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2 Aufbau und Funktion des Pankreas (Bauchspeicheldrüse)

2.5 Inkretinhormone

2.5.2 Glucagon-ähnliches Peptid 1 (GLP-1)

Das zweite Inkretinhormon Glucagon-ähnliches Peptid 1 (GLP-1) wurde durch die Klonierung und Sequenzierung des Säugetier-Proglucagongens und der komplementären DNA (cDNA) detektiert [17, 30].

Wie in Abb. 10 schematisch dargestellt, ist bioaktives GLP-1 ein Peptidhormon aus 30 Aminosäuren.

Abb. 10 Aminosäuresequenz des humanen GLP-1 [37]

Das Inkretinhormon liegt in zwei biologisch aktiven Molekülformen, GLP-17-37 und GLP-17-36-Amid, vor [30]. Beide Formen sind in ihrer Funktion, die Insulinsekretion zu stimulieren, äquipotent [38]. Im menschlichen Plasma bildet GLP-17-36-Amid die Mehrheit des zirkulierenden GLP-1 [39].

Die Freisetzung des Inkretinhormons erfolgt aus enteroendokrinen L-Zellen, die vor allem im distalen Ileum und Kolon vorkommen [10]. Auch hierbei ist die Nährstoffaufnahme, insbesondere in Form einer

16 fett- und kohlenhydratreichen Nahrung, ein starker Reiz für die GLP-1-Sekretion [40]. GLP-1 gilt als stärkster endokriner Stimulator der Insulinfreisetzung [13].

GLP-1 hat eine kurze HWZ von etwa zwei Minuten, da es in der zweiten Position der Aminosäuresequenz einen Alaninrest hat und kurz nach seiner Sekretion rasch durch die DPP-4 inaktiviert wird [12]. Infolge des Abbaus entsteht der Metabolit GLP-19-36-Amid oder GLP-19-37 [30, 41]. Am Abbau des Peptids sind möglicherweise weitere Endo- und Aminopeptidasen, wie die Neutrale Endopeptidase 24.11 (NEP-24.11), beteiligt [42]. Die Eliminierung von GLP-1 aus dem menschlichen Körper erfolgt über die Nieren [10].

GLP-1 interagiert mit dem GLP-1-Rezeptor, einem heptahelikalen GPCR. Der GLP-1-Rezeptor ist im menschlichen Körper weit verbreitet und wird unter anderem in den Langerhans-Inseln, in der Lunge, in den Nieren, im Herz, im Gastrointestinaltrakt und im peripheren sowie im zentralen Nervensystem exprimiert [30].

Aufgrund der breiten Verteilung des GLP-1-Rezeptors im menschlichen Körper, besitzt GLP-1 ein vielfältiges Wirkungsspektrum (Abb. 11).

Der insulinotrope Effekt von GLP-1 ist für die Hauptwirkung des Inkretinhormons verantwortlich. Die Interaktion mit dem GLP-1-Rezeptor führt, wie bei dem Inkretinhormon GIP, zur Aktivierung der AC, woraufhin die cAMP-Konzentration steigt und die PKA aktiviert wird. Infolge von Phosphorylierungen werden Kaliumionenkanäle geschlossen, was eine Depolarisation des Membranpotentials nach sich zieht.

Daraufhin kommt es zu einem Calciumioneneinstrom, der für die Exozytose der mit Insulin gefüllten Sekretgranula verantwortlich ist. Die Aktivierung des GLP-1-Rezeptors in den ß-Zellen des Pankreas (Abb. 11) resultiert in einer glucoseabhängigen Stimulation der Insulinsekretion. Darüber

Abb. 11 Wirkungen von GLP-1 auf verschiedene Zielorgane und -gewebe, modifiziert nach [30]

17 hinaus hemmt GLP-1 die Glucagonsekretion aus den α-Zellen des Pankreas und führt dadurch zu einer Senkung des Blutglucosespiegels. Diese beiden Wirkungen sind verantwortlich für den antidiabetischen Effekt von GLP-1.

Infolge der Beeinflussung von Regulatoren, wie der Proteinkinase C (PKC), der PI3K, der extracellular-signal regulated kinases 1/2 (ERK1/2) und der AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK) durch GLP-1, ist das Inkretinhormon an komplexen zellulären Effekten beteiligt.

GLP-1 übt mehrere trophische Effekte auf das Pankreas (Abb. 11) aus, zu denen unter anderem die Stimulierung der ß-Zellproliferation und der ß-Zellneogenese sowie die Reduktion der Apoptose zählen.

Insgesamt führen diese Effekte zu einer Erhöhung der ß-Zellmasse. Ein Experiment mit humanen Inselzellen zeigt, dass GLP-1 die Apoptose in pankreatischen ß-Zellen vermindert, die zuvor durch erhöhte Glucose- und/oder Palmitatkonzentrationen induziert wurden [18]. Auch die Studienergebnisse von Hui et al. zeigen, dass GLP-1 antiapoptotische Wirkungen auf Insulin-sezernierende Zellen in Mäusen hat, die zuvor mit Wasserstoffperoxid (H2O2) behandelt wurden [19]. Tourrel et al. zeigen in ihrer Studie, dass GLP-1 die Neogenese von ß-Zellen in Ratten stimuliert [43]. Die Studienergebnisse von Perfetti et al.

ergeben, dass GLP-1 die Proliferation von pankreatischen Zellen sowie die Differenzierung von ß-Zellen bei Nagetieren stimuliert [44]. Die Stimulierung der Insulingenexpression durch GLP-1, infolge einer Erhöhung der Insulin-mRNA-Spiegel, kann zu einer Erhöhung der Insulinbiosynthese führen [17].

Da GLP-1 in zahlreichen weiteren Organen prozessiert wird und der GLP-1-Rezeptor im menschlichen Körper weit verbreitet ist, liegt die Vermutung nahe, dass GLP-1 neben seinen Wirkungen auf das Pankreas zahlreiche extrapankreatische Wirkungen aufweist.

Der GLP-1-Rezeptor ist im Magen (Abb. 11) lokalisiert. GLP-1 führt zu einer Hemmung der Magen- und Darmmotilität, und darüber zu einer verzögerten Magenentleerung. Über eine zentrale Wirkungskomponente im Gehirn (Area postrema), fördert GLP-1 das Sättigungsgefühl und hemmt den Appetit. Die Folge ist eine verringerte Nahrungsaufnahme mit Gewichtsverlust. Schmidtler et al. zeigen im Jahr 1994, dass die Belegzellen des Magens der Ratte mit hochaffinen GLP-1-Rezeptoren ausgestattet sind [45]. Daher ist es möglich, dass GLP-1 die Magensäuresekretion direkt reguliert. Drei Jahre später zeigen Wettergren et al., dass der Effekt von GLP-1 auf die Magensäuresekretion in vagotomisierten Menschen nicht vorhanden ist. Daher scheinen vagale Afferenzen, die sich zum ZNS erstrecken, für die GLP-1-Rezeptor-abhängige Kontrolle der Magensäuresekretion sowie der gastrointestinalen Motilität von Bedeutung zu sein [46].

Die Synthese von GLP-1 findet auch im ZNS, genauer im Gehirn, statt. Darauf sind verschiedene Wirkungen, wie metabolische, kardiovaskuläre und neuroprotektive Wirkungen, zurückzuführen.

GLP-1-Rezeptoren werden in Regionen des ZNS exprimiert, in denen das Essverhalten, die Magenmotilität, die Glucoseregulation sowie kardiovaskuläre Funktionen reguliert werden [30]. Die gewichtsreduzierende Wirkung von GLP-1 kann auf eine direkte Interaktion mit dem im Hypothalamus gelegenen GLP-1-Rezeptor vereinbart werden. In tierexperimentellen Beweisen werden neuronale Mechanismen für die GLP-1-induzierte Gewichtsreduktion verantwortlich gemacht [47]. Aus der Beobachtung, dass GLP-1-Rezeptoren im Hypothalamus, der an der Vermittlung des Sättigungsgefühls beteiligt ist, lokalisiert sind, sind Vagusinnervationen für die GLP-1-Rezeptor-abhängige Kontrolle der Magensäuresekretion und Magenmotilität von Bedeutung. In einem Experiment wird gezeigt, dass die intrazerebroventrikuläre Injektion sowie die periphere Verabreichung von GLP-1-Rezeptoragonisten die Nahrungsaufnahme bei Ratten reduziert [48].

In Tierversuchen ist die neuroprotektive Wirkung von GLP-1 nachgewiesen [49].

GLP-1 wirkt darüber hinaus am Herzen (Abb. 11), wobei direkte und indirekte kardiale Effekte unterschieden werden. Die günstigen kardialen Effekte von GLP-1, beziehungsweise dessen Mimetika,

18 werden in verschiedenen klinischen Studien gezeigt. Der positive Effekt wird dabei in unterschiedlichen Modellen von Herzerkrankungen, wie dilatative Kardiomyopathie, Ischämie-Reperfusion oder Myokardinfarkt nachgewiesen. Dabei zeigt sich eine reduzierte Infarktgröße [50]. Die Studienergebnisse von Barragán et al. ergeben, dass die intravenöse Verabreichung von GLP-19-36-Amid in betäubten Ratten den arteriellen Blutdruck und die Herzfrequenz erhöht [23]. Hinsichtlich der zugrundeliegenden Wirkungsmechanismen bestehen unterschiedliche Ansichten. Die direkte Wirkung von GLP-1 auf die kardiale Glucoseaufnahme wird in Studien nachgewiesen. In Tierversuchen mit Hunden wird gezeigt, dass rekombinantes GLP-1 die kontraktile Leistung sowie die systemische Hämodynamik in Hunden mit fortgeschrittener dilatativer Kardiomyopathie verbessert. Die signifikanten Verbesserungen sind hierbei mit einer erhöhten myokardialen Glucoseaufnahme verbunden [51].

Auch in Humanstudien sind die günstigen kardialen Effekte von GLP-1 nachgewiesen. Die Studienergebnisse von Sokos et al. zeigen, dass eine Langzeitinfusion von GLP-1 signifikant mit einer Verbesserung der linksventrikulären Funktion, dem funktionellen Status und der Lebensqualität bei Patient_innen mit schwerer Herzinsuffizienz verbunden ist [52]. Eine weitere Studie ergibt, dass eine 72-stündige GLP-1-Infusion in Patient_innen mit akutem Myokardinfarkt und schwerer systolischer Dysfunktion nach erfolgreicher primärer Angioplastie als Zusatz zur Standardtherapie die linksventrikuläre Funktion signifikant verbessert [53].

Die Studienergebnisse von Nyström et al. zeigen, dass GLP-1 die Endothelfunktion bei Typ-2-Diabetiker_innen mit etablierter koronarer Herzkrankheit verbessert [54]. Experimentelle Befunde deuten auf einen antiatherosklerotischen Effekt von GLP-1-Rezeptoragonisten [55]. Dieser zeigt sich in einer erhöhten Stickstoffmonoxid (NO)-Bildung sowie einer Reduktion freier Sauerstoffradikale und proinflammatorischer Mediatoren [56].

Es bestehen Diskrepanzen bezüglich der Wirkungsmechanismen sowie der Wirkungen von GLP-1 auf die Leber, die Muskulatur sowie das Fettgewebe (Abb. 11). Nach Valverde et al. führt GLP-1 in isolierten Rattenhepatozyten zu einem erhöhten Einbau von Glucose in Glykogen. Diese Wirkung wird von einer Erhöhung der Glykogensynthase-a-Aktivität begleitet [22]. Zudem hemmt GLP-1 die hepatische Glucoseproduktion [57]. Eine weitere Studie zeigt, dass GLP-1 den Einbau von Glucose in Glykogen in den Muskelzellen von Ratten über eine gesteigerte Glykogensynthase-a-Aktivität erhöht [58]. Nach Gao et al.

führt GLP-1 zu einer signifikanten Steigerung der insulinvermittelten Glucoseaufnahme in 3T3-L1-Adipozyten [59]. Zudem hat das Inkretinhormon lipolytische Wirkungen in isolierten Rattenadipozyten [60]. Dagegen zeigt GLP-1 in menschlichen Adipozyten sowohl lipolytische als auch lipogene Wirkungen [61]. Die zugrundeliegenden Mechanismen von GLP-1 in den peripheren Geweben (Leber, Muskulatur, Fettgewebe) sind nicht vollständig geklärt. Zudem gibt es widersprüchliche Studienergebnisse bezüglich des Vorkommens von GLP-1-Rezeptoren in diesen Geweben [30].

Bei Patient_innen mit manifestem DMT2 ist der Inkretineffekt eingeschränkt [62]. Der rasche Abbau von endogenem GLP-1 durch die körpereigene DPP-4 limitiert den therapeutischen Einsatz des Inkretinhormons. Daher wurden GLP-1-Rezeptoragonisten entwickelt, die gegen den enzymatischen Abbau resistent sind. Durch den Austausch von Aminosäuren wird die Stabilität des Inkretinhormons erhöht und der Abbau durch die DPP-4 verhindert.

Im Speichel der Gila-Krustenechse (Heloderma suspectum) wurde zufällig das Peptidhormon Exendin-4 (39 Aminosäuren) entdeckt, das eine etwa 50 %-ige Aminosäuresequenzhomologie zu humanem GLP-1 aufweist. Im Vergleich zu endogenem GLP-1 weist Exendin-4, ein GLP-1-Rezeptoragonist, eine längere Plasma-HWZ (2,4 Stunden) auf, da es resistent gegen den DPP-4-Abbau ist [9]. Exenatid wurde in Form eines synthetischen Analogons von Exendin-4 als erster GLP-1-Rezeptoragonist zur Therapie von DMT2 zur subkutanen Injektion zugelassen [63]. In den folgenden Jahren wurden weitere

19 GLP-1-Rezeptoragonisten auf dem europäischen Markt etabliert. GLP-1-Rezeptoragonisten werden genauer in Kapitel 4.1 beschrieben.

Exkurs über Glucagon-ähnliches Peptid 1 (GLP-1)

Bioaktives GLP-1 entsteht, wie in Abb. 12 schematisch dargestellt, aus einem Vorläuferprotein. Zunächst wird die Proglucagon-mRNA (B, Abb. 12) in ein langes Vorläuferprotein mit 180 Aminosäuren umgeschrieben [30, 64].

Abb. 12 Posttranslationale Prozessierung von Proglucagon (A) Proglucagongen, (B) mRNA, (C) Protein (D) Gewebe-spezifische posttranslationale Prozessierung, modifiziert nach [30]

Die posttranslationale Prozessierung des Proglucagon-Polypeptids erfolgt durch die Prohormonkonvertase 1/3 (PC1/3) und die Prohormonkonvertase 2 und führt gewebespezifisch zur Produktion von unterschiedlichen Produkten [65].

Die primären Produkte in den α-Zellen des Pankreas (D, Abb. 12) sind Glicentin-verwandtes Polypeptid (glicentin-related polypeptide, GRPP), Glucagon (Gluc), intervenierendes Peptid-1 (intervening peptide-1, IP-1) und das Hauptproglucagonfragment (major proglucagon fragment, MPGF). Im Gehirn und im Intestinum führt die posttranslationale Prozessierung von Proglucagon zur Freisetzung von Glicentin, Oxyntomodulin (OXM), GLP-1 und GLP-2. Die Namen glucagon-like peptide 1 (GLP-1) und GLP-2 wurden aufgrund der Strukturähnlichkeit zum Glucagon gewählt. Nur GLP-1 kann die Insulinsekretion glucoseabhängig steigern. Die Sekretion von GLP-1 erfolgt beim Menschen in einem biphasischen Vorgang, wobei sich an eine frühe Phase (10 bis 15 Minuten) eine längere zweite Phase (30 bis 60 Minuten) anschließt. Der GLP-1-Rezeptor besteht aus 463 Aminosäuren. Er wird durch das GLP-1-Rezeptorgen, das auf Chromosom 6 liegt, kodiert und ist ein naher Verwandter des Glucagonrezeptors [30, 66, 67, 68, 69].

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