33 GWB Rn. 105.

307 Siehe nur Stadler, VuR 2010, 83, 85.

308 Röhl/Röhl, Rechtslehre3 364; Halfmeier, Popularklagen 257.

309 Siehe Seite 24; auch die Unterscheidung von Raiser, JZ 1961, 465 ff. zwischen primären und sekundären Rechten bezieht sich mE. auf absolute Rechte.

310 Zu § 823 Abs. 2 und § 826 BGB siehe Halfmeier, Popularklagen 260 f.; siehe aber auch Henckel, AcP 174 (1974), 98, 138; nach Schmidt-Räntsch in Erman, BGB16 § 194 Rn. 2 könne ein Anspruch entweder aus einem subjektiven Recht oder einem sonstigen rechtlichen Interesse hervorgehen; auch Gestaltungsrechte hängen mit Stammpositionen zusammen: Röhl/Röhl, Rechtslehre3 364.

Rechtsverhältnissen.311 Daher kämen auch schuldrechtliche Positionen als Stammrecht in-frage.312 Das Schuldverhältnis tritt hier sozusagen an die Stelle des absoluten Rechts.313 Frei-lich wird diese Theorie der allgegenwärtigen Stammposition mitunter auch abgelehnt314: Es handele sich dabei um eine bloße Einteilung durch die Lehre;315 obligatorische Ansprüche seien gleichzusetzen und insofern ident mit dem jeweiligen subjektiven Recht;316 die selbst-ständigen Ansprüche seien autark und trügen „ihren Sinn in sich selbst“.317

Das Schuldverhältnis (iwS.) kann jedenfalls iSe. Rahmens als Gesamtheit aller Rechte und Pflichten aufgefasst werden. Insofern schnürt das subjektive Recht iwS. auch hier das Bündel an einzelnen Rechtsmächten.318 So stehen etwa auch dem Käufer aus dem Schuld-verhältnis, das grds. seine Interessen widerspiegelt, mehrere Rechtsmächte zu: Er kann bspw.

die Übergabe der Kaufsache gegenüber dem Verkäufer verlangen (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB);

diese muss mangelfrei sein (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB) etc. Diese Interessen korrelieren im Falle von Ansprüchen iaR. mit der Erfüllung derer. Man könnte daher sagen: Der prototypische Käu-fer hat ein genuines Eigeninteresse, namentlich an der Leistung an sich selbst. Das zeigt sich auch daran, dass insofern seine eigene Rechtssphäre von der Transaktion betroffen ist.

Hinsichtlich der Verbandsklage liegt nach dieser Ansicht die Friktion sohin darin begrün-det, dass eine entsprechende inhaltliche Unterfütterung für einen Verbandsanspruch fehle.319 Als Stammposition käme hier nur ein gesetzliches Schuldverhältnis infrage.320 Ein solches dient im Allgemeinen dem Interessenausgleich, der nicht den Rechtssubjekten und deren Pri-vatautonomie überlassen werden soll. Verbände haben aber in den allermeisten Fällen gerade

311 Stadler, Allgemeiner Teil19 § 4 Rn. 10 f.

312 Siehe zB. Halfmeier, Popularklagen 257, für den auch iZm. relativen Rechten „die Differenzierung zwischen subjektivem Recht und darauf beruhenden Anspruch sinnvoll“ sei; siehe auch S. 255 und 261; Röhl/Röhl, Rechtslehre3 363 f.; Stadler, Allgemeiner Teil19 § 4 Rn. 1.

313 Siehe etwa Halfmeier, Popularklagen 257 ff., plakativ auf S. 259 mwN.

314 Siehe dazu Becker-Eberhard in FS Leipold 3, 14 f. mwN.

315 Klocke, Rechtsschutz 49 f. mwN.

316 So zB. Okuda, AcP 164 (1964), 536, 537 f., 541 f.

317 Siehe etwa Wolf/Neuner, BGB AT11 § 20 Rn. 25.

318 Stadler, Allgemeiner Teil19 § 4 Rn. 2.

319 Offensiv Schmidt, NJW 2002, 25, 28; ders., ZIP 1991, 629, 632 f.; Hadding, JZ 1970, 305, 308; Gilles, ZZP 98 (1985), 1, 8 (auch unter Rekurs auf den mittlerweile geänderten Wortsinn der §§ 13 dUWG, 13 AGBG);

siehe dazu auch Stadler, VuR 2010, 83, 85.

320 Infrage kommt mE. allenfalls ein quasivertraglicher oder ein deliktischer Anspruch; für den EuGH handelt es sich bei dem Verbandsanspruch dem Grunde nach um einen deliktischen: siehe dazu Rott, EuZW 2016, 733, 734.

kein – sie sind beispielsweise iaR. keine Vertragspartner des Störers – genuines Eigeninte-resse an der Unterlassung der inkriminierten Handlung;321 sie wirkt sich auch nicht tatsächlich auf deren Rechtssphären aus. Das heißt freilich nicht, dass die Verbände gar kein Interesse an der gegenständlichen (außer-)gerichtlichen Verbandstätigkeit hätten: Sie ist oftmals Be-standteil eines Tätigkeitsportfolios, das freilich für Förderungen und Mitgliederbeiträge oä. von Belang sein und insofern als Anreiz für das Tätigwerden verstanden werden kann.322 Sollten die Verbände tatsächlich keinerlei subjektives Interesse an dieser Tätigkeit haben, so müssten sie nach hM. auch nicht aktiv werden.

Insgesamt erinnert diese Situation ein wenig an den unechten Vertrag zugunsten Drit-ter, wenngleich dieser Ausfluss der Vertragsfreiheit ist. Hierbei hat der Gläubiger eben-falls kein genuines Eigeninteresse, das unmittelbar mit der Leistung korreliert; denn diese kommt dem begünstigten Dritten und dessen Rechtssphäre zugute. Das Inte-resse des Gläubigers ist hingegen vielmehr im Schutze der InteInte-ressen des Dritten zu sehen.

Das genuine Unterlassungsinteresse, das sich als Begehungsgefahr zeigt, fehlt den Ver-bänden jedoch. Es mangelt ihnen an der Selbstbetroffenheit.323 Ein Anspruch besteht nach heutigem Verständnis unabhängig einer potentiellen Klage.324 Die vermeintliche materielle Be-rechtigung der Verbände zeige sich hingegen nach manchen als reine Klagemöglichkeit.325 Für die Annahme eines Verbandsanspruches bleibt nach einer Ansicht letztlich nichts anderes übrig, als zu einer Art Fiktion zu greifen:326 Die Stammposition sei mitsamt dem Verbandsan-spruch verliehen worden; das Unterlassungsinteresse bestehe dann darin, fremde Rechts-sphären zu schützen.327 Es läge dann ein Verbandsanspruch mit „fingiertem“ Unterlas-sungsinteresse vor. Freilich handelt es sich hierbei im Ergebnis um keinen „herkömmlichen“

321 So auch Micklitz/Rott in MüKo, ZPO III5 § 3 UKlaG Rn. 3.

322 So wohl auch Lindacher/Hau in MüKo, ZPO I6 Vorbemerkung zu § 50 Rn. 88; siehe auch Kodek, ÖJZ 2008/97, 924.

323 Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 179; Halfmeier, Popularklagen 269; ders. in Jahrbuch 2003 129, 145.

324 Nach Röhl/Röhl, Rechtslehre3 400 könne von der Klagemöglichkeit auf das subjektive Recht geschlossen werden.

325 Halfmeier, Popularklagen 261, 266.

326 Siehe auch Leipold in Gilles, Effektivität 57, 65.

327 Henckel, AcP 174 (1974), 98, 137 f., Wolf, ZZP 94 (1981), 107, 109 (Rezension); siehe auch Röhl/Röhl, Rechtslehre3, 400, denen zufolge die Verbandsklage in fremdem Interesse verliehene subjektive Rechte betrifft; krit. Schmidt, ZIP 1991, 629 ff.; ebenso ders., NJW 2002, 25 ff.; allg. dazu: Stadler, VuR 2010, 83, 85.

Anspruch.328 Problematisch ist dabei mE., dass durch die Verbandsklage nach ganz einhelliger Ansicht öffentliche Interessen wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber kann privatrechtliche Beziehungen selbstredend derart gestalten, dass durch die Einhaltung der daraus erwachsen-den Verpflichtungen öffentliche Interessen reflexartig wahrgenommen wererwachsen-den.329 Die eigentli-che Reflexwirkung – das Fördern öffentlieigentli-cher Interessen – tritt vorliegend allerdings in Wahr-heit vollumfänglich in den Vordergrund. Daher ist diese Ansicht mE. abzulehnen.

Manche wollen den Verbänden fremde Interessen als deren genuine Unterlassungsinte-ressen zurechnen. So wird tlw. vertreten, der Verband selbst – etwa der Gewerbeverband – sei Träger des Gruppeninteresses seiner Mitglieder; er sei dann auch selbst betroffen, wenn ein Mitbewerber des Störers, der zugleich Mitglied des Gewerbeverbandes ist, durch eine un-lautere Wettbewerbshandlung verletzt ist.330 Das hätte zur Konsequenz, dass der Verband dann ggf. als unmittelbar selbst beeinträchtigt gölte, obwohl er de facto in keiner Weise von der inkriminierten Handlung betroffen wäre.331 Das Gruppeninteresse wird nach dieser Ansicht sozusagen zum Verbandsinteresse. Diese Zurechnung erfolgt über die Satzung.332 Sie ent-hält freilich den Zweck der juristischen Person. Daraus ergibt sich aber mMn. nicht zwingend, dass ein etwaiges Gruppeninteresse zum genuinen Interesse des Verbandes würde.333 Diese Theorie des Verbandsanspruches mit zugerechnetem Unterlassungsinteresse ist mE. zu verneinen.334

Naheliegender ist es, hier kein Unterlassungsinteresse der Verbände oder eine Zurech-nung fremder Interessen bei den Verbänden zu konstruieren, sondern stattdessen – der hA.

zur Funktion der Verbandstätigkeit und -klage entsprechend – von einem materiellen Recht auszugehen, das von vornherein der Wahrung bestimmter Institute oder Institutionen dient,335

328 So auch Halfmeier, Popularklagen 248, 269, für den ein solcher „Verbandsanspruch“ dazu führte, dass der Anspruch seine Funktion, namentlich die Güterzuteilung, verlöre.

329 Marotzke, Verbandsklage 11; Grabenwarter/Holoubek, Verfassungsrecht2 Rn. 797.

330 Wolf, Klagebefugnis 19 ff.; Urbanczyk, Verbandsklage 66, 74 f.; krit. und iE. ablehnend: Reinel, Verbands-klage 112 ff.

331 Skeptisch auch Becker-Eberhard in FS Leipold 3, 18.

332 Wolf, Klagebefugnis 20; Gehrlein in Prütting/Gehrlein, ZPO12 § 50 Rn. 47 mwN.

333 Micklitz/Rott in MüKo, ZPO III5 § 3 UKlaG Rn. 3; Bettermann, ZZP 85 (1972), 133, 136 ff.; krit. auch Half-meier, Popularklagen 211.

334 So auch Micklitz/Rott in MüKo, ZPO III5 § 3 UKlaG Rn. 3; siehe auch Halfmeier, Popularklagen 210 ff.

335 So auch Lindacher/Hau in MüKo, ZPO I6 Vorbemerkung zu § 50 Rn. 88 mwN.

mithin dem objektiven Recht. Das mag zunächst befremdend klingen, denn die Wahrneh-mung öffentlicher Interessen ist etwas, das wir intuitiv dem öffentlichen Recht zuordneten.336 Im Ergebnis ist eine solche materielle Berechtigung mE. aber kein Novum337: Zu verweisen ist etwa auf die Tätigkeit der Verwaltungsbehörde nach § 1313 iVm. § 1316 BGB. Sie kann in bestimmten Fällen die Aufhebung von Ehen beantragen (§ 1314 BGB).338 Dabei vertritt sie nach ganz einhelliger Meinung öffentliche Interessen. Andere kommen von vornherein nicht infrage, zumal die Verwaltungsbehörde von einer aufzuhebenden Ehe freilich niemals unmit-telbar selbst betroffen sein kann.339 Man wird sie daher als Instanz zur Wahrung des objektiven Rechts einstufen müssen. § 1313 BGB stellt nach hM. eine materielle Gestaltungsklage dar.340 Die materielle Berechtigung kommt mMn. der Verwaltungsbehörde zu.

Die dogmatische Stellung der Verwaltungsbehörde nach §§ 1313 ff. BGB scheint zu-nächst nicht eindeutig zu sein. § 1316 BGB beinhaltet jedenfalls die Antragsberechti-gung, dh. die Prozesslegitimation (§§ 121, 113 Abs. 5 Nr. 2 FamFG).341 Das sagt zu-nächst noch nichts über die dogmatische Konstruktion aus, denn die Prozesslegitima-tion ist in Deutschland nach ganz hM. eine allgemeine Sachentscheidungsvorausset-zung; sie spielt insofern sowohl bei der Einordnung als materiell Berechtigte als auch im Falle einer Prozessstandschaft eine eigenständige Rolle. Der entscheidende Um-stand ergibt sich aus § 129 Abs. 1 FamFG. Demnach hat die Verwaltungsbehörde ihren Antrag – der gem. § 113 Abs. 5 Nr. 2 FamFG inhaltlich einer Klage entspricht – auf Aufhebung der Ehe gegen beide Eheleute zu richten. Es liegt sohin kein Fall der Pro-zessstandschaft vor. Eine staatliche Berechtigung wird, soweit ersichtlich, nicht disku-tiert. Insofern dürfte die Verwaltungsbehörde selbst materiell Gestaltungsklageberech-tigte sein.

Ähnliches gilt sodann mE. für die Verbandsklage: Die Verbände sind materiell berechtigt und üben diese Berechtigung ggf. zugunsten des objektiven Rechts aus, insb. zum Schutz des

336 Marotzke, ZZP 98 (1985), 160, 188 f.; ders., Verbandsklage 74 leitet daraus den mE. zumindest dem Grunde nach naheliegenden Schluss ab, dass es sich um eine staatliche Berechtigung handele; aA. Half-meier, Popularklagen 272 ff.

337 Siehe zu diesem Problemkreis auch Raiser in Summum ius, summa iniuria 145, 148, 152 ff.; Marotzke, Verbandsklage 11 f.; aA. Baur, JZ 1966, 381, 382.

338 Siehe nur BGH XII ZR 99/10 NJW-RR 2012, 897 = FamRZ 2012, 1185 (zust. Coester-Waltjen); hinsichtlich Bigamie: BGH XII ZR 58/00 NJW 2002, 1268; OLG Frankfurt 5 UF 200/06 BeckRS 2007, 09840.

339 Otto in BeckOGK, BGB§ 1316 Rn. 2.

340 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 92 Rn. 4 f.; Pohlmann, Zivilprozessrecht4 Rn. 158.

341 Siehe Wellenhofer in MüKo, BGB IX8 § 1316 Rn. 10; hinsichtlich § 1316 Abs. 3 BGB: BGH XII ZR 99/10 NJW-RR 2012, 897 = FamRZ 2012, 1185 (Coester-Waltjen).

Wettbewerbs und der Vertragsfreiheit.342 Aus meiner Sicht wird man hier ausnahmsweise von einem subjektiven Recht ieS. ausgehen müssen, das auf die Einhaltung des objektiven Rechts gerichtet ist, dh. öffentliche Interessen fördert.343

Zwar handelt es sich bei §§ 1313 ff. BGB um Gestaltungsklagerechte. Jedoch können auch diese als materielle Berechtigung und daher als ein subjektives Recht ieS. aufge-fasst werden.344 Die rechtstechnische Unterscheidung zwischen Anspruch und Gestal-tungs(klage)recht steht der hier vertretenen Ansicht mE. nicht entgegen, wird die Diffe-renzierung doch insb. wegen des unterschiedlichen Pouvoirs der Beteiligten und der unterschiedlichen rechtlichen Wirkungen vorgenommen.

Zu kritisieren ist an dieser Ansicht freilich, dass die Gesetze jeweils von Anspruch spre-chen, der hier angenommene Verbandsanspruch aber keinesfalls ein klassischer ist. Das ist insb. vor dem Hintergrund der Legaldefinition in § 194 BGB und dessen heutiges Verständnis wenig befriedigend,345 wenngleich der Verbandsanspruch zumindest nicht in Widerspruch zu dem reinen Wortsinne des § 194 BGB steht. Man wird mE. letztlich im Lichte der Wortsinne sowie der dazugehörigen Mat. im Ergebnis von einer Gläubigerschaft – wenngleich von einer gesetzlich vorgegebenen, untypischen materiellen Berechtigung346 – ausgehen müssen. Mei-nes Erachtens liegt hier ein Verbandsanspruch ohne genuines Unterlassungsinteresse vor.