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A. Grundlagen

II. Ansprüche und Gestaltungsrechte sowie deren gerichtliche

Legaldefini-tion herrscht im österreichischen Zivilrecht dasselbe Begriffsverständnis vor.128 Der Anspruch ist das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen; freilich kann dieser auch auf ein Dulden abzielen.129 Es geht sohin um Ansprüche, die in weiterer Folge ggf. pro-zessual durch Leistungsklage geltend gemacht werden.130 Keine Ansprüche idS. sind hinge-gen Gestaltungsrechte.131 Sie sind – nach gängiger Definition – die Rechtsmacht, durch ein-seitige Handlung – etwa in Form einer Willenserklärung – eine bestehende Rechtslage zu verändern.132 Sie sind ggf. im Rahmen von Gestaltungsklagen von Bedeutung, können aber auch Ansprüche auslösen, wie etwa im Zuge des Widerrufes nach § 312g iVm. § 355 BGB und §§ 11 ff. FAGG. Sowohl Ansprüche als auch Gestaltungsrechte richten sich gegen andere Rechtssubjekte (Passivlegitimation). Es muss insofern ein Rechtsverhältnis zwischen Rechts-subjekten bestehen. Der Schuldner des Anspruches ist daher nach hA. nicht der Staat.

Davon unterscheiden sich Ansprüche des öffentlichen Rechts, die dazu berechtigen, vom Staat eine bestimmte Handlung zu verlangen,133 sowie der materielle Rechts-schutzanspruch134, der ebenfalls gegen den Staat gerichtet ist. Auch der

öffentlich-126 Siehe etwa die Bsp. bei Eneccerus/Nipperdey, Lehrbuch I/115 431.

127 Zu der Diskussion betreffend Stammpositionen siehe weiter hinten: Seite 55 ff.

128 Koziol - Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rn. 161; vgl. auch § 861 ABGB zu den vertraglichen An-sprüchen.

129 Dörner in Schulze et al., BGB10 § 194 Rn. 2.

130 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 90 Rn. 1.

131 Budzikiewicz in NK, BGB I4 § 194 Rn. 3; Ellenberger in Palandt, BGB80 § 194 Rn. 3.

132 Stadler, Allgemeiner Teil19 § 5 Rn. 8; Röhl/Röhl, Rechtslehre3 370 f.; Koziol - Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rn. 162.

133 Siehe nur Röhl/Röhl, Rechtslehre3 378.

134 Siehe dazu etwa Musielak in Musielak/Voit, ZPO18 Einleitung Rn. 8 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zi-vilprozessrecht18 § 3 Rn. 5 ff.

rechtliche Anspruch bezieht sich auf ein Tun, Unterlassen oder Dulden.135 Nach der Schutznormtheorie liegt ein subjektives öffentliches Recht nur dann vor, wenn die Norm nicht nur den Schutz der Allgemeinheit, sondern den Schutz von Individualinteressen bezweckt.136

Hinsichtlich der Geltendmachung (Ausübung) ist zwischen Gestaltungsrechten ieS. und Gestaltungsklagerechten zu unterscheiden.137 Die erste Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass die Ausübung außergerichtlich, iaR. durch Willenserklärung, erfolgt. Als prototypisches Bsp. kann das eben erwähnte Widerrufsrecht genannt werden. Bei der zweiten Gruppe erfolgt die Geltendmachung auf gerichtlichem Wege. In aller Regel tritt diesfalls die Gestaltungswir-kung erst mit Rechtskraft der entsprechenden gerichtlichen Entscheidung ein.138 Sie spielen etwa bei der Beendigung von Zivilehen und im Gesellschaftsrecht eine Rolle. Der Sinn hinter der Notwendigkeit der gerichtlichen Geltendmachung besteht darin, Rechtsunsicherheit zu verhindern,139 schließlich überprüft diesfalls das Gericht, ob der Gestaltungsgrund vorliegt.

Während im deutschen Privatrecht die Ausübung mittels Willenserklärung der Standardfall ist, wird im österreichischen Recht typischerweise die gerichtliche Geltendmachung gefordert.

So erfolgt etwa die Anfechtung wegen Irrtums nach BGB außergerichtlich; nach ABGB gerichtlich.140 Man könnte meinen, dass die gängige Definition des Gestaltungsrechtes, wonach einseitig – meist durch Willenserklärung – die Rechtslage verändert werden kann, zunächst nicht zur Gänze zu den Gestaltungsklagerechten des materiellen Rechts passe; denn die Änderung der Rechtslage ist gerade nicht ausschließlich von einer Handlung des Gestaltungsberechtigten abhängig, sondern knüpft die Gestal-tungswirkung diesfalls an eine gerichtliche Entscheidung an.141 Die obige Definition scheint daher nur auf Gestaltungsrechte ieS. vollumfänglich zu passen. Dennoch

han-135 Kahl/Ohlendorf, JA 2010, 872, 873 mwN.

136 Ramsauer, JuS 2012, 769 ff.

137 Siehe Schlosser, Gestaltungsklagen 29 f.; Leverenz, JURA 1996, 1, 5; P. Bydlinski, Übertragung 7.

138 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 92 Rn. 1; P. Bydlinski, Übertragung 7.

139 Schlosser, Gestaltungsklagen 30 mwN.; ähnlich Leverenz, JURA 1996, 1, 5; Rechberger/Simotta, Zivilpro-zessrecht9 Rn. 614; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht4 Rn. 526.

140 Kogler, JBl 2019, 420, 421 f.; siehe dazu Wilhelm, ecolex 1997, 919 ff. (Anm. zu OGH 3 Ob 20/97f); siehe aber auch RIS-Justiz RS0016253.

141 Siehe nur Henckel, Parteilehre 33.

delt es sich auch bei den Gestaltungsklagerechten nach hM. um materielle Gestal-tungsrechte und daher um subjektive Rechte ieS.:142 Nur das Ausübungsmittel, nicht der rechtliche Charakter als solcher, unterscheidet sich.143

Neben diesen materiellen gibt es noch prozessrechtliche Gestaltungsklagen.144

Von der materiellen Berechtigung ist im Allgemeinen die gerichtliche Geltendmachung zu unterscheiden. Diese basiert auf dem Streitgegenstand, dh. dem prozessualen Anspruch. So regelt etwa das materielle Recht die Entstehung, den Bestand und die Durchsetzbarkeit des materiell-rechtlichen Anspruches. Dieser wird im Falle der gerichtlichen Geltendmachung im Rahmen einer Leistungsklage gewissermaßen in den Streitgegenstand übersetzt.145 Die Per-son, die den Anspruch gerichtlich geltend macht, ist iaR. auch diejenige, die ihn für sich rekla-miert; so etwa, wenn der nicht besitzende Eigentümer oder der nicht befriedigte Verkäufer Klage erhebt. Die klagenden Parteien prozessieren dabei typischerweise im eigenen Namen über eigene Ansprüche: Der gerichtliche Prozess nach den ZPO dient insofern zunächst und jedenfalls der Geltendmachung von Individualinteressen,146 was freilich mit dem auf rechtli-che Individualinteressen ausgerichteten materiellen Recht kongruent ist.147

Dementsprechend sind auch die zivilprozessualen Regeln ausgestaltet. So gehen die ZPO bspw. von dem Zweiparteiensystem aus, bei dem sich nur die klagende und die beklagte Partei gegenüberstehen.148 Auch wenn subjektive Klagenhäufungen zulässig sind, zeigt sich darin doch der grundsätzliche Charakter der ZPO: Von einem gerichtli-chen Rechtsstreit sind häufig nur wenige (oftmals nur zwei) Personen unmittelbar be-troffen und nur deren Individualinteressen sind unmittelbar involviert. Etwas anders kann für die außerstreitigen Verfahren nach dem FamFG und dem AußStrG gelten, die jeweils auch das in der Sache materielle Parteiverständnis (Beteiligtenverständnis) ken-nen.

142 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 92 Rn. 3; P. Bydlinski, Übertragung 11.

143 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 92 Rn. 3; P. Bydlinski, Übertragung 8; Kogler, JBl 2019, 420, 425; von dem Gestaltungsklagerecht ist die Ausübung des Gestaltungsrechtes während des Prozes-ses zu unterscheiden: siehe Kogler aaO.

144 Schlosser, Gestaltungsklagen 92; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht4 Rn. 523.

145 BGH XI ZR 42/12 NJW 2014, 314; Leipold in Gilles, Effektivität 57; F. Bydlinski, System 138.

146 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 1 Rn. 9 ff.; § 47 Rn. 1; Röhl/Röhl, Rechtslehre3 398;

Böhm, Prozessidee 337.

147 Darüber hinaus ist umstritten, ob der Zivilprozess im Allgemeinen auch dem Schutze der Allgemeinheit dient: dagegen ua. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht18 § 1 Rn. 16 f.; dafür ua. Fasching, Lehrbuch2 Rn. 46 ff.

148 Siehe nur Jacoby in Stein/Jonas, ZPO I23 Vorbemerkungen vor § 50 Rn. 25.