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4 Therapiekonzepte des Diabetes mellitus Typ 2

4.1 Medikamentöse Therapie

4.1.2 Stufentherapie des Diabetes mellitus Typ 2

Die Wahl eines geeigneten DMT2-Therapiekonzeptes ist komplex. Dies ist zum einen auf das breite Angebot verfügbarer Antidiabetika und zum anderen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Patient_innen zurückzuführen. DMT2 ist eine multifaktorielle Erkrankung, weshalb auch die Therapie unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils neben glykämischen Parametern weitere Faktoren, wie insbesondere kardiovaskuläre beziehungsweise renale Risikofaktoren der Patient_innen miteinbeziehen soll.

Die Ergebnisse von kardiovaskulären Endpunktstudien mit GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Inhibitoren führen in den letzten Jahren zu einem Wandel in der DMT2-Therapie. Im Jahr 2018 wurde die gemeinsame DMT2-Therapieleitlinie der ADA und EASD (Konsensuspapier) basierend auf aktuellen Studienergebnissen angepasst.

Nachdem bislang der Schwerpunkt der antidiabetischen Therapie auf der Glucosekontrolle lag, ist zunehmend eine multifaktorielle Therapie, die eine kardiovaskuläre Risikoreduktion miteinbezieht, von Bedeutung. Der HbA1c-Wert wird weiterhin als glykämischer Standardzielwert für die langfristige Therapiekontrolle herangezogen. Der HbA1c-Zielkorridor liegt je nach Patient_innengruppe bei über beziehungsweise bei 6,5 bis 8,0 % [10]. Die Therapie des DMT2 folgt einem patient_innenzentrierten Therapiekonzept, das individuelle und realistische Ziele definiert.

58 Eine bedeutende Änderung der aktualisierten ADA/EASD-Therapieleitlinie liegt darin, dass GLP-1-Rezeptoragonisten als erste injizierbare Therapie dem Insulin vorgezogen werden [126]. Der Stufenplan der DMT2-Therapie, auf der Basis der aktualisierten ADA/EASD-Therapieleitlinie aus dem Jahr 2018, ist in Abb. 20 schematisch dargestellt.

Abb. 20 Stufenplan der DMT2-Therapie auf der Basis der aktualisierten ADA/EASD-Therapieleitlinie, Stand 2018 [10]

59 Das Fundament der DMT2-Therapie bildet die nichtmedikamentöse Therapie mit Ernährungsumstellung, Steigerung der körperlichen Aktivität und Gewichtsreduktion. Schulungsprogramme, in denen den Betroffenen unter anderem Informationen über den menschlichen Stoffwechsel, mögliche Komplikationen und Therapiekonzepte des DMT2 erläutert werden, sind für eine zielführende und effektive Therapie von Bedeutung. Schulungsprogramme sind Bestandteil der nichtmedikamentösen Therapie, die in Kapitel 4.2 beschrieben wird.

Eine medikamentöse Therapie ist erst indiziert, wenn mit lebensstilmodifizierenden Maßnahmen keine ausreichenden Therapieerfolge erzielt werden können. Nachdem in der medikamentösen Therapie des DMT2 anfangs meist eine antihyperglykämische Substanz allein ausreicht (Monotherapie), wird im weiteren Therapieverlauf oft eine weitere Substanz mit einem anderen Wirkungsmechanismus hinzugefügt (Kombinationstherapie).

Metformin gilt, laut den aktualisierten ADA/EASD-Therapieleitlinien aus dem Jahr 2018, auch bei Patient_innen mit bekannter kardiovaskulärer Erkrankung, bei normaler Nierenfunktion weiterhin als Mittel der ersten Wahl zur initialen Monotherapie des DMT2 und wird zusätzlich zur nichtmedikamentösen Therapie eingesetzt. Auch wenn die kardiovaskulären Effekte des Biguanids nicht eindeutig geklärt sind, gilt es aufgrund seiner Gewichtsneutralität und seines günstigen Preises weiterhin als erste Präferenz. Ist Metformin kontraindiziert (geschätzte GFR kleiner 30 ml/min), wird es nicht vertragen oder ist es in seiner Wirksamkeit unzureichend, wird ein anderes Antidiabetikum unter Berücksichtigung des kardiorenalen Risikoprofils der Patient_innen sowie weiterer patient_innenrelevanter Kenngrößen eingesetzt [126]. Zunehmend werden, auch aus Expertensicht (Anhang), DPP-4-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Inhibitoren eingesetzt [12].

Bei Nichterreichen des therapeutischen Zielwertes (HbA1c-Wert, Abb. 20) nach drei bis sechs Monaten erfolgt die Kombination des Biguanids in Abhängigkeit vom Vorliegen einer atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankung, einer Herzinsuffizienz beziehungsweise einer chronischen Nierenerkrankung mit einem weiteren Antidiabetikum (Zweifachkombination). Diese Empfehlungen sind unabhängig vom aktuellen HbA1c-Wert. In kardiovaskulären Endpunktstudien sind kardio- und renoprotektive Effekte für SGLT2-Inhibitoren nachgewiesen [139]. Auch für GLP-1-Rezeptoragonisten ist eine kardiovaskuläre Sicherheit und für manche Vertreter zudem eine kardiovaskuläre Risikoreduktion nachgewiesen [131, 132]. Auf dieser Ebene des Stufenplans liegt eine fundamentale Änderung zu der bisherigen gemeinsamen Therapieleitlinie der ADA und EASD. Die aktualisierten ADA/EASD-Therapieleitlinien heben die Bedeutung der Erfassung kardiovaskulärer beziehungsweise renaler Risikofaktoren der Patient_innen hervor.

Patient_innen mit überwiegend atherosklerotischen kardiovaskulären Erkrankungen werden GLP-1-Rezeptoragonisten mit erwiesenem kardiovaskulären Nutzen (beispielsweise Liraglutid) als Zweitlinientherapeutikum in Kombination mit Metformin empfohlen. Aufgrund der günstigen Effekte von Liraglutid auf die Gesamtmortalität, wird der GLP-1-Rezeptoragonist bei Typ-2-Diabetiker_innen mit einer kardiovaskulären Erkrankung oder einem hohen kardiovaskulären Risiko empfohlen, um das Sterberisiko zu reduzieren [132]. Alternativ wird ein SGLT-2-Inhibitor, bei dem die Reduktion des kardiovaskulären Risikos belegt ist, eingesetzt. Bei Patient_innen mit einer chronischen Nierenerkrankung oder Herzinsuffizienz, werden bevorzugt SGLT-2-Inhibitoren (beispielsweise Empagliflozin) eingesetzt. Dabei wird eine ausreichende GFR vorausgesetzt. Empagliflozin zeigt in einer kardiovaskulären Endpunktstudie eine signifikante Verminderung der Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz [139]. Bei einer Kontraindikation oder Unverträglichkeit gegen SGLT-2-Inhibitoren werden GLP-1-Rezeptoragonisten mit erwiesenem kardiovaskulären Vorteil als zweite Wahl empfohlen. Die Dreifachkombination aus SGLT-2-Inhibitor, GLP-1-Rezeptoragonist und Metformin wird bei Bedarf, wenn eines der beiden

60 Medikamente in Kombination mit Metformin nicht ausreicht, um das Therapieziel zu erreichen, eingesetzt [9]. Die Zweifachkombination aus SGLT-2-Inhibitor beziehungsweise GLP-1-Rezeptoragonist und Metformin kann durch ein Basalinsulin mit kardiovaskulärem Nutzen (Insulin degludec), ein Glitazon (nicht bei chronischer Herzinsuffizienz) oder einen Sulfonylharnstoff ergänzt werden. DPP-4-Inhibitoren werden, mit Ausnahme in der Kombination mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten, als Dreifachkombination eingesetzt. Eine Dreifachkombination hat den Vorteil, dass sich die unterschiedlichen Substanzklassen in ihren Effekten ergänzen [10].

Bei Patient_innen ohne entsprechende Vorbelastung, werden weitere individuelle Therapieziele für ein geeignetes Therapiekonzept, wie die Notwendigkeit einer Reduktion des Hypoglykämierisikos sowie die Notwendigkeit einer Gewichtsabnahme, herangezogen. Zudem spielen die Therapiekosten bei der Auswahl einer geeigneten Zweifach- beziehungsweise Dreifachkombination eine Rolle (Abb. 20).

DPP-4-Inhibitoren kommen insbesondere bei übergewichtigen Typ-2-Diabetiker_innen mit einem Hypoglykämierisiko in Kombination mit Metformin zum Einsatz. Auch GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Inhibitoren werden zusätzlich zu Metformin eingesetzt, wenn bei Patient_innen keine atherosklerotische-kardiovaskuläre Erkrankung beziehungsweise Herz- oder Niereninsuffizienz vorliegt, und die Vermeidung von Hypoglykämien (Abb. 20) im Vordergrund steht. Die Bedeutung der Glitazone hat abgenommen. Bleibt das gewünschte Therapieziel nach drei bis sechs Monaten aus, kann zur Therapieerweiterung der jeweils noch nicht eingesetzte antidiabetische Wirkstoff hinzugefügt werden.

Die Kombination eines DPP-4-Inhibitors mit einem GLP-1-Rezeptoragonisten wird nicht empfohlen.

Bei adipösen oder übergewichtigen Patient_innen ohne Evidenz für eine atherosklerotisch-kardiovaskuläre Erkrankung beziehungsweise eine Herz- oder Niereninsuffizienz werden zur Gewichtsreduktion (Abb. 20) GLP-1-Rezeptoragonisten als Zweittherapeutikum empfohlen.

Die gewichtsreduzierende Wirkung dieser Substanzklasse ist in zahlreichen Studien belegt (Semaglutid >

Liraglutid > Dulaglutid > Exenatid > Lixisenatid, Tabelle 7). SGLT-2-Inhibitoren können alternativ, bei Notwendigkeit einer Gewichtsreduktion, appliziert werden. Wird unter der Zweifachkombination keine adäquate Stoffwechseleinstellung erzielt, wird eine Kombination aus GLP-1-Rezeptoragonist, SGLT-2-Inhibitor und Metformin empfohlen. Wird kein GLP-1-Rezeptoragonist eingesetzt, ist der zusätzliche Einsatz eines DPP-4-Inhibitors möglich. Die Dreifachkombination kann auch die Gabe eines Basalinsulins umfassen [10].

Sulfonylharnstoffe werden insbesondere dann eingesetzt, wenn eine Begrenzung der Therapiekosten (Abb. 20) im Fokus der Therapieentscheidung steht und keine atherosklerotisch-kardiovaskuläre Erkrankung beziehungsweise keine Herz- oder Niereninsuffizienz bei den Betroffenen vorliegt. In den letzten Jahren hat die Bedeutung dieser Substanzklasse jedoch aufgrund ihres hohen Hypoglykämierisikos, der Gefahr einer Gewichtszunahme sowie aufgrund von Hinweisen auf ein mögliches erhöhtes kardiovaskuläres Risiko stark abgenommen [128]. Antidiabetika, wie insbesondere GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Inhibitoren mit günstigerem Nebenwirkungsprofil, haben Sulfonylharnstoffe weitestgehend verdrängt. Auch der Experte (Anhang) ist der Meinung, dass sich in der DMT2-Therapie GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT-2-Inhibitoren im Gegensatz zu Sulfonylharnstoffen und DPP-4-Inhibitoren immer mehr durchsetzen. Glitazone werden alternativ eingesetzt, wenn eine Limitierung der Therapiekosten erforderlich ist. Diese Substanzklasse gilt aufgrund ihres ungünstigen Nutzen-Risiko-Profils als Reservetherapeutikum. Die Kombination der beiden Substanzklassen (Sulfonylharnstoff plus Glitazon) wird zur Therapieerweiterung, wenn das HbA1c-Therapieziel nicht erreicht wird, als Dreifachkombination mit Metformin empfohlen. Wird auch unter der Dreifachkombination keine ausreichende Stoffwechseleinstellung erzielt, wird die zusätzliche Gabe eines Basalinsulins oder eines weiteren OAD (DPP-4-Inhibitor oder SGLT-2-Inhibitor) empfohlen [10].

61 α-Glucosidase-Inhibitoren wurden früher als Reservemittel in der Kombinationstherapie bei nicht ausreichender Blutglucoseeinstellung eingesetzt. Aufgrund ihrer relativ schwachen glucosesenkenden Wirkung sowie der mangelnden Compliance ist ihr therapeutischer Wert umstritten [10].

Eine Insulintherapie wird erst im fortgeschrittenen DMT2-Stadium eingesetzt, wenn die individuellen Therapiezielwerte trotz lebensstilmodifizierender Maßnahmen und einer Therapie mit OAD und/oder GLP-1-Rezeptoragonisten nicht erreicht werden. Eine Insulintherapie ist darüber hinaus bei Medikamentenunverträglichkeiten beziehungsweise Kontraindikationen gegen OAD indiziert. Bei schwerer Stoffwechseldekompensation (HbA1c-Wert größer 11,0 %) wird Insulin als erstes injizierbares Medikament initial appliziert [126]. Die Vielzahl der Insuline sowie der Injektionshilfen ermöglicht eine Individualisierung der Therapie. Nachteile der Insulintherapie sind die erforderlichen Injektionen, das erhöhte Hypoglykämierisiko und die Gewichtszunahme.

Wird nach drei bis sechs Monaten auch unter der Dreifachkombination keine adäquate Stoffwechseleinstellung erreicht, erfolgt eine Intensivierung der Therapie (Abb. 20). Die Kombination eines Basalinsulins und eines GLP-1-Rezeptoragonisten ist hierbei geeignet. Eine Insulinmonotherpie wird im späteren Stadium des DMT2 durchgeführt, wenn durch die Kombinationstherapie mit GLP-1-Rezeptoragonisten und Insulin keine ausreichende Blutglucoseeinstellung erreicht werden kann.

Dabei wird hauptsächlich die konventionelle und die intensivierte Insulintherapie eingesetzt.

Bei der konventionellen Insulintherapie, die einem starren Dosierschema unterliegt, wird ein Mischinsulin (Normalinsulin und NPH-Insulin) zweimal täglich subkutan injiziert. Dabei wird in den meisten Fällen morgens zwei Drittel und abends ein Drittel der Insulindosis vor dem Essen subkutan injiziert. Bei dieser Therapieform ist die rechtzeitige Einnahme von definierten Mahlzeitenmengen zu beachten, da andernfalls eine Hypoglykämiegefahr besteht. Die konventionelle Insulintherapie wird insbesondere bei älteren insulinbedürftigen Typ-2-Diabetiker_innen eingesetzt.

Bei der intensivierten Insulintherapie, die an die Insulinsekretion des gesunden Pankreas angepasst ist, erfolgt eine ein- bis dreimal tägliche Gabe eines Verzögerungsinsulins (beispielsweise NPH-Insulin), das den basalen Insulinbedarf abdeckt. Zusätzlich wird ein kurzwirksames Insulinanalogon, das den prandialen Insulinbedarf ersetzt, als Bolus zu den Mahlzeiten (Basis-Bolus-Konzept) gespritzt. Voraussetzungen der intensivierten Insulintherapie sind neben einer intensiven Schulung regelmäßige Blutglucosekontrollen [10, 62].

Als innovative Medikation ist seit dem Jahr 2017 eine Fixkombination aus einem Basalinsulin (Insulin glargin) und einem GLP-1-Rezeptoragonisten (Lixisenatid) zugelassen [163].

Neben der antidiabetischen Therapie sollen weitere Stoffwechselstörungen, die beim metabolischen Syndrom auftreten (Hypertonie, Dyslipidämie), behandelt werden. Chronisch erhöhte Blutdruckwerte gehen mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einher. Zielwerte des systemischen Blutdrucks liegen bei Typ-2-Diabetiker_innen bei unter 130 zu 85 mmHg.

Erhöhte LDL-Cholesterin- und TG-Konzentrationen sowie erniedrigte HDL-Cholesterin-Konzentrationen erhöhen das kardiovaskuläre Risiko. Zielwerte des LDL-Cholesterins liegen bei Typ-2-Diabetiker_innen ohne zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren bei unter 100 mg/dl und bei Typ-2-Diabetiker_innen mit KHK, fortgeschrittener chronischer Niereninsuffizienz oder mit kardiovaskulären Risikofaktoren bei unter 70 mg/dl. Bei Triglyzeriden werden Werte unter 150 mg/dl angestrebt. Die Basistherapie von Dyslipidämien sind Lebensstilmodifikationen, wie Ernährungsumstellung, Gewichtsreduktion und Bewegungstherapie. Statine sind hierbei die erste Wahl der medikamentösen Therapie.

Thrombozytenaggregationshemmer werden in der kardiovaskulären Sekundärprävention verordnet [62].

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