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4 Therapiekonzepte des Diabetes mellitus Typ 2

4.2 Nichtmedikamentöse Therapie

Eine regelmäßig hochkalorische Nahrungszufuhr in Kombination mit Bewegungsmangel sind die Hauptrisikofaktoren für die Entstehung eines DMT2.

Die Basistherapie des DMT2 ist die lebensstilmodifizierende, nichtmedikamentöse Therapie, die unter anderem eine Ernährungsumstellung, eine Gewichtsreduktion und eine Steigerung der körperlichen Aktivität einschließt. Weitere Komponenten der nichtmedikamentösen Therapie sind Schulungsprogramme für die Patient_innen, Beendigung des Rauchens und Stressbewältigungsstrategien.

Die Anpassung an einen gesunden Lebensstil ist einerseits für die Prävention des DMT2 und andererseits für die Entstehung und Progression diabetischer Komplikationen unverzichtbar. Zudem ermöglicht eine Lebensstilintervention die Verzögerung beziehungsweise Verhinderung der Konversion eines Prädiabetes zum manifesten DMT2. Allein durch eine Lebensstilintervention erreichen bis zu 75 % der neu diagnostizierten Typ-2-Diabetiker_innen zunächst eine Normalisierung des Blutglucosespiegels [62].

Im Rahmen von Schulungsprogrammen erlernen Betroffene den richtigen Umgang mit ihrer Erkrankung.

Dazu zählen unter anderem die Vermittlung von Grundwissen der DMT2-Erkrankung und die Beratung über eine gesunde und ausgewogene Ernährung sowie über Bewegungsprogramme. Die Betroffenen erhalten Informationen über die antidiabetische Therapie (einschließlich der Insulintherapie) und erlernen Sofortmaßnahmen bei einer Hypo- beziehungsweise Hyperglykämie. Darüber hinaus wird die Durchführung regelmäßiger Blutglucoseselbstkontrollen erklärt.

Im Diabetes-Präventionsprogramm (Diabetes Prevention Program, DPP) sind die günstigen Effekte der lebensstilmodifizierenden Maßnahmen in der Prävention des DMT2 nachgewiesen. Die Lebensstilintervention ist im Vergleich zu einer Behandlung mit Metformin in Bezug auf die Reduktion der Inzidenz von DMT2 bei Personen mit hohem Risiko effektiver [180].

Lebensstilmodifizierende Maßnahmen wirken sich darüber hinaus günstig auf das kardiovaskuläre Risiko und die Lebensqualität der Patient_innen aus. Lebensstilinterventionen reduzieren das kardiovaskuläre Risiko um bis zu 50 % [96]. Die Action for Health in Diabetes (Look AHEAD)-Studie zeigt, dass Lebensstilinterventionen die kardiovaskulären Risikofaktoren verringern. Eine intensive Lebensstilintervention ist mit einer signifikanten Verbesserung der Werte für Blutglucose, Blutdruck und Blutlipide verbunden [181].

Einerseits ist volkswirtschaftlich betrachtet eine nichtmedikamentöse Therapie von finanziellem Vorteil und andererseits ersparen sich die Patient_innen die Einnahme eines Medikaments. Obwohl eine nichtmedikamentöse Therapie ohne enormen zeitlichen Aufwand und ohne große finanzielle Ausgaben überall durchgeführt werden kann, reicht die Motivation der Betroffenen für den gewünschten Therapieerfolg häufig nicht aus und muss daher durch eine medikamentöse Therapie ergänzt werden.

Im Folgenden wird auf die verschiedenen Komponenten einer Lebensstilintervention eingegangen.

Ernährungsumstellung

Übergewicht beziehungsweise Adipositas ist ein Hauptrisikofaktor für die Entstehung eines DMT2 und geht mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen einher. Daher ist die Änderung von Essgewohnheiten in Richtung einer gesunden, vollwertigen und bedarfsdeckenden Kost ein wesentlicher Bestandteil der nichtmedikamentösen Therapie des DMT2. Eine effektive Ernährungsumstellung kann der Entstehung diabetischer Komplikationen präventiv entgegenwirken.

Es existiert kein allgemeingültiger Ernährungsplan für Diabetiker_innen, vielmehr sollen individualisierte Ernährungsempfehlungen vereinbart werden, die an die Therapieziele und das Risikoprofil der

63 Patient_innen angepasst werden. Die Berücksichtigung der persönlichen Vorlieben sowie des kulturellen und religiösen Hintergrunds der Betroffenen erhöht die Patient_innencompliance.

Komplexe, langsam aufspaltbare Kohlenhydrate sollen 45 bis 60 % der aufgenommenen Gesamttagesenergie liefern. Ballaststoffreiche Nahrung, die insbesondere in Gemüse, frischem Obst und Vollkornprodukten vorliegt, hilft Blutglucosespitzen zu vermeiden und sorgt für ein langanhaltendes Sättigungsgefühl. Täglich wird die Zufuhr von 30 g Ballaststoffen bei Typ-2-Diabetiker_innen empfohlen.

Für Typ-2-Diabetiker_innen besteht kein generelles Zuckerverbot, jedoch sollen große Mengen an Haushaltszucker, Fruchtzucker und Zuckeralkoholen (Sorbit, Xylit) beziehungsweise von Getränken, die diese Stoffe enthalten, vermieden werden. Die Zufuhr einfacher Kohlenhydrate, wie Mono- und Disaccharide, soll zehn Prozent der Gesamttagesenergie nicht überschreiten. Diese führen zu einem raschen Blutglucoseanstieg [62].

Der glykämische Index beziehungsweise die glykämische Last sind zu beachten. Lebensmittel mit einem niedrigen glykämischen Index (Gemüse, Vollkornprodukte), die zu einem flachen Ansteigen des Blutglucosespiegels führen, sind Lebensmitteln mit einem hohen glykämischen Index (Weißbrot, Süßwaren), die einen raschen und hohen Blutglucoseanstieg bewirken, vorzuziehen.

Ein Beispiel für eine geeignete Ernährungsform bei DMT2 ist die mediterrane Ernährung. Diese ist charakterisiert durch einen hohen Verzehr von Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs wie Getreide, Vollkornprodukte, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse sowie Olivenöl als Hauptfettquelle. Fisch und Geflügel werden nur in geringen bis mäßigen Mengen verzehrt, der Verzehr von rotem Fleisch ist relativ gering. Die mediterrane Ernährung ist durch einen geringen Verzehr von Milchprodukten und einen mäßigen Weinkonsum gekennzeichnet [182]. Eine mediterrane Ernährung, die mit nativem Olivenöl extra oder Nüssen ergänzt wird, reduziert in einer Studie bei Personen mit hohem kardiovaskulären Risiko das Auftreten schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse [183]. Bemerkenswerterweise verzögert eine mediterrane Ernährung in einer weiteren Studie die Notwendigkeit einer antihyperglykämischen medikamentösen Therapie bei neu diagnostizierten, übergewichtigen Typ-2-Diabetiker_innen [184]. Zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle bei Typ-2-Diabetiker_innen ist laut einer Metaanalyse die mediterrane Ernährung am besten geeignet [185].

Fette sollen 30 bis 35 % der aufgenommenen Gesamttagesenergie liefern. Zu vermeiden ist der Verzehr von gesättigten Fettsäuren, die unter anderem in tierischen Lebensmitteln und streichfähigen Fetten enthalten sind, sowie von Transfettsäuren, die insbesondere in Fast Food Produkten und fettreichen Backwaren vorkommen. Transfettsäuren haben eine negative Wirkung auf die Blutlipidwerte und erhöhen das Risiko für eine Arteriosklerose. Der Anteil gesättigter Fettsäuren soll maximal zehn Prozent der täglichen Gesamtenergiezufuhr ausmachen.

Zu bevorzugen sind hochwertige pflanzliche Fette, wie sie beispielsweise in nativem Olivenöl, Rapsöl, Sojaöl, Leinöl und Walnussöl enthalten sind. Die darin enthaltenen einfach ungesättigten Fettsäuren schützen vor arteriosklerotischen Gefäßveränderungen. Auch mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die unter anderem in Sonnenblumen- und Kürbiskernöl enthalten sind, haben in dem Zusammenhang ebenfalls günstige Effekte. Fette Fischsorten, wie Hering, Lachs, Thunfisch und Makrele, sind besonders reich an Omega-3-Fettsäuren, die auch vor der Entwicklung einer Arteriosklerose schützen.

Typ-2-Diabetiker_innen sollen zwischen 10 bis 20 % der aufgenommenen Gesamttagesenergie in Form von Eiweißen zu sich nehmen. Typ-2-Diabetiker_innen mit einer Mikroalbuminurie wird eine tägliche Eiweißzufuhr von 0,7 g/kg Körpergewicht empfohlen.

64 Täglich sollen maximal 6,0 g Salz verzehrt werden [62]. Ein dauerhaft erhöhter Salzkonsum erhöht nachweislich das Risiko für Hypertonie, die wiederum ein Hauptrisikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen ist [186].

Übergewichtigen beziehungsweise adipösen Typ-2-Diabetiker_innen wird eine hypokalorische Diabeteskost (Reduktionskost) mit 500 bis 800 Kilokalorien pro Tag unter dem berechneten Energiebedarf empfohlen. Eine Gewichtsreduktion trägt zur Verminderung des kardiovaskulären Risikos, zur Steigerung der Lebensqualität und des Selbstwertgefühls der Betroffenen bei und beugt diabetischen Komplikationen vor. In der Frühphase eines DMT2 kann eine Gewichtsreduktion zur Remission der Erkrankung führen [62]. Bei übergewichtigen Typ-2 Diabetiker_innen ist bereits eine Gewichtsreduktion von fünf bis zehn Prozent mit einer signifikanten Verbesserung kardiovaskulärer Risikofaktoren verbunden [187]. Zudem wirkt sich eine Gewichtsreduktion positiv auf die Blutdruck- und Blutlipidwerte aus und kann der Adipositas-assoziierten Insulinresistenz entgegenwirken. Das Ziel, eine signifikante und dauerhafte Gewichtsreduktion, wird jedoch häufig nicht erreicht [73]. Zur Steigerung der Motivation der Patient_innen ist daher die Vereinbarung eines realistischen Therapieziels wichtig.

Alkohol ist eine hochkalorische Substanz und, da die meisten Typ-2-Diabetiker_innen übergewichtig sind, sollen Betroffene über den differenzierten Umgang mit Alkohol beraten werden. Zudem wird ihnen eine Reduktion des Alkoholkonsums empfohlen, da Alkohol mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko einhergeht. Insbesondere unter einer Sulfonylharnstoff- und Insulintherapie ist dieses stark erhöht.

Empfohlen wird ein moderater Alkoholkonsum, wobei Frauen eine Tagesmenge von 10 g Alkohol pro Tag (etwa 125 ml Wein oder 250 ml Bier) und Männer eine tägliche Menge von 20 g pro Tag Alkohol (etwa 250 ml Wein oder 500 ml Bier) nicht überschreiten sollen [62].

Körperliche Aktivität

Bewegungsmangel zählt zu den zentralen Risikofaktoren für die Entwicklung eines DMT2. Daher ist eine Steigerung der körperlichen Aktivität sowohl in der Prävention als auch in der Therapie des DMT2 von großer Bedeutung. Eine Steigerung der körperlichen Aktivität ist, neben diätetischen Maßnahmen, essentiell für eine Gewichtsabnahme.

Neben der Verbesserung der glykämischen Kontrolle und der Erhöhung der Insulinsensitivität wirkt sich eine Steigerung der körperlichen Aktivität positiv auf den Blutdruck, den Lipidstoffwechsel sowie das psychische Wohlbefinden aus. Regelmäßige körperliche Betätigung führt neben einer verbesserten Durchblutung zu einer Verminderung des Risikos einer Atherosklerose [96]. Eine Metaanalyse ergibt, dass regelmäßiges, strukturiertes körperliches Training (Ausdauer-, Krafttraining oder ein kombiniertes Training) bei Typ-2-Diabetiker_innen eine klinisch relevante Verbesserung der glykämischen Kontrolle ermöglicht [188].

Darüber hinaus wird die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Mortalität von Typ-2-Diabetiker_innen durch eine ausreichende und regelmäßige körperliche Aktivität gesenkt [189]. Zudem führt sportliche Betätigung zu einer Verbesserung der kardialen autonomen Dysfunktion [190].

Die Auswahl geeigneter Sportarten für Typ-2-Diabetiker_innen soll individuell und unter Berücksichtigung des Alters, bestehender Komorbiditäten sowie der Stoffwechseleinstellung der Patient_innen erfolgen.

Zur Steigerung der Motivation soll zudem die Patient_innenpräferenz miteinbezogen werden.

Insbesondere bei Typ-2-Diabetiker_innen mit diabetischen Komplikationen soll sich die Wahl der körperlichen Aktivität sowie die Belastungsintensität nach der individuellen körperlichen Verfassung richten. Zur Verhinderung von körperlichen Schäden durch eine Überbelastung soll vor Trainingsbeginn eine Vordiagnostik erfolgen. Diese schließt, bei Vorliegen von kardiovaskulären Risikofaktoren, ein Belastungs-EKG und Blutdruckkontrollen ein. Auch eine Untersuchung auf Fußgeschwüre ist wichtig.

65 Obwohl die körperliche Aktivität mit einfachen Mitteln gesteigert werden kann, machen nur wenige Typ-2-Diabetiker_innen regelmäßig Sport. Bedingt durch eine Veränderung des Lebensstils (längeres Sitzen im Beruf, Auto) ist generell die Inaktivität erhöht. Daher ist die Motivation der Betroffenen von großer Bedeutung.

Eine Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining wird zur Verbesserung der Insulinresistenz, nach Angaben aktueller Therapieleitlinien, empfohlen. Das Kraftausdauertraining soll demnach acht bis zehn Wiederholungen mit submaximaler Intensität umfassen, mit zumindest dreimaliger Durchführung pro Woche. Mindestens 150 Minuten Bewegung mittlerer Intensität pro Woche sind die Empfehlung für das Ausdauertraining. Die Übungen sollen auf mindestens drei Tage pro Woche verteilt sein und es sollen maximal zwei trainingsfreie Tage dazwischen liegen. Beispiele für geeignete Sportaktivitäten für Typ-2-Diabetiker_innen sind Wandern, Radfahren, Gymnastik, Tanzen, Golf, Tennis und Schwimmen [62].

Unstrukturierte körperliche Betätigung und Bewegung, wie Treppensteigen, Spaziergänge und Gartenarbeit, finden meist unbewusst und selbstverständlich im normalen Tagesablauf statt.

Strukturierte körperliche Aktivität, zu denen aerobes Ausdauertraining und Krafttraining oder eine Kombination aus beiden Trainingsarten zählen, sind geeignete Bewegungsprogramme für Typ-2-Diabetiker_innen. Krafttraining ermöglicht die Zunahme der Muskelmasse, was mit einer Förderung der peripheren Glucoseaufnahme einhergeht. Diese ist unter anderem auf eine vermehrte myozelluläre Expression des GLUT-4 zurückzuführen [191].

Raucherentwöhnung

Aktives und passives Rauchen ist ein signifikanter Risikofaktor für die Entstehung eines DMT2. Neben einem erhöhten kardiovaskulären Risiko geht Rauchen mit einem erhöhten Krebsrisiko einher. Nikotin führt zur Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren und begünstigt eine endotheliale Dysfunktion.

Zudem aktiviert Nikotin das Gerinnungssystem und beeinflusst den HDL-Stoffwechsel. Über diese Effekte begünstigt Nikotin die Entwicklung der Atherosklerose [96].

Darüber hinaus ist Rauchen ein unabhängiger Risikofaktor für das Fortschreiten einer Albuminurie, die ein Prädiktor für das kardiovaskuläre Risiko ist [192]. Raucher_innen sollen über die Risiken des Rauchens für DMT2, insbesondere hinsichtlich der mikro- und makroangiopathischen Komplikationen sowie von Lungenerkrankungen aufgeklärt werden. Zur Verminderung des kardiovaskulären Risikos stellt die Beendigung des Rauchens die bedeutendste präventive Maßnahme dar. Daher soll Betroffenen die starke Empfehlung einer Beendigung des Rauchens nahegelegt werden. Zur Raucherentwöhnung werden unter anderem Nikotinsubstitutionstherapien, beispielsweise in Form von Nikotinkaugummis, Nikotinpflastern und Sublingualtabletten, durchgeführt.

Stressbewältigung

Chronischer Stress ist ein Risikofaktor in der Entstehung der essentiellen Hypertonie und erhöht somit das kardiovaskuläre Risiko [96]. Eine Studie zeigt, dass die regelmäßige Durchführung verschiedener Methoden zur Stressbewältigung zur Senkung des Blutglucosespiegels bei Typ-2-Diabetiker_innen führt.

Demnach ist ein Stressbewältigungstraining mit einer signifikanten Senkung des HbA1c-Wertes verbunden [193].

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